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BYND

Konstantin Arnold

ERFAHRUNG

ERFAHRUNG

Ich habe noch nie nach dem Aufwachen geraucht. Vor allem anderen, was man morgens so macht. Scheißen,  oder sich Erhängen. Man liegt im luftleeren grauen Raum seines vergangenen Lebens und sieht das Nichts, sieht wie es ist, das ganze Leben. Sieht wahrscheinlich aus, wie ein aufgescheuchtes Tier, das aus einem brennenden Wald durch Glas guckt oder der Melancholiker von Munch oder ein paar blaue Frauen, die Picasso gemalt hat. Tränen steigen in einem auf, wie Hochwasser und man versucht sich bis zum Abend, vor Frauen und Alkohol zu retten. Anders als auf Lovis Corinths Selbstbildnis mit Wein gehen die Nächte nicht. Zwischendurch besinnt man sich, sieht die Flecken, denkt doch, geht doch, es konnte kein Weiterso geben, von einer Geschichte zur nächsten, immer nur funktionieren und eigentlich nur noch in Geschichten leben, um zu verarzten, was es in Echt nicht mehr gibt. Man dachte Liebe ist eben so, ist Arbeit, Schmerz, hat den Druck als atmosphärischen empfunden, weil man sonst doch auch alles bereut, als ganz gemeiner christlicher Abendländer mit archetypischen Schuldgefühlen. Eine noble Geste, die jede Liebe tötet. Man will sich das alles natürlich nicht eingestehen. Tut alles mögliche, nur um nicht das nötige zu tun. Meldet sich im Fitnessstudio an, hört auf Käse zu essen, macht Ayurveda, fliegt nach Paris, redet sich ein, dass man, seitdem man keinen Käse mehr frisst, viel besser schläft und fängt an, DiCaprio zu hassen. Man steht am berühmten Scheideweg des Lebens. Manche hören ihre innere Stimme dann ganz klar. Sie gehen dem nach, was sie hören, oder sie werden verrückt. Andere werden auch verrückt, aber tun, als ob sie die nicht hören, weil es genug gibt, die das auch tun, beigeben aus Bequemlichkeit und Welt. Der eine Weg ist kahl und Schmerz, hart und ins ungewisse, der andere ein Versuch zu erhalten, was es vielleicht nicht mehr gibt. Er führt auf jeden Fall Samstags an Mittagstische mit anderen Paaren, die den gleichen Weg gehen. Nur das der erste wieder mit den Weibern in die Bars führt, will man vermeiden. Schriftsteller müssen in einer festen Bindung sein, habe ich gelesen, sonst verlieren sich und dann blinkt der Cursor, wie ein Herz schlägt eigentlich, trotz noch mehr Rauchen. Wir haben dafür zwei schöne Balkone, die wir bald nicht mehr haben. Vielleicht kann ich dann nie wieder schreiben oder oder nur noch wie Schirach. Mögen sie Regen? Der Typ ist klatschnass. Vielleicht habe ich unter der Liebe wie Thomas Mann unterm Schwulsein geschrieben. Manche meiner Geschichten fallen wie welke Blätter von den Wänden, nur dass die im freien Fallen noch spannender sind. Aber selbst wenn sie schlecht sind, ist das gut, wie mit Wein, weil so eben die Jahre waren und das mehr sagt, als wenns sie gut gewesen wäre. Schreiben ist ohne die Liebe, Regen, Gutschreiben und Schwulsein schon schwer, ohne Rauchen, eine, ohne die anderen lieben und schauen, von wo man so baumeln kann, eigentlich unmöglich. Aber man braucht seine Gedanken morgens nicht so ernst nehmen. Man denkt sowieso immer das Gegenteil von dem was man denkt und versucht sich den Tag über zu beweisen, dass alles doch nicht so ist, in dem man es zu Erinnerungen erklärt und sagt, so, ja so muss diese Zeit gewesen sein, unvergesslich und prägend. Eine Zeit, die es eigentlich gar nicht mehr gibt, bis man es doch nochmal schafft und sie ist: Immer die gleiche Geschichte. Boy meets Girl, they Fall in Love. And then? Paris war unsere letzte Runde. Mit Paris fing alles an. Ein allerletzter Versuch zu vergessen, weil man wieder was Schönes hatte, an das man sich erinnert. Vielleicht haben die Hotels stets das Schöne für uns übernommen. Die Plätze und Meere auf die man so guckt. Ideen, die man voneinander hat. Das hat nichts mit Paris zu tun, wir machen das immer, mindestens zwei Mal im Jahr oder wir haben es immer gemacht, an die Vergangenheit muss man sich wohl gewöhnen. Für die einen ists Pompei, Ibiza und Gstaad. Für uns Paris, Wien, Mailand, Antibes, Madrid und San Sebastián. Wenn wir nicht mindestens einmal im Jahr zusammen im Lilas saßen, ums Cap d’Antibes schwammen, getrennt was im Camparino tranken, einen Morgen lang im Sperl lasen, durch den Retiro gingen, Matisse‘ Balkone sahen, bei Tito aßen oder am Lago di Como darüber nachdachten miteinander Schluss zu machen, ging bei uns gar nichts. Aber keine Panik. Ich werde jetzt nicht erzählen, wie toll Paris ist oder was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer mir eine Zeitung am Boulevard Saint-Michel kaufen und mich irgendwo hinsetzen […]