Menü

BYND

Konstantin Arnold

HIERZULANDE III

HIERZULANDE III

Auf dem Weg zum Flughafen hatte ichs überhaupt nicht mehr eilig. Mir war egal, ob wir den Flug verpassen und was der Typ auf dem Karren mit dem Pferd vor uns wieder trieb. Es war der gleiche Typ vom letzten Mal oder es war ein anderer. Der Flug nach Sharm el-Sheik war eh verspätet und selbst dann, als er losging, wurde noch in aller Ruhe gebetet und der Pilot sagte, dass wir in einer knappen Stunde in Sharm el-Sheik sind, aber nur so Gott will. Wir konnten den Sinai von oben sehen und ich versuchte mir einzureden, dass wir auf die Sinai-Halbinsel flogen und nicht in ein Ressort nach Sharm el-Sheik. Schon gar nicht nach Sharm, wie es vielen nennen. Ägypten war eigentlich auch nie was für mich, vor allem das Rote Meer, Pauschalurlaub, Reisebüros, die Sehnsucht versprechen und Saufen am Strand. Es gibt genau drei Orte in Ägypten, wo man definitiv nicht in Ägypten ist. Zwei davon haben wir gesehen. Das Rote Meer ist aber erst einmal sehr blau. Das liegt am Gelb. Tagsüber fragte man sich und erst abends, wenn die Straße von Titan Rot ist, weiß man warum. Für viele ist das Rote Meer nicht die bedeutendste Schifffahrtsroute der Welt, kein Ort, wo Zugvögel halten auf ihrem Weg nach noch weiter Süden. Aber der Sinai fällt hier ins Meer. Nirgendwo sind sich Trockenheit und Nässe so nah. Moses hat hier irgendwo das Meer geteilt, als man Ebbe und Flut noch nicht kannte. Einfache Fischer können heute noch auf den Riffen über das Wasser gehen, aber es gibt Medikamente für Leute die Götter in brennenden Dornbüschen sehen. Es ist Jordaniens Zugang zum Meer und Israels größte Handelsstraße, ohne Ägypten. Man sieht am Abend auf die Straße von Titan und weiß das alles und weiß, was die Engländer hier trieben, während Lawrence von Arabien seinen Streifzug durch die Wüste führte und die Osmanen dachten, man würde Akaba höchstens vom Meer aus nehmen, nicht aus der Wüste. Man fragt sich, ob die damals zwischendurch Schwimmen gingen und sieht ein letztes einsames Bananenboot im Abendlicht auf dem Meer. Der Wind trägt Musik von Ed Sheeran und El Taiger in Fetzen aus den anderen Ressorts her. Palmen wehen im Wind. Es war eigentlich genau das richtige nach all den Wüsten, Straßen und Streits, Scheißereien und Kairo. Dem ganzen Dreck der Cafés, Toiletten und räudigen Taxirückbänke. Ich duschte wie lange nicht, nahm eigentlich ein Bad im Stehen und genoss es, wieder in einem Four Season zu sein. Ich war gepflegt wie nie, mein Notizbuch voll, alle Filmrollen alle. Es war eigentlich nicht schlecht jetzt am langweiligsten Ort auf der Welt zu sein. Fünf-Sterne damit sie ohne religiöse Belästigungen Schwimmen und Schnorcheln gehen kann. Es war viel zu gut und ich bekam Zwangsgedanken, die sich nach unserer Ankunft darin äußerten, dass ich mein Hemd eine Viertelstunde lang zurechtlegte. In einem Anflug von Panik wollte ich in den nächsten Flieger nach Kairo steigen. Dann zerknüllte ich das Hemd und sah was passiert: Nichts. Meine Freundin beruhigte mich und sagte, komm, bügel dein Hemd, wir gehen an die Bar. Wir hatten keine Ahnung welcher Tag ist, aber das war in solchen Hotels auch egal. Hier war immer Urlaub. Ich fragte sie, ob sie nach dieser Zeit überhaupt noch eine Ahnung hätte, wer wir sind, wie unser Leben vorher war und ob wir am Meer gewesen sind? Sie sagte ja, am Toten, aber das zählt vielleicht nicht. Sie sagte, sie wusste in der ganzen letzten Zeit nicht was für ein Tag war, außer freitags, weil dann die Leute vor ihren Ausblicken saßen und alles fünfzehn Minuten weit weg war. Wir wurden auf dem Weg zur Bar schon melancholisch, wollten uns die Melancholie aber für einen Drink aufheben, bei dem wir unsere Erlebnisse Revue passieren ließen. Problem war nur, es gab keine Drinks, außer Martini, was das gleiche ist. Die Typen von der Bar ließen uns auch nicht in Ruhe. Erst stellten sie die Karte vor und dann sich und das ganze Ressort und dann machte auch noch einer Musik. Sie nannten mich Sir und Boss und waren das Gegenteil von Herbert aus der Chesa Grischuna in Klosters. Man musste auf alles Steuern zahlen, sogar auf die Steuern und der Alkohol war unbezahlbar. Die Kellner wechselten nach jedem Zug den Aschenbecher und schenkten ständig ein, und wenn ein Käfer oder irgendein hier lebendes Tier auf unserem Tisch landete, entschuldigten sie sich dafür. Man konnte sich unter diesen Bedingungen nur wie ein Arschloch vorkommen. Dazu die anderen Gäste. Manche Familien sahen aus wie Sturmbandführerfamilien, die einfach nur nettere Sachen anhatten. Sie hatten angestrengte Gesichter und wirkten wie Leute, die auf den plötzlichen Tod ihrer Ehepartner hoffen und ich-liebe-dich-Honey sagten. Die Ehemänner schienen immer auf Reisen, ihre Frauen immer zu haus. Die Männer buchten deshalb  gerne mal einen Überraschungsurlaub in Ägypten und die Frauen kauften sich dafür Klamotten, die von den Männern aber nicht wahrgenommen wurden, was die Frauen sehr wütend machte und die Männer dazu brachte ein Darling-come-on-lets-have-a-nice-time-Gesicht aufzulegen. Vielleicht versuchten sie hier miteinander zu schlafen. Das wäre ja schön. Es schien uns gerecht, dass es Mücken gab, Raben und Haie, die sich am Luxus zu schaffen machten. Wir saßen trotzdem noch eine ganze Weile ohne weitere Drinks. Ich dachte daran, wie wir in Amman ankamen, und alles noch vor uns hatten und hofften, dass es auch passiert. Ich sagte ihr, dass ich das dachte. Sie sagte, dass sie es gewusst hätte und ich mich hoffentlich in Zukunft nicht immer so verrückt machen werde. Ich wäre unausstehlich am Anfang von Reisen. Ich lachte und sagte, wer hätte schon gewusst, dass alles so wird, als wir ohne Schlaf in Athen ankamen und Amman vor allem Anfang. Mit dem Wissen, dass es passiert, wäre es sicher nie so geworden. Trotzdem ärgert man sich und nimmt sich vor die Dinge in Zukunft schon zu genießen, auch wenn das schwer ist. Ich musste an Mohammed denken, unseren Fahrer, den alten Zwanzigjährigen Steinmetz und jene Menschen auf Reisen, die einem in Erinnerung bleiben. Aus irgendeinem Grund musste ich an Salem denken, den Kellner aus Amman, der morgens immer Humus und Oregano brachte.  Ich dachte an leuchtende Taxizeichen in der Dämmerung, wenn die Straßenbeleuchtung der arabischen Städte schon an war, aber noch keine Nacht. Ich dachte an den großen Canyon mit dem Beduinen, der meinte, die Wüste wäre tot und den Gesang des Arabers über den Dächern von Petra. Ich dachte an seine rauchige Stimme und ob ihn wohl auch Filipinos schwul gemacht haben. Mir fehlte das Gefühl des Aufwachens und irgendwas-besichtigen-müssens und ich fragte, ob wir es nicht noch einmal tun. Das Ende unserer Reise, konnte nicht das Ende dieser Geschichte sein. Sie sagte, sie hätte gerade das gleiche gedacht. Wir fragten die Kellner, was man hier  noch angucken könne. Es gab da ein Kap mit Nationalpark, der Ras Mohamed hieß. Dort wollten wir am nächsten Tag noch mal hin. Der Concierge meinte erst das ginge nicht und ich fragte wieso, wir sind doch frei und er sagte okay. Ich glaube, diesen Leuten ging einfach der Kackstift, weil sie sich keine toten Touristen mehr leisten konnten und tun mussten, als ob die Gefahr von Haien und Terrorzellen im Sinai gar nicht existiert. Fragte man, warum um Sharm el-Sheik eine solche Mauer hat, antworten die einen wegen der Russen, die anderen wegen irgendeiner Flut, und wieder andere meinten, dass man in Sharm keine Visa bräuchte, nur wenn mans verlässt. Man weiß leicht wie gefährlich ein Ort ist, je öfter man seine Sicherheit betont. Ras Mohamed war wundervoll. Alles saublau. Himmel und Erde von einer feinen Linie aus Sand getrennt. Wüste und Wasser. Wir schnorchelten die ganze Zeit im Tiefen, mitten im Meer an einem Riff lang. Man sah nur blau und ich hoffte, dass kein Hai herkommt. Auf dem Weg hier her stand ja ein Schild: Shark Observation Point. Sagte aber nichts. Sie war nur froh und filmte alles. Keine Ahnung woher das kommt. Ich habe in Neuseeland und Australien studiert und manchmal acht Stunden pro Tag mit Haien im Ozean verbracht, aber eben nicht mir ihr. Außerdem ist sie im Meer großgeworden. Ich lernte schwimmen mit zwölf in einer bulgarischen Poolbar. Deshalb zweifelte ich, ob ich mutig genug war oder nicht, weil ich etwas schneller zurück schwamm, dachte dann aber, dass es mutig ist, Zweifel zu haben so wie Mufasa. Am Abend saßen wir wieder an der Bar, tranken nichts und sahen auf die Straße von Tiran. Den Kellnern hatten wir gesagt, dass sie uns bitte in Ruhe lassen sollen, ohne Drinks wären wir nicht zu ertragen. Es wurde ein sehr schöner, schweigsamer Moment am Meer mit ihr, ohne ihn vergleichen zu müssen. Ich dachte nichts und glaube sie auch, und wir genossen es ganz und gar da zu sein, ohne zu denken, von der Wüstensonne gebräunt. Solche Momente sind eigentlich die schlimmsten, weil man sich zu bewusst wird, wie alles ist und Demut empfindet vor dem Leben und der Schöpfung, ohne die ganze große Ablenkung. Man ist sich klar, dass man lebt und das man stirbt und alles eines Tages vergeht. Die Vorstellung dann ohne sie zu sein, ohne diese geteilte Erinnerung, erscheint mir schlichtweg unmöglich. Sich Grabmäler zu bauen für die Ewigkeit, wie Ramses und Nefertari, wie eine Möglichkeit über diese Leere unseres Daseins hinauszukommen, wirklich zu lieben eine andere, einfach aneinander zu halten, in einer einzigen, ewigen Umarmung vor der Zeit. Nur der Glaube nach unserem Tod wieder Welt zu werden, ein Rotes Meer, in dem andere Liebespaare schwimmen können, und sich Gedanken machen, schien dann nicht so schlimm. Das Drama war klar, wir mussten uns also nicht weiter darum kümmern. Fuck it, sagte sie, lets have a Drink […]