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BYND

Konstantin Arnold

NICHTS UND NIEMAND

NICHTS UND NIEMAND

In Algerien wohnen im Frühling die Götter, schreibt Albert Camus 1936. Er schreibt von der Sonne am Abend und vom Wind, den Dörfern und Geschichten, die man sich dort erzählt, den Menschen Algiers. Sie kommen aus den Bergen der Kabylei, dem großen Süden, den unendlichen Weiten der Wüste, und vom Meer, aus Städten mit Namen wie Tamanrasset oder Djanet oder noch weiter aus Mali. Der Großteil dies Landes liegt hinter den Bergen unter dem Gewicht der Zeit, das auf ihm lastet und dem Staub und den Steinen, die noch nicht Staub geworden sind. Guy de Maupassant hat in Allouma da besser drübergeschrieben. Nomadenleben, eine sich bewegende Landschaft, ganz tief drin. Camus schreibt von Oasen und Sehnsüchten, die sich dort hin flüchten, einem Meer, das nur schlürft und schluckt. Er schreibt von einem Licht, das so hell wäre, dass es schon wieder Schwarz ist. Ruinen, die zur Natur übergehen und eins werden mit der Erde, die sie, wie allen fallenden Dingen, wieder in sich aufnimmt. Die römischen Ruinen Algeriens sind besser als die Römischen oder Griechischen. Sie sind nicht abgesperrt. Kindern können dort ihre ersten Zigaretten rauchen oder Küsse küssen und müssen dafür nicht an Bushaltestellen gehen, so wie wir. Die romantische Liebe haben die Mauren, im 15. Jahrhundert, aus Spanien nach Nordafrika gebracht. Nur Küssen tut in Algerien heute keiner. Es gibt auch keine Wüsten mehr, keine Inseln, nur das Bedürfnis danach ist noch spürbar. Es gibt auch kein Algerien mehr, so wie Camus das kannte. Ich wusste nichts über dieses Land und niemand, den ich kannte, war je da und dieses Nichts und dieser Niemand sind gewesen, das mich so anzog. Menschen gehen dafür in die Wüste. Auf der Algerischen Botschaft konnte man auch nicht glauben, dass ich da hinwill. Algier, was wollen sie da? Die Menschen werden misstrauisch, und ich auch, man will nicht, dass jemand kommt, geschweige denn das irgendwer geht. Aber es ist Zauber in arabischen Ländern zu sein, sagte ich, gerade im Herbst. Laubbäume ohne Laub, Moscheen, ein Muezzin, der mit seiner Stimme den klaren Tag durchtrennt. Alhamdulillah, das genügte, ich bekam mein Visum. Puh. Arabien ist immer aufregend, gerade, wenn es Afrika ist und man allein und die Polizei schon mit im Flugzeug, weil die Algerier Gründe haben, sich zu rächen. An Griechen, Karthagern, Römern, Vandalen, Arabern, Berbern, spanische Mauren, Osmanen, lebt aber keiner mehr. Nur die 160 Jahre französische Kolonialherrschaft sind noch nicht verjährt. Besser Macron kommt, bringt Segen, macht Eingeständnisse, öffnet ein paar Archive, braucht Gas aus der Wüste, 1500km weit entfernt, Paris läge näher. Alicante ist 350 Kilometer entfernt. Was das Meer für einen Unterschied machen kann. Mare nostrum, menschenleeres Blau, nach wie vor das Schicksalsmeer. Die Sanftheit Algiers wäre beinahe Italienisch, schreibt Camus. Ich war gerade in Rom und das Einzige, was diese Länder verbindet ist Marcello Mastroianni, der die Hauptrolle in Der Fremde spielt. Italien strömt über vor Erinnerung und Museen, scharfen kulturellen Spuren, in Algier sind die Museen zu oder stehen leer. Constantine ist vielleicht einen entfernten Vergleich mit Toledo wert, ohne Tradition wäre Spanien ja nur eine Steinwüste, mit Bäumen, aber nicht so schönen Steinen. Die Langeweile Toledos ist feiner, aber weil das Meer dort so weit ist, fehlt den Menschen irgendetwas. Dafür gibt es Klöster und Kulturen, Bauwerke, Landschaften, in die sich der Mensch retten kann. In Algerien amputiert man der Welt gerade das, was ihre Dauer bewirkt und einen Anblick ausmacht und das Herz füllt. Die Überlieferung. Man will sich nicht erinnern, keine Vergangenheit mehr, nur das Meer und die Wüste, die eine letzte Würde verleiht. Es gibt keinen Lehren mehr, nur Märtyrer, die dieses Land zusammenhalten und ein Gefühl von Freiheit durch Feindbilder schaffen. Einen Käfig, in dem man fliegen kann. Denkmal drauf, fertig. Zur Einweihung werden Blumen gestreut [….]

ROM

ROM

Moment mal am Nachmittag, abends, oben, über der Stadt. Als ob der Himmel hier näher wäre. Mit den Büsten aller, die schon gestorben sind. Die Via Garibaldi runter, bei den plaudernden Nonnen vorbei und am Paola Brunnen die Treppen der Sakristei links, wo das Wasser immer fließt, und nie gleich und die Straße dann rechts biegt und man eine Weile schön unter Bäumen geht, bevor man auf die Brücke kommt. Ponte Mazzini, die, von der man auf die Ponte Sisto sehen kann und sieht, wie Türme in den Himmel stechen und sich der Fluss windet und über allem die Pinien stehen, schon immer grün im Herbst. Für die Römer geht die Sonne hinter dem Gianicolo unter, nirgendwo anders. Da, wo die Welt dich haben will, kurz nachdem dich dein Freund verlassen hat und du nun allein ist, mit dem Blick auf Rom und den Herbst und den Vögeln über dir, die am Himmel dimensionale Manöver zeigen, all dem Licht und dem Laub, und dich fragst, ob du das alles so fühlst, weil du jetzt alleine bist und nichts zu schreiben hast oder weil es wirklich so ist, wie du siehst. Manche Momente kann man nicht teilen, sie vergehen und sind tief in uns drin. Zwei küssenden Motorradhelme im Verkehr sehen das auch so. Jemand rudert unter den Brücken heim, wie ein Wasserläufer, der ein Zuhause hat. Den Fluss geht alles das nichts an. Er fließt träge und dreckig an allem vorbei in die Dämmerung. Ins letzte Licht. Bis ans Ende des Ausblicks, Albaner Berge oder ist das Umbrien? Was Schönes, einmal nicht Michelangelo, nicht Bernini, einmal nicht wissen, um gucken zu können. Der Tag endet, wie er beginnt. Früh und purpurn. Traurig jede Abendstunde, die man dann nicht in Rom verbringt. Die Luft ist frisch, als ob man noch gar nicht geraucht hätte. Rom hat auf uns gewartet, jaja, als ob, wir auf Rom. Bin das dritte Mal da, aber war noch nie hier. Nur einmal zum Cabrioholen und einmal in einem Hotel am Flughafen, das meine Freundin uns am Flughafen buchte, um den frühen Flug nicht zu verpassen, den wir dann verpassten, weil wir selbst dort eine Bar fanden, in der wir streiten konnten. Man kann Rom einfach nicht denken, ohne es gesehen zu haben. Antikes Herz einer Weltmacht, religiöses Zentrum und auch noch Hauptstadt Italiens. Erfahrungen, die von anderen gemacht werden. Immer nur Worthülsen, Geschichtsunterricht, sonntags, verkatert, TerraX. Ein Vorurteil, wie New York oder Yoga, aber Yoga kann nichts dafür, von dem wes gemacht wird. Jetzt hat die ewige Stadt Bedeutung bekommen: Roma Termini, Taxifahrer, Arschloch. Sie sitzen den ganzen Tag, leben nicht, sterben nur langsam. Wie auch? Sie haben die schlimmsten Väter der Menschheitsgeschichte, die sie selbst Söhne von Vätern sind, die nach dem Krieg heimkamen und erst mal einen Küchenstuhl reparierten. Seit sie von zuhause weg sind, wohnen sie mit ihren Frauen. Meiner Meinung nach muss man sich in der Welt rumtreiben bevor man nach Rom kommt. Prima di arrivare a Roma bisogna muoversi nel mondo, aber der Taxifahrer versteht nur Bahnhof und fährt mich zum anderen. Also Umsteigen ins Nächste. Hotel Excelsior bitte! Bello, meint der neue, das läge wunderbar am Parks der Borghese, gleich an der Via Veneto, ob ich Fellinis Roma gesehen habe? Zwei Wochen in der Stadt? Nein, aber wir werden Rom schon zu unserem machen. Der Taxifahrer meint, bello, aber in Fellinis Rom hätten Frauen drei Titten. Er spricht von all diesen Filmen, die Liste ist lang und man hat nur ein Leben und das hat Vorrang und ist nie genug, nicht mal für Bücher. Er sagt, es sei nicht leicht in Rom ein Buch zu lesen. Das Leben finde in den Straßen statt und man wäre ein Teil von ihnen. Rom ist aus Fleisch und Blut, nicht nur Resten, dem Gesicht einer Frau, die vor einem Schaufenster steht und sich auf den Feierabend freut. Sie schaut sich […]

EXZESS

EXZESS

Am Anfang war das nur eine Schnapsidee, irgendwas in der Ferne, ein Jahr weit weg. Die von der Redaktion meinten, ich dürfe nicht mehr über Wein schreiben und Liebe und was Leben im Süden sonst noch so ist. Über was soll ich dann schreiben, fuhrs aus mir raus, soll ich Fasten oder was? Das wäre eine tolle Idee meinten die und ich sagte halt zu, war ja noch ein Jahr hin, und dann ein halbes, und dann auf einmal nächste Woche. Nächste! Woche! Panik ergriff mich. Zehn Tage ohne Essen und Trinken, Essen mit Trinken und dann Rauchen. Ich rief die Fastenklinik an, verlangte nach Seelsorge. Nein, sagte die Ärztin am Apparat, Muskeln verlieren sie nicht und ja, sie sind danach noch der gleiche, vielleicht sogar noch mehr. Ich will auf keinen Fall aufhören zu rauchen, oder solche Scherzchen, sagte ich, hören sie, die Beziehung zu meinem Körper ist erste Sahne. Wir verstehen uns prächtig. Ich kann essen was und wann und wie ich will. Der menschliche Körper kann vierzehn Tage ohne Nahrung auskommen, sieben ohne Wasser, sie sind dafür gemacht, sagte die Ärztin. Bei Normalgewicht besitzen sie 10kg Fett und 3kg mobilisierbare Proteine. Damit könnten sie 40 Tage fasten, wie die Jungs aus der Bibel: Moses, Jesus, Elias. Bei 20kg Übergewicht sind es schon 100 Tage. Die Ärztin war sehr nett, gar nicht so arztmäßig, und sagte, sie freue sich dann schon auf mich. Musste sie ja auch. Immerhin bezahlen die Reichen ein Schweingeld dafür, dass man sie dort Hungern lässt. Sie lassen sich von dieser Klinik reduzieren, ihre Geschmäcker auf Null setzten, bis die Übersteigerung abschwillt, weil nach Kaviar nichts mehr kommt. Zuhause kann man nicht so fasten. Meine Freundin probierte das Mal. Sie sah mich essen und wir stritten und das ist alles nicht förderlich. Es ist besser, sich seiner Gewohnheiten und Gelegenheiten zu entziehen, all der Möglichkeiten, den Wechselbeziehungen und Wirkungszusammenhängen, wegen denen man trinkt. Manche haben gar keine, andere zu viel und die sind besser allein, und der Mensch, den man lieben muss, weit weg. Außerdem bekommt man den Arsch ausgespült und das lässt man besser andere machen. Ungefährlich ist das nicht, aber Buchinger hätte 100 Jahre Erfahrung versichert mir die Ärztin, als ich immer noch nicht glauben konnte, dass man mir wirklich ein Enema reinsteckt. Ist vielleicht ein Männerding, aber ich hatte das schon mit fünf und mit Zäpfchen, als ich noch gar nicht wusste, was mein Schwanz ist. Heilfasten zählt zu den härtesten Fastenformen. Die tägliche Energiezufuhr beschränkt sich auf maximal 400 Kalorien (250 braucht allein das Gehirn). Der tägliche Plan sieht Gemüsebrühe (0,25l), Obst und Gemüsesäfte, 2,5l Wasser und 30 Gramm Honig vor. Es sollte die erste Geschichte meines Lebens werden, in der kein Wein vorkommt, aber er war omnipräsent. Zur Rache suchte ich mir natürlich die Klinik im Süden aus. Es gibt natürlich noch viele andere Kliniken, aber keine im Süden und keine von Otto und an einen Ort, der aussieht wie eine Jugendherberge und nach Spucke riecht, Kräutertee aus bunten Bechern, wollte ich auf keinen Fall, wenn ich schon leiden muss. Um ganz ehrlich zu sein, kam mir das doch recht. Ich fühlte mich etwas aus den Fugen und seit einer Weil zu Linsen hingezogen. Mein Körper hatte genug. Erst die Weinernte, dann lange Ferien Madrid, Hochzeiten, Geburtstage und kaum Tage dazwischen und jeder Tag ein Fest. Früher gab es Tage und Weintage, aber seitdem ich mit Madame Mon Amour zusammen wohne sind alle Tage voll Wein. Selbst die heute journal Tage. Mahlzeiten mit Menschen, die ich liebe, zu mir zu nehmen, ohne Wein, fällt mir nicht ein, Essen wird erst so zur Mahlzeit, und ich glaube, ich verlor die Balance. Das merke ich, wenn ich anfange, Dinge zu kaufen, bevor sie alle sind oder nachts auf dem Platz vor der Kathedrale liege oder froh bin, dass die Gassen auf den Heimwegen Lissabons schön schmal sind. Verstehen sie mich nicht falsch, ich bin keiner von diesen Selbstzerstörerischen Typen mit Todessehnsucht, und all der Naivität, die es dazu braucht, dafür bin ich mir zu bewusst, zu ehrgeizig und christlich erzogen. Ich trinke auch nicht, um Schreiben zu können, höchstens, um abends nicht mehr schreiben zu müssen. Auch nicht, damit der Abend schön wird, sondern weil er schön ist. Der Abend ist für mich eine heilige Zeit, Muße, Diskutieren, über gutes und schlechtes und was überhaupt gut und schlecht ist, deswegen trinkt man ja. Man ist von Momenten abhängig, wie die meisten, mehr nicht. Morgens esse ich ein Stück Brot zum Kaffee, mittags einen Teller irgendwas, um weiter arbeiten zu können und abends erst der Genuss. Keine Süßigkeiten, nichts künstliches, nur Naturwein. Ich trinke abends einfach gern Wein, wie die meisten Kopfarbeiter. Punkt. In den zehn Tagen in der Klinik habe ich keine Zigarette geraucht, nicht mal dran gedacht, nur daran, dass ich danach nicht damit aufhören will. Natürlich ist das dämlich, aber hinter dem Dämlichen liegt eine Wahrheit, die jeder selbst Entschlüssen muss, in dem er herausfindet, welche damit gemeint ist. Eine poetisch perverse Lust am Laster. Warum lachen wir übers Laster? Kommt man so über die Sterblichkeit hinaus? Kommen wir aber erst mal an, nach zwei Stunden Schlaf, und morgens, aus Protest, sogar noch bei McDonalds sogar am Flughafen […]

NACHMITTAGE

NACHMITTAGE

Heute Morgen Möhren geschnitten. Ganz bewusst. Nicht nebenbei. Gibt interessanteres, davon später mehr. Erst mal die Scheiße wegschaufeln vom Wochenende. War wieder viel los. Merke ich, weil ich wieder Dinge kaufe, bevor sie alle sind. Oreganoblüten, Streichhölzer, Kerzen, Möbelpolitur, Schaumwein, frische Chilis, Kupferstiche von Neapel, sonen Zeug. Es ist fast noch schlimmer, als in den schlimmsten Zeiten, als alles ganz und gar nicht lief, mit ihr und mir, und mir und ihr. Damals hatte sie keinen Job und ich kein Verständnis und wir keinen Staubsauger. Das machte was mit einem. Dazu noch Leben, Lieben, Schreiben, Lesen und dann das, was auch immer das ist, das wussten wir da ja noch nicht. Man braucht erst mal einen Moment, bis man versteht, dass das Wasser durch die Decke aus der Lampe in mein Arbeitszimmer läuft. Es war noch früh und wir hörten es im Schlaf eine Weile angenehm Plätschern, bis wir davon wach wurden und das Zimmer unter Wasser stand. Ich schöpfte zwei Stunden. Wie auf der Titanic, nur ohne das Untergehen. Ein Rohrbruch oder ein Loch im Dach, so richtig weiß das in Lissabons Altstadt natürlich keiner. Für jemanden mit ästhetischen Zwangsstörungen, für den alles an seinem Platz stehen muss, jedes Bild, jedes Buch, damit ich es dort finde, wie gelebt, ist das natürlich eine Qual. Mein ganzes geistiges Leben lag brach und ausgebreitet und durcheinander zum Trockenen im Wohnzimmer. Therapeutisch gesehen, ist das natürlich praktisch. Wir wussten nicht, ob das Wasser wiederkommt, keiner wusste das, aber ich entschied, es nach ein paar Tagen wie nach dem Erbeben 1792 zu machen, als die Leute das auch nicht wussten. Ich hing jeden Zettel, jedes Bild, jede Notiz wieder genau da auf und hoffte, dass die Decke hält und der Regen nie mehr so wieder kommt. Aber der Regen kam wieder und wie, an einem Nachmittag, und sogar das Pantheon, sonst strahlend weiß im Blau des Himmels, wurde unvorstellbar nass. Er fiel vom Himmel durch die Decken auf meine Seiten bis tief in diese Zeilen hinein, spülte alles aus, wusch alles ab. Den Dreck aus Kanalisationen. Die Leute sprachen von atmosphärischem Regen, aber das brauchten sie gar nicht, muss kein spezieller sein. Die Stadt kommt schon mit ganz normalem nicht klar. Hier kennt man nur den, der auch schon wieder vorbei ist. Er nimmt nie die gesamte Farbe des Himmels in Anspruch. Man spürt, dass über dem Grau noch was Blaues ist. Nur hat man diesmal dazu die Zeit umgestellt und es wurde früh dunkel und war frühs noch dunkel und die Nachmittage waren weg. Die Leute zogen sich wieder was an und gingen vor die Tür oder zündeten Kerzen an und hielten Rosenkränze und beten gegen Regen und dafür, dass die Mietpreise nicht weiter durch die Decke steigen. Sogar die Kreuzer im Hafen zogen still und unschuldig von dannen. Nur ihre Scheiße, die Pizzaschachteln und Krankheiten ließen sie zurück. Ich reg mich nicht auf, normal nicht, aber wenn dann noch Montag ist, Anfang Herbst und Windows ein Update macht und die Welt sowieso stillsteht, sieht einfach alles aus, als ob es nie wieder anders werden könnte. Nicht mal die Gitterstäbe im Park können dann noch helfen, die kahlen, die Statue und der Fluss, der aussieht wie das Meer, wenn das andere Ufer im Nebel liegt. Ein Schatten kommt über mich, nicht der später Sommernachmittage, der sowieso zum Licht gehört, nein, der scharfe Winterweltuntergangsschatten, der die sesshaften Dinge untersucht, bis in nie ganz aufgeklärte Ecken, wo Menschen nicht hinterfragen, und leben, als wäre es erst die Generalprobe. Das Verdauungssystem ist nicht umgestellt und drinnen wird’s dunkler als draußen, lange bevor die Tage zu Ende sind. Die viel zu frühe Dunkelheit schleicht sich ein und wechselt sich ab, wird hell, wird dunkel, während draußen Blätter hängen wie Erinnerungen eines Sommers im Wind. Meine Laune geht nun zum Teufel, der Schwanz  wird schlaff, die Gedanken finster und alle Gefühle sind knochenlos, die Welt ist ohne Glanz. Wer weiß dann schon, welcher banaler Mist sich einem noch in den Weg stellt, auf dem Weg hoch über sich hinaus, ins Unbedingte. Früher konnte ich daher Nachmittage nicht ausstehen. Sie schienen vorbei, bevor sie zu ende waren. Eine tote Zeit, teilnahmslos, Kaffee und Kuchen, Einzelkindmäßig, Diabetes, sonntags, hoffnungslos unterfordert, Trash TV, Deutschland, um vier. Die Dinge tot oder lebendig, aber immer fürchterlich eindeutig, wie Leere mit Einrichtungsgegenständen vollgestellt. Heute weiß ich, dass das von  Amifilmen kam, die mich meine Mutter an Nachmittag gucken ließ, weil sie nicht da war. Das waren Filme, in denen Familien in Vorstadthöllenreihenhäusern am Esstisch saßen und nicht mit einander redeten. Es war der  Filter einer amerikanischer Leere, der sich über die Nachmittage meiner Kindheit legt, bevor der wunderbare aus Paris kam. Jeder hat vielleicht so ein Trauma, eine unbegründete Niedergeschlagenheit, die ich aus Lissabon nicht kenne, wie von keinem Orten, an dem es hell erleuchtete Boulevards gibt, Aufgaben, Bars und Restaurants, Termine, Frauen und Männer. Sie feiern den täglichen Sieg über die Leere und das Ende und die […]

DAVONKOMMEN III

DAVONKOMMEN III

So ein Elektroauto ist schon toll, aber esfährt sich nicht wie ein Auto, sondern ein Bügeleisen mit dem man auch fliegen kann. Man fährt 200 und bekommt nichts davon mit. Er zwingt einen zu Pausen an wahllosen Orten, was manchmal schön ist, aber meistens schlimm. In Frankreich ist das mit dem Laden schon besser, außerdem versprühen die Parfüm in Parkhäusern und spielen klassische Musik. Ich könnte einen Thriller über die Verwicklungen beim Laden eines Elektroautos schreiben, wie man ans Auto kommt und sieht, dass nichts geladen hat, und dann der Stecker klemmt oder keinen Empfang ist, um den Ladevorgang zu starten, oder tausend verschiedene Anbieter und Apps und dann das Parkticket bezahlen, obwohl man gar nicht geladen hat. Für mich, ohne Smartphone, ist Elektroautofahren sowieso unmöglich. Ich glaubte, es würde traumhaft und zwinge zu poetischen Pausen, in denen man Lesen kann oder sonst was, aber meistens ist man dafür zu wütend. Nur einmal klappte es, kurz vor Toulouse. Jede Ladestation sollte mittags kurz vor Toulouse sein. Man liegt im Gras und liest und sieht die Pyrenäen, deren Gipfel im Nebel schweben. Davor eine Ebene und dahinter ist Spanien und hinter einem lädt der Audi 350kW pro Stunde. Leider war Toulouse für uns nur was zum Vorbeifahren, eine Welt die wir nicht kannten und ein paar Dörfer mit Burgen drauf. Dafür konnte der Audi aber nichts. Ich stelle mir Toulouse jedenfalls schön vor, viele junge Leute und eine ausweglose Liebe, die man an einem Wochenende kennengelernt hat. Keine katholische Schwere, wie in der Provence. Patrick meinte, dass die Franzosen gar nicht so offen sind, wie alle denken, deswegen fallen Frauen in den Städten, die sichs rausnehmen, so auf. Er meinte auch, dass Toulouse sehr schön ist, aber die Provence schöner, so schön, dass man gar keine Frauen mehr braucht. Sogar die Penner wären nett, auch wenn man ihnen kein Geld gegeben hat.  Als wir in der Provence ankamen, wurde es gerade Abend. Es war warm in Europa. Die Abenddämmerung legte sich über den Mount Ventoux in der Ferne wie eine Flasche ausgeschüttetes Rosé. Man versteht warum van Gogh, Cézanne, Daudet, Mistral und Zola kamen, und wieso man das Licht besser malt, als es zu beschreiben. Wir fuhren lange gerade Straßen und an Häusern mit alten Aufschriften vorbei und bogen rechts in die lange gerade Einfahrt des Chateau Montcaud. Wir fuhren lange gerade Straßen und an Häusern mit alten Aufschriften vorbei und bogen nach rechts in die lange gerade Einfahrt des Chateau Montcaud. Wir hörten das Zirpen der Zikaden, ein anderes Auto in der Ferne und dann den Kies unter den Rädern. Wir rochen den kühlen Geruch der Olivenbäume und sahen den Brunnen, vor dem Chateau, in dem die Zeit stillsteht und Moos drüber wächst. Alles war kalksteinfarben und Pastell, der Besitzer sagte die Fensterläden wären olivenkernsteinfarben und das Schloss von einem Seidenfabrikanten erbaut. Wir aßen gemeinsam zu Abend und die Weine schmeckten, wie das Land aussah. Es waren sehr herzliche Leute, die einmal alles verloren hatten und sich hier alles wiederaufbauten. Wir erzählten von den Bergen Kastiliens und wie unbetreten sie sind, während die im Baskenland rund und grün wären. Hier sind die Berge oben ohne, kahl und ausgeblichen. Der Besitzer sprach von den Cevennen, so als ob man die kennen muss. Er erzählte von einem italienischen Poeten, der im 14. Jahrhundert den Mount Ventoux zum ersten Mal bestieg. Meine Freundin sagte, dass sie als Kind auch eine Raupe hatte und wie viele Kilometer am Ende so ein Kokon ist und der Eigentümer sagte, er weiß, aber die Schmetterlinge werden gekocht. Ich fragte, ob alles, was man hier tun kann, Weintrinken und Glücklichsein ist, Glücklichsein und Weintrinken und Schmetterlinge kochen. Der Eigentümer lachte und sagte, es gebe Momente, in denen man die Schönheit sieht, wie man sie noch nie gesehen hat und manchmal sieht man sie nicht. Die Düfte der Garigue dämpfen den Aufprall der Dinge untereinander. Was die Garigue ist, will ich wissen? Eine immergrüne mediterrane Strauchheidenformation, die als Degradationsstufe der Macchie verstanden werden kann. Ah, was auch immer das ist, unser Streit war vergessen. Wenn man sich wegen nichts in die Haare gekriegt hat, gibt es auch nichts zu besprechen. Nachts hatten wir uns wieder lieb und hörten danach die Seidenraupen auf den Maulbeerbäumen fressen […]

DAVONKOMMEN II

DAVONKOMMEN II

Manchmal trägt der Nordwind die Traurigkeit her und manchmal fegt er den Himmel blank. Das schlechte Wetter ist hier aber nichts Schlimmes. San Sebastián ist ein Winterort, schwimmen im kalten Meer. Ein Seebad, wie Biarritz, wo man Baden kultiviert hat, nachdem man das Meer lange genug nicht zum Schwimmen benutzte. Jetzt gibt es auf der ganzen Welt keinen besseren Ort, um sich eine Badehose zu kaufen. Während San Sebastián den aristokratischen Glanz der englischen Königin verdankt, wurden in Biarritz Promenaden gebaut als Eugène ihren Ehemann Napoleon III davon überzeugte, eine Sommerresidenz im Süden Frankreichs zu errichten. Biarritz wurde zum Ferienziel der Pariser, hier sollte die Welt genesen. Wenn man aus San Sebastián dorthin fährt, weiß man am Anfang nie wo lang, weil man aus den Bergen kommt und sich fragt, wo Osten ist und es ist auch egal bis man an der Küste ist. Das Stück zwischen Hendaye und Saint Jean de Luz ist weltbekannt. Es ist das, von dem ich ihr am Igueldo erzählte, aber ihr wars egal, sie schlief, dachte oder fummelte sich an den Haaren. Es war schade, dass sie den Ausblick nicht sah, weil es schön war, zu sehen, wenn sie so etwas Schönes sah. Wenn sie so traurig und vorwurfsvoll dasaß, wie eine Statue von Maillol in den Tuilerien, versuchte ich das zu ignorieren. Sie war trotz allem ein schönes Tier, mit einem Lebensraum auf dem Beifahrersitzt und der Unordnung voller Sachen und Taschen, die sie schuf. Keine Ahnung, wie jemand so beifahren konnte. Ich dachte für mich, dass das eine sehr schöne Straße war, die nahe am Wasser vorbeigeht, und von den Leuten Corniche Basque genannt wird. Für mich ist das die Straße auf der Jakes Barnes mit Bill am Ende der Fiesta mit offenem Verdeck fährt. Man erkennt sie an den Wäldern und Wiesen und dem sich ins sehr blaue Meer räkelnde Land. Das Buch verbindet mein altes und neues Leben und Peter Viertel, der es verfilmt und nach den Dreharbeiten zu Fiesta sein Surfbrett hierlässt, aus dem die europäische Surfkultur erwächst. Bald zwei Jahrzehnte war Biarritz für mich nicht mehr als ein breiter Strand zum Surfen gehen. Schildmütze an. Bier trinken. Fertig. Jetzt waren wir auf dem Weg und ich jemand anderes und kam an vielen Orten vorbei, an denen ich schon geschlafen hatte. Campingplätze, Kreisverkehre, eine Picknickstelle im Wald. Wie alle Surfer fuhr ich damals mein Dieselfahrzeug durch Europa, schiss in die Büsche, ließ mir die Haare wachsen, brachte meinen Restmüll und meine Geschlechtskrankheiten mit und dachte ich bin aber sowas von cooler. Jetzt wohne ich im Hotel du Palais. Das hatte ich früher schon vom Meer ausgesehen. Jetzt sehe ich das Meer vom Hotel. Es ist ein wundervolles Gebäude, groß und rot und alt, ich glaube das älteste, da Biarritz erst um Eugènes Sommerresidenz entstand. Vorher war das nur eine Düne. Jetzt stehen hier Chateaus und Schlösser in tausend verschiedenen Stilen. Der lange Teer der Einfahrt steht dem Hotel prächtig und dann steht da Patrick, der uns den Audi abnimmt. Er ist dieser Mensch, der einen Ort ausmacht. Drinnen ist dann alles sehr Hyatt-mäßig, renoviert und ohne Zeit, mit ständig wechselnden Mitarbeitern. Der Concierge gab einem das Gefühl immer was Besseres zu tun zu haben. Aber jedes Mal, wenn ich Patrick den Schlüssel gab, war es, als würde es auf der Welt sonst keinem geben, dem er das Auto parkt. Er sah mich mit seinen weichen Buttleraugen an und fragte, wies geht und ob wir schon im Hinterland waren. Von ihm weiß ich alles, was ich über diesen Teil Frankreichs weiß und andere und dass Anne Desclos in Wahrheit die Geschichte der O geschrieben hat und eine Frau war und dass sie und Georg Sand die Befriedigung der Frau literarisch legitimierten. 1792 wurde die Guillotine zum ersten Mal an Schafen ausprobiert und Oscar Wilde machte die bittere Erfahrung, jemanden in der Seine ertrinken zu sehen und ihn retten zu wollen. Er fürchtete, man könnte denken, er würde sich aufspielen und ließ ihn ertrinken. Ich fragte ihn warum Franzosen alles mit Soße fressen und warum ihre Küche überhaupt so bekannt ist? Er sagte, dass hätte mit dem Hof Ludwigs zutun, der Diplomaten aus aller Herren Länder zu seinen Banketten einlud und so die Mode der Gänge einführte. Ich gestand schon, dass es den Franzosen gelang, aus den einfachen Zutaten des Alltags, etwas leidenschaftliches, besonderes zu machen, aber ich hatte noch die Weinernte in Portugal unter den Nägeln und ließ mir vom Sommelier hier gar nichts erzählen. Ich erzählte Patrick von Biarritz und wie es früher für mich war und er meinte, dass es nicht leicht ist, einen Ort wieder für sich zu entdecken, wenn man ihn schon lange kennt. Wir sollten in die Berge fahren, nicht weit von hier. Das würde uns beruhigen und wir müssten uns nicht mehr so auf dem Balkon aufführen, vor den Augen der ganzen Stadt […]

DAVONKOMMEN I

DAVONKOMMEN I

Es geht mir nicht ums Reisen. Das kann ich zuhause, wenn ich in Lissabon bin. Einer der Hintergründe vor dem wir uns abspielen, die Handlung ist die gleiche, Europa mein Zuhause. Reisen ist ja nicht nur hier und da nicht. Menschen und Orte sind überall und sie führen sich an ihnen auf. Fern von eigenen Banalitäten, um nah an denen der anderen zu sein. Lissabon ist keine banale Stadt. Niemand hält hier Ordnung der Ordnung wegen. Keiner geht ohne ein Glas, nur damit der Tag in den Plan passt. Manche sehen das, wie man ferne Orte sieht, herausgerissen aus allem und dort eingefügt, wo sonst alles ein Ende hat. Es ist ein Gefühl, das man kennt, wenn man einen traurigen Film guckt oder ein bestimmtes Lied hört oder bald gehen muss oder sich Spanien vorstellt, am Abend, in Polen, weit weg in der Ferne, selbst Alicante wird dann schön, so ein Drecksloch. Ich glaube was wichtiger ist, Reisen haben immer ein Ende, einen voreiligen Wert, ohne Tod. Diese hier beginnt morgens, halb sieben, mit einer Flasche Schnaps. Am Flughafen. Portugiesische Küche. Ich hatte mir das einfach notiert. Die Flasche lag im Duty-Free und darauf stand: schmecken sie den Wert, den nur die Zeit den Dingen geben kann. Ich fand, dass das schön geschrieben ist und da stand auch noch mehr. Über die Rückgewinnung von Momenten, die man am Tisch miteinander teilt, Anekdoten, die einen Toast verdienen und der Digestif als Ende einer Mahlzeit. Das Marketing machte mich an. Stimmt ja. Alles, was gut ist, wird besser mit der Zeit. Wein, Liebe, Leder, abgenutztes Lissabonner Kopfsteinpflaster. Das Schöne daran ist ja nicht das Abgenutzte, sondern die Zeit, die es abgenutzt hat. Hell erleuchtet flogen wir nach Madrid. Madrid ist eigentlich immer eine sehr glückliche Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer, wenn man sich bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Toreros führen, es reicht ein fantastischer Geist zu sein, der gerne denkt und weiß, was passiert und nicht passiert und das, was passiert nicht ernster nimmt, und schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Die heißen Augusttage, Mittagessen im Botín, keine Polizei, die uns danach anhielt. Die Tage im Westin, der Retiro nach dem Regen, die Flamenconächte in der Candela, die es nun nicht mehr gibt. Es gibt nur noch Shows, weil die meisten mit Flamenco nichts anfangen können, solange er keine Show ist und an gewissen Stellen übertrieben wird. Wenn man das erste Mal einen Flamenco sieht, ist es ein Spektakel, aber man sieht mehr vom Spektakel, als vom Flamenco. Irgendwann will man nur noch Flamenco, ohne die Show und in der Candela konnte man ihn sehen. Unser Madrid besteht aus vielen Orten, die wir kennen und Orten, die wir noch nicht kennen und Orten, die wir kennen, aber noch nicht so, wie wir jetzt sind, nicht im Herbst, und im Regen, wochentags, von einem Elektroauto aus. Sie wusste, ich wollte unser Gepäck nur schnell im Palace Hotel aufgeben und die Zeitung am Plaza Santana lesen und dann die Paseo del Prado runter, an den Bücherständen vorbei, um in den Prado zu gehen, wie immer, aber sie wollte nicht, also ging ich allein zu Sorolla. Im Prado ist es aber am meisten so. Man steht vor den gleichen Gemälden und es sind andere. Es gibt ein paar die immer gleich sind und immer anders und manche, die einen noch nie so faszinierten wie jetzt. Jusepe de Riberas Martyrium ist so ein Bild. Wie die Frau im aus dem Gemälde guckt. Sie guckt aus ihrer Zeit, so als ob sie den Wert des Gezeigten und deren Fehler schon damals kannte. Sie schaut, als könnte sie uns sehen. Nicht mal Riberas Maria Magdalena oder seine Maria Magdalena mit Bart, nimmt einen so gefangen, wie der Blick dieser Frau kurz nach dem Mittelalter, deren noch Bilder zeigen, wie Frauen wirklich Schwanger geworden sind: per Lichtstrahl, der von einem Engel aus […]

KERLE

KERLE

Das hat Lissabon nun davon. Einen Jungen, der im Café sitzt und einen Brief, an seine Freundin schreibt, um ihr seine Gefühle zu erklären. Ich hätte mich dafür in jedes andere Café setzen können, aber es hätte nicht in jeder anderen Stadt sein können, mit einer anderen Freundin. Andere Städte haben auch schöne Freundinnen, ich weiß, eine schöner als die andere, aber es reicht nicht schöner als andere zu sein. Schön, wenn’s so ist, aber es nutzt sich ab, braucht sich auf und vergeht, wenn hinter dem Schönen nicht das Unendliche verborgen liegt, etwas an das man nie ganz gelangt und immer braucht, wenn man es hat. Man muss es finden. All diese Körper nach dieser Seele durchsuchen. Mehr will ich jetzt nicht sagen. In einer aufgegeilten Welt aus Superlativen so kurz vor dem Höhepunkt, besticht die Wahrheit durch ihre stille Erfahrung. Soll sagen, dass man die größten Worte verliert, für sonst was und wen, sagt oh die war aber heiß und der und wie gut das Essen nicht gewesen war und man sagt es über Gerichte, Nächte und Frauen, Frauen, die einem nichts bedeuten und nichts waren und auch nicht so sind. Wenn man dann die trifft, für die man alle anderen gehalten hat, sagt man nichts mehr. Man schweigt. Sitzt im Café und schreibt auf, was man nicht einfach so sagen kann. Dass alle in Rauch aufgehen wie Gedanken, wenn sie durch die Menge geht, aber dass man noch anderen nachguckt, genauso wie man Balkone anguckt, Gemälde, Laub im Wind, alte Männer im Park, einen Unfall, in den ein alter Sportwagen verwickelt ist, nur anderen Frauen vielleicht ein bisschen mehr, weil man das nicht darf. Das Sanfte der Abendröte beruhigt mein rastloses Gemüt, das Warme des Flusses, in dem das andere Ufer durch die Gassen schimmert. Als ob sich der Himmel bewegt. Ich muss sie alle verstehen, und wenn ich sie verstanden habe, kann ich sie so sehen. Nicht, was ich weiß, macht mich verrückt, nur was ich nicht weiß und alle Filme, Bücher, Möglichkeiten, in denen es so ist, und Verbote und alle, die zusammensind, und nicht zusammengehören. Wenn sich im Internet zwei Obst in den Arsch stecken, steht da ab 18. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft warum? Das ist die Wahrheit, wenn sie nicht allzu hochwertig produziert ist. Anständige Menschen, die sich nach der Arbeit Bananen kaufen, um sie sich reinzustecken oder sich anzuschauen, wie sich die jemand reinsteckt. Dass in Filmen, Büchern, Liedern, auf Bildern, Verpackungen und Profilen, in der Werbung und der Bibel, den größten Museen der Welt überlebensgroße Menschen auf Postern sind, die die Wahrnehmung von Menschen in Echt bestimmen, obwohl das zu billigen Begriffen führt, mit denen wir uns die Welt erklären, erklärt keiner einer Achtzehnjährigen, die sich die Lippen spritzt oder die Titten macht. Entschuldigung es ist Kochsalzlösung mit einer Silikonhülle und es sind dann nur noch Titten und ich habe noch niemanden gehört, der dann nicht Titten sagt, also muss ich es schreiben. Es ist kein Unterschied zwischen Internet und Echt -man kennt es von Menschen, die man im Internet kennenlernt und in Echt trifft- es ist eine Lüge. Und mit dieser Lüge will ich nicht leben. Sie ergibt keinen Sinn. Möglichkeiten, die uns brauner machen, als wir sind. Jede Sau hat heute ein Instagram Profil und einen Therapeuten. Bei mir führt das dazu, dass ich mir aus Angst, alles viel zu phantastisch vorstelle. Ohne, dass man im Kalten aufs Taxi wartet und langsam nüchtern wird, ohne dass die Kellner scheiße sind und das Essen zu teuer, weil das Restaurant, in das man wollte, Dienstags dicht hat und sie dies und das nicht essen wollte und gar nicht trinkt; ohne dass die Kippen alle werde oder Pickel da sind und Türsteher, wo keine hingehören, ohne dass man beim Tanzen beobachtet wird und tanzt, aber so, dass man nichts genießt, weil man zeigen muss, wie gut […]

VINDIMA

VINDIMA

Das Leben ist gut auf dem Land. Es ist schön und hart und einfach und so ist es gut. Das Schöne daran ist, dass es ehrlich ist und mit den Jahreszeiten geht. Das schrieb schon Vergil, fern von Waffen und Eitelkeiten, Sorglos in seiner Ruhe, ein Leben ohne Betrügen. Die Jahre sind lang, Gutes geschieht und manchmal Schlechtes. Alles zu seiner Zeit. Wenn im Frühling der Nordwind weht und die Reben schmucklos sind, fast tot, denkt der Winzer mit Sorge an das Jahr. Drei Mal muss er pflügen, den Grund ständig brechen. Zwei Mal droht Schatten den Reben, zwei Mal Unkraut, so wölkt er auf den Staub, auch wenn die Trauben schon reif sind, ist Unwetter zu fürchten. Das Landleben ist hart, weil man jene Entbehrungen kennt, die etwas kostet, nicht nur seinen Preis. In der Stadt vierdienen wir die Feiertage nicht. Man sitzt am Schreibtisch, wird langsam fetter, steckt Blumen in Vasen, will Birnen im Mai. Landleben ist einfach, weil es nichts bringt, die Dinge noch besser zu verstehen, als sie sind. Sie lassen sich in Arbeit und Mahlzeiten unterteilen. Von Montag bis Samstag. Dann wird geruht, wie in der Bibel, wobei der Kirchgang nur ein Witz ist. Man hat ein Samstagsgefühl, dem ein Sonntagsgefühl einhergeht, zieht sich was Ordentliches an, duscht, versucht sich die Fingernägel zu schrubben, vergeblich. Die Sonntage sind mehr ein Versuch. Sie verdammen zum Nichtstun und traurigen Gedanken. Man kann sie benennen und verstehen und in sich aufheben lernen. Versuchen, dass sie nicht auf Abwege geraten und Ziele anstreben, die nie zu erreichen sind. Die Stadt bringt sie hervor. Man denkt Gedachtes und drückt Ausgedrücktes aus. Fährt schnell für ein bisschen Wind. Lässt sich zu Alltäglichkeiten und Ausschweifungen hinreißen. Streift aus idealistischen Trieben und Sehnsüchten zwischen wunden Seelen umher. Sommer ist in der Stadt nur eine Mode, ein Geruch von Chlor, das in der Sonne trocknet. Wer einmal eine Zeit mit Landarbeit verbracht hat, weiß wovon ich rede. Es ist in erster Linie eine dreckige Arbeit, die umso sauberer wird, je näher sie der Stadt kommt. Es ist Arbeit, weil alle guten Dinge im Leben Arbeit sind. Oliven, Austern, Beziehung. Man versteht dann die, die mit dem Landleben auch in der Stadt weitermachen, abends, mit Dreck unter den Nägeln und Farbe auf den Sachen, geschafft vor einer kleinen Lissabonner Kneipe. Vor randvollen Gläsern mit Oberflächenspannung, Kapillarität nennt man das. Zu denen ging ich, als das Ende des Sommers kam, fragte nach der Ernte und wo man die machen kann. Ich sagte, ich hätte Oliven geerntet, könne hart arbeiten, gut Essen und würde eine Flasche vertragen. Einer sagte, er kenne da jemanden, ich solle morgen wieder kommen. Ich kam morgen und am nächsten Morgen und auch an dem Morgen danach. Ich kam jeden Tag, eine Woche lang. Es waren sehr nette Leute und immer die gleichen und man konnte sich gut an ihnen orientieren. Ich fragte, wo denn nun dieser Herr bleibt, und sie sagten, ich solle mich Gedulden, der würde schon kommen. Einige sagten es nur so, aber ein paar meinten es auch noch als ich weg war. Das Jahr war heiß und die Ernten begannen immer früher und wenn dann Regen kam, zog sich alles noch weiter hinaus. Bei schlechtem Wetter konnte man nicht ernten. Es gibt kein schlechtes Wetter, sagten sie dann, es gibt nur schlechtes Wetter, das in diesen Zeiten sehr gut ist. Ich ließ ihnen meine Nummer da und am nächsten Tag rief auch jemand an. Der Herr war dran und meinte, ob ich die Weinernte mitmachen wollte und wenn ich wirklich eine ordentliche Weinernte machen wollte, dann bei Badula, bei José Marques, im Ribatejo, nördlich von Lissabon. Morgen ginge es los, wenn sich das Wetter […]

FANAL

FANAL

Keine Ahnung, was los ist. Ich versuche schon seit einer Weile kein guter Mensch zu sein und finde das schwieriger, als sonst irgendetwas, außer vielleicht zu verstehen, wo die eigene Interpretation der Dinge endet und sehr wohl der Vorwurf des anderen beginnt; oder zu wissen wie etwas ist, bevor es sich ändert, oder selber zu entscheiden, was richtig ist und was falsch, oder wirklich zu denken und zu fühlen, was man fühlt und denkt und nicht, was man denken und fühlen sollte, weil man nicht schlecht genug ist. Anstand wäre doch zu sagen, ich habe geweint, weil ich dich liebe, aber das ist meine Sache. Es geht dich nichts an. Du sollst kommen und gehen, wann du willst. Wenn du kommst, will ich mich freuen und wenn du gehst, nicht traurig sein, selbst wenn ich lüge. Wir sitzen im Park auf einer Bank, nicht weit von Estefania. Ein Stück Grün, das man auf Alltagswegen passiert. Wir haben hier schon groß Schlachten geschlagen und Fragen auf die großen Antworten der Liebe gesucht. Gefühle sind kompliziert. Man hat sie schon, man muss nicht noch drüberschreiben. Drüber schweigen. Alle wichtigen Augenblicke bedürfen der Sprache nicht. Ich wünschte ich könnte das glauben und warten, wie alle warten, ein bisschen auf den Bus und ein bisschen auf den Tod, darauf, dass einem schon wer das Warten versüßt und alles von alleine passiert, ohne, dass man es selbst passieren lassen muss. Was ist das Leben mehr als eine große Abschweifung, aber Schreiben und Lieben nicht, denn auf irgendeine Art beweist es irgendwas, ein Gefühl von Leben und ein Gefühl von Tod, Sterblichkeit und Unsterblichkeit, eine Atempause, einen Augenblick lang damit fertig, obwohl man noch lebt. Ein Beweis fühlt sich nie so an, wie das, was er beweist. Sie gibt mir einen Kuss und der Kuss kann sich nicht immer anfühlen, wie nach einem langen Gespräch im Park oder wenn man sehr geil ist oder sich gerade aus einem brennenden Frack befreit hat, weil er sich manchmal eben anfühlt, als hätte man das Gespräch zu Hause geführt, ohne Wein und das irgendwas gebrannt hat und man sich eine Weile nicht sieht. Man erwartet von einem Gefühl, dass es so oder so ist und nur weil es nicht so ist, ist es nicht schlecht. Tiefen Gefühlen kommen viele andere komplizierte Gefühle in die Quere, Schwerkraft der Werte. So ist das nun mal. Manche Leute sind vielleicht so sehr etwas, dass sie es gar nicht mehr tun brauchen. Aber ohne mich und das würde ich wahrscheinlich gar nie drüberschreiben, weil die Tendenz besteht, dass man, wenn man zu lange wartet und anfängt, etwas von einer Sache zu verstehen, überhaupt nicht mehr schreiben will. Zu wissen wann und trotzdem nichts auf Morgen zu verschieben und darauf zu vertrauen, dass der Morgen kommt, an dem man sich liebt, ein Buch zur Hand nimmt, einen Satz schreibt, über diesen Platz geht, mit Bäumen auf beiden Seiten und dem Zeitungsladen an der Ecke, wo die Elektrische abbiegt und weiter zum Parlament fährt. Wo war ich? Egal, stimmt das Timing nicht, ist alles wie ein fauler Trick, ein überflüssiger Effekt, unangebracht, aufgesetzt, wirkungslos und so weiter. Man kommt sonst wo her, obwohl der Moment ein ganz anderer ist. An meiner Wand hängen tolle Zitate dazu: Eins von Horaz zum Thema wann man was sagt und eins von Remarque, der den Wert eines Mannes anhand der Geschichten festmacht, die er nicht geschrieben hat oder sie so geschrieben hat, dass er sie nicht nochmal schreiben muss. Zwischen beiden klebt ein Bild vom Piemont. Wollte ich schon immer mal hin. Werden wir jetzt auch. Auf dem Rückweg von Portofino. Sind erst zwei Tage am Cap Ferrat und fahren dann dorthin. Rückflug von Turin. Ob ich vorher noch auf ein paar Drinks rumkomme? […]