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BYND

Konstantin Arnold

HAUS DER HUREN

HAUS DER HUREN

In einer Zeit, die eine schwere Zeit war und vor einer sehr guten Zeit kam, verbrachten wir viele Abendstunden in einem alten Haus unten am Fluss. Das Haus stand in einer steilen Straße, gar nicht weit von uns, und viele Leute gingen daran vorbei ohne zu wissen, was es war oder sich überhaupt einen Gedanken zu machen, was es sein könnte oder was darin ist. Von außen war es heruntergekommen und manche sagten, es sei hässlich, aber das waren die gleichen, die dann sagten, auf die inneren Werte käme es an. Es sah vielleicht nicht aus wie ein Café auf Treppen bei Nacht, aber es wurde sehr schön älter und das meiste, was heute gebaut wurde, sah nur schön aus, solange es neu war, nicht, wenn es älter wurde. Es konnte nicht alt werden, weil es nicht schön war und das Haus war schön und wir mochten es mit jedem Tag mehr und manchmal, wenn wir in guten Zeiten da gewesen waren und es mochten, konnten wir uns nicht vorstellen, dass die Zeiten je wieder schlecht werden konnten, wenn sie einmal so gut waren und umgekehrt. Es schien immer unmöglich, dass es sich jemals wieder änderte. Für viele war das Haus also ein ganz normales altes Haus mit vielen geschlossenen Fenstern und zwei Laternen dran, die an den Wänden hingen und auf die späten Straßen schienen. Wenn Leute wussten, was es war und man sagte, dass man da gewesen ist, kamen die Leute näher und senkten ihre Stimmen und erzählten vorsichtig, wie es früher dort war und ob man wisse, wo man da gewesen wäre. Sie erzählten es immer mit einem Zwinkern und so, als ob beim Reden etwas davon kaputt gehen könnte. Die Leute erzählten sich viele Geschichten, aber nie eine, die so war wie es war. Denn das Haus war gar kein Puff, sondern eine Bar, in die man ging, wenn es sehr spät war und man in ein Restaurant gegangen ist und in eine andere Bar und dann in einen Club und immer noch niemanden abbekommen hatte. Man konnte auch sein eigenes Mädchen mitbringen und daran arbeiten, dass die Zeit wieder besser wurde oder eben schlechter. Alle Männer enden früher oder später an Theken. In guten und in schlechten Zeiten. Mit oder ohne Frauen, aber Männer ohne Frauen waren meistens unerträglich. Sie interessierte dann außer Frauen nur eins, nämlich nichts. Nicht mal schnelle Autos und wenn fuhren sie die ja nur wegen den Frauen. Sie ließen die Abende so lange Nächte werden, bis daraus wieder Tage wurden, mehr nicht. Trotzdem war es sehr schön wieder Menschen an Tischen sitzen zu sehen oder an Theken stehen, die sich unterhalten und die etwas hatten, über das sie sich unterhalten konnten. Hinter der Theke stand Paulo, aber alle nannten ihn nur wie den Schriftsteller Coelho, wir riefen Paulo Coelho, bring uns doch bitte noch zwei. Er war ein wunderbar freundlicher alter Mann, der sich von Haferflocken ernährte und ein sorgfältiges Leben führte, das sah man an seiner Haut und wie er redete und sich bewegte und nie hätte man gedacht, das er sowas machen konnte oder auch nur irgendwas damit zu hatte. Aber die vielen Nächte und die wenigen Tage machten […]

ALLNACHT

ALLNACHT

Einen Tag, bevor mein Vater starb, ging ich essen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Es ist eine Feststellung, wie dass das Wetter schlecht ist. Man denkt, man müsste was fühlen oder was sagen, sagt und fühlt aber nichts. Wir kannten uns nicht. Vielleicht zwei, dreimal gesehen, also keine emotionale Beziehung, nur eine höhere, die mir am Abend vorher sagte, dass er morgen dann tot ist. Ich stand im Bairro Alto und schrieb mir das auf. Ansonsten gibt es keine schönen Momente, die jetzt in mir wehtun. Auch keine schlechten. Ich spüre ein paar Worte mit F, viele mit V, und eins mit D. Frieden, Verständnis, Versöhnung, Vergebung, keinen Vorwurf und Dankbarkeit. Von Menschen, die ihn kannten, hör ich, was er nicht für ein Kerl gewesen ist, bevor er eben wurde, wie er war. Tarzan nannten sie ihn. Er konnte Sachen bauen und Sachen kaputtschlagen und sah aus wie ein deutscher Adriano Celentano. Die Weiber werden heute noch feucht und Männer ballen die Fäuste. Das macht mich stolz. Er schien unsterblich. Weine ich deswegen? Sie sagten, er konnte einen Amboss alleine heben und zog die Menschen an wie Fliegen. Es dauert keine Minute und Fremde schütten ihm ihr Herz aus, bis ins letzte Kästchen. Seine raue und bereite Art gab seiner Sensibilität eine Kraft. Dieselbe Kraft sehen sie in mir, sagen sie, um mich zu trösten. Er wäre genauso unterwegs gewesen, jeden Tag, am Anfang mit dem Motorrad, dann dem Fahrrad, am Ende auf Krücken und als er nicht mehr auf Krücken unterwegs sein konnte, wollte er sterben. Nein, er wollte nicht sterben, er wollte nicht ohne Beine leben. Hat er sich deshalb nicht behandeln lassen? Wie will ein Getriebener denn ohne Beine die Welt sehen? Sein zuhause weit weg von zuhause finden? Und wie er die Welt sehen wollte, so wie er wollte und nie durfte, weil das damals in Deutschland eben so war, für Leute, die nicht wie andere Leute waren. Er wollte aus dem Staat in die Welt und weil er das nicht konnte, hat er die Welt zu sich in den Kopf geholt. Irgendwann ist er damit durchgebrannt, wie eine Birne, die ständig benutzt wird. Meine Mutter erklärt mir dann immer wieso das mit ihm so war und wieso das mit mir nie so werden wird. Das ist nett. Man sagt, die Russen hätten vor seinen Augen die Großeltern erschossen, sein Vater hätte Malaria aus dem Weltkrieg mitgebracht und Geheimnisse, die er mit niemandem teilen konnte. Ich hätte die guten Seiten von ihm geerbt und wir hätten die gleichen Tischmanieren, obwohl wir nie zusammen aßen und beide essen wir am liebsten mit einem ordentlichen Muskelkater. Um mir seine Liebe zu zeigen, schenkte er mir ml ein Messer. Das war seine Sprache, etwas auszudrücken, so wie Caravaggio seine hatte, dessen Bilder wir, laut den Leuten, beide liebten. Ich verstand diesen Liebesbeweis gut. Er war ein Naturmensch. Einmal ist er mit dem Motorrad vor einen Lastwagen geknallt, beim Bergabfahren. Er hat sich noch vor den Sanitätern in den Wald gerettet, um seine eingeschmetterte Gesichtshälfte mit Quellwasser und Kräutern zu kurieren. Zu meiner Geburt war er nicht da, weil die nicht im Wald war. Er kam erst als das Krankenhaus schloss und fuhr mit einer zehn Meter Leiter am Hals Motorrad, um einzubrechen. Meine Mutter lag im zweiten Stock. Zu seiner Beerdigung gehe also auch nicht, er wird’s mir verzeihen, genauso wie ich ihm verziehen habe, mein Leben lang. Hätte mein Alter nur einmal den Tejo gesehen, denkt man dann. Diese Weite, die man nur in Ländern sieht, in denen die Sonne über dem Meer untergeht. Manchmal, wenn ich in Lissabon einen Typen mit Alditüten am Fahrrad sehe, denke ich, für einen Augenblick, er wäre jetzt hier. Ist mit den Alditüten und einer Bayernmütze aus Deutschland mit dem Fahrrad hergefahren, um mich zu sehen. Zu zutrauen wärs ihm, auch aus dem Jenseits. Er liebte die schönsten dummen Dinge der Welt. Sprang gerne bei 80 vom Motorrad oder sprang Ski. Er rauchte Zigarren und war in irgendwas Weltmeister. Ich konnte nie so viel Mist machen. Normalerweise passt der Vater dann auf einen auf und dann man selbst, aber ich musste immer schon selbst auf mich aufpassen. Übernehme seitjeher so viel Verantwortung wie möglich, für mich und mein Leben, das ich von ihm bekommen habe. Erziehung ist scheint für mich wie Weinmachen. Auf die […]

IM HOTEL AM NACHMITTAG

IM HOTEL AM NACHMITTAG

Ich fürchte die Zukunft nicht. Sie wird ja Gegenwart bevor sie uns trifft. Da ist nur eine Angst, neben all den anderen und der, diese Geschichte jetzt durch Schreiben zu versauen. Eines Tages in diese Stadt zu kommen an einem Regentag, im November, und nicht mehr hier zu sein, nicht mehr der zu sein, nicht mehr zu sein, als ein einsamer Mann mit Mantel. Eine große, gescheiterte Liebe später, vor beschlagenen Caféfenstern, hinter denen jetzt ein Inder ist und alle Kellner, die man kannte, tot. Oben in Sapadores oder unter vor der Santo Estêvão, inmitten von allem, aber kein Teil davon, von der Seele, den neuen Häusern, und Menschen, die jetzt hier leben. Es geht weiter durch Gassen, die die beiden Plätze verbinden. Noch ein Lokal, eins, dass es noch gibt. Drinnen gemütlich und warm. Man steht vor den Fenstern, den Kopf in den Kragen gehüllt, sieht Menschen an Tischen sitzen, reden, lachen, lautlos durch Glas, wie durch die Erinnerung gesehen. Den eigentlichen Wert von etwas erkennt man erst, wenn man ihn rückwärts im Regen durch Glas betrachtet hat. Kein Gefühl des Versagens, kein Unheil, keine Erwartung dringt ein. Keiner muss keinem was beweisen, nicht mal sich selbst. Man sieht sich im Fenster, im Regen, nicht in allem und jedem. Denkt nicht über Gedanken nach, bevor man sie hat. Hat sich schon an alles gewöhnt, nur an die Liebe, an Lissabon nicht. Tritt aufs Pflaster, aber der Boden verbindet sich nicht. Doch noch ein alter Bekannter, der einen kennt und fragt wie es geht, und was nur los gewesen ist. Ein Beweis, dass es uns gab. Ein Mütterchen erkennt einen wieder, der Fleischer grüßt doch noch, der Laden, in den wir gerne gingen, ist zu. Es gibt jetzt andere Läden, mit anderen Menschen. Man hört Schiffe kommen, wie immer die Glocken der São Vicente dreimal, Möwengeschrei. Eins mit fünf Segeln steht im Hafen, an den Masten wurden Lichterketten angebracht. Kastanienrauch liegt in der Luft dieser Zeit. Man sieht die Welt und sieht, dass die Welt noch gut ist, sich aber ohne einen weitergedreht hat. Die besten Sommertage waren immer die im Herbst, der Fluss himmelblau, silbrig, ich hoffe nur, dass das jeden Tag jemand sieht. Die Dachziegel rot und übereinandergestapelt. Das kann man doch nicht einfach so ungeschrieben stehen lassen. Den Charme der Denkmäler, die Klarheit der Kontur, die Weichheit des Ganzen, das Auseinandergehören der Töne im Licht. Alle Erinnerungen an alle Zeiten, die wir hatten und nicht halten konnten, die uns vergingen, wie ein schöner Tag im Herbst. Ich sehe ihren Wert davon ganz klar, ohne dass wir ihn verloren hätten. Es ist mehr die Erinnerung eines Verlusts, als der Verlust selbst. All die Straßen und Plätze über die ich ging, mit dir und ohne dich, vor dir, nur nicht danach, nirgendwohin. Die Versprechen, die ich dir gab, die Hoffnungen, die wir teilten, Reste von Träumen in den Straßen der Stadt. Eine unerreichbare Welt in die Zeit zurück. Ich lebe besser hier, als woanders zu sterben. Das soll nicht sagen, wie egal mir das Leben ist, das zeigt, welchen Wert diese Stadt in mir hat. Es gibt nichts Vergleichbares, außer sie und nichts, was sich besser mit ihr vergleichen ließe, als diese Stadt. Durch sie habe ich […]

MILANO

MILANO

Endlich Sonne in Mailand. Lebensmittelpunkt Mode. Prada, Penner und Espresso. Einkaufen und sich betrinken und endlich diese Pizzadinger von denen Alle reden. Die kalte Luft der Berge verwirrt im Tal. Die Elektrischen fahren gerade irgendwohin. Herbstlich herrlich. Es wird dunkel, lange bevor die Tage zu Ende sind und angenehm auf der Via Alessandro Manzoni, sobald die letzten Modepuppen geschafft aus Geschäften kommen und ihre Einkäufe nachhause schleppen oder schleppen lassen. Das stille Licht der Auslagen fällt leise auf das Pflaster und man schlendert eingeharkt, den Kopf im Kragen, an den Schaufenstern vorbei, wirft, von seinem Glück aus, einen Blick rein, in die Welt der toten Dinge. Es ist schön jung und verliebt in einer anderen Stadt zu sein, ohne sich was kaufen zu müssen. Mein erstes richtiges Mal hier, denn beim ersten Mal, wusste ich noch nicht, wer Puccini ist, Verdi und Antonio Mancini, der das das Aristokratenpack wenigstens in Tränen malt. Ich hatte nur Augen für brave Mailänder Mädchen, dünn und blass, von Beruf Tochter. Ich erinnere mich an eine und den Regen, eine semitransparente Gardine, den Nebel und den Park, den ich von meinem Fenster im Nebel sehen konnte. Heute strahlt der Park im letzten Licht und heißt Giardini Indro Montanelli. Wir gehen gerade durch. Von hier aus weiter bis zum Duomo, auf dem in meiner Erinnerung immer einer Nothing else Matters spielt. Schlendernd durch die Galeria und Caffee bei Camparino im Stehen. Ich weiß jetzt, dass das die Scala ist und die Galeria Vittorio Emanuele heißt. Ich gehe frühs zu Cova und schreibe Briefe. Mittagsessen Milanese. Tragische, schöne Schwere. Im Innenhof stehen Maulbeerbäume und keine Bäume mehr. Ich reduziere die Stadt nicht nur auf Mädchen, die gut gekleidet durch schlechtes Wetter gehen und ihre Einkäufe tragen (lassen). Ich habe den Platz mit dem Leonardo gesehen. Mit einer Frau. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Mailand ist jetzt mehr,  außerdem habe ich Hemingways Farewell to Arms gelesen. Mailand ist jetzt mehr, und Stresa ist wie Mailand mit Meer. Nördliche Tristesse mit südlichem Charme. Am Bahnhof sind drei Schilder, das muss ich erzählen. Eins für die Bar, eins zur Toilette und das, auf dem Uscita steht, zeigt einen Menschen, der sitzt und liest. Über ihm hängt eine Uhr. Irgendwie find ich das schön. Alles ist geordnet und pünktlich, meine Freundin kann nicht glauben, dass das dasselbe Land ist, in dem auch Neapel liegt. 14 Uhr ist aber auch hier immer noch ein guter Morgen. Und wenn man einen Teller Tagliatelle bestellt und dazu Tomaten will, hat man den Tomatensalat, und wenn man nach der Weinkarte fragt, gleich Wein, vier Flaschen, und sein Croissant warm zum Kaffee möchte, kein Croissant, keinen Kaffee, keine Museumstickets, obwohl man doch vor Wochen welche reservieren ließ und auch keine Badehose an, ich gebe auf. Man kann die italienische Art zu kommunizieren, nicht so beschreiben, dass man sieht versteht, denn man versteht sie nicht. Sie führt nirgendwohin. Wir kommen deswegen mindestes genauso kompliziert an wie Hemingway. Einen verpassten Zug später und ein paar Mal falsch umgestiegen, fertig ist der Streit. Ich meinte, ich könnte die Karte besser lesen und dann die Explosion. Stimmung wie nach einer Atombombe. Man hat das Gefühl, das man hat, wenn man durch Orte geht, die sonst sehr belebt sind. Der Rummelplatz ist tot und nass und unheimlich. Aber mit Hass und Wut lässt sich das Gepäck leichter zum Hotel schleppen […]

TERTULIA

TERTULIA

An einem feuchtkalten Januartag im Juni, es war zum Zerreißen kalt, tritt nach durchzechter Nacht, frühmorgens, eine Gruppe Männer in das Lokal, und verlangt nach Kaffee. Sie sehen fertig aus und stinken, riechen das aber nicht. Ihre Anzüge sind geknittert. Der Rest ist von Leidenschaften verzehrt. Von einem Leben, davon, dass sie für all die Momente kämpfen, die in Schönheit und Wahrheit alles überstrahlen und davon, dass sie davon keinem erzählen können, außer denen, die es mit ihnen erleben. Leidenschaft ist vielleicht das schönste Deutsche Wort, das es gibt, auch wenn es nicht so klingt, aber wenn alles in ihnen klar wäre, wären sie dann um diese Zeit ins Lokal kommen? Würden sie ihre Frauen lieben und ihnen alles geben, das Glück, genauso wie das Unglück, das dafür nötig ist. Diese Männer stehen in Verbindung mit ihrem Innersten, ihren Gefühlen und Gedanken und sie kämpfen damit. Sie können nicht anders. Sie müssen es tun und damit ist ihnen genüge getan. Weil sie es tun mussten. Bis hierhin ist der Anfang schon mal schön und gut und geklaut, so schön und gut, dass ich ihn nicht einfach so ungeklaut stehen lassen konnte. Wer auch immer ihn geschrieben hat, hat ihn einfach so stehen lassen und nichts daraus gemacht. Vielleicht hat er ihn aber auch gar nicht selbst geschrieben, sondern auch selbst geklaut und dann stehen lassen. Jetzt gehört er mir, ist mein Text. Vielleicht ist es schon immer meiner gewesen und ich habe nur vergessen, dass ich ihn geschrieben habe. Jedenfalls mache ich was draus, wobei der Anfang so gut ist, dass danach eigentlich gar nichts mehr kommen braucht. Die nächtliche Vergänglichkeit führt sie in eine Bar, dorthin, wo die kleinen Gassen auf großen Plätzen enden. Die Häuser fallen übereinander her. Verträumt blickt die Straße zum Fluss. Portugal hat die Weltkugel auf der Fahne und Melancholie in der Brust. Träume und Trauer. Vor allem morgens, wenn die Zeit stillsteht. Schon mal aufgefallen? Die älteste Nation Europas leidet am Herzweh einer mysteriösen Multiplikation von Gefühlen. Sie leidet nicht am Leid, sie genießt es, erfreut sich daran. Schweigt, steht an Theken und wandert mit den Blicken in die Ferne zur Theke und wieder zurück. Denkt, das blauste Meerwasser ist immer noch uns und wir haben China missioniert, Lissabon erbaut und gehalten, Priester nach Tibet geschickt, das Christentum bis nach Japan geschifft, Märtyrer geschaffen, die Europameisterschaft gewonnen, starke Frauen gezeugt, Brasilien regiert, die ganze Südhalbkugel portugiesisch sprechen lassen, mit Zucker gehandelt, Gewürzen, Menschenleben und Gold. Kaffee kostet hier immer noch 60 Cent und man ist da stolz drauf, wie auf den Largo do Carmo, der jetzt still und friedlich im Zentrum liegt, wie eine Dorf. Jacarandablüten fallen heute noch wie Bomben auf den Platz und verzaubern die Umgebung. Der süßen Seite der Wehmut steht das bittere Erkennen der Realität gegenüber. Ruinen. Die Dinge sind nicht mehr so wie sie sind, man kann sie nicht ändern und hat deshalb Poesie draus gemacht. Dichtet, bis alles verloren ist, aber so lang wird die Gruppe Männer nicht bleiben. Sie sind gekommen, um zu reden, miteinander, von sich, einer von ihnen bin ich […]

AMALFI

AMALFI

Am Ende jenes Sommers wohnten wir auf einem Berg in einem Dorf, das auf viele andere Dörfer hinunterblickte. Der Berg war hoch und das Meer unerreichbar und keine Stufen führten zum Meer, die man gehen konnte. Enge Straßen liefen entlang der Weintrassen von den Dörfern zum Meer und man sah die Busen und Buchten, mit den Straßen, die sich in die Ferne schwangen, wie ein romantisches Vergehen. Man konnte Capri sehen und das Meer mit seinen Inseln und Booten drauf, den ganzen gigantischen Golf bis zum Vesuv. Ein Ende lag in der Luft. Herbst und Stille, die nach Grünzeug roch, das in der kühlen Dämmerung bewässert wurde. Das Grün hatte viele Farben. Manches war jung und fickrig, wie nach einem Vulkanausbruch, anderes sah tausend Jahre alt aus. Eine Allee, von Steinmauern gesäumt, führte durch den Garten, bis alles am Ende die Klippen hinabstürzte. Die Menschen nannten das Ende Kap und sahen von hier auf die Welt und sahen, dass die Welt doch gut ist. Ihre Sehnsucht überlebt in den Ruinen der Antike. Hier schien man dem Himmel am nächsten. Man berührte ihn fast. Man konnte Göttern glauben, wieso auch nicht? Das Ende des Kaps sah aus wie der Olymp, oder was man sich unter Olymp vorstellte, wenn man mal durch Homers Odyssee geblättert hat. Dort standen schöne Sirenen mit geflochtenen Haaren und entschlossenen Gesichtern. Sie trugen hellenische Kleider. Der Anblick des Meeres hatte ihnen die Augen blau gefärbt und Araber, die im Hafen mit ihren Müttern verkehrten, schenkten ihnen schwarze Haare mit dunkelblonder Haut. Sie heißen Serena oder Gaia, und wollen heute nicht, dass man Kriege für sie führt, nur, dass man sie kurz vor dem Ausblick fürs Internet fotografiert. Ansonsten wussten man in jenen Tagen nicht, welches Jahrhundert gerade war und wie spät und welche Epoche. Die Tage fühlten sich an, wie Catel und Schinkel sie gemalt hatten. Wie ein Moment, den aufhalten kann, bevor er vergeht. Die vielen steilen Treppen hielten die vielen dicken Amerikaner fern und nur manchmal sah man einen Buntangezogenen, der durch die Zeitlosigkeit unseres Gartens ging, wie ein Boxsack mit Datum dran. Wir hatten keine Zeit, denn es gab keine. Der einzige Termin wars Frühstück, bis 11 oder wenn wir uns einen Tisch reservieren ließen oder ein Boot. Wir schwammen weit raus und sprangen von hohen Felsen ins Meer und das Meer stand ihr ausgezeichnet. Sie konnte darin schwimmen, wie die Versuchung in La Piscine von Jacques Deray. Die anderen Frauen in den Cafés lobten ihre Bräune und ihren Schmuck und wie sie schwamm. Wir standen nach dem Schwimmen mit ihnen am Tresen und tranken Café und sprachen über die Küste und ihre Bräune. Ich fragte die Frauen, was sie früher, ohne ihre Telefone, am Meer getrieben hätten und eine sagte, Shoppen, Kreuzworträtsel oder sie ließen sich scheiden. Das Savoy war ein gutes Café und man konnte hier stehen und bezahlte normale Preise. Einmal bezahlten wir nichts. Manchmal zogen Gewitter auf und brachten Regen, aber der konnte dem Wetter nichts. Er hatte nicht die gleiche traurige Wirkung. Erst kam der Wind und dann die Wolken, die den Regen von den höheren Bergen im Süden brachten. Die Boote flohen in ihr Häfen und zogen weiße Linien im Blau, die dann in der Strömung zurückblieben, wie die Spur einer Erinnerung. Wir kannten solchen Regen nicht. Er war gnädig und nahm nicht die gesamte Farbe des Himmels in Anspruch, und war auch schon wieder vorbei. Für einen Moment sah die Welt nun aus, wie ein Glas Rosé, das man gegen den Himmel hält. Alles war still und die Dinge glühten noch. Die Nacht kam aus den Tälern und man sah, wo noch überall Häuser waren. Sie schienen einsam und allein in den Bergen wie Sterne oder flimmerten in fernen Buchten über dem Meer. Andere Gewitter verschonten die Tage und kamen bei Nacht. Die waren heftig und blieben lange und die Welt wurde so nass, dass man dachte, sie würde nie wieder trocken werden. Man wurde wach, wenn der Regen durch die offenen Fenster ins Zimmer fiel. Einer von uns musste dann auf die Terrasse, immer ich, und ich sah raus und spürte die Hitze und sah die Gärten mit den Kieswegen unter mir, schön und grün und nass, und das Meer im Mondlicht. In diesen Nächten, im Hotel, in unserem Zimmer, dem Gewitter draußen, und uns im Bett, nachdem man sich von einem bestimmten Gefühl befreit hatte, allen Zweifeln, und den leeren Gängen und dem Jaguar vor der Tür, wurde man wieder gläubig […]

TRAGÖDIE

TRAGÖDIE

Manche Parks gehen abends, andere frühs. Der Torel ist so ein Abendpark, ist aber immer zu und am Nachmittag kann man da nicht hin, weil dann alle hingehen. Nachmittags geht man besser in den Botto Machado und frühs in den Jardim do Campo de Santana so wie alle alte Männer mit Tageszeitungen, die sich gut gekämmt auf eine Bank setzen und gucken, was passiert. Wir waren aber neulich auch abends da, weil der Torel zu war und das ging auch. Auch ohne Tageszeitung. Den Park kann man einfach nicht abschließen. Wir standen in einer Gruppe zusammen und einige saßen auch auf den Lehnen der Holzbänke oder auf den Treppen, weil die vom Tag noch schön warm waren. Wind wehte. Es war kalt, aber wir hatten genug getrunken und das Trinken und die Treppen fühlten sich an wie heißer Sand, auf den man seine Haut am Strand gern legte. Die Bäuche waren voll, denn wir kamen von einem schönen Dinner im Zé de Mouraria II, das so gut läuft, weil das Mittagessen im Zé de Mouraria I so lange so verdammt gut gelaufen ist, dass sie ein zweites Lokal aufmachen konnten. Man kann nicht malen, wie wir da gerade gegessen hatten. Der Tisch sah nach dem Essen aus, wie ein Gemälde. Wir kamen rein und Duarte rief gleich den Kellner, Maestre, rief er und fragte, was er dahat. Er wusste, was er will. Carapauzinhos fritos und Tomatenreis und dann Schokoladenmus mit Kaffee und einer Träne Whiskey. Er prüfte das Lokal nach allen Regeln der Kunst. Schaute auf die Öffnungszeiten, sagte gut, samstags nur bis zum Mittag geöffnet, sonntags zu, montags keinen Fisch. Immerhin. Ich sagte doch, er könne mir vertrauen, aber er vertraute keinem Deutschen, der ihm Lokale zeigt. Er war auf dem Hinweg deswegen ganz nervös und aufgeregt gewesen und sein Fado oder Stierkampfkumpel, konnte mich nicht ausstehen. Wieso lassen wir uns von einem Deutschen Plätze und Lokale zeigen, sagte er zu Duarte auf Portugiesisch und dachte, dass ich das nicht gehört hätte, aber ich konnte es hören. Die vielen portugiesischen Gespräche, an denen ich teilnahm, aber nicht mitreden konnte, hatten mir das Zuhören beigebracht. Er war ein sehr bekannter Sänger oder Stierkämpfer oder beides und er stand unter Druck. Er mochte es ganz und gar nicht, dass ich ihn nicht kannte, denn jeder kennt ihn, sagte Duarte und als wir in das Lokal kamen, kannte ihn jeder. Er hatte das Alibi des Gewesenen an sich und hielt sich für den Beschützer einer verlorenen Zeit. Beim Essen erzählte er von glorreichen Donnerstagnächten im Campo Pequeno. Sein Hemd stand dabei weit offen, noch weiter als meins und ich sagte, dass ich das sehen kann. Was, fragte er? Das Hemd und ob es mit Absicht so weit offen ist oder mit Absicht unbeabsichtigt. Man muss so viele offenen Knöpfen schon tragen können. Und wie er sie tragen konnte, als er aufstand und seinen Fado sang und ich seine Rotweinzähne sehen konnte.  Er war ein guter Mann, der nicht schlecht über Frauen redete und nicht davon redete wie viele er gehabt hatte. Man konnte ihm jedoch nichts von Liebe erzählen oder man konnte es schon, aber man bekam dafür keine Anerkennung, nur Sprüche, Phrasen, Ironie, weil er es selbst nicht hatte und haben wollte oder hatte, aber in scheiße und deswegen konnte er es nicht hören, weil er es nicht verstand, vielleicht irgendwo in sich drin, aber dafür war ich zu schwach. Am Ende waren die Jungs total begeistert vom Essen, weil das Brot warm, der Wein gut, der Käse deftig, die Oliven purpurn waren. Der Fadosänger machte sogar Fotos mit mir und fragte, ob ich noch eine Bar kenne, die aufhat und ich sagte, ich kenne zwei. In die eine kann ich nicht und an die andere […]

OHNE GRUND

OHNE GRUND

Es war schön, einen Grund zu haben, frühmorgens durch den Jardim Maîtres da Patria gehen zu müssen, aber es gab kaum einen und niemand, den ich kannte lebte da oder dahinter, also kein Weg führte daran vorbei und keine Lokale, in die wir gingen oder sonst irgendwer gehen konnte, schon gar nicht zu dieser Zeit. Man konnte ja morgens nicht einfach ohne Grund aus dem Haus, bis zum Maîtres da Patria, um Kaffee in der Sonne zu saufen und sich über die Enten zu freuen, die in den beiden Teichen des Parks ihr Zuhause hatten, so wie man es machte, wenn man in die medizinische Fakultät musste, die hinter dem Park lag, um sich auf die Seuche testen zu lassen. Das war so ein Grund und wir wussten es zu schätzen, Sachen auf Wegen zu erledigen, die andere zum Spazieren benutzten und den Park zu sehen, auch wenn das kein guter Grund gewesen war. Andere Orte hatten bessere Gründe, um zu einer Zeit an ihnen zu sein, zu der man sonst nie an ihnen gewesen wäre. Gerade die Baixa. Man konnte da gut was besorgen gehen und auch gut hingehen, wenn man nichts zu besorgen hatte. Man konnte sich die Schuhe wichsen lassen, wenn man welche hatte, die sich wichsen ließen oder eine Morgenausgabe kaufen, wenn man für eine von denen Zeitung schrieb, die der Kiosk daliegen hatte. Man konnte auch Interviews geben, wenn man jemanden kannte, der einen was fragen wollte und am nächsten Tag dann gleich nochmal hin, um in den Morgenausgaben zu lesen, was man nie so gesagt hatte. Aber das kam eigentlich nur einmal vor, in der Zeit, als die internationalen Zeitungen, wegen Schnees in Madrid, nicht in Lissabon ankamen und der Bauch von Jorge explodierte, weil der nie richtig aß, hatten die anderen Schuhputzer gesagt. Zu viel Wein auf leeren Magen, das räche sich halt irgendwann, hatten sie gesagt. Auf jeden Fall kam man hierher, um frühe Frauen zu treffen, die in schönen Kleidern, vor einem geschäftigen Hintergrund, in Cafés saßen und mit anderen frühen Frauen was Eiliges zu besprechen hatten, bevor sie in Kanzleien stiegen oder in Flugzeuge oder in der Stripshow auftraten, die oben am Bogen zum Rossio lag. Ganz im Schatten der Unterstadt, in deren Schluchten immer noch die letzten Reste der Nacht hängen und von Straßenfegern entsorgt werden müssen. Die ganze Angst und das bisschen Rettung, durch die Strahlen eines neuen Tages, der langsam durch die müden Wolken scheint. Kellner stellen Stühle raus. Menschen müssen irgendwo hin und die Eiligkeit steht ihnen, vor der Arbeit, wenn sie noch frisch sind. Sie eilen durch schöne Parks und über weiße Plätze, bevor sich die endlose Kette der Ereignisse in Gang setzt und alle zu spät kommen lässt. Einen nach dem anderen, der wegen dem einen dann den anderen sitzen ließ und der eine, nicht früher zum anderen konnte, weil der zu spät gewesen war, blablabla. Man muss sich die Zeit nehmen, man hat sie nicht und kann nicht am Leben vorbeirennen, wie es sich bietet. Es hat einen Anspruch darauf gelebt zu werden. Oh ich hoffe, dass meine Freundin mich Portugiesisch macht, bevor ich sie Deutsch machen kann. Denn trotz den Gesprächen mit Kellnern und Straßenmenschen komme ich nie zu spät, nirgendwohin, weil ich keine Termine habe. Jacke chronisch über die Schulter geworfen (immer eine dabei). Nicht mal, wenn ich irgendwo hinmuss und spät dran bin und die Jacke am Finger trage und einer ruft: Òla Konstantino, como e que? Pedro aus dem Garaffenladen oder Antonio unter den Arkaden. Die Kellnerinnen der Tendinha oder die Fleischerjungs, aber die kennen meinen Namen nicht, die rufen nur. Am schönsten ist es, wenn die Kellnerinnen rufen, Konstantino querido rufen die dann, Já comeste pequeno-almoço, ob ich schon gefrühstückt habe und ich sage nein und sie rufen, komm her, wir braten dir ein Ei. Das sind so herzliche Frauen und das Highlight ihrer Tage ist, sie im Kalender durchzustreichen oder mir ein Ei zu braten. Sie fragen dann, ob ich wüsste, welchen Tag wir heute haben, damit sie ihn durchstreichen können und ich sage nein. Sie wissen es genau, aber sie wollen es genauer wissen und gehen raus und fragen besser noch mal nach. So ist Lissabon […]

ANFÄNGER

ANFÄNGER

Ich kann meine Erfahrungen nicht mehr auseinanderhalten, sie Menschen und Momenten zu ordnen. Zeit und Ort mit Erlebtem versehen, wie bei einem Dokument, das in Erinnerungen abgeheftet wird oder als kleines privates Abenteuer, das nie gesagt, aber geschrieben wurde. Man kann die Dinge nicht einfach so schreiben, selbst auf Bildern verschwimmen sie, greifen von der Stadt einer Erfahrung in die nächste über. Und wenn man sie dann schreibt, um den Menschen davon zu berichten und sie von einander fern zu halten, kann man sie nicht schreiben, ohne emotionales Zeug dran, mit dem sich die Leute selber infizieren, die das lesen. Sowas wie Tod, kennt jeder oder hat zumindest schon mal davon gehört, wie man von einer Fernreise hört, die jemand macht, den man gut kennt und das Gefühl auslöst, selbst am Balkonfenster dieses Hotels zu stehen und in die heißen Straßen zu blicken, obwohl man hiergeblieben ist. Sind ja schon dümmere vor uns gestorben. Aber keine Angst, die Mission hält uns am Leben. Vom allgemeinen zum speziellen bedeutet das: Die guten Zeiten bringen uns um. Wir sind am Ende dieser Geschichte so fertig, dass wir zehn Stunden schlafen und immer noch fertig sind. Die Tage hatten nie genug Stunden und die Nächte waren kurz. Wir wollten ja ins Bett, aber natürlich raucht und trinkt man noch einen mit, stirbt ein bisschen mehr, besonders, wenn man selbst der Grund fürs Trinken ist. Ich glaube, ich kann meine Leber fühlen, weiß jetzt genau wo sie sitzt. Aber vielleicht ist das gar nicht die Leber, das wäre schön. Mein Problem? Ich kann keine Mahlzeiten mit Menschen zu mir nehmen, die mir was bedeuten, ohne Wein. Sie wollen, dass wir trinken und sie wollen, dass wir rauchen, ohne rauchen und trinken zu müssen. Eine, und noch eine, einen nach dem anderen, weiter, immer weiter, mehr und mehr, immer leichter wird es schwer, so wie bei Stierkämpfern, die sich immer näher an den Tod heranwagen müssen, weil sich die Menschen einfach an alles gewöhnen, an das Schlechte, und auch an das Gute, daran, dass man fressen kann, ohne fett zu werden, dem Tod von der Schippe springt. Haben wir das Spiel zu weit getrieben? Die Verzeihung der Jugend verzockt? Intensität und Genuss, ohne die Gefahr eines drohenden Krieges. Gar kein schlechter Organismus, ich weiß, bin Zeuge meiner eigenen Empfängnis geworden. Man darf das nicht tun, nur weil es ein Klischee ist, aber man darf das auch nicht nicht tun, nur weil es eins ist. Man trinkt und raucht nicht auf seiner Lesung, um einem Ideal näher zu kommen oder einer Geschichte, die man selbst von sich geschrieben hat, sondern um sich festzuhalten, wie an einem Geländer. In Wien werden Legenden so Wirklichkeit, in Paris ist das umgedreht und in Zürich hat es nie Legenden gegeben. Man steht da, verabschiedet sich und jeder geht in seine Stadt. Die Ländergrenzen verschwimmen zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf und hört das eine überhaupt auf oder fängt das andere nur an? Siehst du, wir können ja nicht mal vom selben Land reden, wenn wir vom gleichen sprechen. Vier Flüge, acht Züge und weiß ich wie viele Taxifahrten später. Wo ist eigentlich mein Handy? Wenn man in drei Wochen drei Opernhäuser sieht, macht das was mit einem. Die kleineren Städte und München gar nicht mitgezählt. Die Münchner Oper wäre in Paris oder Wien ein Schuppen, in den man Dinge stellt, die man nicht braucht, aber auch nicht entsorgen kann, weil man sie von einem Arschloch bekommen hat, das das ganz genau wusste. Ach es war doch ein sorgloser Sommer. Wir fickten, als ob es keine Kinder gäbe. Fuhren von Stadt zu Stadt, Freunden zu Freunden, und den Freunden, zu denen wir fuhren, waren die Freunde, von denen wir kamen, total egal. Wir sprachen Englisch in vielen verschiedenen Sprachen und wie die Leute mit uns Englisch sprachen, verriet uns viel über die Sprache, in der sie es sprechen konnten. Wir wohnten in guten Hotels, besuchten Museen, liefen durch Parks, saßen in Cafés, standen an Kästners Grab und wollten Wein draufkippen, hatten aber keinen dabei. Wir waren jung und frei und froh, bis auf die Probleme der Vorstellungskraft, die wir uns selber machten. Richtige Probleme hatten wir nicht, obwohl die nie so schlimm gewesen wären, wie die, die wir uns selber machten […]

PARIS

PARIS

Die romantischste Stadt der Welt ist für uns eine Notlösung. Nur Mittel zum Zweck. Erst Neulich, weil wir unseren Flug in Rom verpassten und der nächste zwölf Stunden Aufenthalt in Charles de Gaulle hatte und jetzt wieder, weil wir in Lissabon leben und nach Deutschland mussten und die Deutschen denken, dass Portugal von Mutanten regiert wird. Also konnten wir nicht direkt fliegen, sondern nur bis Paris, um dann wie internationale Haftbefehle heimlich mit dem Zug einzureisen. Das erste Mal Paris war eigentlich ganz schön. Jardin du Luxembourg, früh am Morgen, metallischer Regenhimmel, typisch Paris. Beim zweiten Mal war es genauso nur noch mit Wind und all den Erwartungen, die wir beim ersten Mal nicht hatten, weil ich beim ersten Mal dachte, dass es sowieso scheiße wird, sobald ich meine angelesene Phantasie von der Stadt mit ihrer Realität vergleiche. Aber so war es nicht und diesmal konnten wir mit unseren angefangenen Erinnerungen weitermachen. Oder eben nicht. Man kann bei all den Erwartungen, die Paris aufspannen fast nur eine Scheißzeit haben, gerade als Liebespaar, und vor allem als Autor. Es fühlt sich komisch an, Autor in Paris zu sein, und dazu noch Verliebter. Ich könnte das nie länger als ein paar Tage durchhalten. Da wären zum einen die Frauen, die viel zu direkt sind. Der französische Weg ist ein direkter Weg zu den Ursprüngen der Menschheit zurück. Zum anderen die Weinpreise, die für einen Schriftsteller so wichtig sind, wie der Ölpreis für Schwerlasttanker im arabischen Golf. Mal schnell vierzig Euro für die Flasche und da hat man noch keinen Espresso für fünf Euro getrunken. Und keine Zweite. In Lissabon ist das nicht so, aber Paris muss gar nicht schlecht sein, damit Lissabon gut ist. Lissabon ist heute nur so viel mehr Paris als Paris, der Liter für vier Euro, Hallo? Wir haben das gleich im ersten Bistro miteinander diskutiert. Meine Freundin meint, das wäre schon immer so gewesen, ich sage, nein das wäre nicht so. Die Ländlichkeit wurde aus den Gassen vertrieben und aus den Gassen hat man Laufstege gemacht, mit Verkehrsschildern dran und voll mit parkenden Autos. Es ist eine ausgestopfte Kultur, die höchstens Amerikaner und Chinesen noch für die alte Welt halten, ohne Schatten, voller Schaufenstern. Ich sehe mich in diesen Schaufenstern vorrübergehen und sehe nicht gut aus. Die Stadt steht mir nicht, sie rennt an mir vorbei, ihr Parfüm weht durch Arkaden und wird von Karikaturen umhergetragen. Alle eilen irgendwo hin, nur wohin? Sie eilen in den Tod und man fühlt sich, wie man sich in einer hellen, teuren Boutique fühlt, wenn man sehr alte Klamotten trägt und stinkt und noch nicht sterben will. Paris ist eine hektische Stadt, oder mir fällt erst hier auf, wie schön langsam Lissabon ist. Wir haben halt nur nicht solche Terrassen, solche Markisen. Sie leuchten auf den Bürgersteigen wie Galaxien, Zeremonien der Zivilisation, die Bravour der Geselligkeit. Es gibt nichts Schöneres für eine Hausecke auf der Welt, als ein Pariser Eckcafé zu werden. Ein Wiener Eckcafé ginge auch, aber die Cafés in Wien finden drinnen statt, in Paris sind sie draußen. Selbst die hässlichsten sind schön. Kosmisch gemütlich, vor allem bei Nacht. So voller Leben. Normal erwachsene Männer mit normal erwachsenen Frauen, die sich in jenem Rhythmus wiegen, der die Welt bewegt. Vor einer Flasche Wein. Diese Cafés sind die Bühnen der Boulevards, auf denen das ewige Schauspiel der Menschheit aufgeführt wird. Der Wert, den dabei alles Geistreiche in Paris, ach in ganz Frankreich, einnimmt ist phänomenal. Eine Gesellschaft, die das mit dem Rauchen noch versteht, denn sie rauchen nicht wie die Deutschen, die das nicht verstehen, und sie sitzen auch nicht so im Café oder fahren mit dem Zug, sie tun das alles lebendiger, geistreicher. In den Parks wachsen Kastanien, über die man im Herbst laufen kann. Im Sommer sind die kopfhoch geschnitten. Menschen sitzen da und haben was zu klären haben. Französisch ist eine gute Sprache, um Dinge zu klären und wir wollten sowieso seit Tagen mal reden. Ich hatte mir nach einem Streit zwei Seiten notiert, aber nie den richtigen Moment gefunden, so wie man ihn unter den Kastanien findet oder den Markisen der Closerie des Lilas, oder […]