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BYND

Konstantin Arnold

EPIGONE II

EPIGONE II

Man fragt sich im Zug natürlich, ob das Sinn macht, für ein paar Negronis aus Klosters nach Mailand zu fahren, aber wenn man die Seen sieht, und die Inseln, auf denen wir mal Sommer verbrachten, denkt man das nicht mehr. Man sagt, die wären so tief, wie die Berge hoch sind. Gesehen hat das keiner, aber fühlen kann mans schon im Vorbeifahren. Sie sind ganz weich, neben steilstillem Fels. Abends ohne Angst, und morgens wie Meere einer ersten sonnigen Umarmung. Die Welt in Berge und Täler geteilt. Seit Menschen reisen sind sie von dieser Region begeistert. Altgediente römische Legionäre verbrachten hier ihren Lebensabend. Flaubert hielt die Inseln für den sinnlichsten Ort der Welt, sogar der Orient Express hielt damals in Stresa. Hier schafften Künstler, unter Palmen und voll Pasta, endlich einmal nichts zu schaffen. Remarque hatte irgendwo ein Haus, das mit allen Fenster zum See sah. Die Dörfer sind schön, die Gipfel weiß, und die Sehnsüchte der Menschen spiegeln sich in den Wellen wider, die manchmal blau und meistens grün sind. Man sagt, die Toten leben hier noch in den Wolken weiter und befruchten als Regen die Frauen und Stendhahl schrieb, wer zufällig ein Herz und ein Hemd besitzt, verkaufe es um am Lago Maggiore oder in Como zu leben. Wir fuhren durch Lugano und über über den Luganer See und kamen an seinem unteren Ende zum stehen. Man behielt uns für ein paar Stunden im Zug, bis man sagte, dass der nicht weiter gehe, wegen eines Unwetters wäre ein Baum auf die Gleisen geklatscht. Hunderte Menschen standen am Bahnhof, und wussten nicht weiter. Die Gesichter waren verzweifelt. Menschen mussten irgendwo hin. Ich nur Negronis trinken. Umso länger das hier dauert, desto besser wurden die. Ich setzte mich neben einen alten Mann mit Zigarre, Stil und Grandezza, der nicht sonderlich gestresst aussah und aussah, als würde er sich auch lieber mit Problemen rumschlagen, die es nicht gibt. Manchmal sagte der Mann irgendwas und fluchte, wenn denn ein Taxi kam und die Menschen wie wilde Tiere drum liefen. Ich sagte Si, Si. Er bot mir eine Zigarre an und so saßen wir da, tiefenentspannt, eine Weile, schweigend, in gleichfarbigen Anzügen mit Hut, zwischen all den schreienden Leuten. Rauchen ist tödlich, ich weiß, aber ohne das Rauchen wäre ich an diesem Tag nicht mehr nach Mailand gekommen. Denn nach der Zigarre sagte er, kommen sie, fahren sie mit mir. Ich fragte wie? Er sagte, sein Chauffeur wäre jeden Augenblick da. Er hätte nur darauf warten müssen, bis der von Mailand aus hier ist. Wir kamen am frühen Abend nach Mailand. Die Stadt war zerstört. Überall lagen Bäume rum auf Autos und Gleisen. Ich nahm mir ein Zimmer im Mandarin hinter der Scala, auch wenn das ein raumschiffmäßiges Hotel ist, und nicht mein Fall. Aber kein anderes ist so nah dran. Man musste nur noch aus der Tür, rechts an der Skala und links am Leonardo vorbei und die Galeria bis runter. Dann ist es da, gleich rechts, eine kleine Bar, vielleicht der beste Ort auf der Welt, um nach so einem Tag zu sitzen und in einer italienischen Zeitung zu blättern, deren Nachrichten man nicht versteht. Trotz des hektischen Treibens regiert ein Gleichgewicht, das von der Bar ausstrahlt, die seit 1915 gleichgeblieben ist. Getischlert von Eugenio Quarti, geschmiedet von Alessandro Mazzucotelli und gemalt von Angelo d’Andrea, hat sie nichts von ihrer Schönheit verloren, im Gegenteil, alle wirklich schönen Dinge werden schöner mit der Zeit. Die Scapigliatura Bewegung hat sich hier getroffen, aber ich habe keine Ahnung mehr, was das ist. Es ist eine einfache, simple Bar, die um die Kurve geht. Im Hintergrund zeigt ein Spiegel auf den Platz zurück vor den Duomo und das Rot der Campariflaschen hinter weißen Kellnerwesten sorgt für den nötigen Sex. Zwischen dem 13. und 15. August 1943, genau 80 Jahre vor meinem Geburtstag, wurden die Galleria und das Camparino bei verheerenden Luftangriffen der Alliierten bombardiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bar von Guglielmo Miani übernommen, einem Schneider aus Apulien, der 1922 nach Mailand gezogen war. Das Camparino ist ein Ort, an dem ein einfacher Aperitif, die Teilnahme an dieser Legende bedeuten kann […]

EPIGONE I

EPIGONE I

Unsere Tage in Klosters begannen in Blenio, einem Tal im Süden der Schweiz, in dem wir gut Ferien machen konnten, weil ich es oft beschrieben hatte. Ich dachte nicht, dass es deshalb viel was zu erzählen gäbe, aber die Handlung ist eine besondere, an Orten, an denen das eine so tief ist wie das andere hoch. Wir wohnten in jenem Sommer an einem Berg in der Mitte des Tals und sahen auf einen anderen, den die Einheimischen die weiße Geröllhalde nannten. Er bestand aus einer Wasserscheide mit zwei Flanken. Die eine verharrte in der typischen großen Stille mysteriöser Nordwände, während die andere, von der Morgenröte wachgeküsst, einen weiten, sanft geneigten Kessel umarmte. Morgens stieg ich in eine kleine ruhige Hütte ins Tal hinab, um zu schreiben. Abends stieg ich wieder rauf. Wenn du so zur Arbeit musstest, war dein Kopf bereit und klar und nicht wie im Stau und konnte abends wieder so leer werden, dass man seine Mitmenschen nicht unnötig verwirrte, weil man zwischen den Welten lebte und genügend Anstrengung zwischen den Dingen lag, die sind und denen, die sein könnten. Zuhause, in Lissabon konnte man nicht so gehen. Man konnte auch nicht so tun, wie mein Schwager, der Morgens einfach ein paar Runden ums Haus ging. Es war anders eine Bewegung auszuführen, die notwendig ist. In Lissabon ging ich neuerdings zwar auch, aber nicht an Bergbächen vorbei, sondern Geschäften. Ich konnte mein Arbeitszimmer seit einer Weile nicht sehen, genauso wie das ungelebte Leben meiner Liebe als Preis einer Größe, wie ich sie verstand. Ich begann das Leben als viele Lieben zu sehen und sah mit Sorge ein wachsendes Interesse daran, mich als Mensch in der Welt zu erfahren, zu verstehen, wer ich bin in der Welt, als der, der ich jetzt bin, in einer Welt wie jetzt, und ob dieser jemand und diese Welt wirklich nur durch dich zustande gekommen ist, wie du gern sagst. Früher, als Bomben fielen, war es doch normal ein Mädchen in jedem Hafen zu haben für den Moment. Not meiner Arroganz. Eine Portugiesische, eine Französische, eine koreanische. Stellt man sich das alles nur vor, wie alle Dinge, die man denkt? Man versucht zu lieben, heißt, sich zu ändern, aber es geht nicht, es ist nichts für mich, wenn es heißt mit einer Frau im Bett liegen zu müssen, ohne leidenschaftlich zu sein, ihren Wecker zu hören, ohne das man selber aufstehen muss. Irgendetwas änderte sich in mir, aber ich wusste nicht was und weiß es auch heute nicht. Ich wusste nur, dass ich zu Hause nicht arbeiten konnte und an heißen Tagen in ein Café ging, das ich sehr mochte, weil sie es oben absperrten und mich sitzen ließen, bis sie mit Bohnern fertig waren und das Café schlossen. Manchmal kamen schöne Mädchen in das Café, aber man konnte sie vergessen, wie damals, als eine noch nicht alle sein musste und man sie nicht nur in diesen Geschichten unterbringen konnte. Im Winter, wenn die Terrassen schlossen, wurde es aber zu voll und ich arbeitete hinten, im Café Benard, wo außer mir niemand hinging, höchstens die Chefin, um Kaffee zu bringen und zu schauen, ob ich auch was schaffe. Man konnte dort sehr gut arbeiten, so allein, den ganzen Saal im Blick und von den Bildern Estêvão Soares umgeben, der hier früher auch immer war und mit ihnen bezahlte. Auf dem Heimweg konnte ich dann denken und gucken und mich einen Heimweg lang wie ein ganz normaler Mensch fühlen, der gearbeitet hat, und sich vor der Realität in seine Bücher flüchtet. Vom Benard ging man bergab und kam ganz nah an den Schaufenstern der Geschäfte vorbei. Man konnte in die der Buchläden sehen und sah sein Buch und dass vielleicht doch nicht alles umsonst war, was man gerade wieder getan hat. Die Auslagen der Juweliere versuchte man zu ignorieren. Sie reflektierten sich sorglos im Lack der parkenden Autos und man versuchte einfach nur an Schmuck zu denken und nicht an Ringe, oder den Typen, der hinten im Benard immer Abrechnung macht. Hier im Norden des Südens der Schweiz ging man keine Einkaufsstraßen lang, sondern Kräuterwiesen runter. Morgens waren die Farben noch voll und würden über den Tag verblassen. Umso weiter man ins Tal kam, desto wärmer wurde es und wenn ich unten angekommen war, wusch ich mich in einem Brunnen und ließ mich von der Sonne trocknen. Der Bürgermeister des Dorfes hatte mir einen großen Schlüssel zu einer Holzhütte gegeben, die ich in meiner Zeit hier zum Schreiben benutzen durfte. Nur zum Schreiben fragte er? Nur zum Schreiben, antwortete ich, hatte aber vergessen, dass Schreiben auch Scheißen müssen bedeutet. Einen Brunnen hatte ich, auch einen Ofen im Sommer, zwei schöne Gemälde, die eine aufeinanderfolgende Situationen zeigten, aber kein Klo. Jedenfalls nicht an Werktagen. Dann lief ich die leere, tote Straße des Dorfes lang und hoffte, dass mich jemand sehen kann und mich zu ihm rein lässt. Die Hütte lag an der Hauptstraße des Dorfes vor einem Café, das die halbe Woche zu hatte. Man sah dann niemanden auf der Straße, nur mich in der Mittagshitze, der kacken musste und den Schulbus aus Biasca, der zwei Mal am Tag an meiner Hütte vorbeifuhr. Das Dorf schien am Ende seiner Landwirtschaft. Erst die saisonale Abwanderung der Leute nach dem Krieg auf der Suche nach Arbeit, dann die generelle, dauerhafte unserer Zeit. Nur selten kam jemand aus der Stadt vorbei und fragte, warum das Café zu ist. Ich hasse Unterbrechungen beim Schreiben, aber die Leute waren so nett und italienisch und ich konnte mich so in sie rein versetzen, weil ich vor einigen Wochen selbst in den Pyrenäen gewandert war und den Hunger und den Durst kannte, der sich nach einer gewaltigen Wanderung einstellte. Wenn sie wieder weg waren, hatte ich das Gefühl der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Mittags läutete eine Glocke und ich erschrak. Das Läuten begann in der Regel um Zwölf und dauerte zwischen zehn Minuten und einer Stunde, Abhängig von der Religiosität des Talbewohners, der sie betrieb. Ich aß Brot und Käse und trank Brunnenwasser, sah auf die Berge und rauchte an den Tagen nicht. Wenn ich den ganzen Tag unten so allein im Tal gewesen war, also nicht allein, nur allein gelassen, gingen meine Gedanken nur zu den Bergen hinauf. Ich dachte an den kalten Wein am Abend und den Hunger und das Gefühl etwas getan zu haben. An einen Liegestuhl neben dem meines Schwagers, der mit mir runter ins Tal sieht und sich dann ans Abendessen macht.

MACHO

MACHO

Es ist jetzt lange hell und dunkel unter den Bäumen in den Straßen der Stadt. Sanfte Sommerluft kräuselt die Juninächte. Alles grün oder so, dass es einem, nach einer langen, kahlen Zeit wieder auffällt, bis auch dieser Sommer einfach nur noch selbstverständlich ist, und heiß; drei mal Duschen und zwei Mal Scheißen am Tag. Gerade ist er noch die Erinnerung an den Winter und den Sommer davor und Schaumwein nach langen Tagen, der einem den Mund wäscht. Stimmung, die nie lange hält, so wie Sommerregen und Schatten in Wohnungen, die man beschreibt. An den kühlen Morgen heißer Tage, mit dem Geruch von Regen, fühlt es sich ausnahmsweise richtig an, was man tut. Die Welt hat sich beruhigt und nichts getan über Nacht, was zeigt wie schön doch Nichts ist. Lissabon erholt sich von vier bis acht in der Früh, versichert sich seiner Wahrheit und vergisst alles, was es vorher getan hat. Aufwachen, schwitzen, Blick auf die Stadt. Batikhimmel, Greccowolken, die sich aber verziehen. Zu den Bergen über die Ebene hin zum Dunst. Alle Fenster sperrangelweit offen. Mit einer Zutraulichkeit zur Straße hin, wie man sie sonst nur aus Städten wie Neapel kennt. Man will dann nicht mehr von diesen Tagen als Morgens noch ein bisschen Zeit, Arbeiten und Abends ein bisschen von dem Wein, der einem das Arbeiten am nächsten Tag wieder gestattet. Manchmal hat man nach zwei Flaschen immer noch keine Lösungen gefunden, aber dann gibt es auch nichts zu schreiben, außer das der Abend kam, spät im Sommer, soweit südlich, und man die Dinge von heute Morgen vielleicht noch zu ende denkt. Man ist dann einen Augenblick so glücklich, dass einem die Wandmalereien in den Metros auffallen. Sie sind immer da, aber meistens nicht. Die Lichter und Leute leuchten unten in den Cafés, ganz ohne Angst, und man will alle Leute, überall, gleichzeitig sein. Außer uns. Denn Streit legt sich mal wieder wie ein grauer Schleier über die Tage und dämpfte jede Freude. Selbst in den Augenblicken, in denen man vergisst. Der Regen klopft mit weichen Fingern an die Fenster, als wolle er herein. Nass und grau wehen die Fäden im Wind vor den gelben Lichthöfen der Laternen. Trostlos und ohne Form, trauriger als Weinen. Nach einer Weile will man trotzdem wissen, was ihre Arbeit macht und was sie von diesen oder jenen Plänen hält. Man will allein gelassen werden, aber nicht allein sein. Ich kann erst richtig allein sein, seitdem ihr mit ihr bin. Früher ging das nicht, da rief ich immer irgendeine Frau an oder einen irgendeinen Mann an, sobald man allein war. Allein sein oder allein zusammen sein ist dann nicht schlimmer oder besser als alles anderes auch. Am liebsten würde ich einer dieser schicken jungen Männer in blauen Anzügen sein, die nach der Arbeit minimalistische Rucksäcke tragen und elektrische Zigaretten rauchen, wer weiß wie viele. Sie haben Frauen, die ich auch haben will und führen Leben, die ich nicht führen kann, da wo Lissabon ist, wie Madrid. Sie sitzen nach der Arbeit auf ein Bier zusammen, oder fünf, kann also spät werden, wenn sie niemandem haben, dem sie das erklären müssten. Manchmal versuche ich das nachzumachen und arbeite in einem Café, da wo Lissabon noch ist wie es nie war. Vor allem, wenns zu Hause heiß ist und man mit einer Schnellfeuerwaffe in das Gebrüll seiner Nachbarn und das Gebell der Hunde schießen will. Morgens der Rasenmäher im Park, abends Techno, dazwischen Streiten, weiß nicht, was schlimmer ist. Wenn man ihnen das sagt, sagen sie ich soll zurück in mein Heimatland, vai a tua terra caralho, sagen sie dann. Ich hielt Arbeiten in Cafés zwar für ein Klischee, wollte mich von diesem Vorurteil aber nicht davon abhalten lassen. In der Confeitaria kann man gut arbeiten, weil die oben absperren und mich in Ruhe lassen, ohne das schlechte Gewissen, das sie daheim in mir auslöst. Außerdem kommen keine Hunde rein, die Weiber an der Leine zerren und es gibt AC. Man versucht sich unter fremden Blicken aufrecht zu halten. Manchmal kommen schöne Frauen rein, aber man kann sie vergessen, wie damals, als eine Frau noch nicht alle Frauen war und musste nicht mehr wissen, wie Spucke riecht, die auf ihrer Haut trocknet. Außerdem alte Leute und Paare, die alt sind und andere Partner vorher hatten. Sie sitzen nachkriegsschweigend vor sich und ihren Kuchen und haben keine Kraft mehr, sich zu erklären. Sie wollen keine Schmerzen und jemanden mit dem man Kreuzfahrten machen kann. Meistens redetet sie und er sagt nichts, ohne zu denken, was sie dann fühlt. Er gähnt uns sie fragt, ob sie denn nicht aufregend genug ist? Er sitzt da und starrt sie an, wartet auf eine Regung, fragt, ob sie schon nach der Rechnung gefragt und wenn ja, solle sie doch lieber vorgehen oder eben nicht. Sie sprechen über organisatorisches, das man auch nicht organisieren muss und sie fragt, obs ihm denn gefällt, hier, in Lissabon. Natürlich gefällts ihm, sagt er. Wieso solls ihm denn auch nicht gefallen (verflucht). Gut, wie lange sie dann nun schon hier sind und obs ihm geschmeckt hat und er noch was will oder sie besser gehen sollen? Vielleicht soll sie doch besser mal vorgehen, vielleicht aber auch nicht. Ach, sie hätten ja Zeit, die vergeht und seit einiger Zeit, hätte sie starke Magenprobleme und könne nichts mehr trinken. Jedenfalls keinen Wein mehr, nur manchmal nippt sie an seinem Schnaps. Er zahlt und sie hält ihm die Jacke, und er humpelt an ihrer Seite in die Ferne davon. Nach all dem und nachdem man all das geschrieben hat, obwohl man was ganz anderes schreiben und die dazwischen kamen, macht man sich auf den Heimweg und kann sich dann einen Heimweg lang wie ein ganz normaler Mensch fühlen, der gearbeitet hat, während der Rest schon hoffnungsvoll aus den Häusern kommt, weil der Tag, den man sich verdient und bis zur Neige auskostet, sein Versprechen auf Zeit bis zum Abend gehalten hat. Lissabons große Stunde. Oben auf den Hügeln hell, unten in den Tälern Nacht. Zumindest unter den Bäumen in den neuen Straßen der Stadt. Abgeschlossenheit, Muse. Was will man mehr? Irgendwo ein Buch lesen? Einen Moment ohne Denken, die Bewegung der Dinge vielleicht? Ein bisschen Zäsur? Überstandene Katastrophen? Und hat jemand den Wind gesehen? Die Abende sind lang und die Nächte warm und so sind die Leute dann auch. Mit frisch gewaschenen Sommersachen durch die der Fischrauch weht. Ein Kommen und Gehen, einen Sehnen. Traumwandeln in der Stadt. Eine mit Problemen jonglierende Atmosphäre. Als wäre das Leben leicht. Es ist schön, nicht leicht, sonst wäre es nicht so schön, denn man riecht den Fischrauch irgendwann bis in die Träume, die man von Sommerkleidern im Vorbeigehen hat. Ein unstillbarer Durst ist in den Leuten, ein Loch aus Musik und der Wunsch sich zu vergessen, zu befruchten, zu ertrinken. Santos ist nun schon ein paar Wochen her, aber die Kinder rennen doch noch, Erwachsene hauen sich weg. Schön mit den Familien im Süden, weil die Eltern bis in die Puppen draußen bleiben und die Zeit rumbringen, dürfen die Kinder das auch. Alle Lachen, niemand muss heim. So lernt man von klein auf die Kunst am Geselligsein und seine Zeit damit zu verbringen, sie zu verbringen, damit sie vergeht. Man tötet im Sommer im Süden die Nacht, denn drinnen wartet die Hitze und jemand mit dem man schlafen muss. Man kommt eigentlich nur zum Schlafen, wenn man todmüde ist oder ein bisschen betrunken. Im Süden kommt das in den besten Familien vor, aber wenn meine Freundin nicht mehr meine Freundin wäre, ist meine Nicht auch ganz schnell nicht mehr meine Nichte und meine Familie nicht mehr die Familie und man steht alleine da und kann nicht mehr stundenlang zusammen Sardinen essen, weil es einem was zu tun gibt und man nicht einfach nur essen kann und trinkt, genauso wie mit Caracois. So wollte ich eigentlich anfangen und mit dieser Stimmung fertig werden bevor die Hitze kommt und mir die Zeilen zerschlägt und Senhor Alfredo und alle, die Lissabon sind, Urlaub von Lissabon machen und zurück zur der Erde gehen, aus der sie kommen, wie man in Portugal sagt. Ich wollte von all den schönen Orten erzählen, an denen wir tanzten, nachdem ich im Jahr zu vor ganz alleine da war und Pfirsiche aß und Menschen beobachtete, vor allem Ricardo, den Kellner, der solche Feste braucht, um endlich ein Mädchen kennenzulernen. Es sollte erst langweilig werden und dann richtig schön. Einzigartig beim Schreiben und nicht wie bei anderen Dingen. Menschen beobachten ist, abgesehen von Krieg, die älteste Belustigung der Welt. Aber seitdem die Hitze da ist, heiß und hell, kann man nur noch ans Meer oder bleibt drinnen sitzen, weil draußen alles so heiß und hell ist, das einem schwarz wird. Man wird lethargisch, wodurch das eine lethargische Geschichte werden kann, obwohl ich alles, wirklich alles versucht habe, das zu vermeiden […]

TO LOOSE

TO LOOSE

Es ging damit los, dass sie mir nicht helfen wollte, obwohl ich ihr immer helfe, wenn sie zu lange packt und wir los müssen und der Müll raus muss und die Blumen gegossen werden, der Abwasch und was mit dem Zeug im Kühlschrank passiert, wenn der Müll schon draußen ist. Alltag einer Liebe, die auf Reisen gemacht wird, also glauben sie nicht, dass jede die Persönlichkeit eines Menschen aus seinen Beziehungen entlässt. Ob sie die Geschwindigkeit ihres Gangs im Flughafen mit Absicht verlangsamt, wenn sie mein Ticket hat, will ich nicht sagen, nur dass sie mir wieder sagt, dass ich doch vorgerannt bin. Dadurch sind wir eher alleine nach Toulouse geflogen, als miteinander, wie immer, außer dass es mittags war und wir nicht so müde, wie sonst. Sie saß am Gate und schaute aufs Handy und ich in die Luft. Irgendwann nahm ich ein Buch raus und sie hörte auf, aufs Handy zu schauen und ich glaube, sie schaute so, also ob ich immer ins Buch schauen würde. Im Flugzeug nickte ich dann ein, träumte von Trennung, daran mit einer anderen zu sein, der Frau eines anderen, mit der alles anderes wäre und nichts so aufregend wir mit ihr. Ich träumte von Kraft, aber gegen die Liebe verlieren die Besten und kann sie nicht am Spieltisch testen. Aber ich will nicht schon wieder damit anfangen, es ist immer irgendwas anderes und das ist immer das gleiche. Ich kanns selbst nicht mehr hören. Also, sprechen wir über Toulouse. Toulouse ist erst mal eine sehr römisch Stadt, planmäßig pastell und backsteinfarben, Ahornbäume am Fluss, deren Blätter über die Mauern hängen, Hauptstadt Okzitaniens. Die Stadt liegt am Ufer der Garonne, zwischen Mittelmeer und Atlantik und weit von Paris entfernt. Sie ist die viertgrößte Stadt Frankreichs, aber wen interessierts. Wir kennen die Stadt vom Vorbeifahren. Ein Ort zwischen den Orten, der mehr als nur einen Halt letzten Herbst verdient. Wir waren gerade auf dem Weg von Biarritz in die Provence und hielten zum Lunch. Es war eine Welt, die wir nicht kannten, und Dörfer mit Burgen drauf. Ich stellte mir Toulouse an diesem Nachmittag schön vor, junge Leute, und eine Liebe, von der man sich nach einem Wochenende verabschieden muss. Wie soll man eine Stadt sonst erfahren, aber Toulouse kennen selbst viele Franzosen nicht und niemand, den wir danach gefragt haben, war je da. Der Plan war eine Weile hier zu sein und dann auf einen Berg zu klettern, den wir damals im Vorbeifahren gesehen hatten, weil man, wenn man von Biarritz in die Provence fährt, die ganze Zeit an den Pyrenäen vorbeifährt und sich fragt, wie man die schreibt. Als wir ankamen, waren gerade Mitte Juni, La Fête de la Musique in der Stadt. Wir wohnten in einem fürchterlichen Hotel, nicht weit vom Place St. Geroges, in dem sie die Drinks auf der Dachterrasse in Plastikbechern ausschenkten, weil das die Badeordnung so will. Drinnen roch es nach Deodorant, das über Schweiß gesprüht wurde, der im Teppich steckt. Die Farben der Inneneinrichtung waren krebserregend. Keine Ahnung, wie wir hier landeten. Ich brachte meine Sachen aufs Zimmer und ging sofort raus und wartete auf einem runden Platz auf sie. Ich hatte mein Telefon im Hotel gelassen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, sich zu verpassen. Es war nachmittag, oder früher Abend in Frankreich. Mein Hemd war drei Knöpfe weit offen, hätten auch vier sein können, aber ohne das Gefühl des sanften Verzichts. Die Luft war sanft und warm und die Leute hatten Hoffnung und saßen bei ihren Drinks an den Tischen und vollbrachten das große Wunder zu leben. Es sah ganz danach aus, als hatte der Morgen sein Versprechen auf Zeit über den Tag lang halten können. Die Bedienung kam und wollte das man gleich zahlt und sagte auf English, what do you want. Die Franzosen haben ein Misstrauen ihren eigenen Leuten gegenüber und ihre Etikette ist über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus. Nach den ersten zwei Gläsern freute ich mich ein bisschen auf sie und den Moment, in dem sie um diese Ecke kommt. Das lag aber eher am Moment, und ich wollte mir den nicht nehmen lassen, auch nicht von ihr. Ich hatte an so vielen Hotelbars genauso auf sie gewartet, vom Barmann dieses oder jenes erfahren, bis sie im Kleid die Treppen runterkam und ich ihr verzieh. Wenn das Kleid nicht so schön war, näherte man sich mit organisatorischem an […]

SENHOR FERNANDO

SENHOR FERNANDO

Ich bin jetzt 32, also im besten Alter, um zu verstehen, dass man stirbt, die Zeit doch begrenzt ist. Man erkennt es daran, dass die Politiker um einen nicht mehr viel älter sind und Profisportler, mit denen man aufgewachsen ist, ihre Karrieren beenden. Man erkennt, dass der Körper nur Träger einer Seele ist, die einen in dieser Welt hält. Man sieht all die anderen Körper, die einem etwas bedeuten, bei denen das auch so ist. Dadurch geht etwas Romantisches verloren, das immer selbstverständlich gewesen ist. Ich könnte mich deswegen irgendwo runter stürzen, der Gedanke daran ist ja nicht auszuhalten. Als ob nicht alles ewig ist? Weder der Körper, in dem ich lebe, noch die Frau, die ich liebe, nicht mal die Lokale, in die ich immer gerne ging. Erst letzte Woche musste Senhor Fernando schließen, der Gemüsehändler, der auch Wein da hat, und Schinken. Er sagte, er packe das alles nicht mehr, er sei zu alt und Lissabon zu kalt und teuer in diesem Winter und er musste schon zu viele davon hinter sich bringen. Er hätte alles schon so oft getan, dass er wusste wie er damit umzugehen hat, ohne von mir zu verlangen, dass ich das auch tat. Ich sagte, ich kenne das von Leuten, die mich oft besuchen und den Erwartungen, die man in den ersten Stunden miteinander hat. Das hat nichts mir oder den Leuten zu tun, nur mit den Stunden. Senhor Fernando wäre schon hier gewesen, als es noch gar keine Besucher gab und das noch eine normale Durchgangsgsasse gewesen wäre, bis die Italiener kamen und Stühle hinstellten und wieder gingen, und eine Zeit lang niemand mehr kam und ging, bis dann die Franzosen kamen, nur die schaffe er jetzt nicht auch noch. Er war so oft da in so vielen Zeiten, er hätte genug. Ich stand ich zwischen den Bauarbeiten in seinem leeren Laden, brauchte Wein, brauchte Schinken, sah Senhor Fernando so gebückt, sah die Abdrücke an der Wand, die nur die Zeit den Dingen gibt, da wo die Regale 46 Jahre standen, stand da, wo er immer gestanden hatte, wenn man zahlen wollte und sich noch ein paar Eier aufschwatzen ließ und verstand, was Erinnerungen sind. Kein letztes Lächeln, keine Eier mehr, kein Tschüss. Es war die Erkenntnis, dass alles vergeht, nichts so bleibt, wie es ist, auch Lissabon nicht, nicht mal die Vergänglichkeit, der Herbst und das Weiße des Monuments. Alles, was ich über Essen und Älterwerden weiß, weiß ich von Senhor Fernando. Ich weiß auch ein paar andere Sachen, die ich in Büchern gelesen oder mir selbst beigebracht habe, aber ich weiß sie besser von ihm. Am Anfang war er überhaupt gar nicht freundlich. Irgendwann machte ich ihm dann ein Kompliment über den Wein und die Äpfel. Beim nächsten Mal sagte er, ich soll besser die kleinen hässlichen nehmen und seine Frau gab mir ein Bratapfelrezept. Wir begannen uns zu unterhalten, er gab mir kostenlos Koriander, ließ mich Anschreiben, fragte nach meinem Buch und der Freundin und ich wusste, wie seine Ferien waren und was er meinte, wenn er sagte, dass ihm Ferien eigentlich egal sind. Nur eben seiner Frau nicht, deswegen frage er nach meiner. Aus irgendeinem Grund wollten die Leute einfach nicht, dass wir uns trennen. Ich kaufte den Wein und den Schinken meisten von dem Geld, das ich nicht hatte, zahlte ihm, früher oder später aber was seine Sachen wert waren und manchmal ein bisschen mehr, wenn ich es lange nicht getan hatte. So zu leben, wollte mir Senhor Fernando abgewöhnen, auch wenn er’s, glaube ich, als gegenteiligen Lebensentwurf bewunderte, genau wie ich sein Leben sah, als eine Insel zu der ich ständig schwamm, ohne an sie zu gelangen. Aber, Aber ich müsse doch, sagte er dann, für schlechte Zeiten und und und, aber ich hatte keine schlechte Zeiten und wenn, sah ich sie nicht als schlecht an und wollte schon gar nichts von den guten dafür opfern. Aber, aber Junge, sagte er dann. Gerade, kochst du dir deine erste Hühnersuppe, kaufst deinen ersten eigenen Weihnachtsbaum und schon bist du arm oder tot, die Zeit vergeht schnell, außer der Weihnachtsschmuck kommt noch von Mutti. Umso älter man wird, desto mehr begegnet einem der Tod. Erst in Form von anderen, denen man seine Jahre schenken will, und irgendwann so, dass man hofft, sie würden das gleiche tun. Man fürchtet, dass die einfachen Lissabonner Jahre gezählt sind, ohne soziale Verpflichtungen und ohne dass einen Verbindlichkeiten einholen und an einen anderen Ort binden. Ich fragte ihn, ob man das alles immer nur so denkt, wie mit allem, das viel zu schön ist und leicht. Manche von uns jungen Leuten, die heute alt sind, dürfen schon nie wieder Wein trinken, nicht mal mehr Nachtisch. Andere haben Kinder bekommen, geheiratet, ein paar sind auch ganz glücklich damit; einige können schon nicht mehr richtig gehen, haben Allergien oder denken, welche zu haben, weil sie noch gehen können und lange genug leben, um zu glauben, gewisse Routine zu erkennen, Muster, Narrative, durch die sie die Welt und die Menschen nicht sehen. Finden wir uns damit ab, werden fetter, leben aber hoffentlich, bis wir ganz tot sind. Lissabon stand und steht für viel mehr, für eine Ewigkeit und nicht nur für eine, für Epochen und Episoden und einen Lebensstil; neue Fassaden sind ihm genauso eigen wie mit Armut durchsetzte. Die Stadt trägt keinen Übernamen, ist Legende und Begriff geblieben […]

WETTERLEUCHTEN

WETTERLEUCHTEN

Es gibt da etwas, dass dir nur Leute zufügen können. Etwas, dass dich reinzieht, ohne, dass du etwas anderes dagegen tun könntest. Du kannst immer und überall in sowas reingeraten und alles am Ende nicht so gewollt haben. Du kannst versuchen, es zu erklären, dich darüber aufregen, verrückt werden, flennen, wenn das dein Männerbild zulässt, aber du kannst nichts dagegen tun, denn das hieße sich dem Leben verwehren, wie es sich bietet. So sind die Schwerkräfte des Lebens nun mal, Naturgesetze menschlicher Umlaufbahnen, die in Form von Anziehungen und Abstoßungen um dich kreisen, solange du lebst und so lange Leben Mitleben heißt und du noch kein dummes, gefühlskaltes Arschloch geworden bist, also ein glücklicher Mensch. Unter liebenden Lebensumständen heißt das, in meinem Fall, dass alles, was man nun tun kann, falsch ist oder gegen dich verwendet wird. Spricht man es aus, dreht man ein Ding draus, spricht man es nicht aus, hat man es nie gesagt, verheimlich vielleicht sogar was, also sagt man es und richtet ausgesprochenen Schaden an, unterstellt dem anderen, dass es ihn beschäftigen würde, oder regt den Verdacht, dass es für jemanden von Interesse wäre, obwohl man nur ein gottverdammter Geliebter ist, der aus Verständnis versucht, den anderen vor seinen eigenen Gedanken zu bewahren. Das, was dir nur diese Leute zufügen können, geht meist mit einer gewissen Verantwortung einher, die dir von ihnen aufgetragen wird. Das kann die Information eines Freundes sein, die man einem anderen aber nicht erzählen darf. Das kann Rücksicht sein, die man in Form von Unehrlichkeit aufeinander nimmt. Ich habe Menschen gesehen, die nie etwas aussprachen und nur so überlebt haben. Hat aber nichts mit dem Schweigen meiner Eltern damals beim Chinesen zu tun. Das muss man mal diplomatisch sehen. Wenn einem Land aus Versehen eine Bombe in ein anderes fällt, lässt sich darüber reden, aber sobald es auf öffentlicher Bühne ausgetragen wird, ist das andere gezwungen zu reagieren und die Sache wird fatal. Ich sage daher immer gleich alles und nehme auch keine Rücksicht auf niemanden, nicht mal mich selbst, auch wenn das nicht so ein guter Grund zum Trinken ist, wie es nicht zu tun. Wenn nun viele dieser Leute mit anderen zusammenkommen, merken sie oft gar nicht, dass sie das tun, aber diese Erkenntnis bringt genauso viel, wie sie nicht zu haben. So ist es immer schwierig, wenn man sich eine Zeit nicht gesehen hat und dann erzählen muss, wie etwas war. Oft hängt die Seele noch da wo die Geschichte spielt. Anders ist es, wenn man mit diesem einen Menschen an den verschiedenen Orten gewesen ist, dann hat die Seele in ihm ein Zuhause. Antibes, Lissabon, München, St.Moritz, Mailand. Ich bin dann immer aufgeregt, was sich nicht so zeigt, sondern dadurch, dass ich alles fertig gedacht und parat haben will, wenn sie kommt. Sie ist allumfassend. Nimmt mich ein. Vielleicht verliere ich mich, hab ein Recht auf mich, aber in Mailand bringen wir uns auf den neusten Stand. Essen diese Pizzadinger, die sie so mag, gleich hinter dem Duomo. Spazieren durch die Galeria, trinken einen Caffee bei Camparino im Stehen und freuen uns, dass die Statue des Leonardo jetzt so schön im Grün steht. Sie schwärmt, wie Lissabon blüht. Ich hätte die Jacarandas verpasst. Die ersten warmen Sommertage. Aber ist gut jetzt in Mailand zu sein. Wir gerne würde ich ihr was teures kaufen. Sie fragt, wie alles so war? Wie schwierig die Zeit daheim und der eine Abend mit Oma, obwohl der nach einer Flasche Wein und zwei doppelten Wodka eigentlich ganz schön wurde. Sie fragt, wieso und ich weiß nicht, wie ichs erklären soll, aber Oma will immer, dass ich zu ihr komme, selbst wenn draußen der schönste Frühlingstag ist, Sonne, was seltenes. Ich überredete sie, mit mir auf eine Caféterrasse zu kommen, um ein Glas in der Sonne zu trinken, aber unter solchen Umständen bekommt man natürlich keinen Tisch und einen Sonnenbrand und bezahlt zu viel. Nach einem Versuch von Apéro (meine Oma trank nichts) ging wir essen (meine Oma aß nichts). Sie bestellte sich einen Sex on the Beach mit zwei doppelten Wodka und sagte sie lade mich ein, nur die Flasche müsste ich selbst bezahlen. Nach der Hälfte wurde es eigentlich ganz lustig und bis dahin ist es unerträglich gewesen. Ich habe an diesem Abend wieder gemerkt, dass Alkohol eine Lösung ist, eine viel bessere, als das was er entriegelt, in sich zu behalten. Oma begann locker zu werden, wie eine Freundin, sogar ein paar neue Geschichten aus dem Krieg waren dabei und nicht immer nur die gleichen und wenn dann nur einmal. Nur warum meine Mutter so ist, wie sie ist, konnte sie auch nicht sagen. Ihrer Meinung nach trug sie daran keine Schuld. Eingeharkt bracht ich sie heim, rechts die Oma, links den Rest Wein. Es war ein schöner Abend. Der Himmel war noch blau und die Nacht blieb […]

SCHARLATAN

SCHARLATAN

Ich habe schon viele Anfänge gehabt. Sie kommen, wie sie gehen. Man will los schreiben, aber dann passiert wieder was oder man ist in Wien und nichts ist mehr wichtig, außer dass man Geld verdient, um sich das Leben und das Schreiben zu leisten und diese Creme, die man sich morgens und abends in den Arsch schmieren muss. Die Creme hat einen schmalen hundepimmelartigen Aufsatz, den man sich einführt. Und so stehe ich, morgens und abends, egal wie betrunken, egal wie verklemmt, mittellos in der Opernsuite des Bristol-Hotels und kämpfe gegen Hemmungen, Hämorriden, Zeitungen, Verleger, den Ausverkauf, der ganzen verdammten Welt. Zwei Schlafzimmer, drei Bäder, Türen, die durch Schränke gehen und viertausend Euro im Dispo wären auf meiner Seite. Wenn man so arm dran ist und sich dann noch was in den Arsch stecken muss, braucht man Menschen, die dafür bezahlt werden, dass sie nett fragen, wies einem geht. So wie Herr Baur, der Maître des Restaurants, der meint ich sei dünner geworden. Das wären die kürzeren Haare oder der Bart, Durchfall will ich nicht sagen. Egal, ich soll hier was und spare mir Mahlzeiten anderswo. Was für ein netter Mann. Die Zeitung ist morgens auch immer da. Genau wie die Sehnsucht nach meinen dunklen leidenschaftliche Portugiesen, die in aller Herren Ländern arbeiten und ihre besten Jahre opfern und dann hoffentlich noch welche haben, wenn sie heimkehren mit Geld und Erinnerung an ihre dunklen Dörfer und Landalleen. Portugiesen sind Weltentdecker, Astronauten der Vergangenheit, aber seitdem die Welt entdeckt ist, müssen sie aus anderen Gründen gehen, um die Entfernung zu spüren, zu dem, was man liebt. São Paulo, Macau, Hongkong, Südchina, Wien, Urlaub in Mosambik, wo man Frauen kennenlernt und eine, mit der man die Zeit in den Jahren danach rumkriegt. Man erkennt sie daran, dass sie selbst im Wiener Sommer noch Jacken tragen, zumindest Jacketts. Einer Paar saß im Flugzeug uriberisch neben mir. Mit dieser den Sinn gefangen nehmenden Menschlichkeit, dem Wissen, was Essen und Teilen ist, Leben mit Wein. Ihrer Milde vor der ganzen Rauheit des Atlantik. Eine maurische Ruhe ging von ihnen aus, hellenische Klasse, ein südhemisphärischer Geist. Ich wollte am Flughafen gar nicht von ihnen gehen. Überall sieht man glückliche Touristen, die im T-Shirt vor einem Essen in der schwachen Aprilsonne zwischen den Wolken sitzen. Sie kommen aus London oder Paris, aber wer Lissabon kennt, hat es schwer, irgendwo anders glücklich zu werden. Man schaue dafür nur auf die portugiesischen Kellner im Bristol, die verfolgt von Geldsorgen und Erinnerungen manchmal beim Abräumen eines Tisches verharren und ins Leere blicken, durch die blassen Fenster aufs ganze Nass und sich nach Portugal sehnen. Die Sonne ist für sie nicht nicht mehr als ein Gerücht über den Wolken. Denn irgendwann wird dieses leichte Grau über all den Dingen und Dächern in Schluchzen ausbrechen, voller Mitgefühl für sie und alle Menschen auf der Flucht, Betrogene und Boxer, die in er der ersten Runde k.o. gehen, Autoren, die seit Tagen nur auf dem Klo sind. Die Wurzeln dieses Gemüts liegen in den tiefen Katastrophen und Niederlagen, die dieses Volk aus Seefahrern und Fischern hinnehmen musste. Erdbeben auf der Höhe der Aufklärung, Voltaire gegen Leibnitz sei dank. Vier Jahre Kolonie Brasiliens, aufgrund peinlicher Brüderkämpfe. Eine Diktatur, aber heute ein verlässlicher Freund in Europa, eine Zierde für die Demokratie, wenn man sich, dem Ozean abgewandt, das Ausmaß der Korruption mal wegdenkt. Denn der Atlantik ist es, der keine Hochmut zulässt. Dafür aber einen sehr attraktiven Ernst, und einen Stolz, sich nicht würdelos zu widersetzen, wenn man mal aus höchsten Höhen in die tiefsten Tiefen fällt, als mächtigste aller Mächte. Sie sind tiefer in ihrer Freude, dauerhafter in Beziehungen, inbrünstiger im Gebet, also das Gegenteil von Italien. Selbstbewusst, trotz  einer Randständigkeit im Schatten der Mächte, die ihnen eine rettende Nebenrolle im großen Krieg zu teilten, als Europa endet, und in Portugal die Unendlichkeit beginnt. Dieses Volk ist bescheiden, es mahnt leider, zeigt weniger als andere auf andere und die Misthaufen unserer Zeit. Ihre Verbindungen haben nichts von der üblichen Überquerung von Grenzen und dem herkömmlichen Anspruch den Liebende stellen. Allein wie meine Freundin mit Niederlagen und Rückschlägen umgeht, wie sie ihre Klagen lebt und Wünsche. Ich weiß noch wie lang sie an diesem Kleid vorbeiging und schwärmte, bis ich es ihr kaufen konnte. Oder wie lang sie mit einem Telefon telefonierte, das aussah, wie aus dem Fenster geworfenes Glas. Sie hatte auch mal eine seltene Hautkrankheit, die ihr Gesicht anschwellen ließ, was sie aber nicht davon abhielt (und mich auch nicht), abends noch mit auf ein Glas zu gehen und zu lachen, auch wenn das weh tat. Durch diese schwere Innerlichkeit sind die heiteren Stunden des Apéro doch möglich. Ich liebe dieses Land so sehr, dass man einfach nicht davon kommen kann, ohne es ein bisschen länger beschrieben zu haben, selbst wenn man lange schon im Hotel in Wien ist. Ein Hotel ist ja ersteinmal ein Haus, in dem man eigentlich nicht zuhause ist. Die Zimmer gehören mehr denen, die es aufräumen, den Eingang bewacht ein Portier, der Nachtisch ist eine Pflicht den Kellnern gegenüber.  Aber es gibt auch Hotels in denen du richtig leben kannst, mit Durchfall wie in deinem Leben, sogar daran sterben könnte man da. Ob man jedoch in einem Hotel zuhause ist, wird erst im Ernstfall klar, aber das Bristol in Wien ist so ein Haus, genau wie das Sulthanamet in Istanbul oder das Grand Hotel du Cap-Ferrat an der Riviera. Vor allem aber im Bristol ist die Stadt mit im Zimmer, obwohl man ganz wunderbar alleine ist, während man sich ausscheißt und ausscheißt und vielleicht aus dem Fenster schmeißt, wenn man weiter so scheißt. Man wird zum Mitbürger einer Straße, eines Viertels, einer Idee. Im Spiegelschrank über dem Klo bedauert dich der Abendglanz der Stadt durch die Fenster: Welt genug. Tausend ferne Geräusche bauen Stille um dich her. Im Lack der Autos unten präsentieren sich die Lichter der Auslagen und grüßend sehen die Reklame von den Dächern auf meine kleine Welt. Nachts um drei noch nach Kohletabletten zu fragen oder einem Chirurg ist auch nichts schlimmes. Die fremdartigsten Dinge werden mit uralter Sicherheit in die Atmosphäre einbezogen. Der Arzt sagte, normalerweise blieben die Leute heute nicht mehr so lang in solchen Hotels, dass Durchfall samt Folgen in ein und demselben Zimmer bekämpft werden. Er sagte, sie schleppen ihn mit sich rum. Ich sagte, ich würde abwechseln und hätte drei Klos. Die ersten Nächte waren lang, jetzt bin ich auf Kohletabletten und kann langsam wieder Tafelspitz essen. Gestern war ich mit Durchfall sogar bei Vivaldi. Dem Doktor gefiel der auch. Das sowas Menschen machen. Wir waren beide der Meinung, dass OP.8. Nr. 2 Sommer RV315 Ill Pesto natürlich das Beste ist, aber ohne die anderen Lieder gar nichts wäre. Ein ultimativer Moment, der sich dazwischen nicht nur verschwendete. Natürlich wussten wir die genaue Bezeichnung nicht, die mussten wir googeln. Er beschrieben mir das mit einem Bienenschwarm und ich mit Bauchkrämpfen. Er sagte er liebe Vivaldi, nur nicht in G-Moll und ich sagte, ja klar, so als wüsste ich was er meint. Hier wüssten man aber auch wo meine Beschwerden herkommen. Durchfall und der kalte Stein auf den Sitzbänken in der Karlskirche, das vertrage sich nicht mit Tafelspitz und Blauburgunder. Auch wenns nur ein Achtel ist. Aber wir hatten gute Plätze ganz vorn, beheizt. Ich beschrieb ihm den schönen Geruch meines Sitznachbarn, der sich mit der Musik zusammentat. Es war eine Mischung aus Sachen, die noch von Mama gewaschen wurden, Motten und Hautcreme. Draußen nach dem Konzert sahen wir uns wieder. Ich sah erst ein schönes großes Mädchen und dann ihn. Das Schöne lauert überall, man sieht es in allem und jedem, und in Frauen, die einem hinterhergucken meistens als etwas, das gerade noch wegonaniert werden kann. Ich ging zu ihm ihn. Sein Name war Mario. Er verhielt sich wie jemand, dessen Vater ein berühmter Opernsänger in Mailand ist und trug auch solche Sachen. Lottriges Zeug mit Motten, dass vor ihm schon hundert andere anhatten. Mario war Ende dreißig, Single und stand noch auf Gästelisten. Ein ganz normaler Berliner. Drogennehmen ohne Selbstverantwortung, bis Papa aus Mailand kommt und den Perserteppich ausrollt auf dem man sich und seinen Selbstmordversuch auskotzen kann. Menschen wie Mario kommen direkt hinter jungen Australiern, die nicht mitbekommen haben, was in Europa los war, die letzten 2000 Jahre und jetzt Jesus entdecken und Menschen mit ihren Aszendenten belästigen. Seine Heimat war Mailand und Wien und seine Heimat konnte nicht Berlin für ihn sein. Er wollte anfangen, wie multikulturell und […]

UNZUMUTBARES

UNZUMUTBARES

Bin geschafft, aber kanns kaum erwarten, und der Baggerfahrer vor unserem Haus baggert ja auch. Senhor Alfredo schleppt seinen schweren Körper schon seit neun wieder durch die Tendinha, auch wenn der selbst daran Schuld ist, am Körper und dass er so spät immer noch eine letzte Flasche aufmacht. Ich könnte einfach morgen damit anfangen, ausgeschlafen, ohne Baggerfahrer und Alfredo, gleich an der Riviera, aber unsere fängt meistens sowieso schon zu Hause in Lissabon an. Ich bringe den Müll raus, sie sucht sich ihre Outfits zusammen. Ich gieße die Blumen, sie sucht sich die Outfits zusammen. Ich räume auf, sie sucht immer noch. Klare Rollenverteilung. Es ist dann meistens weit nach Mitternacht und unser Flug nur noch wenige Stunden entfernt. An Schlaf ist nicht zu denken, denn sie sucht dann immer noch. Wir haben das so oft gemacht, dass es mich gar nicht mehr aufregt. Außerdem habe ich das mit meinem Psychologen besprochen. Er hat mich darauf eingestellt und wir laufen seitdem wie ein Uhrwerk. Er meinte, ich solle solange mit einem Buch in ein Café gehen, auf dem Weg zum Flughafen, oder schon mal eine Einleitung schreiben, die wie immer damit beginnt, dass der Flug so früh war und wir so spät gewesen sind. Ich flog nur mit Anzug, zwei Hemden, einer Badehose, ohne Computer, mein Telefon benutzte ich eh nicht. Ich flog, wie man nach dem Aufwachen vielleicht an den Strand geht. Mit einem fast fertig gelesenen Buch von Pio Baroja, der über die gute alte Zeit schreibt, als das Meer noch nicht industrialisiert war und die Küsten nicht so kultiviert. Er behauptet nicht, dass Meer sei damals besser gewesen, aber weniger befahren, nicht so friedlich, vielleicht etwas romantischer und gefährlicher, wohl aber jünger und nicht ganz so verglichen. Betrand Russels Warum ich kein Christ bin kam auch mit, obwohl das nicht passt und Worte wie Transgression, also die Eroberung der Dinge, die kein Sex sind, ein zu schweres Thema für einen so leichte Gegend ist. Sie bekam den meisten Platz in unserem Koffer. Ich schrieb meiner Mutter, dass ich jetzt eine Zeit lang nicht da bin, wo ich sonst bin und sie schrieb zurück, noch weniger als sonst? Ich antwortete ja. Wo gehts denn hin? Hotel du Cap, Antibes. Was, bist du nicht pleite? Ja, sagte ich, aber die Mahlzeiten sind umsonst, inklusive der Drinks, wir fliegen zum Sparen hin. Keine Ahnung, warum ich das schrieb. Aber ich hatte sonst nichts zu schreiben, außer dieser Geschichte, die jetzt erst einmal gelebt werden musste und mich hoffentlich davon abhielt, die alten immer weiter zu umschreiben, bis sie endgültig versaut sind. Nachdem sie mich in der Bar abgeholt hatte und wir endlich im Taxi saßen und nichts mehr schiefgehen konnte und sie ihren Pass erst nicht dabei hatte, und dann doch und ihr Telefon, und ihre Outfits, fragte ich, ob mich mein Psychologe von der Liebe geheilt hätte? Wir streiten ja gar nicht mehr. Ich hatte ihm gesagt, er solle mich ganz machen, aber doch nicht ganz. Sie sagte, nein, keine Sorge, ich hätte nur gelernt Dinge für mich zu behalten und zu unterscheiden, wann man etwas sagt und was und vor allem wie. Wir hätten aus unseren Streits gelernt und wären es allen Orten schuldig, die wir schon verschwendet haben. Ich sagte, große Gefühle gäbe es doch nicht umsonst und wir brauchen uns gerade aufgrund der Neurosen. Doch, gibt es, so ist die Liebe und wie schön das Leben ohne Neurosen dann ist. Der Rest wäre fürs Tagebuch meiner papierenen Klagemauer. Sie sagte das sehr schön und klar und wie noch nie. Frauen wissen immer schon, was wir uns erarbeiten müssen. Sie haben es in sich. Bei mir wäre da eine Art alte Schuld, bei ihr eine Form des Vergehens. Vor uns vielleicht eine enge, höhere, angenehme Verbindung, wie Bruder und Schwester, die gerne miteinander ins Bett gingen. Die Meisten meinen, sich mit ihrem Partner so gut zu fühlen, sie wären wie Häfen für sie im Ansturm des Alltags. Wie kann die Liebe der Hafen sein und der Alltag ein Sturm, ohne weiße Boote vor Anker? Und warum muss man sich immer gut fühlen? Es gibt andere gute Gefühle, die viel besser sind. Wie wenn man genauso schnell fällt, wie man auch angezogen wurde und seine Tage in einem Parabelflug beginnt.  Auf der anderen Seite konnte so ein Streit auch noch kommen. Man hält ihn immer für unmöglich, bis es so weit ist. Vor allem auf dem Weg an die Riviera läuft man auf viele leere Tore zu, es ist Halbfinale, eins eins, kurz vor Schluss. Man kanns nur verkacken oder erkältet sich so, dass man nicht rauchen kann, bekommt Hemmungen, Hunger, Hämorriden, Durchfall, oder mit seinen Erwartungen zu tun. Liebende sind wie Panther. Sie kratzen nur zu gern, wenn sie gestreichelt werden wollen […]

HINTER DEN BERGEN LINKS

HINTER DEN BERGEN LINKS

Ich wusste, dass es am Tejo lang geht und dann nach Norden, die Serra hoch und dann auf der Serra lang und irgendwann in ein schönes Tal und in ein noch schöneres, von dem ich dachte, dass es schon das Schönste gewesen wäre. Die lange Straße, auf der wir kamen, schlug am Ende des Tals einen Brückenbogen, in einen kleinen Ort, der ganz im Rauch lag, weil dort Schnaps gebrannt wird. Der hochprozentige Dunst liegt wie Nebel über dem Dorf in der Sonne und zieht morgens, bei Südwind die frisierten Weinberge hoch bis zur Quinta do Reguengo links am Hang. Ich wusste, dass das die Quinta do Reguengo ist und die Capela da Nossa Senhora da Vega daneben und gleich die Birkenbäume kämen und Oliveiras und die Weinberge, von denen man über den Fluss und die Felder die Hänge hoch sehen konnte. Unten im Tal war ein kleines Lokal, das Fisch aus jenem Fluss frittierte, der dem Tal seinen Namen gab, bevor er in den Douro mündete und für immer verschwand. Der Rio Sabor entspringt nördlich von Bragança und schneidet die schönsten Schneisen in das Himmelhügelmeerland. Das wusste ich alles und ich fragte mich, ob es nicht doch besser wäre, alles wieder zu sehen und schon zu wissen, so wie es besser ist, mit einer Frau zu sein, und nicht vielen, obwohl ich das schon lange wusste, nur noch nicht ganz verstand, bis ich es ganz verstanden hatte; und ich sagte mir, wenn ich es nur lange genug verstehe, würde sich die romantische Tektonik meiner Gefühle schon verschieben. Ich hatte das alles schon einmal gesehen und sah nun alles wieder und sah es viel mehr. Orte wiedersehen oder neue, zum Ersten Mal oder lange nicht und dann wieder, ist es mit Leuten wie mit Orten? Hängt von den Leuten ab, die die Orte ausmachen und den Orten, die die Leute prägen. Leute sollte die Orte schon in sich tragen, aber da ist etwas, dass Leute haben und Orte eben nicht, das Unglück Denken zu müssen. Außer mir Hügel, die nie wirklich Berge sind. Dass die auch Namen haben, wusste ich, weil wir mit Karte fuhren und nur Straßen, auf denen Traktoren sind. Außerdem hing auf dem Herrenklo der letzten Tankstelle ein Relief der Region. Als wir in das nächste Dorf kamen, fragte ich einen Müllmann, wo man hier essen kann und er sagte es mir und dann wusste ich das auch. Bekamen wir im Vornherein Empfehlungen strichen wir sie normal von der Landkarte. Wir fragten die Leute, wo wir hinmüssten, um zu wissen, dass es für uns da nichts gab. Müllmänner, Männer auf Pferden, Bruchsteinhändler, Fischer und Frauen mit Bart ausgenommen. Es war dann wie montags im März Champagner trinken, den man sich für Silvester aufgehoben hat. Es hatte auch nichts mit den Orten zu tun, sondern nur mit den Hoffnungen, die man sich an ihnen macht und den Erwartungen, die sie vertreiben. Wir sind nicht die Typen, die nirgendwohin wollen, nur weil da alle hingehen, wir hatten einfach kein Ziel, und unsere Gründe, bis irgendwann, irgendwie in San Sebastián zu sein. Ja, wo will man denn hin? Erreicht man ein Ziel, wird es die Schwelle zum Nächsten. Das Einzige, das es wirklich gibt, ist endgültig und wäre fatal, aber noch keine Pflicht, nur eine Stecknadel zu der wir uns aufziehen. Eine Übersetzung für Menschen, die die Sprache des Gehens nicht sprechen. Ziele sinds nichts weiter als Entschuldigungen, wie Einkäufe welche sind, Abschlüsse, Auslandssemester, Café in der Sonne, Vaterunser und Zigaretten. Man darf das Reisen nicht Orten überlassen. Es ist nicht nur hier und da nicht. Man muss den Blick dafür behalten, die schöne Straße sehen und nicht den Weg zur Arbeit. Den Körper einer Frau, und nicht die, mit der man ständig streitet; den Terreiro do Paço und nicht die Leute, die darauf sitzen oder was man über ihn sagt. Ein Mensch gewöhnt sich an alles, an das Schlechte, was gut ist, aber auch an das Gute, was nicht gleich schlecht ist. So hielten wir an vielen Orten, an denen man nie halten würde, so vielen wie möglich. Klippen, Täler, Leere. Gigantische spanische Flächen, an deren Ende, die Berge wie Schildwachen standen, die Wolken abfangen. Die meisten Orte waren aus einer Kirche und einer Bar gemacht, und einer Straße, die durch das alles führte und von zwei Ampeln begrenzt wurde. Die Kirchen konnte man von weitem sehen, ohne auf die Bar schließen zu können, aber im Nachhinein lässt sich sagen: je weniger Turm und je mehr Mauer der Kirchturm gewesen ist, desto netter der Mann an der Bar […]

CAMPO GRANDE

CAMPO GRANDE

Liege vorm Campo Grande im letzten Rest einer untergehenden Sonne am Rande Europas. Jardim Mário Soares, bestimmt eine Stunde schon. Bisschen verkatert, aber gar so nicht unbequem, die Bank, den Schal und die Handschuhe so als Kissen über die Lehne gelegt. Leute kommen vorbei, manche sehen mich an, denken, was für ein Penner, andere tun so, als wäre ich gar nicht hier und gehen weiter den Weg lang. Gerade ein Blinder im glänzendem blauen Cordanzug, und die zwei eben waren auch nicht schlecht, er schon sehr alt, und sie alt, aber nicht sehr. Beide kamen an mir vorbei, und setzten sich auf die Bänke den Weg runter, wo die exotischeren Bäume sind, aber sie setzten sich nicht auf die gleiche Bank, sondern auf zwei verschiedene, die sich gegenüberstehen. Von der einen kann man geradeaus in die Arschritze der Statue eines fetten Zé Povinhos sehen, der Wasser aus zwei Weinschläuchen in einen Brunnen spritzt. Das Wasser frisch wie ein Fluss. Von der anderen den McDonalds und die Büste von Mário Soares. Mit einem einvernehmlichen Nicken standen sie dann auf, nach einer Weile, fassten sich an, gingen weiter, als ob nichts gewesen wäre, war ja auch nichts, nur zwei, die sich gegenüber auf eine Bank gesetzt hatten und einer in der Sonne, der das sah. Man kommt hier übrigens nur her, wenn man mindestens fünf Jahre in Lissabon lebt, oder gerne kompliziert mit dem Bus fährt und aus umliegenden Dörfern stammt. Wer direkt nach Campo Grande zieht, wenn er nach Lissabon kommt, hat einen absoluten Schuss. Man versteht das hier ohne die Altstadt nicht. Könnte sonst wo sein. Man kanns gar nicht genießen, ohne zu wissen, wie schön Graça ist. Ich bin auch nur hier, weil in einem Informatikgeschäft gerade meinen Laptop operiert wird. Mindestens drei Stunden würde das dauern, mindestens! hatte der Spezialist gesagt, die ich im Park verbringen müsste, nein dürfe. Zeit haben, zu früh dran sein oder zu spät und so Zeit verschenken. In der Sonne liegen und auf meinen Laptop warten, ist ja auch Teil meiner Arbeit, denn wenn ich nicht in der Sonne liegen würde, könnte ich das auch nie schreiben und die Geheimnisse des Lebens, die einem als Zufälle begegnen zu Notwendigkeiten erheben. Außerdem bestehe Hoffnung, hatte er gesagt. Sie werden lachen, aber ich kann jetzt nicht einfach heimgehen und mit einem anderen Computer weitermachen, als ob nichts wäre. Das geht einfach nicht. Die Tasten Z und Y vertauscht, Deutsch schreiben ohne Ü. Abergläubischen Routinen, die Spitzensportlern eigen sind. Ich kann auch nicht einfach per Hand schreiben, das ist nicht das gleiche, auch wenn die Gedanken vom Kopf direkt über den Arm aufs Papier gehen, sie sind nicht simultan. Mit dem Computer kann man fast so schnell denken, wie man schreiben kann und muss nicht warten, bis man was fertig geschrieben hat, um weiter denken zu können. Notizen klar, Briefe gehen auch, auch ein paar Fetzen, aber keine fertigen Sätze. Nun zeigt mir dieses Computerding klar, wie verletzlich, dass alles ist, alles, was man tut, wie fragil. Keine Ahnung, wie das Menschen vor mir geschafft haben, ohne Clouds und Psychiater, kopieren und einfügen, ich fühl mich, wie ein Pianist ohne Klavier. Wie ich die Rechnung bezahlen soll, ist mir auch noch nicht klar. Habe ehrlich überlegt den Rest des Nachmittags einfach schnell über Zebrastreifen zu gehen und mich anfahren zu lassen. Zu viel Zeit zum Denken. So viel, dass mir die Zeit auffiel und der Staub in der Luft, durch den man die kalte Winterluft sehen konnte. Normalerweise würde ich mir die Zeit mit Zwangsgedanken vertreiben, bin aber […]