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BYND

Konstantin Arnold

HIERZULANDE II

HIERZULANDE II

So! Scheiße! Kairo! Was für eine Stadt! Von einer Wüste in die nächste könnten man meinen. Vierzig Millionen Menschen, also Schweiz, Portugal, Belgien und Finnland zusammen. Vielleicht mehr. Muss man mögen, und ich liebe es. Pierre Loti liebte es auch. Kairo ist Chaos, aber was für ein wunderschönes. Eins das so ist, wie Regen, wenn man einmal ganz nass ist. Es ist das Chaos der Fatimiden, Mamluken, Sultane. Das der Götter und Archäologen, Abenteuer, Pharaonen, Spione, Osmanen, Araber und Ägypter, Saladins, Aladins, Tausend und eine Nacht. Ein Denkmal der Zeit und die größte Stadt Afrikas, sogenanntes Paris am Nil, aber es gibt eigentlich nichts was so ist. Die Stadt ist eine Betonwüste aus italienischem Art Déco, aufgelockert durch Pyramiden, Parkplätzen, durchgeschnitten vom Fluss. Tausend Minaretten stechen wie Antennen zu Gott durch den Smok, Wüstenstaub und Dampf aus den Garküchen. Eine der letzten Zufluchtsstätten des Unbekannten und Wunderbaren auf Erden. Es vermengt sich zu einer Urknallmaterialität, aus der die Welt jeden Augenblick wieder entsteht. Alle arabischen Städte sind weiblich, aber irgendwo hier verbirgt sich das Geheimnis für das Rätsel unseres Seins. Frage und Antwort in einem. Etwas, dass sich nicht zwischen Buchdeckel pressen lässt, sondern Wohnviertel bis zum Horizont. Kairo ist eine  Stadt, die sich selbst überlebt, ohne zu zerbrechen. Ein Geschenk der Geschichte, die Zeitkapsel einer verschwundenen Welt aus Dampfschiffen, Baedeker und Sundowner. Es ist immer mein Traum gewesen, hier zu leben, aber der Traum einer ganz anderen Existenz. Man braucht solche Träume, die nicht wahr werden. Das richtige Maß Anarchie. Was in der Ferne. Und Engländer, aber nur auf dem Weg nach Indien. Die Ägypter sind ein sehr heimliebendes und bequemes Volk. Die Fremde bedeutet ihnen Elend. Die Türken stehen ihnen nahe, obwohl die selbst zugunsten der Araber vertrieben worden sind. Die Araber schienen ihn danach fremd, obwohl man die gleiche Sprache spricht, aber sich gerade in seiner Gemeinsamkeit deutlich unterscheidet. Die Ägypter sind generell sehr hilfsbereit, gar nicht so wie die jordanischen Männer sagen. Sie brauchen auch nicht überall Flaggen, um sich zu vergewissern, dass sie existieren. Sie sind netter als die Jordanier und wollen rein gar nichts bis sie was wollen. Aber sie wollen immer was, außer in Kairo. Deswegen waren wir zweimal hier und nur zwischendurch in Luxor. Wir nahmen uns ein Zimmer im Kempinski. Ein schönes Hotel, mit Blick auf den Nil. Wir schliefen nur wenige Stunden. Zum Sonnenaufgang wurde ich wach, sah die Tauben fliegen und auf die Hinterhöfe kacken. Es war schon so laut in den Straßen, dass es fast wieder still ist. Ich wollte mich so schnell es geht in diese Stadt stürzen, nur meine Freundin machte nicht mit. Sie brauchte ewig und wir stritten und ich frage mich heute, was wohl gewesen wäre, wenn ich an diesem Morgen ohne sie gegangen wäre. Ich mein, ohne Telefon. Ich ging ohne sie, wartete aber in einem Café vor dem Hotel auf sie und lief ihr hinterher. Das ist gerade als Mann nicht leicht, genauso wie es als Frau nicht leicht ist, durch diese Straßen zu gehen. Alle Frauen schauten sie an, und alle Männer schauten sie an und versuchten dann wegzusehen. Ich war heilfroh, dass ich sie abgefangen hatte. Wir hätten den Tag nicht zusammen verbracht, und nicht spionagenhaften Bars gesessen, in denen immer Nacht ist und immer eine Frau, mit einem Mann vor einem Drink an der Bar steht. Wir hätten nicht zusammen in dem Café mit dem Bild an der Wand und der Erde auf dem Boden gesessen. Ich hätte hier erzählen müssen, was für ein schönes Scheißloch das war und wie es nach Scheiße roch, obwohl ich es war, der sie am Fuß hatte. Ich hätte sie nie im Café Horreya erlebt und vielleicht wäre sie tot oder verschleppt. Wir hätten unsere eindrücke später Teilen müssen, aber wenigstens nicht im Café Richie gegessen. Dagegen war das Horreya der absolute Traum. Sie saß da wie in einer Filmszene, oder besser, sie war die Filmszene selbst. Das Café ist ganz offen und aus Holz und draußen tobt der Verkehr. Man kommt einfach rein, setzt sich hin und bekommt Bier, ohne zu fragen. Sie saß im schwarzen langen Kleid zwischen all den Männern da, rauchte und trank. Cat walking nannte ich das. Vielleicht dachten die Männer wieder, dass ich kein Mann war, weil sich meine Frau so auszieht, aber innerlich dachten sie das doch. Naturgesetze kommen noch vor Religion. Ihre Frauen mussten unter ihren Burkas schwitzen, sogar drunter essen. Sie sind blutarm und blass und leiden an Osteoporose wie die der Orthodoxen nur anders. Man erkennt sie auf der Straße nie wieder. Außerhalb ihres Hauses existieren sie nicht. Es sind Schattenwesen im Würgegriff der Kultur und Kochshows. Natürlich sind wir deshalb am Abend wieder fast zu spät zur Abfahrt unseres Zuges gekommen. Der Verkehr ist ja wahnsinn. Unter dem Befolgen von Regeln wäre kein Durchkommen. Man fährt schon hundertzwanzig auf einer dreispurigen Straße auf die sechs Autos nebeneinander passen, und ein Pferd. Verkehr gibts es so nicht. Es ist ein Weltwunder aus Hupen, Motorrädern und dem obligatorischen Propheten auf einem Karren, der seinen Esel vorne auf der Kreuzung vorbeizieht. Neapel ist nichts dagegen. Bombay vielleicht. Jedenfalls was die Kolonialbauten angeht, die rechts und links mit ihren trüben Fenstern auf das tägliche Treiben sehen. Ich ärgerte mich, dass wir wieder nicht früher los sind, und es immer bis zum allerletzten Auskosten. In meinem Kopf lief ein Film aus allem ab, was überhaupt schiefgehen kann. Der Taxifahrer bekommt einen Herzinfarkt oder überfährt ein Kind. Am Ende des Bewusstseins schon die Frage, ob man uns dann trotzdem erst mal zum Bahnhof bringt. Immer der Griff an die Stelle wo Pässe sind. Sie findet ihren natürlich wieder nicht und dann natürlich wieder doch. Ich hasse sie, ich liebe sie dafür. Wir müssen einmal quer über den Bahnhofsvorplatz der Ramses Station von Kairo, in Kairo über den Bahnhofsplatz der Ramses Station. Wo verdammt fährt dieser Zug. Ein paar Ägypter wittern ihre Chance. Einer nimmt einfach unsere Sachen und rennt. Wir rennen mit durch den Dunst, durch Sicherheitsschranken und an Maschinengewehren vorbei. Selbst bei Nachtzügen bekommt man kein Ticket. Man rennt einfach hin, völlig außer Atem und irgendwie wissen die, dass das stimmt. Wir schafften es gerade noch rechtzeitig, um dann noch fünfzehn Minuten am Gleis zu stehen bis zu seiner Abfahrt. Meine Portugiesin gefiel sich dermaßen überpünktlich überhaupt nicht […]