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BYND

Konstantin Arnold

ERFAHRUNG

ERFAHRUNG

Paris war unsere letzte Runde. Mit Paris ging alles los. Alles, was wir nun zur Erinnerungen erklären und sagen, so, ja so muss diese Zeit gewesen sein, unvergesslich und prägend. Eine Zeit, die es vielleicht schon nicht mehr gibt, bis man es nochmal schafft und sie ist: Immer die gleiche, schöne Geschichte. Boy meets Girl, they Fall in Love. And then? Wird vom Hotel, das Schöne für uns übernommen. Die Plätze und Meere auf die man so sieht. Ideen, die man voneinander hatte. Das hat nichts mit Paris zu tun, wir machen das ständig, mindestens zwei Mal im Jahr oder wir haben es immer gemacht, an die Vergangenheit muss man sich wohl gewöhnen. Für die einen ist es London, New York, für uns Lissabon, Wien, Mailand, Antibes, Madrid, San Sebastián. Wenn wir bis Weihnachten nicht in in der Closerie des Lilas waren, im Sommer ums Cap d’Antibes schwammen, in Ventimiglia auf den Zug aus Cannes nach Genua warteten, Zeitungen im Café Sperl lasen, bei Tito in San Sebastian aßen, uns in Mailand trafen, durch den Retiro gingen oder am Lago di Como darüber nachdachten, Schluss zu machen, ging bei uns gar nichts. Aber keine Panik. Ich werde jetzt nicht erzählen, wie toll Paris ist oder was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer mir eine Zeitung am Boulevard Saint-Michel kaufen und mich irgendwo hinsetzen. Lesen an bestimmten Orten. Verstehen wie das Leben so ist. Den Mantelkragen hochgeklappt, den Hut tief zwischen den Schultern. Niemanden interessiert, dass man im Regen auf dem Place de la Contrescarpe geküsst hat, auch nicht im Dampf, der durch die Metroschächte aufsteigt, während sich das Straßenlicht auf den nassen Bürgersteigen spiegelt und die Caféterassen schließen. Es muss aber kalt sein, wie diesmal, saumäßig, so kurz vor Weihnachten. Dann sind die Leute weg und die Bäume in den Tuilerien kahl. Der Himmel ist Rauch und der Eifelturm hört irgendwann einfach auf und Paris ist eine gute Stadt, um traurig zu sein. In Lissabon geht das nicht einfach. Jedenfalls nicht alltags, auf diesen heißen, hellen Plätzen des Lebens. Für viele ist das nur ein Namen auf einem Straßenschild, an dem sie mal vorbeigefahren sind. Für mich ist es ein vergangenes Leben, von denen ich gerade wie durch Glas getrennt bin. Alles erinnert mich an sie, alles andere auch. Wer will bitte Sonnenschein über Weihnachten ertragen, wenn der Winter in Paris schon ein Leben lang geht und man im dichten Morgennebel auf Reiter hofft, die aus dem Bois du Boulogne kommen und den Frühling bringen aus großen französischen Romanen. Ich verstehe daher nicht, warum mich Leute ständig nach der besten Zeit fragen. Rom Ende Oktober, Wien danach, San Sebastian im Frühling und, wenn die Hotels offen sind, Antibes. Paris am besten vor 1920. Sie haben irgendeine Stadt mal irgendwann zu einem Zeitpunkt gesehen und maßen sich an zu verlangen, dass sie sich, bis zu ihrem nächsten Besuch nicht verändert. Die Zeit ist egal. Sie wiederholt sich und vergeht in Zyklen, weil der Mensch ihr Vergehen so besser erträgt. Die kulturelle Ausformung dieser Zyklen nennt man Mode und deren melancholische Wiederaufnahme Nostalgie. Dabei geht es darum, die Dinge durch ihre ständige Wiederholung auf eine Essenz zu destillieren, die Trost spendet, weil etwas seit 1700 schon so ist und sich diesen Gebäuden entsprechend anzuziehen, ohne ihre Anmut mit der einem zur Verfügung stehenden Würde zu zerstören. Nichts ist für immer. Nur der Reispudding, wie Jorge mein Schuhputzer sagt, in der Casa Chineza, einem alten Lissabonner Lokal, das jetzt ein neues französisches Hotel ist, hat wie immer geschmeckt. Aber immerhin, noch niemand rennt hier, wie in Paris, muss nicht dauernd irgendwo hin. Die Stadt siegt über die Architektur des Augenblicks, die Unruhe des Großstadtlebens durch seitliche Pinselstriche, den flüchtigen Charakter einer Situation, die aus der Einmaligkeit eines Zugtickets besteht, dass man in der Brusttasche seines Jackets stecken hat. Lissabon, die Stadt des Lichts, der Sieben Hügel, die Weiße, jaja wies in Europa hunderte gibt, aber es gibt nur eine Hauptstadt des Vergehens.  Es ist daher falsch eine Stadt für seine Veränderung verantwortlich zu machen, Städte verändern sich nicht so wie Reisende. Das Läden schließen, Preise steigen, gabs schon immer, Geschäfte für Fremde noch viel öfter und wie die Literatur nicht von Vorkriegspreisen schwärmt, Elektrizität, Zügen, Erfindungen und Veränderungen, die jede Generation für sich in Anspruch nimmt. Paris ist ein Beispiel. Alle Städte mit Ausnahme von Paris haben das Recht sich zu verändern. Ich will daher für diejenigen schreiben, die Städte suchen, in denen man nicht nur glücklich sein muss und würde sie im Winter besuchen. Es ist die besinnlichste Jahreszeit, reicher und schöner als alle anderen, wenigstens für jene, die mehr Bedeutung und reife Tiefe als Glanz und Jugend suchen. Es ist der ideale Hintergrund für kleine Katastrophen, Rückschläge, Anrufe, die alles verändern. Geschaffen für Genießer der Melancholie, Liebende kurz vor dem Aus, Banker am Rande des Ruins, Dichter, die zwischen den Zeilen nach den Worten suchen, Liebe, die endet und wieder beginnt. Die meisten wollen alle immer überall unbedingt eine gute Zeit haben und deswegen ist sie meistens schlecht. Klar, hier und da sieht man wen, ders geschafft hat, meistens kurzärmlige Besucher, die zufrieden in einem Stück Sonne sitzen und schlechte essen, aber wer aus London oder New York kommt, hat es schwer irgendwo anders unglücklich zu werden. Ich habe daher gelernt, dass man sich verdammt schlecht fühlen kann und plötzlich gut und umgedreht und dass es so eigentlich egal ist, wie man sich fühlt. Man kann in Paris sein und versuchen glücklich zu werden. Aber gleich nach dem Erreichen von was folgt das Bewusstsein für die Nichtigkeit aller irdischen Dinge und man rettet sich vor dem Dilemma in die Nächte und entschädigt sich durch Sex. Wir waren Weihnachten immer kurz davor Schluss zu machen, aber Weihnachten hinderte uns daran. Das Jahr ist vorbei und etwas stirbt in uns. Der Frühling schafft uns dann wieder neu. Orte, und die Erinnerung daran […]