Menü

BYND

Konstantin Arnold

GENUGTUUNG

GENUGTUUNG

Hätte ichs gestern geschrieben, wäre es nie so geworden wie heute und schreibe ich es heute, ist es nie so gewesen wie gestern. So ist das Leben. Die eigentliche Frage ist doch, wann mein geräucherter Körper hinter meinem Aussehen hervorkommt. Rauchen geht gut, solange einem der Tod nichts anhat, keine Zeichen zeigt. Für was hat man weiße Zähne, wenn nicht für Momente in denen sie schwarz werden? Gestern ist es noch ok mitternachts vor einem Quiosque zu stehen, wochentags, wie immer jung, heute ist man einer von denen. Man denkt ja, es sind immer die anderen, die alt werden und im immer noch vorm Quiosque stehen, sowas passiert einem nicht. Flugzeugabstürze, Leberzirrhosen oder Frauen, die den Gärtnern ficken, nachdem man sich das Leben genauso eingerichtet hat, wie sie wollen. Alles mitnehmen, heißt alles, alles, was das Leben ist und wie es ist, mit all seinen Kindern und Konsequenzen, nicht nur von einem sehr viel. Er hat alles mitgenommen, steht am Ende eines Künstlerlebens gerne auf den Verpackungen. Was da nicht steht, ist alles, was mit einundzwanzig noch stehen konnte, anstatt einer ernsthaften Liebe. Gut, dass mit den Kindern weiß ich selbst nicht. Solange sie einen nur bewundern, weil man scharfe Messer benutzen darf und alles, außer Weinen und Schlafen, besser kann als sie, weiß ich auch nichts damit anzufangen. Ich freu mich mehr, wenn einer was wird, der schon ist. Man sehe dadurch ganz neue Sachen und andere und alte, aber aus einer neuen Perspektive. Ja, das sehe ich auch, wenn ich nachmittags durch Lissabon lauf. Der Wind weht hier gerade noch so die Hitze weg. Immerhin habe ich schon mal allen gesagt, die ich scheiße finde, dass ich sie scheiße finde. Der Brasilianerin bei Ramiro, dem großen Italiener bei Vino Vero und Ricardo, obwohl ich den wieder mag und dass bei Gelegenheit zurücknehmen muss. Erwachsen oder? Es fühlt sich vielleicht einsam und verloren an, aber sehr richtig und man darf es nicht nur nicht tun, weil es sich so anfühlt. Das ist wie nie Schluss machen, weil man eine schöne Wohnung miteinander hat und Pläne und Schwiegereltern, die man mag. Ist aber ein anderes Thema und hat nichts mit dem zu tun, was ich gestern schon schreiben wollte. Es ist heute Morgen nur akut und ich würde mich jetzt gerne wieder vor der Unvollkommenheit der Welt zurück in meine Texte flüchten. Nachdem ich was geschrieben habe, kann ich die Vollkommenheit dann auf ein paar Meter mit ins Leben nehmen. Es ist ein komisches Gefühl, leer und irgendwie demütig und so, als ob ich einen Stierkampf gesehen hätte. Nach einem Stierkampf weiß ich nie, wie ich mich fühlen soll. Meistens wie jemand, der mit jemandem geschlafen hat, den er nicht liebt. Und trotzdem, was war das für ein Wochenende. Fünf Jungs, ein Dorf, eine Stunde von Lissabon. Man könnte mir alles nehmen und mich einsperren. Ich würde in meiner Zelle sitzen, mit der Erinnerung daran, und schmunzeln. Wie wir da hinter den Holzbarrikaden standen und vor den verbarrikadierten Schaufensterfassaden, wie im Krieg. Mit roten Halstüchern, was bei mir ganz schön schwul aussah. Wir standen auf den Barrikaden und Postkästen oder hingen an den Laternen, wenn die Stiere kamen. Mit einem zehn Liter Schlauch Wein, den uns die Frauen nach dem Mittag gaben, weil wir jung sind und schön und der Tod uns nichts kann. Wir wecken Muttergefühle und andere Gefühle und hatten gut gegessen und sie meinten, wir sollten was Ordentliches trinken, wenn wir die Lardgada überleben wollen und den nächsten Tag […]

BENTLEY

BENTLEY

Niemanden auf der Welt interessiert ein britisches Oldtimertreffen in St. Moritz, wenn es ihn nicht interessiert oder er zufällig in St. Moritz ist und nichts Britischeres zu tun hat. Also musste ich da mal hin. Außerdem schrieb mir ein Freund seit Wochen, ob wir denn nicht kommen wollen und ich fragte, was soll ich denn da, und er schrieb, genau das! Ihr könntet im Suvretta wohnen und am Rennen teilnehmen und den Abend retten und nicht wissen, was ihr hier sollt. Du würdest sicherlich ein paar interessante Erfahrungen machen und sehen, ob du danach noch weißt, wer du bist. Die Mahlzeiten bezahlt, mit Wein, ein Märchenschloss mit Bergblick und Männer, die ihre Autos mit Microfasertüchern putzen und Frauen, die darauf warten, auch mal so benutzt zu werden. Gute Ausgangsbedingungen. Ich sagte zu. Bekam einen Bentley. Rief einfach bei Bentley an und fragte, ob ich mit einem beim Rennen fahren darf, versuchen sie’s auch mal. Die sind sehr nett. Viel netter als die von Aston Martin und wie sie nicht alle heißen. Die Autos sind auch nicht so klobig wie man denkt. Einige sind sehr schön und schnittig, mit fließenden Formen im Fallen nach vorn und dem Aussehen eines Stierkämpfers, in britischem Autorenngrün oder regenhimmlischem Nordatlanitktiefblau. British Classic Car Meeting, Startnummer 109, Bentley Continental GT Speed, Konstantin Arnold, Catarina Fernandes, ich konnte das selbst auch nicht glauben. Ich besitze nicht mal ein Auto. Hatte bisher nur zwei. Einen zwanzig Jahre alten Peugeot 106, den man vor jeder Fahrt neu aufpumpen und alle halbe Stunde Kühlwasser nachfüllen musste (der rechte Fensterheber war eine Kneifzange, die Beifahrertür ging nur von innen auf) und einen Opel Corsa 1.2 aus den 70ern, eigentlich ganz schön, der zwei Wochen hielt, bis ich ihn an einen Priester verkaufen musste. Jetzt fuhr ich einen 283.000 Euro teuren Bentley mit 660 PS, 660! im Maßanzug von Mailand nach St. Moritz, oder das Engadin, wie manche lieber sagen. Wenn mir das jemals jemand gesagt hätte, ich hätte ihm das geglaubt und gelacht. Erste interessante Erfahrung: Man glaubt von sich selbst nie so einer zu sein, und ist es vielleicht doch. Das lässt sich leicht am Beispiel von Touristen festmachen, die in eine Stadt fahren und sich über andere Touristen aufregen, die immer die anderen sind, wie im Verkehr. Ich sehe mich jedoch selbst als den größten Touristen, der am schlechtesten fahren kann und sich von innen auch nie so anfühlt, wie die anderen von außen aussehen. Alle machen alles besser und richtiger als ich, sogar das falsche. Das ist irgendwie mein Problem. Ich spreche da oft mit meinem Therapeuten drüber, der meint, dass das aber ein sehr sympathischer Minderwertigkeitskomplex ist, den man nicht heilen bräuchte. Im Bezug auf so ein Treffen denkt man dann, dass hier alle viel mehr verloren hätten, als man selbst, aber das ist bei solchen Veranstaltungen meistens nie so. Man weiß von sich, dass man nur wegen eines Freundes hier ist oder des und deswegen oder warum auch immer im Bentley sitzt, nur durch das und das, aber wer von diesen Leuten ist nicht wegen irgendetwas hier und fährt durch wen oder was?  Meine Beziehung zu St. Moritz ist natürlich und gesund und oft beschrieben und lässt sich damit zusammenfassen, dass man mit einfachen Wahrheiten nicht mehr weit kommt, wenn man sich die Welt für seine Weltanschauung selbst anschaut. Ich kenne ein paar gute Leute, meinen sehr guten italienischen Freund, Peter vom Suvretta House und die portugiesischen Kellner aus der Chesa Veglia, die einem immer heimlich nachschenken und Extraportionen bringen, wenn man portugiesisch spricht. Was uns aber wieder erst auf dem Weg einfiel, war, dass zwischen Mailand und St. Moritz ja ein See liegt, den wir gut kennen. Wir hatten in der letzten Nacht zwar nicht geschlafen und die ganze Woche davor auch nicht, weil wir beim Stierkampf in den Dörfern waren und letzte Nacht bei […]

CLARO

CLARO

Es war Donnerstag und Ende Mai und man kam dann gut hin. Dass Donnerstag war und Ende Mai ist wichtig und nicht nur irgend so ein Einstieg, denn samstags, und im Juni kam man da schon nicht mehr hin. Die Straße über die Serra wurde gesperrt und von dem schönen Blick über die Bucht blieb kein Boot übrig. Nur Hügel im Vorbeifahren, die schmale Straße, vorm Ozean links. Die weißen wunderschönen Dörfer mit ihren weißen unschuldigen Kirchen, umgeben von kargen Farben, die langsam in der Sonne trockenen. Das Grüne wird erst gold und dann tot. Unschuld ist die einzige Farbe, die nicht in der Sonne trocknet. Man fährt durch das Hügelmeer und dann das richtige und einen Nadelwald, der an Salzwasser grenzt, wie immer und immer wieder neu. Es wäre vielleicht alles gar nicht so, wenn man nicht nur daran vorbeifahren würde. Das Schöne daran ist das Vorbeifahren. Diese Flucht. Aber sie macht auch fickrig und irre, wenn man nichts mit dem Schönen anstellen kann und es immer einfach so vorbeiziehen lässt. An manchen Stellen sieht das Schöne aus wie Portofino, die Karibik, aber verflucht, warum zur Hölle braucht man immer andere, fernere Orte, um den zu beschreiben, an dem man jetzt ist. Vielleicht liegt das an der Ferne und dem Banalen, das da nicht hinkommt. Den schlafenden Booten, gleichwinklig draußen am Horizont. Das Meer ist da sehr blau. Nachts leuchten dort die Sterne, rufen, als versuchen sie ihre Geheimnisse zu offenbaren oder unseres zu begreifen. Wir begreifen sie selber ja nicht. Mag sein, dass wir alle Werke eines Willens sind, der durch unser Fühlen verbunden ist. Es ist der gemeinsame Kern unseres Seins. Ein Fühlen lang schlagen zwei Herzen in der Einheit des Alls. Doch ein Gedanke reißt uns von uns. Er grenzt ein Stück des Gefühls ein, wie Worte, die das Gefühl teilen, in richtig und falschteilen, obwohl es aus dem Einen ist. Er vereinfacht es so, dass es sich sagen lässt und macht es weniger wahr und komplex und nicht mehr mit allem zusammenhängend. Manchmal sind die Gedanken frei und luftig wie Wind auf dem Land. Manchmal drehen sie sich um sich wie schwarze Vögel, die über einem kreisen, der an einem inneren Irrgarten stirbt. Wir können sie nicht unterdrücken. Wir können sie nur benennen und verstehen und in uns aufheben lernen. Versuchen, dass sie nicht auf Abwege geraten und Fantasien erzeugen und Ziele anstreben, die nie zu erreichen sind. Die Stadt bringt sie hervor. Man denkt Gedachtes und drückt Ausgedrücktes aus. Muss schnell fahren für ein bisschen Wind. Lässt sich zu Alltäglichkeiten und Ausschweifungen hinreißen. Streift aus idealistischen Trieben und ungestillten Sehnsüchten zwischen wunden Seelen umher, präsentiere Unterdrückung im Korsett. Sommer ist in der Stadt nur was zum Anziehen und der Geruch von Chlor, das in der Sonne trocknet. Geschwollene Pulsadern. Halbweltdamen, die sich auf ihre Selbstsucht zurückziehen. Im Hintergrund keucht ihre Gier nach Gewinn und eine Gleichgültigkeit, die daraus entsteht. Man kann sich umsonst nur auf eine Bank setzen und hoffen, dass sich die Kultur konzentriert. Auf dem Land ist das anders. Man sitzt auf Plastikstühlen bankrotter Eisteemarken, die gelb in der Sonne leuchten und guckt wie die Wäsche trocknet. Bezahlt irgendwann. Unten drunter ist Kies oder Sand und dann barfuß im Meer. Man wird schöner und schaut sich ständig im Rückspiegel an. Denkt als Gefühl. Die Welt gehört wieder einem und kostet nichts. Donnerstags und bis Ende Mai. Es ist ein schöner Morgen, der nach dem Mittag beginnt. Gestern war es so spät, dass es schon wieder früh gewesen ist. Wir hatten am Miradouro São Pedro de Alcântara einiges klargestellt. Wer wir sind und wie und was Beziehung für uns überhaupt ist und was nicht und dass nicht alles damit zu tun hat. Wir hatten getrunken und uns damit abgefunden und auf der Straße […]

ENDE

ENDE

Die Geschichte muss man nachts schreiben. Fix und fertig, bei Kerzenschein, mit Wein, und allein. Ich dachte immer, so fertig, allein mit Wein schreiben, wäre das Klischee schlechter Geschichten, die man nachts geschrieben hat. Ist es auch, aber ich sitze nun hier und war schon im Bett und hab heut schon genug geraucht und wollte es morgen in aller Frische wieder tun. Sobald die Ruinen im Hinterhof Sonneaufgangsfeuer fangen und ich weiß, die Nacht, die Nacht ist geschafft. Auf meinem letzten Weg zum Klo konnte ich dann Segelboote sehen. Ich sah ihre beleuchteten Spitzen vom Weg zum Klo aus. Das konnte ich nicht einfach so ungeschrieben stehen lassen und mich in den Schlaf onanieren, als ob da keine Segelboote wären und Frauen, mit denen man das tun möchte. Seitdem sitz ich hier, kein Plan wie späts ist, sieht aber spät aus, weil auf dem Laptop schon Nachtmodus ist und der schaltet sich spät ein, hat der Inder gesagt, der mir das installiert hat. Ist der gleiche Inder, den man beim Wasserkaufen auch fragen kann, woher man weiß, dass man mit der Richtigen zusammen ist? Er sagt dann, 4,50€ und dass man aufhört, die zu suchen, die es nicht gibt, außer man arbeitet als sowas wie ich und muss Sachen fragen, wie was wäre wenn und was überhaupt schön ist, für den Fall der Fälle, das was der Fall ist. Er finde, wir benutzen dieses Wort zu allgemeingültig. Picassos Guernica ist auch nicht schön. Wir setzen Kunst und Dekoration gleich, schön und hübsch, aber das ist es nicht, es ist Milch und Blut und etwas, dass eine Kraft hat oder eine Angst bewahrt, die auch zwischen Menschen ist, über die man gerne sagt, dass sie aber ein schönes Paar sind. Vier Jahre Leidenschaft geschafft. Strafe des Himmels. Da hast dus, dein Wasser, meinte er und dass ich mich nicht immer so haben soll. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Ja, sage ich, schon wieder. Um ehrlich zu sein, glaube ich aber, das ist kein Ende. Ein Ende wäre blank. Ein weißes Blatt Papier. Es gäbe nichts mehr zu sagen, dass man schreiben müsste. Mir nicht. Ihr nicht. Egal. Es wäre die Aufgabe von allem und vielleicht eine Antwort auf die Frage, ob ich psychisch krank bin oder allein einfach vollkommener. Das mit dem Vollkommenen habe ich aus irgendeinem Film. Ich weiß nicht mehr, aus welchem, aber ich erinnere mich an die Szene und eine Zeit, in der die Jacarandas blühten und die Bäume sehr grün waren und man das Gefühl hatte, für immer in dieser Wohnung gewesen zu sein. Das macht es schlimm und schön und man denkt, was man so denkt, wenn man sich denkt, dass man sich denken könnte, wohin man nun zieht und wann und wen man dann vögelt. Die Bäume rauschen im Wind und die Kerzen brennen und man will zerbrechen, zerbricht aber nicht. Ich wäre gerne ein Junggeselle geblieben, der an Sonntagen manchmal weint, wenn sie sich anfühlen wie eine ausgeräumte Wohnung.  Die Menschen behindern mich, wenn sie mir was bedeuten. Sie halten mich von mir fern. Besser sind die, die mir nichts bedeuten, nur die bedeuten mir dann viel. Zu viel, weil man sich verliebt, mit allem, was in einem ist und pulsiert und fordert und leben will. Wie kann sowas passieren? Man kommt nicht davon. Heilige gehen deshalb in den Wald, wenn sie die Menschen zu sehr lieben. Nur noch Rilke […]

PORTOFINO

PORTOFINO

Portofino hat mich nie interessiert. Ich habe die Cinque Terre gesehen, das reicht. Viele Autos, noch mehr Menschen, eine Bucht. Immer einer der Strandtücher verkaufen will. Das Essen schlecht. Und teuer. Außerdem liebe ich Genua, und für viele ist Genua nur eine Stadt bei Portofino. Blitzlichtgewitter, aber nicht das glamouröse. Diese wunderbaren Schwarzweißbilder, die muss man Portofino schon lassen. Wer da nicht alles über die Piazzetta gelaufen ist, eins der heißesten Pflaster der Welt. Gable, Bogart, Cardinale, und wie sie nicht alle heißen. Die hatten im Urlaub wenigstens noch was Ordentliches an. Heute kommt 50Cent und trägt Hawaiihemden. Hauptsache Luxusyacht, die irgendwo in der Bucht steht, und den Blick auf die Sonne versperrt. Bei Elisabeth Taylor und Richard Burton hatte das Stil. Die haben Jetset und Paparazzi immerhin erfunden. Ich wusste nicht, dass der Burton so eine Rakete gewesen ist, bis mir jemand seine Tagebücher aufquatschte. Da ist also ein Mann, der den ganzen lieben langen Tag auf seinem Boot lesen und trinken möchte. Ein sehr guter Schauspieler, der ein noch besserer Schriftsteller werden wollte. Und ich dachte, der hätte nur sowas wie Cleopatra gemacht. Burtons Mittelmeergeschichten lesen sich wie eine Seekarte durch die Wetterphänomene der Liebe, die einem nun mal begegnen, wenn man es gut und ehrlich meint und sich einlässt, egal wie schön der Ort auch ist, an dem man gerade ankert. In seinen Geschichten ist Portofino noch genau so, wie es nie war. Und immer dieses Hotel Splendido. Als eine Art Tresor, in dem sich das Lebensgefühl dieses Ortes über die Jahrzehnte gehalten hat. Es dampft hoch oben in den Hügeln am Hang, wie ein Schiff. Schaut terracottafarben über die Bucht und reiht sich in die Landschaft ein, anstatt sie zu zerstören. Alles steht am Hang unter Naturschutz. Jede Blume, jeder Baum, die Zeitlosigkeit. Abfackeln und neu bauen, wie woanders, geht in Portofino nicht. Als hätten sich die Menschen darauf geeinigt, auch die Bösen, dieses kleine Paradies auf Erden zu erhalten. In eine Bucht verzogen. Das Gesicht von der Welt abgewandt. Heute ist das Splendido ein Belmond Hotel. Es gibt Luxushotels und es gibt Belmond, aber zwischen beiden ist manchmal lange nichts. Man kann den Wert eines Hotels ganz einfach an Kugelschreiben und Klopapieren messen, an der Begrüßung und am Briefpapier, an der Art wie der Concierge sagt, dass etwas jetzt leider schon geschlossen hat. An Kleinigkeiten also, die den großen Unterschied machen. Es ist ein Haus das sehr für diesen Ort steht und ihn in sich konzentriert und seine Geschichte heute noch zugänglich macht. Natürlich hat das seinen Preis und natürlich schützen die Preise vor der Ausnutzung dieses Gefühls und keiner kann leugnen, dass das schön ist. Was teuer ist und was nicht, ist besonders für jeden, nur das teuer ist, was keine Qualität widerspiegelt, gilt generell. Im Splendido kann man für den Preis erwarten, dass alles, was man dort tun muss, ist selber scheißen. Ich wohne in vielen Hotels und muss die wunderbare Imperfektion des Lebens meistens irgendwie in meinen Texten überkommen. Außer bei Belmond. Entschuldigung, das ist keine Werbung, sondern verdient. Vielleicht greife ich vorweg, aber ein Beispiel: man sitzt im Zug nach Portofino und hat keine Farbfilme mehr. Es gab in ganz Nizza keine und auch nicht in Ventimiglia, obwohl die Leute auf den Straßen dort alles Mögliche verkaufen. Man fährt schön am Strand lang und bald kommt Latte und die Ebene zwischen Albenga und Loano und dann ruft Luca an, der Concierge aus dem Splendido und fragt, wies so läuft mit der Anreise und ob er irgendwie behilflich sein kann. Er ruft einfach so an, uns einfache, sterbliche Menschen, keine Ölscheichs oder Oscarpreisträger. Ich sagte, Luca, wir fahren gerade auf diesem schmalen Stück zwischen Alpen und Meer und es ist wundervoll und ich habe meine Farbfilme vergessen. Er fragte, wo genau ich wäre und ich sagte, wir sind gerade an einer tollen Kirche vorbei. Ah, das muss […]

 

NEVADA

NEVADA

Die schönste Zeit des Jahres fing traurig an. Wir verpassten das Blühen der Bäume. Wir sahen es jeder für sich. Heute weiß ich, dass sie an den Abenden auch an mich dachte, wenn sich die wichtigen unwichtigen Dinge des Tages legten und Musik und Rauch aus den Gassen kamen und die Alten tanzen sah und wieder wusste, dass man stirbt. Ein Lied, ein Geruch, ein Hauch Erinnerung, durch den man sich wiederkennt. Wir verlieren uns ja so im Leben. Hören Volksmusik und riechen Sardinenrauch und träumen von lauen ungeplanten Abenden auf Plätzen, Treppen, Tanzen in Gassen unter Bäumen an eine Kathedrale gelehnt. Wie viele Abende. Der in Penha und der in Campolide und der in Chelas, den wir niemals hatten. Abende wie Fantasien, an denen wir beide in einem möglich waren. Jetzt wird es Abend in Lissabon, wie es nach einer schlechten Zeit gut wird. Man sieht den Abend kommen, nur das Gute sieht man nicht, und das danach. An die Kathedrale gelehnt, in einer Gasse, in der die Leute unseres Viertels tanzen. Der Bäcker, der Metzger, die Wäscherinnen und der Straßenkehrer, ein paar unvermeidliche Deutsche. Manche von ihnen habe ich noch nie Sonntagssachen gesehen. Du kennst mich, ich trage die immer denselben festlichen Aufzug, jeden Tag, aber in diesem Monat nur einen, aus dem der Rauch sowieso nicht mehr rausgeht. Die Flecken geben mir dann einen Grund zur Wäscherei Jaguar zu gehen. Gut, noch eigene Wege zu haben. Was soll ich sonst tun, Touristinnen anmachen? Gedachtes denken, gegangene Wege gehen, wie stehe ich denn jetzt abends wieder an der Bar, an eine Kathedrale im All gelehnt. Ich sehe alles durch Glas, aber nichts dringt mehr ein. Das All um mich bedeutet nichts und nur nichts ist vollkommen. Es gibt kein Copy Paste. Gestern Abend war ich in Penha. Nicht weit von den Treppen an den wir uns trennten. Es ist trotzdem noch eine schöne Straße. Vitor hatte den Grill vor der Tür. Sardinen, Bauchfett und kalten Wein. Ich saß da mit einer. Hübsch, aber nicht so wie Cohen singt. Ein Stück weiter vorn war eine Bühne, auf einer kleinen Wiese, die von gemütlichen Mauern eingefasst war und von Wein und Lichterketten überragt wurde, aber so, dass noch genug Nachthimmel durchschien. Da waren Paar, die sehr gut tanzten. So schön wie Frauen nur schön sein können, die sich küssen. Tanzen konnte die nicht und ich dachte, es ist gut und einfach, sich in schlechten Zeiten zu vermissen, aber besser, es in den guten zu tun. Traurig, weil Santos Populares etwas so Fröhliches ist. Du sagtest mal, there is a Hell in every Hello, a good in every goodbye und a lie in every believe. Manchmal, wenn aus einer schönen Freitagnacht ein langer Samstagmorgen wurde und wir nicht stritten und nicht so verkatert waren und uns lesen ließen, glaubte ich daran. An eine Befriedigung der Seele, die unter alle Ermüdungen nie ermüdet. Eine Bewunderung, ein Streben, das Gefühl, dass du mich noch nie so tanzen sehen hat. Mit Tränen in den Augen. Wieso musstest du mich besitzen? Ich kann mit Erwartungen nicht umgehen und du sagst, ich hätte dich zerstört? Eins gegen eins ist nichts. Und die Lösung des Rätsels keine Lösung und so betrinkt man sich am Wein eines Landes und lässt die Tränen in verwahrloste Gärten fließen. Wein und Weinen, das kann doch kein Zufall sein. Die Tage vom Ende hergedacht. Meine Verflossenen sind wieder mir! Was mich auf komische Gedanken bringt. Die Liebe liegt in manchen Herzen wie in Särgen, pocht an die Welt und will nicht sterben. Ich wollte beweisen, dass […]

KAJAL

KAJAL

Es war immer schön mit Bildern von Malern, die uns besuchten und eins daließen in die Vencedora zu gehen, um es Rahmen zu lassen und nicht zu sagen, dass alles okay ist, wenn es das nicht war, weil man gestritten hatte und wieder wütend aus dem Haus ging. An solchen Tagen wusste ich nie, was ich tun sollte und ging gerne dahin und sprach mit einer Frau, die man im Viertel Candy, die Rahmenmacherin nannte. Bis man sich irgendwo ansehen konnte, wie das Straßenlicht anging. Wir sprachen über alles und die Wut und auch ein bisschen über die Rahmen, dumme bürgerliche Klischees, was richtig wäre und falsch, und das heute viel richtiges falsch ist. Candy meinte, es wäre immer einfach, gute Zeiten mit jemandem zu verbringen, aber schwer in den schlechten, obwohl die sehr wertvoll sind. Schlechte Zeiten könnte man nur mit sehr guten Menschen verbringen. Wir sollten aufhören, das Leben in solche und solche Zeiten zu unterteilen, Wein und keinen Wein, manchmal ist es okay, einfach nur okay zu sein. An solchen Tagen überließ man es besser der Stadt. Einem brennenden Ozean in der Sonne und den Blumen, die nachts ohne Farben blühen. Und so machte ich mich, an solchen Tagen und an anderen, wenn sich der Markt vor unserem Haus leerte und man den Platz wieder sehen konnte, erst beim Antiquar vorbei, um zu sehen, ob er ein neues altes Buch über Lissabon dahatte. Es waren jetzt nur noch wenige Leute da, die gearbeitet hatten und an rotweißkarierten Tischen unter den Bäumen saßen. Mit ihnen und dem Antiquar führte man einfache Gespräche und es waren immer die besten und einfachsten nach einem Tag Arbeit. Ich hatte gerade etwas Geld und es war ein gutes Gefühl, sich was kaufen zu können, wenn man sich was leisten konnte und nicht nur wenn nicht. Eine Flasche Roten für alle, ein altes Buch über Lissabon, eine Zeitung, um zu wissen wann dann die Welt untergeht, Marlboros, und später eine Tasca, in der man essen konnte und der Tag war grenzenlos. Alle kleinen und großen Stunden. Ich zog mich schick an und ging durch die Straßen, zur Feier des Lebens, wie Candy gesagt hatte. Durch meinen Anzug und die Stadt und den Maler hatte ich gelernt, alles, was ich bin, in mein Tun zu legen. Von allen meisten vielleicht doch von ihr, aber sie zählte nicht, weil sie gerade nicht mit mir redete oder ich nicht mit ihr. Mein Telefon ließ ich lieber daheim. Alles schlimme, was jetzt noch passieren konnte, passierte am Telefon, weil es nie was mit dem zu tun hatte, was man gerade sah, tat oder sagte. So war das Heute nun mal, und solange die letzte dicke Oma nicht dünn geworden ist und der letzte alte Mann noch nichts Besseres zu tun hat, als herumzusitzen, hielt ich das auch aus und ging weiter, am Markt vorbei und die Blumenverkäuferin rief und ich sagte nein, danke, heute wäre kein guter Tag für Blumen. Sie fragte warum denn und gab mir Beziehungsratschläge und sagte das gleiche, was auch Inder sagte, bei dem ich meine Zigaretten kaufte, nur dass er es am Beispiel eines fahrenden Autos festmachte, das nicht mehr rollt, weil ein Rad nicht dreht. Mit diesen Leuten konnte man gut reden, weil man nicht darauf achten musste, was man sagte und ob es stimmte und die ganze Wahrheit war, wie mit gewissen gemeinsamen Freunden. In der Tendinha am Rossio machte ich dann erstmal Pause. Stand am Tresen, trank ein Glas, aß frittiertes Seehechtfilet mit Brot und sprach mit Senhor Alfredo über was anderes. Ich hatte mir bis hier her meistens so viele Meinung angehört, dass ich selbst gar keine mehr hatte. Außerdem fand ich den Inder immer etwas extrem, indem was er sagte, vor allem wenn Ramadan war, so wie gerade und die Tage lang. Er durfte nichts, bis die Sonne weg war, und dann durfte er auch nicht alles und […]

RIVIERA

RIVIERA

Es ist ein Stück vom Himmel gefallen. Liegt an der französischen Riviera als Kap im Meer. Wellen schlagen dagegen und Wege führen drum rum und ein weißes Haus steht im Grünem, das von tiefem Blau umrahmt wird, wie ein wertvolles Gemälde. Ich hoffe, wenn man stirbt, kommt man hier hin und darf seine Gefühle mitbringen. Manche können sich das im Leben schon leisten. Nirgends ist ein Hotel so Hotel, das Leben so Leben, weiß so weiß und Liebe so einfach gemacht. Das Westenweiße macht was mit einem. Man trägt helle Anzüge und raucht leichte Zigaretten und auch nicht viel. Morgens kann man das Trocknen der Pinien riechen und abends hört man den Vogel, der die Dämmerungen in warmen Ländern besingt. Gesehen hat den keiner, aber es reicht zu wissen, dass so der Süden klingt. So nah am Wasser sind selbst schlechte Zeiten besser als die guten. Weit weg von der Welt und doch jener Teil, der sie lebenswert macht. Regen durch weiße Fensterläden betrachtet. Heute ein stürmisches tristes Meer, Palmen, die dann halt wehen, na und? Wir sehen das nackt durch Gardinen, ein Blick aufs Leben vom Bett und vom Bad ausgesehen. Blaue Jeans und braune Haut. Keine Ahnung, ob die Welt uns so sehen kann, wenn die Gardinen wehen. Schöne Orte sind sehr schön im Regen. Sie sind wie Menschen, die auch mal weinen. Ein falscher Gedanke (das kann ein Moment sein, der nicht ist wie tausend andere Momente) und ihr durchleuchtender Blick, die Kraft meiner Empfindung, keine Ahnung, wie sie das aushält, ich glaube, sie liebt mich, wirklich, bedingungslos, auch wenn ich mir das schwer vorstellen kann. Einen kleinen unsicheren Jungen, der sich hinter breiter Brust an seinen Obsessionen vorbeischreibt und aus der wunderbaren Unvollkommenheit des Lebens in seine Texte rettet. Oder hier her. Auf dem Hinflug sah ich eine Stadt unter mir. Tausend Lichter und Straßen, die irgendwo hinführen, blinken, leuchten, wollen, sich verbinden, vielleicht Paris. So, sagte ich zu ihr, stelle ich mir ein Gehirn vor. Ich schaute nochmal raus und sagte, meins nur mit mehr Schleifen und Kreisverkehren. Dann wurde das Wetter schlecht und ich musste das Wetter noch für sie ändern und es ändert sich auch. Wie versprochen. Einen Platz im letzten vollen Lokal bekommen wir auch noch und den französischen Weinpreis bezahlen wir nicht. Die spinnen wohl, und denken der Traum einer Frau ist, der Traum eines Mannes zu sein. Man muss den Traum schon erfüllen. Es reicht ihr nicht Mrs. Irgendwer zu sein. Sie will auch nicht, dass man ein Foto davon macht und ihr Feuer gibt, wenn sie selbst eins dabeihat. Ich halte die Tür des Taxis auf und sie geht auf der anderen Seite rein und wenn sie eine Tasche trägt, will sie die selbst tragen, was ja okay ist, bis ein anderer fragt, ob man helfen kann. Wir haben jetzt den Deal, dass ich die Tasche in der Öffentlichkeit nehme, damit ich nicht wie ein Idiot dastehen muss. Wir kommen an Frauen vorbei, die gucken und sie weißt mich später darauf hin, dass meine Ärmel nicht gleichlang aus dem Jackett geguckt haben. Das soll so sein, fahre ich aus mir heraus und zweifle in mir drin. Selbst Frederic, dem Hoteldirektor hat das gefallen und er ist die junge, schwule Form von Gott. Wir haben ihn das letzte Mal in Istanbul getroffen. Erinnern konnte er sich nicht, was nicht schlimm ist, denn […]

PAPPERLAPAPP

PAPPERLAPAPP

Endlich wieder Lissabon. Egal, wo wir waren, ich bin nirgends lieber gewesen, aber es ist gut wieder hier zu sein, auch wenn wir noch nicht ganz da sind, wo wir sind, weil man im Ritz noch nicht ganz in Lissabon ist. Das Hotel ist in Lissabon, aber es ist nicht Lissabon, es sind mehr Leute im Gym als an der Bar. Deswegen sind wir hier. Wir kommen an und fliegen weg und dazwischen bringen wir uns in Ordnung oder erholen uns von uns und vom Rauchen. Stattfinden wir woanders. Alles, was es dann zum Glück braucht, ist Zeit, Lissabon, ein Notizbuch mit weißen Seiten, einen Film in der Kamera, Kippen, Kleingeld zum Essen und keinen Treffen, das wars. Es schreiben wenige Menschen und noch weniger schreiben von Städten, in denen sie leben und Frauen, die sie lieben. Sie schreiben von anderen Städten und anderen Frauen, die sie nicht lieben, und so leben und lieben sie auch. Dabei ist es so ein besonderes Gefühl, von hier morgens, die Avenida zur Arbeit runterzugehen, wenn man hauptberuflich durch die Straßen Lissabons geht. Es ist ein anderes Gefühl, aber ein ganz schön anderes. Am Anfang vergleicht man die Straßen der Stadt noch mit den Straßen der Städte aus denen man gerade gekommen ist. Die Lissabonner Illustrierten und Fußballzeitungen mit internationaler Presse, die in Paris und Wien in den Auslagen der Straßenläden hängt. Dann denkt man sich, dass es schön ist, weil dieses Land auch ohne schlechte Nachrichten auskommen kann, mit denen man nichts anzufangen weiß, außer Heulen. Man weiß bei hundert Toten nicht mehr, was ein einziger ist. Weiß ich, was gerade in der Welt passiert. Sie geht unter, sie verbrennt, alles wie immer, was muss man da noch schreiben? Vielleicht was zur Endzeitstimmung und dem Wunsch einer jeden Generation, dass die Welt mit ihr zu Ende geht, weil sie nicht ertragen kann, dass sie das nicht tut. Sie dreht sich weiter, Tag für Tag, also genießen wir’s bis das Ding in die Luft fliegt und widmen uns den schönen Dingen des Lebens: Frühstück, allein mit Zeitung, ist eben eine Schwäche von mir, aber eine, die in der Tabacaria Monaco gekauft wurde. Die Zeitungen dort lesen sich besser. Es ist wunderbar an einem Morgen nach langer Zeit dort eine Zeitung zu kaufen und in der ersten Etage der Confeitaria Nacional zu sitzen und zu lesen und sich ein Croissant, Espresso, Butter, Rührei mit Schnittlauch und Orangensaft zu bestellen und durch die Fenster auf den Platz, mit der Reiterstatue, zu blicken. Sonniges Schweigen. Tauben grasen wie kleine Kühe im Wind. Penner liegen zwischendrin rum. Eine sehr braungebrannte Frau muss eilig irgendwohin. Ihr Schritt ist so schnell, dass sie selbst kaum mithalten kann. Was sie tut muss sehr wichtig sein. Vielleicht arbeitet sie für eine Zeitung oder ein französisches Arschloch, das mit Mietspekulationen sein Geld verdient. Cat könnte genauso farbvoll in der Sonne laufen, so braungrün und schwarz, sehr gesättigt, aber sie läuft nie so eilig irgendwohin, also schreibe ich über die. Nichts nervt, nur manche Zeitungsüberschriften und das Parkhaus und die Gedanken ans Einkaufszentrum, das aus dem ehemaligen Hotel Francfort entstehen soll und dieses fürchterliche Hotel, dass sie aus dem ehemaligen Hospital am Botto Machado machen und das nächste fürchterliche Hotel, das aus der ersten Etage dieser Confeitaria entstehen wird. Natürlich von Franzosen, den alten Baumeistern. Jetzt wird’s persönlich. Keiner mag euch, tut mir leid, aber man muss so schreiben, wie man hinter dem Rücken über andere redet, sonst ist es nichts. Ich bin ja auch Investor. Ich investiere in alte Cafés und halte die Bars am Leben, gehe in die dreckigsten Tascas, obwohl ich weiß, dass man stirbt, wenn man zu viel von denen isst. Jorge, der Schuhputzer, ist fast an ihnen gestorben. Manchmal gehe ich rein und bestelle einen Pfirsich, um ihnen das Wechselgeld dazulassen. Sie […]

TRIEST

TRIEST

Den Himmel stelle ich mir als eine Art Abend vor, auf der Terrasse des Caffè Specchi. Adriablaue Stunde mit Planetenlaternen und dem Caffè mit seinen leeren Tischen, roten Decken und goldenen Tischlampen. Ein bisschen Dunst. Ab und an kommt ein Kellner vorbei und bringt einen Drink und der Moment beginnt wie von vorn. Davor ein großer Platz, über den eine ältere Frau in Stöckelschuhen auf das Specchi zugeht. Sie geht durch das Licht von Lagerhallen und Palästen, das Licht einsamer Laternen am Kanal. Ihre Mantelbrosche funkelt und ihr weißes Haar weht in einem der Winde, Scirocco, Mistral, Bora, einen habe ich vergessen, ist aber der, der die Boote am Kanal aufscheucht und die eitlen Paläste dabei stört, sich im Wasser zu spiegeln. Glockenschlag! Die Stunde der Aperitifs ist gekommen. Das Vorspiel beginnt, die Erlebnisverlängerung, der Moment vor allen anderen Momenten. Passieren, das vor dem eigentlichen Passieren beginnt, einem Abendessen oder so. Es sind schwerelose Stunden, im Anzug, zur Feier des Lebens, wie es nur ein Land zwischen Nord und Süd hervorbringen kann. Triest, das war einmal, sagen die Leute. Ich find‘ es ist noch und wie. Helldunkelblaue Himmel, historische Gebäude, die von Männern gehalten werden, keinen Karyatiden. Man kann nichts mit diesen Häusern machen, aber die Häuser machen was mit einem. Es ist dasselbe, was auch ein schönes Café am Abend mit einem macht, wenn es leer wird und spät. Das Licht der Auslagen fällt aus Geschäften auf das Trottoir. In ihnen liegen schweren Bücher mit goldenen Titeln. Rumpelkammern der Geschichte sind das, verstummte Stücken Stadt. Postkarten von Toten. Vor Jahren kam mal der Brief eines Freundes. Er schrieb und schwärmte: Grüße aus Triest, sitze im Hotel Savoia und schaue aufs Meer und das Meer liegt da wie ein See. Die Bar ist schön und hoch und hat große Fenster, durch die wir die Leute beobachten und ihre Unterhaltungen nachsprechen könnten. Wie in alten Zeiten. Triest ist Espresso und Aperitif. Also ein guter Ort für das Leben und die Liebe. Die Stadt findet in Caffés und auf den Straßen statt, nicht zu Hause mit Möbeln. Die Alten gehen hier einmal täglich die Mole rauf ins Nichts. Warten, dass der Tag dort auf Abend trifft. Atmen den Abend ein und das alles, sehen die Stadt von weitem, das ganze Kleine, als großes Ganzes. So ein Blick auf Triest ist ein Blick auf jenen Bereich der Seele, wo alle Gewissheit schwindet. Das Slawen und Österreicher und Italiener so sind, wie man sagt, damit die Welt in uns passt, stimmt nicht, weil viele Österreicher Italiener sind und Slawen, und umgekehrt. Die Stadt wirkt wie eine Gemeinschaft aus Leuten, die gerne Kaffee trinken und eine Stadt gegründet haben, um sich nach dem Spaziergang auf Aperol zu treffen. Die ältere Frau hat den Mantel abgelegt, sitzt mit ihrem Mann hinten im Caffé. Sie sitzen da und trinken und besprechen die Lage. Danach Abendessen. So kann die Liebe zu Dauer werden. Nachts sitzen junge Verliebte auf Treppen. Stecken sich vorm Theater die Zunge rein, weil man das zuhause nicht darf. Zu Zahnspangenzeiten. Ist nicht schön anzusehen, aber schön. Junge Ärzte stehen vor Krankenhäusern am Telefon und versuchen ihr Liebesleben zu retten. Die Inhaberin des Lokals schickt ihren angestellten Sohn weg, weil der das ganze Wasser über den Tisch verteilt hat und im Kopf schon auf den Stufen eines Theaters sitzt. Sie ruft aus der Küche, er solle sich bloß fortscheren und das mit seiner Amore klären. Mir ist ein klitschnasser Sack tausendmal lieber, als jede mechanisch rationale Freundlichkeit der Schweiz. Die Menschen haben dafür einen Glanz im Gesicht. Das stand auch im Brief und das hier der Orient beginnt und Wind weht, aus der Levante […]