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BYND

Konstantin Arnold

ÜBER DEN FLUSS UND DIE WÄLDER II

ÜBER DEN FLUSS UND DIE WÄLDER II

Sie hatte Hoffnung. Ich hatte keine, ich hatte die aufgegeben und nahm nicht mal die Kamera mit. Wir fuhren vom Campingplatz ja nur zehn Minuten weiter, durch einen Tunnel, es musste ein Wunder her, aber als wir aus diesem Tunnel kamen, waren wir, wie soll ich sagen, im gleichen Land einer gan anderen Nation. Es war der Garten Eden. Das Grün hatte tausend Farben, die Zypressen beherrschten den Blick, links die Olivenbäume, rechts der Wein, in den Wäldern standen Trüffel und Pilze. Niemand, der zeltet. Wir fuhren von der Straße ab und dann eine, die gar keine war, mit unserem Auto aber gut ging. Wir fuhren, bis man nicht mehr Fahren konnte und dann liefen wir. Sie in einem schönen Sommerkleid, mit mittellangen Armen und einem Hut, den wir in Triest gekauft hatten. Es passt alles ganz wunderbar zur Landschaft. Ich? Es ist egal, was ich trug. Wir liefen oben am Meer lang, bis wir das Ende der Landzunge erreichten und sich eine schöne Bucht vor uns auftat, zu der ein paar Stufen aus Stein führten. Unten lag ein einsamer Strand aus Kies, ein paar Leute Schwammen, der Rest schlief. Wir schwammen und schliefen auch und hörten im Schlaf wie der Strand leer wurde und Leute über den Kies gingen. Ihre Stimmen drangen in unsere Träume. Als wir aufwachten war es schon spät, spät für Leute und Strand, für mich aber die richtige Zeit. Es war ja immer noch warm. Die Sonne kam gerade erst um die Ecke und strahlte flache über den Strand. Es ist besonderes am Abend am Strand zu sein, wenn er leer wird und sich die Erwartungen legen. Die Adria ist dann blau und still und salzig und ohne Wind. Wie Öl. Auf dem Rückweg aßen wir in einem kleinen, einfachen Lokal, auch auf Plastikstühlen, aber anders. Über uns hing der Wein, den wir tranken, Refosco nannten die den. Das Lokal wurde von einem netten schweigsamen Herren geführt, aber ich hatte nichts mehr gegen das Schweigen. Ich war in ihrer Gegenwart auch oft nur still. Keine Ahnung, was sie dann an mir fand. Als ich vorhin am Strand aufgewacht war und sie sah und sah, wie sie da lag am Strand, neben mir, und schlief in einem letzten Rest Sonne, mit der Adria davor und einem Buch von Triest daneben, in einem Kleid, dass sie von ihrer Mutter hatte, konnte man ja nur Schweigen. Man fragt sich, wieso man überhaupt je gezweifelt hat, wenn jetzt alles so ist und versteht, dass alle Tage und Nächte, auch die mit anderen, nötig waren. Ich dachte daran, wie wir eine Post gesucht hatten, um den Brief abzuschicken und sie anrief und mir gratulierte und ich nicht wusste, ob sie ihn bekommen hatte und still war, zum ersten mal und still war, als sie mich nochmal treffen wollte und ich ihr sagte, dass es jetzt nun vorbei sei und sie nochmal fragte, ob ich mir sicher wäre und ich sagte, ja. Natürlich möchte man der, die man lange geliebt hat, helfen, aber mit dem, was man tun müsste, würde man sich aufgeben. Wir haben stets die Möglichkeit. Das Leben hat nur ein Ziel und es ist meistens dieselbe Geschichten. Sie ist hart, rücksichtslos und schmerzt, aber solange sie schmerzt, weiß man, dass man lebt. Alles andere ist Existieren und tun, als ob es Veränderungen nicht gäbe. Es ist jene Arbeit, für die alle anderen Arbeiten nur Vorarbeiten sind und sie hatte mich in diesen Moment geführt und man bräuchte deshalb nie wieder Angst haben, vor dem was kommt oder nicht. Der nette, schweigsame Herr kam und stellte Teller hin. Wir aßen Tintenfische mit Tinte, Miesmuscheln mit Brot und Salat, nachts im Konvent sahen wir Fernsehen, wie alle hier. Gleich am Morgen beschlossen wir den Konvent zu verlassen. Beim auschecken meinte sie, sie hätte Anthony Hopkins einchecken gesehen, aber das war unmöglich. Wir verließen den Campingplatz ohne Groll, immer hin hatte der uns erst auf die Suche geschickt, und mieteten uns im Kempinski in Piran ein, um näher an unserer Bucht zu sein und im Kempinski. Das war ein gutes Hotel, mit Marijan, einem Concierge, den ich gar nicht mehr romantisieren brauchte. Er sagte, Piran wäre ein Ferienort an der slowenischen Adriaküste, bekannt für seinen langen Pier und seine venezianische Architektur und das im Freien Essen. Er nannte uns auf anhieb zwei geile Lokale, von denen sich unsere Welt aufspannte. Das eine war ein gutes, einfaches zum Essen, das andere ein gutes, einfaches zum Trinken danach. Ich habe selten einen Concierge erlebt, der so ins Schwarze trifft oder so ehrlich ist, denn die meisten werden von Restaurants bezahlt oder haben keine Ahnung vom Menschen verstehen. Nur einmal probierten wir ein anderes Lokal, auf einem schönen Platz, mit Brunnen und Fensterläden, von dem uns Marijan abriet, nur um zu sehen, dass er Recht hat, wenn er sagt, dass Muscheln mit Käse Verbrechen sind. Von hier an war der Wein nie weit und wir fuhren noch oft zu unserer Bucht bis man nicht mehr fahren konnte und liefen dann. Wir gingen die gleichen Wege und ich erzählte ihr Platons Geschichte von den Kugelmenschen oder die von der Welle und dem Felsen im Meer. Eines Abends war ein Paar am Strand, das stritt und ich war froh, nicht mehr das Paar zu sein. Wir fummelten an uns rum und schwammen. Sie war ganz toll im Wasser. Es schien ihr natürlicher Lebensraum zu sein, wie der jeder Portugiesin. Wir waren sorglos, wie die Kinder Napoli’s, neckten uns und schwammen voneinander weg, als wären wir 14 und an einer Bushalte. Aus irgendeinem Grund wollten wir uns nach dem Schwimmen immer mit Olivenöl einreiben. Auf dem Rückweg blühte und brummte dann alles, war ganz erschöpft vom Sommer und der Zeit, so wie wir und unsere Bucht lag lautlos und ruhig in der Ferne. Wenn sie nicht weiter laufen konnte, setzte sie sich einfach hin. Die Straße führte an einigen glücklichen Häusern vorbei, die Luft war warm, eine Umarmung der Welt. Alles glühte noch vom Tag und die Farben kehrten in ihre Dinge zurück. Die Bucht von Triest lag in der Ferne, wie Sterne über dunkelblauem Blau und ganz am Ende, so glaubte man, Miramare zu sehen. Ein Gedanke daran, wie alles begann und man fühlte sich wie die Landschaft ist […]

ÜBER DEN FLUSS UND IN DIE WÄLDER I

ÜBER DEN FLUSS UND IN DIE WÄLDER I

Diese Geschichte beginnt nach ein paar Flaschen Wein mit einem Erdbeben in Lissabon, frühmorgens, 5.9 auf der Richterskala. Man muss sich das so vorstellen, dass man überhaupt gar keine Vorstellung von so einem Beben hat und im Bett liegt und sich fragt, was zur Hölle das ist und das ist es eben auch schon gewesen. Entweder man fragt sich das danach immer noch oder man fragt sich das nicht mehr, aber so lange man es sich das fragt, weiß man, dass man lebt. Man fragt sich danach natürlich, ob das am Wein gelegen hat, weißem, slowenischem, mit Schalenkontakt, der tagelang auf der Maische lag, wie auch immer, man wird Wein, den man in der Nacht vor einem Erdbeben trank, so schnell nicht vergessen. Zum ersten Mal hatte ich was von solchen Weinen in Irland gehört. Ich hatte auch viel über Irische Meeresfrüchte gehört und fuhr das ganze verdammte Land ab, aber an den Küsten war alles frittiert und im Landesinneren Fleisch, obwohl in Irland nichts weiter als eineinhalb Stunden vom Meer ist. Erst als ich in die Nähe von Dublin kam, fand ich ein nettes Lokal oder es fand mich, wie das eben so ist. Der Inhaber war sehr nett und stellte mir ein paar irische Austern auf die Theke und slowenische Weine, auf denen Guerilla, Kabaj und Stekar stand. Ich fragte, sind das slowenische Götter? Und er schwärmte von diesem Land, dem Geschmack seiner Birnen, den fleißigen Bienen auf den Feldern, den Gärten, Weinen, Küsten, Pilzen und Bären in dunkelgrünen Nadelwäldern mit schneeweißen Hotels. In Slowenien würden vier gastronomische Welten aufeinandertreffen, die alpenländische, mediterrane, pannonische und balkanische Küche. Außerdem hätten die das magnesiumhaltigste Mineralwasser der Welt. Ich sagte, ich wüsste überhaupt nichts davon, außer dass Slowenien nicht in der Slowakei ist und Richard Burton einen Teil seiner Tagebücher dort geschrieben hat. Ich wusste noch ein paar andere Sachen, die man Googeln kann, wie Hauptstädte, aber ich wusste sie besser von ihm und den Weinen aus jener Nacht mit dem Beben. Dass müssten Orangeweine gewesen sein, meinte er, mature whites, orange, wie gewisse Diamanten, die er Canaries nannte, angeblich selten und sehr teuer. Er sagte, Slowenien wäre natürlich noch keine Jet-Set Destination, was es aber nicht weniger Jet-Set macht. Es wäre eben ein Land für Leute, die keine anderen Leute dazu brauchen. Ich flog zurück, wartete bis der Sommer und etwas anderes vorbei war (er meinte, das wäre die beste Zeit) und flog für ein paar Wochen im September. Ich flog nicht allein, denn da war eine Sommerliebe, die schon bis in den Herbst ging. Ich will nun nicht dieselben Worte für etwas benutzen, das vergangen ist. Worte zählen, bis sie nicht mehr zählen und bis dahin meint man sie auch. Sie definieren einen Teil und einen anderen nicht, können Gefühle aber nicht fassen, außerdem hat man die schon und muss eigentlich nicht auch noch darüber schreiben. Ich stand vor Entscheidungen, die durch Denken nicht zu beantworten waren. Die meisten Dilemma lassen sich jedoch lösen, einfach durch die Art wie jemand isst und was man davor so getrieben hat, bis man das tut. Ich gehe soweit, zu sagen, dass nur ein Mensch, der Essen liebt (auf euripideische Weise) überhaupt in der Lage ist, einen anderen zu lieben. In meiner letzten Beziehung hatte ich am Ende nur noch das Essen und den Apéro gehabt, ohne das davor, obwohl mir das immer wichtiger gewesen ist. Das konnte Sport sein oder getane Arbeit, Liebe, die wie Sport gemacht wird, irgendetwas, das nicht einfach nur Essen ist. Es kommt noch vor den Kellnern, dem Ort an dem man isst, mit wem, was und das man teilt. Ich hatte alle Vorraussetzungen, die es für eine romantische Kulinarikreise braucht. Ich hatte eine neue Liebe, die Essen und Trinken konnte und das Davor, gewisse, slowenische Vorurteile (Ćevapčići, Gulasch) und eine alte Liebe, die die neue verfluchte und mich hasste, weil sie mich zu dem Mann gemacht hatte, den die neue jetzt liebt. Ich fragte also, ob sie nicht mit will und sie fragte gar nicht erst wohin, es war ihr egal, sie wollte es gar nicht wissen und das war alles, was ich wissen musste, nachdem sie es die Wochen zuvor schon mit mir, in meiner Lissabonner Bruchbude ausgehalten hatte, die, wie auch immer, einem Erdbeben stand gehalten hat. Anders als manche Lokale, in die wir nach den Öffnungszeiten so gingen.

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BAD GASTEIN

BAD GASTEIN

Bad Gastein, hat man vielleicht schon mal von gehört. Wenn nicht ist das auch nicht schlimm. Es interessiert eigentlich auch keinen, bis auf die, die da wohnen und die, die sagen, dass sie da wohnen, obwohl sie meistens in Hamburg oder Berlin sind. Das Bergdorf ist sowas, wie die österreichische Antwort auf St.Moritz oder der Versuch einem gewissen Karlsbader Glanz gleichzukommen, ohne jene Internationalität und ohne, dass jemand gefragt hätte. Es entstand wie alle anderen Kurorte auch, durch Größenwahn und Gründerzeit und weil die Aristokratie Galle spuckte und trotzdem weiter Saufen wollte.  Neben den regulären Kurgästen (Kaisern, Königen, Literaten) kamen schnell Sommerfrischler nach, Grand Nature und noch einflussreiche Leute, die abseits des Protokolls Erfahrungen in erotischen Dingen sammeln wollten. 1905 dann die erste Eisenbahnstrecke, eine Brise Wintersport und die Geschichte ist so einzigartig wie überall und deswegen auch immer schnell erzählt. Bad Gastein ist nur international, wenn man das auch von Berlin-Mitte denkt. Einzigartig ist das radonhaltige Thermalwasser. Es fließt aus 18 verschiedenen Quellen, fünf Millionen Liter am Tag, 46 Grad heiß. Es ist etwas radioaktiv und wird von Kliniken und Krankenhäusern verschrieben, angeblich nur so radioaktiv, dass es die Zellen stimuliert, bevor sie sterben. Allein von 1906 bis zum ersten Weltkrieg entstanden daher 28 Hotels, inklusive Renovierungen. Sie ragen an den Steilhängen empor, stapeln sich übereinander, kämpfen um den besten Blick, gegen’s ganz große Vergessen, 1000 Meter über dem nächsten Meer, der Adria. Ich glaube, man merkt schon, ich habe meine Probleme damit. Nicht, dass mich die Bilder eines gelben, großen, leerstehenden Grand Hotel de l’Europe nicht seitjeher begeistern, aber irgendwas hinderte mich stets daran, dort mit meiner Hotelbegeisterung aufzuschlagen und ich weiß jetzt auch was. Es ist dasselbe, was mich auch vom Adlon in Berlin fern hält und gewissen, berühmten Häusern in New York. Es sind nette, aufgeregte Leute aus der Stadt, die Kaffee im Gehen trinken und mit ihrem Stadtleben einfach auf dem Land weitermachen; das Fehlen Einheimischer, die so herzlich sind, dass sie gar nicht mehr nett sein müssen und immer noch meinen, dass man bei Halsschmerz besser warmen Schnaps mit Honig trinkt, als lederfreie Medikamente mit Lachs und Ozon aus biologischem Anbau. Die meisten kommen aus Berlin und selbst die, die nicht aus Berlin sind, sind so. Es sind die gleichen Leute wie überall oder es sind andere, Hotelbedienstete, Kellner, Saisonarbeiter, Künstler und Kinder, die Künstler Künstler werden wollen. Bad Gastein trägt so schreckliche Titel wie das Berlin der Berge oder das Manhattan der Alpen und will sich ständig mit anderen Orten vergleichen, um zu existieren. Der Deutsche Kaiser kam zwanzig Sommer, Freud samt Psychoanalyse-Boheme, Mozart wurde hier gezeugt, alles schön und gut (für Leute, die andere Leute brauchen, Epochen und Expats, die vielleicht noch keine anderen Alpentäler gesehen haben: St.Moritz, Gstaad, Klosters). Ein ordentliches Hotel hält die Listen seiner berühmtesten Gäste geheim und Bad Gastein ist ein Ort, der wirklich nur aus Hotels ist. Der Kellner ist Italiener, der Concierge Genovese, der Portier aus der Slowakei, der Koch Spanier, die Hausdame Portugiesin und der Barmann ein Österreicher, immer noch kaiserlich, selbst wenn er Befehle empfängt. Alle samt aus der Enge ihrer patriotischen Gefühle befreit und der dumpfen Selbstverständlichkeit ihrer Heimat, für die keiner was kann, da die Welt nicht, wie gerne angenommen, aus nur einem einzigen Ort, sondern Millionen Orten besteht, die sich alle für die einzigen halten, so wie BeGe. Ich hasse Abkürzungen, früher schon, so wie später treffen an der Bushalte? Deswegen lebe ich doch gerade in den Hotels. Dennoch: Am Ende des letzten Sommers, den wir in Slowenien verbrachten, wars dann soweit. Die Fahrt ging von Ljubljana nach München und ich sah, dass Bad Gastein auf dem Weg ist. Außerdem gabs da diesen sehr netten Kerl, der meine Geschichten kannte und Bad Gastein. Er erzählte mir davon, erzählte von großen, leerstehenden Hotels, die verfallen oder bald renoviert werden, einem wilden Hotelwesten. Grand Hotel Ruinen der Belle Epoque, der letzte große Jahrhundertwende, genau mein Ding. Sie würden den Leuten als Bühnen dienen, um sich aufzuführen und mit Leben gefüllt, genau wie in meinen Geschichten. Das Hotel Europe wäre die Inspiration für Wes Andersons Budapest Hotel gewesen (so wie viele andere auch) und es gäbe da heimliche Berghain-Parties, Ausstellungen, Fetischnächte, bei denen sogar schon Sebastian Kurz vorbei geschaut hat. Eyes Wide Shut. Dazu ein verrückter Haufen Architekten und Designer, die dafür sorgen, dass die Bad Gasteiner Mode auch in diesem Sommer wieder schwarze Joggingsachen mit Turnschuhen ist. Man könnte noch richtig in den Hotels leben, obwohl ein Hotel ja eigentlich immer ein Haus ist, in dem man nicht zuhause ist. Die Möbel gehören mehr denen, die sie putzen, der Portier bewacht die Nacht und Nachtisch ist eher Pflicht Kellnern gegenüber […]

BLANC DE BLANCS

BLANC DE BLANCS

Und dann waren da diese Sommernächte am Praça das Flores mit einer eiskalten Flasche Schaumwein, Luis Pato, Blanc de Blancs, die man sich leisten konnte, wenn sie einer von deinen Freunden bezahlte oder einer von denen, die vorbeikamen und das werden wollten. Es lag dort immer irgendwas in der Luft, ich weiß nicht was, es kam von den Bäumen oder den Brunnen und machte die Frauen verrückt und dich dann auch und du konntest dich bis zum Ende der Nacht nicht entscheiden und gingst alleine heim, weil es dir nichts mehr gab und du auch nicht so reden konntest. Auf dem Heimweg kamst du dann an den Rosenverkäufern vorbei, die dir keine anboten und du kamst dir albern vor, weil du es gern gehabt hättest, wenn sie wenigstens fragen würden. So war es, als erwarteten sie nicht einmal, dass man welche brauchen könnte, weil mans mit niemandem trieb, nicht mal mit sich und vielleicht gerade anfing, sich selber zu lieben, egal ob es andere taten oder nicht. Nachdem man miteinander fertig war, war alles immer nur schlimmer und eine fehlte dir dann mehr als alle, obwohl es vielleicht gar keinen Grund dafür gab, außer der Einsamkeit, die von diesen Frauen ausging und ihren Szenen. Ich habe nichts gegen Szenen, aber sie lohnen sich nur solange man nicht ganz unglücklich ist, das ist wie Fächern gegen Hitze. Ab einem gewissen Grad wischt man sich den Schweiß einfach nicht mehr ab, sondern sitzt mit geschlossenen Augen an die Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt, und resigniert. Es ist schlimm, nur solang man sich dagegen wehrt. Es ist dann zwar alles noch ein Unglück, aber es ist nur ein Unglück, bis nichts mehr um einen besteht, weil es nichts mehr gibt, mit dem man es in Vergleich setzen könnte. Die Erschöpfung beginnt. Der Aufstieg. Zur Sonne Ikarus, zur Sonne. Am Ende der Nacht kam man dann noch über den Rossio, an all den toten Träumern in den Schlangen der Fastfood Restaurants vorbei, die nichts anderes erwartet hatten, aber Wissen ist nicht Erwarten. Der junge Tag haucht seinen frischen Atem von weit her durch die Straßen, es ist noch Dorf darin,  Weite, Hoffen und Land. In den Schlafzimmern enttäuschte Leiber, die voneinander lassen, weil manche Frauen Männer hassen. Immerhin hattest du dich, am nächsten Tag, mit einer zum Schwimmen verabredet, die aber nicht kam, weil man sich auf Verabredungen, ohne Telefonnummer, überhaupt nicht verlassen kann. Aber so hattest du wenigstens die Freude und die Hoffnung bis dahin und den Ozean, für dich. Du hattest ja nichts anderes erwartet und Wissen ist dann dasselbe, wie nichts anderes zu erwarten. Wenn man sich gar nicht getroffen hätte, wäre es anders. Man wüsste nichts voneinander und hätte sich getroffen, vielleicht, irgendwann. Man hätte es zumindest glauben können. Nur so fährt man eben wieder sehr alleine zum Strand, ohne Urlaubsgeld und lässt die Arbeit sein, das auf Aktualisieren klicken, seitdem es vierzig Grad hat, die man nicht verantwortlich machen kann, auch nicht die ganzen schwanzlosen Verleger, die Zeitungen und Sommerferien, in denen jetzt sowieso alle waren, alle deine Freunde, die sagten, dass jetzt ein für alle Mal Sommer ist, auch für mich und es überhaupt gar keinen interessiert, was ich da schrieb. Sie hatten ja Recht, aber sie hatten leicht reden, sie hatten Geld in den Ferien und konnten sich ein Mittag leisten, ohne schlechtes Gewissen, einen einfachen gebratenen Fisch. Sie hatten Recht, es war Sommer, es musste jetzt Sommer sein, ein für alle Mal und es war eh alles fertig, aus und vorbei, im Moment. Doch tief in dir drin, gleich neben dem schlechten Gewissen, war ein anderes, starkes, auf dich zukommendes Gefühl, als ob gleich irgendwas passiert, man sich stößt werde oder realisiert, dass irgendwas verloren gegangen ist oder von vergessen wurde und man endlich vergessen hat, was das ist. Vielleicht war es der Glaube an Wunder […]

DAS ELEND

DAS ELEND

Am anderen Ende des Rossio, vom Schiff aus gesehen, gleich rechts neben der Inquisition und links vom McDonalds, vor dem Hutladen und zwischen den beiden Ginjinha-Kneipen, die es tatsächlich noch gibt auf dem Platz, von dem die kleine Gasse mit dem Buchladen zum Martim Moniz führt, diesem Dreckloch, und eine andere in die fast vergangene Vergangenheit des Restauradores, also gar nicht weit von der ausgebrannten Kirche, sitzt Tag aus, Tag ein, ob Ostern oder Silvester oder Senegal im Final, sieben Tage die Woche, ein Haufen Schwarzer mit Strohhüten, afrikanisch, rauchend, reglos wie Pilze, zufrieden ohne Licht, im Schatten einer Pinie, an die kühle Mauer gelehnt. Das lässt sich nicht leichter sagen, und auch nicht politisch korrekt. Jorge, mein Kumpel, der Schuhputzer, meint, die verkaufen da irgendwas, was wüsste er aber nicht und er wüsste, nach fünfzig Jahren auf dem Rossio, sonst was alle verkaufen. Es herrscht Verheißung und Schwermut auf Stufen, die keine Tribünen sind. Hoffen, dass irgendwas passiert. Alle aus der Enge ihrer Wohnung vertrieben, definitiv ums sichs von einer guten Geschichten besorgen zu lassen. Einmal am Tag gibts hier Essen, was aber noch kein Grund ist, den ganzen hier zu sein und so zu schwitzen. Ab einem gewissen Moment am Tag, wischt man sich den Schweiß nicht mehr ab, sondern sitzt mit geschlossenen Augen an die Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt, und resigniert. Es ist schlimm, solang man sich dagegen wehrt. Manchmal kommt einer mit einem Rollkoffer Sachen vorbei und alle stürzen sich drauf. Sie folgen ihm dann in die verwinkeltsten Gassen, die sich, wie gesagt nicht beschreiben lassen, ohne das man sich dabei verliert. Die meisten Penner haben dann neue, gebrauchte, geklaute Sachen an, oder was es eben gab und kommen stolz wie aus einer Zauberkugel. Sie liegen dann mit neuen Sachen im Schatten und vor ihnen rennt die Welt vorbei, ohne was abzugeben. Sie müssen nun warten, warten dass die Sachen wieder dreckig genug werden, wie nach einem Haarschnitt. Sie warten und hoffen, hoffen, dass der Tag die Zeit rumkriegt, mit einem Telefon am Ohr und Perlen in der Hand, wie eine Meeresfrucht an der Touristenbrandung, das ist noch besser als Pilze. Diese Leute sind die Wächter einer Welt, den letzten Sackgassen, die es noch gibt, denn hinter den Pennern und Afrikanern und Afrikanern, die Penner sind, erstreckt sich eine Welt aus Müll, Drogen und Dreck, die sich nicht renovieren lässt. Genau hier wohne ich. Der Campo Sant’Ana ist ein hoher Hügel, der zwischen der Almirante Reis und der Avenida liegt. Er ragt wie der Bug eines großen Schiffes in die Unterstadt hinein, als wäre er, auf dem Weg zum Fluss, aufs Trockene gelaufen. Seitdem wird er belagert, wie eine Burg, in dessen Gassengewirr sich das Ungeziefer vor den Blicken verkriecht, das Elend, Victor Hugo, die Aussätzigen und Abhängigen, die Gescheiterten und Krüppel, die uns im Vorbeigehen mit ihren Existenzen erschüttern. Es ist eine Haufen aus Häusern, hinter denen sich das Scheitern verbirgt, das Leid, die Miserablen und ich. Sie sammeln sich wie vor der ersten Welle im Hafen und am Rossio ist dann wieder alles schön, wie weit draußen auf dem Meer. Man kann so schon zum Rassisten werden, aber es gibt genug asoziale Portugiesen hier, die einen daran hindern, fürchterliche Franzosen und Leute, die sich Schriftsteller nennen und den ganzen Tag in den Cafés saufen, während ich hier sitze und verzweifle und erst dann Saufen gehe. Man tritt aus diesem Viertel wie aus einem Vorhang auf den Rossio. Hinter dem Vorhang sind Gassen, die außer mir sonst niemand geht, der nicht eine Art Ort sucht, den man mit vierzehn zum Kiffen gebraucht hat. Es wird geschissen, gepisst, gewixt, gefickt, Crack geraucht und der Müll nicht getrennt. Am schlimmsten ist das an heißen Tagen. Dann vertrocknet die Pisse noch bevor sie den Hang runter gelaufen ist und liegt in der Luft, zusammen mit der Scheiße, die auch in der Sonne trocknet und dem Müll, den nie jemand trennt. An nicht so heißen Tagen ist die Straße ein steiler, schluchtartiger Abfluss. Sie fängt schön an und wird dann sehr schlimm. Das Schlimme staut sich unten wie das Blut in den Füßen älterer Frauen. Amalia Rodriguez wurde hier geboren. Für jemand, der von irgendwo kommt, ist das alles natürlich nur irgendsoeine Straße, bis die Straße dann zu der Straße wird, in der man wohnt. Es ist anders in so einer Straße zu wohnen, als durch sie zu gehen. Man ist davon überzeugt, dass es die Einzige Straße ist. Ich glaube, Verlieben funktioniert so […]

TAGE AUSSERHALB DER ZEIT

TAGE AUSSERHALB DER ZEIT

Diese Geschichte beginnt an einer Bahnstation. Ein Zug stöhnt und ein Zugschreier schreit. Rauch steigt auf, der die ersten Zeilen verhüllt und die Anzeige: Von Venedig nach Wien mit dem Zug. Allein wie das klingt. Besser klingt das nur, wenn man Vienna und Venezia sagt, ohne Zug, weil das alliterarischer ist. Denn die Realität dieser Vorstellung ist ein völlig überfüllter Bahnhof Venezia Mestre, 35 Grad und ein Zug der ÖBB, der seit einer Stunde hier sein soll. Mal am Gleis vier, mal dort, mal gar nicht mehr, je nachdem wo die meisten aufgeregten Wiener in dreiviertellangen Hosen und Kurzarmhemden stehen. Sie fragen, ob ich nicht auch nach Wien müsste und warum ich dann noch so ruhig aussehe und so dick angezogen wäre (Mantel, Anzug, Zuschicket in der Brusttasche) und warum der Zug schon wieder nicht auf der Abfahrttafel angeschrieben steht. Ich antworte, dass wir eben noch nicht in Wien sind und 35 Grad zwar heiß, aber noch kein Grund für dreiviertellange Hosen. Sie fragen, was mich überhaupt nach Wien führt, na Wien und ein bisschen der Weg dorthin, was man denn sonst für einen Grund brauche? Er sah mich mit misstrauischen Nachbarschaftsaugen an und versuchte das zu entschlüsseln, aber er hatte nichts von jener Begeisterung, die Abfahrttafeln, mit Zeiten und Zügen, die über Grenzen gehen, in einem auslösen können. Für mich lesen die sich wie Depeschen zwischen den Hauptstädten: Budapest, London, Ljubljana, Prag, Berlin, ein Gefühl am Gleis. Ich warte sehr gerne. Das konnte der Wiener einfach nicht verstehen und ich verstand das einfach nicht, aber uns rettet die Durchsage, der Zug wäre in einer Stunde hier. Hätten wir doch besser ein Flugzeug genommen, schimpfte er. Wenigstens etwas, in dem wir uns einig waren. Für ihn war das jetzt gerade genug, um noch eine Stunde wütend am Gleis zu stehen bis der Zug endlich dran steht. Ich fuhr nach Venedig, rauchte, sah mir den Canal Grand an und fuhr wieder zurück. Eine zweistundenlange Stunde später kam er auch. Man hat nun schon einen ganzen Vormittag am Bahnsteig verbracht und muss nun, für den gefühlten Rest seines Lebens, sitzen. Der Zug von Venedig nach Wien ist kein Nachtzug. Erst ist genau so lang, aber er fährt am Tag, ohne die Liegeplätze. Er ist überfüllt mit wütenden Menschen, die gewartet haben, ohne Venedig zu sehen, es ist heiß, das Internet kaputt, die Getränke warm und mein Platz unter der Anzeige, die mir unentwegt vor Augen führt, dass es bis Wien noch neun Stunden sind. Ein Wiener kommt und bringt sein Gepäck in Sicherheit, weil ihm ungeheuer ist, dass ich drei Hemdknöpfe offen habe, vorher Mantel trug und nun unter seinen Dingen sitze. So wird man natürlich nervös. Ich weiß nicht, wies ihnen geht. Züge unterteilen mein Leben in Kapitel. Sie unterteilen Tage und Zeiten und fahren sie weit voneinander weg. Sie trennen die bei Parmesanbauern, von denen in Genua und San Remo und nun hoffentlich die außerhalb der Zeit in der Toskana. Keine Ahnung, ob die eine gute Idee waren. Diese Geschichte fängt deshalb da an, wo eine andere aufhört, die noch nicht ganz fertig ist. Die Wiener, die Anzeige, das wirft alles Fragen auf. Mein Herz schlägt, schreit raus! Der Schaffner beruhigt mich, sagt, ich könne hier nicht raus, mein Kopf versuchts auch. Er verlangt nach guten Gründen, um jetzt hier einfach auszusteigen und alles hinzuwerfen: Diese Zuggeschichte, das Honorar, meine Miete. Bis kurz vor Udine halte ich das aus, schiebs auf den Schlafmangel, den Wein, die generelle Melancholie eines jeden Abschieds, Reisegerede, die Schwebe, bevor etwas endet und was neues beginnt. Ich redete mir ein, dass es feige wäre, jetzt zur ihr zu fahren, nur weil man sie vermisst und das Vermissen, irgendwann sicher schon vergeht. Nächster Halt war Portogruaro, dann Udine, die letzte Stadt vor der Grenze. Villach, Klagenfurt, Wien, kein Weg in die Zeit zurück. Das Internet immer noch kaputt und nur ein Buch von Faulkner dabei, Udine kommt näher. Man will einfach nicht, dass die Geschichte hier jetzt vorbei ist, und eine andere anfängt, denkt, denkt nach, hört auf, nach zu denken, und auf sein Herz, schnappt sein Zeug, zeigt dem einen Wiener den Vogel, steigt aus, steht da, irgendwo, sieht seinen Zug tatsächlich weiter nach Wien fahren, lacht, bis einem das Lachen vergeht, weil die Dicke am Schalter sagt, dass es heute kein Ticket mehr gibt […]

KARACHO

KARACHO

Es ist gar nicht so, wie ich dachte, dass es dann ist. Ich dachte, dass man dann wie durch Glas guckt, wenn man wieder kommt, nach einer Zeit, eine große, gescheiterte Liebe später. Ich dachte, dass manche tot und einige weg und alles anders ist. Isabel aus dem Fadokeller in der Nervenklinik, Afonso an der Verwendung seiner noch nie gewechselten Bifanasoße gestorben, der Bauch von Jorge geplatzt, Carlos vom Zeitungskiosk am Rossio nicht mehr am bestaugestattetesten Zeitungskiosk der Stadt, sondern in Spanien, wie er immer gern sagte, Spanien, das war immer sein Traum, obwohl ich ihm sagte, dass die Dinge nie so sind, wie man denkt, ich wäre in Spanien gewesen. Ich dachte, dass Clement, mein Lieblingsrestaurantbesitzer in der Rua Canastras, einer tollen, dunklen Straße unterhalb der Sé, nun ganz offiziell ein Alkoholiker wäre, aber er ist es nicht und hat eine nette Kellnerin eingestellt, die ihm ein paar Tage die Woche das Trinken an der Theke mit uns abnimmt. Es ist ein absolutes Privileg, Restaurantbesitzer, in der Zeit, zu erleben, kurz bevor ihnen jemand sagt, dass es so nicht weitergehen kann, wenn es noch eine Weile weiter gehen soll. Die wenigstens Restaurantbesitzer überleben diese Zeit, weil sie sonst nicht wissen, für was, aber wenn sie die überleben, und man das auch erlebt, und Freitag war und man einen Tisch bekam, bei Clement, in der zweiten Schicht, direkt an der Theke, mit ein paar Freunden, oder wer auch immer gerade da war und nach ein paar Gläsern einer wurde, wusstest du, dass es das alles Wert ist und vielleicht sogar wieder gut werden würde und dass die Panalva-Jungs in Graça doch nicht dicht gemacht haben, sondern nur im Urlaub sind, wie Clement sagt. Nur Caesar, den Kellner in der Churrasqueira, oben am Sapadores, den hätte es erwischt, der wäre wirklich in Ruhestand gegangen, aber ich habe schon viele Ruhestände von vielen Kellnern überlebt. Man kommt, früher oder später, darüber hinweg. Ich wusste ja, dass eine Krise mit ihr, eine Krise mit der Stadt bedeutet. Ich war deshalb eine Zeit lang weg gewesen. Rom, Neapel, München, vor allem Rom. Ich hatte, wie soll ich sagen, ohne jetzt wie ein Wixer zu klingen, in sieben Jahren Lissabon, einen gewissen Lebensentwurf realisiert. Am Anfang wollte ich nur nicht in Deutschland sein, bis ich nur noch in Portugal sein wollte und wurde, wer ich bin oder eben wurde, weil ich sieben Jahre so getan habe als ob. Das klingt selbstzufrieden und das ist es auch und ich glaube ich habe mich an dieser Zufriedenheit gelangweilt. Morgens aß ich Bifanas mit Jorge, meinem Schuhputzer, bei Afonso, drinnen, an der Theke. Carlos vom Zeitungskiosk kam manchmal auch vorbei und brachte mir Zeitung & Zigaretten mit. Danach arbeitete ich im Benard, einem sehr historischen Café, wenn ich danach noch arbeiten konnte oder lies mir die Post bringen. Arbeit ist zum Arbeiten zu kommen, der Rest ist nur Schreiben. Abends traf ich Frauen, die ich auf der Straße kennengelernt hatte und aß bei Clement, grüßte Fadosängern, redete und redete, obwohl wir uns schon lange verabschiedete hatten (sehr portugiesisch). Da war eigentlich nur eine Angst, neben all den anderen und der, den Rest dieser Geschichte durchs Schreiben zu versauen, weil ich sie schreiben musste, ohne all die anderen Geschichten, die ich schon geschrieben hatte: Die, das Lissabon stirbt, und all die Menschen hinter den Fassaden, die wirklich Stadt sind und so wenig Miete zahlen, dass es Tascas überhaupt noch gibt. Dass Losverkäufer, Schuhputzer, Gehsteigleger, berühmten Liebespaaren und Männer ohne Instagram, bald nur noch Denkmäler sind, Fassaden, eine Erinnerung daran, die ganz schön anzusehen ist. Nur die Messerschleifer auf ihren Fahrräder konnten von mir aus sterben, nachdem mich meiner einmal fast umgebracht hatte, weil ich ihm keine fünfzig Euro für die zwei Messer geben wollte, die er mir scharf gemacht hatte. Erst heute früh wurde ich wieder wachgemacht von einem, der die Leute aus der Nachbarschaft fragte, ob sie Geld für die Beerdigung des toten Parkplatzeinweisers haben und es dann selber einsteckt. So gehen sie halt dahin, die Alten und Geschichten, die langen Sommertage im Herbst, der Charme von Denkmälern, Dachziegeln, Versprechen, die Klarheit der Kontur und der Weichheit des Ganzen, das Auseinandergehören der Töne im Licht, all die Erinnerung an all die Zeiten, die wir hatten und doch nur halten konnten, bis sie vergingen, wie jeder schöner Tag. Ich träumte davon oft und hoffte, dass die doch, bis zu meiner Wiederkehr, jeden Tag jemand sieht. Aller Anfang ist schwer, bis man aufhört, anzufangen, und mit Schreiben beginnt, aus Sehnsucht sich in Worte zu fassen, Zitate, Bilder, Fado, Schlägereien. Man sucht nach Worten, die es möglich machen, zusammen zu sein, wie man eben ist […]

EUROPA

EUROPA

Mir kam neulich so eine Idee. Ich saß beim Frühstück im Royal Hotel San Remo, relativ angeschossen, weil ich die Nacht zuvor mit einem älteren Amerikaner durch die Gassen gezogen bin (man kann in San Remo also noch durch die Gassen ziehen). Draußen gewitterte es, wie Sau, die Welt schien unterzugehen, aber die Leute drinnen, aus aller Herren Ländern, verhielten sich, als würde sie das nicht tun. Die Welt da draußen ertrank, aber das Ballett der Kellner ging drinnen einfach weiter, wie immer, als ob nichts wäre, war ja auch nichts, aber egal was da draußen passierte, es musste ja weitergehen, wie es immer irgendwie weiter gegangen ist. In der Ecke, an den Fenstern, spielte sogar jemand Klavier. Ein Lied, das überhaupt nicht passte. Schon gar nicht um die Zeit. Es hätte was von Erik Satie sein müssen. Ein Kellner kam und fragte, ob ich noch Saft will. Gutes, altes Schauspiel Europa. Das Royal Hotel San Remo ist ein 150 Jahres altes Hotel, Blumenkästen, Balkone, Markisen. Es ist schneeweiß, wie viele 150 Jahre alten Hotels an dieser Küste und es ist in Familienbesitz, wie wenige. Man könnte jetzt natürlich gleich wieder loslegen, aber es ist zu einfach und falsch ein Grand Hotel als etwas Dekadentes zu bezeichnen, weil man nicht weiß, was Grand Hotels sind und was Dekadenz bedeutet. Es gibt auf der Welt viele luxuriöse Häuser, die sich unterscheiden, genauso wie es viele Möglichkeiten gibt, dieses Wort für sich auszulegen. Nur eines muss jeder Interpretationsgrundlage gemein sein, bei allen Vorurteilen und Varianten, dass Dekadenz dem Untergang geweiht ist. Sie ist das Ende von etwas. Immer. Weltuntergangsstimmung. Ein Mittel gegen die Leere unseres Daseins, durch die wir, im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, im Rausch hinausgekommen sind. Das Fin de Siècle, das Ende des Römischen Reiches und anderer Reiche und irgendwann auch wir, in dieser aufgegeilten Welt kurz vor dem Höhepunkt. Wir bauen zwar keine tausendjährigen Gebäude mehr, die mit der Zeit schöner werden, aber das haben Demokratien so an sich. Wir feiern auch keine Orgien mehr, auf denen Champagner in Bächen fließt, wie auf Thomas Coutures Les Romains de la décadence, jeden falls nicht ungestraft. Unsere Dekadenz ist anders. Sie besteht aus Dingen, die man kaufen kann und Dekoration, die auf etwas macht, das sie nicht ist. Bücherregaltapete, Werbeplakate, Moralismus, Eier aus Bodentierhaltung, Orangensaft ohne Vitamine, Warteschleifen, Telefonieren generell, oder das, was heute noch von Telefonieren übrig geblieben ist: Menschen, die hoch und runterladen, online kaufen, Oktoberfeste feiern, ohne je geerntet zu haben, kaum noch Antiquitätenläden, nur noch mehr Läden, in denen man Telefone kaufen kann, kurze Hose und Döner. Wir sind eine Einweggeneration, die gern was Besichtigen oder Demonstrieren geht, wenn der Tag lang ist, sich aber lieber fünf Paar Billigschuhe kauft, anstatt eins, das gut ist und lange hält. Weil das eben teuer ist und alles, was teuer ist, für Reiche ist, aber dass alle Reichen so sind, ist leicht gesagt und nicht ganz fertig gedacht, nicht alle sind Waffenhändler. Manche haben gelernt, auch mit sehr viel, glücklich sein zu können. Ich bin schon oft an diesem Hotel vorbeigefahren, immer mit dem Zug, auf meinem Weg von Genua nach Nizza oder umgekehrt. Es ist eine schöne Strecke, vielleicht die Schönste, ganz nah am Wasser lang, durch zwei Länder. Man bekommt die Grenze gar nicht mit, außer, dass in Ventimiglia Polizisten einsteigen, die durch den Zug schauen und in Menton wieder gehen. Es ist angenehm und irgendwie noch richtig Europa und es ist ganz selbstverständlich. Ich liebe diese Freizügigkeit und benutze sie sehr. Die Hälfte des Jahres lebe ich in Hotels, die andere Hälfte in Lissabon und Rom und manchmal in Wien. Ich sitze in den Cafés, trage Zugbilletts in der Brusttasche und versuche, egal wo, mit meinem Leben weiter zu machen. Wenn ich bis Weihnachten nicht in in der Closerie des Lilas in Paris saß, im Sommer ums Cap d’Antibes schwamm, einmal im Jahr nicht hier Ventimiglia auf den Zug nach Genua wartete, eine Zeitung im Café Sperl las, bei Tito in San Sebastian aß, meine Freundin in Mailand traf, mit ihr durch den Retiro ging oder am Lago di Como darüber nachdachte, Schluss zu machen, ging bei mir gar nichts. Meine Adresse in Rom und Wien ist ein Hotel, in Lissabon eine altehrwürdige Pastelaria. Mich betreffen Europäische Wetterkarten.Nirgends ist das Meer so Blau wie hier, das weiß so weiß, Europa so sehr Europa. Die Alpen fallen direkt ins Meer. Man fährt an all diesen Erinnerungen vorbei, den eigenen und den von anderen. An Orten zwischen den Orten, an Sestri Levantes Landzunge und seinen Buchten, dieser Insel vor Ventigmilia, wo wir immer auf den Zug gewartet hatten und ihr nagelneuer Rollkoffer einmal von einem Auto überfahren wurde und ich nie Farbfilme hatte und die beiden Fotogeschäfte immer zu gewesen sind, weil wir immer Mittags da waren und in dem kleinen Café am […]

ÜBER DIE DÖRFER

ÜBER DIE DÖRFER

Mein Freund Filippo, ein Parmesanbauer, den alle im Dorf nur Pippo nennen, hat ein kerngesundes Milchgesicht und blonde Haare. Wir hatten uns ein Jahr nicht gesehen, aber das schien unverändert. Ich kam mit dem Nachmittagszug aus Mailand nach Fidenza. Dieselbe Bahnstation, die gleichen Leute in der Bahnhofskneipe, genauso ein Regentag, wie am Tag meiner Abreise. Vielleicht waren es auch andere Leute, aber sie sahen genauso aus, wie vor einem Jahr und und so, als hätten sie mit dem Weitertrinken auf mich gewartet. Das tut gut, bei aller Vergänglichkeit, die uns umgibt. Ich wartete auf Pippo und fragte mich, was besser ist: Dinge erleben oder lieber nicht, sich auf sie zu freuen oder nun daran erinnert zu werden. Man hat diesen Ort und seine Erinnerung daran, aber nach einer Trennung konzentriert sich alles in einem schwarzen Loch. Man erinnert sich an Sachen, wie das WD40, das man damals an einer Tanke kaufte und daran, dass man es auch zusammen geschafft hatte, unglücklich zu werden. Man lenkt sich besser ab und fragt sich, wo Pippo wieder bleibt, bis man ihn in seinem schwarzen Jeep heranrasen sieht. Er fuhr, als wäre er auf Gleisen. Wir umarmten uns herzlich und er fragte gleich, ob ich an die Bar will, heute wäre sonst nichts mehr zu tun, außerdem sähe ich niedergeschlagen aus. Ich sagte, dass ich das lieber nach einem Tag Feldarbeit tun würde, als jetzt, so, in dem Aufzug. Er nickte und sagte, klar, komm erst mal an und leg diese Sachen ab. Ich stieg in den Jeep und sah beim Fahren auf die Felder, um mich abzulenken. Diesmal von der Tatsache, dass wir fast zweihundert fuhren. Das Gras stand genauso hoch wie beim letzten Mal, als ich glücklich war und verliebt. Die Liebe ist auch immer noch da, nur das Glück, das ist weg. Ich sah die Mohnblumen impressionistisch im Gras an mir vorbeiziehen und Pippo meinte, schau, mein Käse, der wird aus Blumen gemacht. Ich mochte Mohnblumen, weil sie da waren, wo sie waren und nirgendwo anders sein konnten, ohne zu vergehen. Pippo sah eigentlich überhaupt nicht italienisch aus, bis auf den kleinen Pastabauch. Seine Augen waren Meerblau und wenn wir an einem Feld vorbeifuhren, das nicht seins war, heften sie sich an das Gras der Felder, als wäre es der Hintern einer vorbeigehenden Frau. Das besondere an seinem Käse war, dass er alles, vom Gras zur Milch bis zum Käse, selber machte. In den nächsten Tagen würde ich alle Stufen durchlaufen. Er war ein interessanter Kerl, unvorhersehbar und schwer einzuordnen und manchmal ein bisschen wirr, wie es sonst Bergmenschen eigen ist. Er hatte diese Art beim Trinken immer einen Moment zu haben, in dem man dachte, dass es eigentlich gleich alles vorbei ist. Er redete dann sehr langsam und wurde ruhig und kam erst nach einer ganzen Weile wieder, so als hätte er nur lange ausgeholt. Er hatte immer Durst und nie Hunger, zumindest sagte er, dass er nie welchen hätte, bis das Essen kam und er es mit größtem Genuss verschlang. Ich kannte keinen Menschen, der so vom Essen sprechen konnte, wie er, und es war schön zu hören, wie er von vergangenen Essen sprach oder künftigen oder was er eben aß. Man könnte jetzt fragen, ob es nichts wichtigeres gäbe, aber was wäre dann überhaupt noch wichtig? Gerade, wenn man etwas wichtiges macht, einen politischen Deal oder ein romantisches Abendessen, ist es doch wichtig, welche Weine man trinkt und was man dazu isst. Das macht den Charme der Menschen doch aus: Churchill, der sich ohne seine Romeo y Julieta nie mit Stalin getroffen hätte, Kennedy, der vor dem Telefonat mit Chruschtschow einen bestimmten Bordeaux trank oder Richard Gere, der niemanden ausziehen würde, mit dem er nicht vorher im Lotus gefahren ist. So ist Auto fahren mit Pippo auch. Man lebt nicht nur für den Moment, man überlebt ihn und rast zwischen den Momenten umher, die schönen, glatten Straßen lang bis ins Ziel. Er brachte mich in mein Gästequartier und hier war man nun, allein! Die Sonne schien, bis zum Abendessen manchmal durch die Wolken in mein Zimmer, sonst passierte nichts. Es ist immer schwer, wenn man aus der Stadt aufs Land kommt. Man kriegt erst mal Panik, will irgendwas tun, muss doch irgendwas tun, wenigstens Mails schreiben, Sporttreiben, Aufräumen, einen Café to Go trinken, mit dem Stadtleben auf dem Land weitermachen, aber man kann nichts machen, außer nichts, bis einem die Seele nachkommt. Es wird dann sehr laut in einem, wenn um einen plötzlich alles still ist. Willkommen in der Emilia Romagna. Wie immer im Mai, wenn ich Freunden erzählte, dass ich nun erst mal wieder in Emilia Romagna bin, kann keiner was damit anfangen. Dabei kommt ein Großteil von dem, was wir für Italien halten, hier her. Ich habe eine Leidenschaft für Orte, die zwischen den Orten liegen und ohne Eifeltürme und Kolossen auskommen. Das Land zieht mich irgendwie an, es spricht zu mir. Die weiten Felder, das Licht, die langen, einspurigen Straßen, die die kleinen Dörfer miteinander verbinden […]

ROM III

ROM III

Rom ist warm und sonnig und wie immer anders in diesem Frühling, weil man nach so einem Winter immer ein anderer ist. Orte ändern sich doch nicht so wie wir oder das Wetter im April. Man braucht dann seine Rayban und einen Regenschirm zur gleichen Zeit. Die Rayban, um seine Tränen zu verstecken und den Regenschirm gegen die Sonne. Man glaubt, wenn man bei Regen das Haus verlässt nicht daran, dass es je wieder anders werden könnte, weiß aber, dass es immer anders geworden ist und reagiert. Es sind nur bierschaumweiche Wolken, die da hinter immergrünen Pinien am glockenklaren Himmel hängen. Die Luft ist sanft und dämpft den Aufprall unter den Dingen, Staub und Steinen, die am Ende eines warmen Tages doch noch nicht Staub geworden sind. Blaulichtsirenen zertrennen die Durchsichtigkeit der Atmosphäre. Ein römischer Sommerabend, einer der ersten, und so, dass einem das Erste und der Abend und der Sommer auffällt, oben über Rom. Wenn dann noch der richtige Straßenmusiker spielt, steht man plötzlich über den Dingen, anstatt unter ihnen zu leiden. Ich wohne auf dem Aventino, einem der historischen Hügel Roms, in einer gelben Villa mit langer Einfahrt, die man auf die Villa zugehen kann, wenn man sie nicht fährt. Zur Haustür führt eine Treppe, die man von zwei Seiten gehen kann, wenn man will, mit der Begründung, das man nur einmal ist.  Von den Metallstühlen im Kies sieht man, wie sich sonst alles verhält. Um die Villa ist viel Grün und viel Ruhe und am Abend kann man die Ruhe laut werden hören und riechen, wie das Grüne langsam kalt wird. Angelo, mein braver, fetter Kirchendiener ist der Dirigent dieser Ruhe. Er nimmt mir den Schlüssel ab und schließt auf, wenn ich spät nachts oder früh morgens aus der Messe komme, die ich manchmal nach der Bar besuche, wenn es schon so spät ist, dass es auch früh werden kann. Der Schlüssel ist so groß wie ein Revolver, der ausgewachsene Penis eines unaufgeregten Afrikaners. Ich liebe den allmorgendlichen Lobgesang der Benediktiner. Er ist morgens gerade das, was die Eile früher am morgen für mich war, ein Ritual. Das habe ich schon oft geschrieben, wie das Licht durch die Fenster fällt und sich mit dem Gesang der Mönche vermischt, aber weinen muss man jedes Mal trotzdem. Man fühlt sich danach leer, ohne Verlassen worden zu sein. Der pinke Morgenhimmel ist fast blau und im Park vor der San Sabina noch kein Schwein mit Hund, der scheißt. Auffällig, wie dunkel der Teer dann neben der Backsteinkirche ist. Die Straßenlaternen schalten sich aus und der Tag geht an und die Ampeln funktionieren für noch niemanden. Man steht mitten auf der Kreuzung und sieht sich das Umschalten an, als wäre man der einzige Mensch auf der Welt, der das sieht, mit einem Buch von Tschechow in der Tasche und Penny Loafers an, den Mantel einfach über den Schlafanzug drübergelegt, fertig. Ich stand gestern morgen schon hier, in voller Montur mit einem fürchterlichen Buch von Carver in der Tasche und einem letzten Bier. Die ersten Cafés öffneten gerade in denen noch die letzten Besoffenen gewesen sind, die ihre Nacht auch irgendwie rumgebracht haben. Die ersten Tage war da vor allem das Gefühl, ihr das zeigen zu müssen, den protestantischen Friedhof, die Bar am Gianicolo, die Villa Pamphili, die besten der alten Orte und einige neue. Es war schön, an all diese Orte zu kommen, weil alles noch so war, wie es ist, wenn um einen sonst alles andere vergeht. Mohnblumen  blühen zwischen Ruinen. Die meisten Leute, die man so kennt leben noch, auch wenn die einen in Rom nicht so auffangen, wie wenn man nach Lissabon kommt. Ihnen fehlt die Demut der Portugiesen, ein Atlantik und die Kolonien Lateinamerikas, das Römische ist da irgendwie amerikanisch. Wenn ich abends bei Perilli bin, fällt mir das auf. Das ist ein solides Lokal, einfach, wie man gern sagt den Aventino nicht ganz bis zum Friedhof runter, rechts. Angelo hatte das empfohlen und Angelo hatte recht. Es ist ein einfacher quadratischer Raum mit weißen Tischen und Holzvertäfelung bis zum Bauchnabelpiercing und darüber eine schöne, leicht gestreifte Tapete, wie bei Tulio mit Gemälden drüber gehangen. Die Römer führen sich hier auf, um ihre Mängel zu testen, bevor man die auf den Markt in bessere Lokale bringt. Die Artischocken und die Puntarelle sind fantastisch auch wenn die langsam out of season sind, wie Angelo sagt. Uns verbindet sonst eigentlich nichts. Er ist Roma Fan, ich kann mit Fußball nichts anfangen. Er glaubt an Gott, die Sintflut und Arche Noah. Ich höchstens, dass der, wenn überhaupt schon in uns ist, oder wenigstens in Epikur und Marc Aurel war. Angelo hat sich früher mit Leuten wie mir angelegt, er ist Christ. Ich hatte eine Fußballvater und war auf einer christlichen Privatschulen, die einem das austreiben. Manchmal, wenn er mir den Schlüssel gibt, behutsam, als wäre es ein Revolver oder ein Penis, sprachen wir uns kurz. Er sagte, wies bei AS Roma steht und ich wie die Puntarelle waren. Es war eben das, was wir tun konnten, um uns zu arrangieren, immer  hin bin ich für den Rest meines Lebens gekommen. Es ist nicht so, dass ich für immer in Rom bleiben werde, nur so, dass ich mit diesem Gedanken kommen wollte, um zu sehen, wie es ist und das nichts so ist, wie man denkt […]