EPIGONE I
Unsere Tage in Klosters begannen in Blenio, einem Tal im Süden der Schweiz, in dem wir gut Ferien machen konnten, weil ich es oft beschrieben hatte. Ich dachte nicht, dass es deshalb viel was zu erzählen gäbe, aber die Handlung ist eine besondere, an Orten, an denen das eine so tief ist wie das andere hoch. Wir wohnten in jenem Sommer an einem Berg in der Mitte des Tals und sahen auf einen anderen, den die Einheimischen die weiße Geröllhalde nannten. Er bestand aus einer Wasserscheide mit zwei Flanken. Die eine verharrte in der typischen großen Stille mysteriöser Nordwände, während die andere, von der Morgenröte wachgeküsst, einen weiten, sanft geneigten Kessel umarmte. Morgens stieg ich in eine kleine ruhige Hütte ins Tal hinab, um zu schreiben. Abends stieg ich wieder rauf. Wenn du so zur Arbeit musstest, war dein Kopf bereit und klar und nicht wie im Stau und konnte abends wieder so leer werden, dass man seine Mitmenschen nicht unnötig verwirrte, weil man zwischen den Welten lebte und genügend Anstrengung zwischen den Dingen lag, die sind und denen, die sein könnten. Zuhause, in Lissabon konnte man nicht so gehen. Man konnte auch nicht so tun, wie mein Schwager, der Morgens einfach ein paar Runden ums Haus ging. Es war anders eine Bewegung auszuführen, die notwendig ist. In Lissabon ging ich neuerdings zwar auch, aber nicht an Bergbächen vorbei, sondern Geschäften. Ich konnte mein Arbeitszimmer seit einer Weile nicht sehen, genauso wie das ungelebte Leben meiner Liebe als Preis einer Größe, wie ich sie verstand. Ich begann das Leben als viele Lieben zu sehen und sah mit Sorge ein wachsendes Interesse daran, mich als Mensch in der Welt zu erfahren, zu verstehen, wer ich bin in der Welt, als der, der ich jetzt bin, in einer Welt wie jetzt, und ob dieser jemand und diese Welt wirklich nur durch dich zustande gekommen ist, wie du gern sagst. Unsere Tage wurden kürzer und die Nächte kühler und unsere Zeit schien vergangen. Früher, während Bomben fielen war es doch normal ein Mädchen in jedem Hafen zu haben für den Moment. Stellt man sich alles nur vor, wie alle Dingen, die man denkt? Ich versuchte zu lieben, heißt mich mich zu ändern, aber es ging nicht, es ist nichts für mich, wenn es heißt mit einer Frau im Bett liegen zu müssen, ohne leidenschaftlich zu sein. Irgendetwas änderte sich in mir, aber ich wusste nicht was und weiß es auch heute nicht. Ich wusste nur, dass ich zu Hause nicht arbeiten konnte und an heißen Tagen in ein Café ging, das ich sehr mochte, weil sie es oben absperrten und mich sitzen ließen, bis sie mit Bohnern fertig waren und das Café schlossen. Manchmal kamen schöne Mädchen in das Café, aber man konnte sie vergessen, wie damals, als eine Frau noch nicht alle Frauen sein musste oder wie heute, wenn man sie in dieser Geschichte unterbringen konnte. Und auf dem Heimweg konnte ich dann denken und gucken und mich einen Heimweg lang wie ein ganz normaler Mensch fühlen, der gearbeitet hat, und sich vor der Realität in sein Buch flüchtet. Hier im Norden des Südens der Schweiz ging man keine Einkaufsstraßen lang, sondern Kräuterwiesen runter. Morgens waren die Farben noch voll und würden über den Tag verblassen. Umso weiter man ins Tal kam, desto wärmer wurde es und wenn ich unten angekommen war, wusch ich mich in einem Brunnen und ließ mich von der Sonne trocknen. Der Bürgermeister des Dorfes hatte mir einen großen Schlüssel zu einer Holzhütte gegeben, die ich in meiner Zeit hier zum Schreiben benutzen durfte. Nur zum Schreiben fragte er? Nur zum Schreiben, antwortete ich, hatte aber vergessen, dass Schreiben auch Scheißen müssen bedeutet. Einen Brunnen hatte ich, auch einen Ofen im Sommer, zwei schöne Gemälde, die eine aufeinanderfolgende Situationen zeigten, aber kein Klo. Jedenfalls nicht an Werktagen. Dann lief ich die leere, tote Straße des Dorfes lang und hoffte, dass mich jemand sehen kann und mich zu ihm rein lässt. Die Hütte lag an der Hauptstraße des Dorfes vor einem Café, das die halbe Woche zu hatte. Man sah dann niemanden auf der Straße, nur mich in der Mittagshitze, der kacken musste und den Schulbus aus Biasca, der zwei Mal am Tag an meiner Hütte vorbeifuhr. Das Dorf schien am Ende seiner Landwirtschaft. Erst die saisonale Abwanderung der Leute nach dem Krieg auf der Suche nach Arbeit, dann die generelle, dauerhafte unserer Zeit. Nur selten kam jemand aus der Stadt vorbei und fragte, warum das Café zu ist. Ich hasse Unterbrechungen beim Schreiben, aber die Leute waren so nett und italienisch und ich konnte mich so in sie rein versetzen, weil ich vor einigen Wochen selbst in den Pyrenäen gewandert war und den Hunger und den Durst kannte, der sich nach einer gewaltigen Wanderung einstellte. Wenn sie wieder weg waren, hatte ich das Gefühl der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Mittags läutete eine Glocke und ich erschrak. Das Läuten begann in der Regel um Zwölf und dauerte zwischen zehn Minuten und einer Stunde, Abhängig von der Religiosität des Talbewohners, der sie betrieb. Ich aß Brot und Käse und trank Brunnenwasser, sah auf die Berge und rauchte an den Tagen nicht. Wenn ich den ganzen Tag unten so allein im Tal gewesen war, also nicht allein, nur allein gelassen, gingen meine Gedanken nur zu den Bergen hinauf. Ich dachte an den kalten Wein am Abend und den Hunger und das Gefühl etwas getan zu haben. An einen Liegestuhl neben dem meines Schwagers, der mit mir runter ins Tal sieht und sich dann ans Abendessen macht.