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BYND

Konstantin Arnold

IM HOTEL AM NACHMITTAG

IM HOTEL AM NACHMITTAG

Ich fürchte die Zukunft nicht. Sie wird ja Gegenwart bevor sie uns trifft. Da ist nur eine Angst, neben all den anderen und der, diese Geschichte jetzt durch Schreiben zu versauen. Eines Tages in diese Stadt zu kommen an einem Regentag, im November, und nicht mehr hier zu sein, nicht mehr der zu sein, nicht mehr zu sein, als ein einsamer Mann mit Mantel. Eine große, gescheiterte Liebe später, vor beschlagenen Caféfenstern, hinter denen jetzt ein Inder ist und alle Kellner, die man kannte, tot. Oben in Sapadores oder unter vor der Santo Estêvão, inmitten von allem, aber kein Teil davon, von der Seele, den neuen Häusern, und Menschen, die jetzt hier leben. Es geht weiter durch Gassen, die die beiden Plätze verbinden. Noch ein Lokal, eins, dass es noch gibt. Drinnen gemütlich und warm. Man steht vor den Fenstern, den Kopf in den Kragen gehüllt, sieht Menschen an Tischen sitzen, reden, lachen, lautlos durch Glas, wie durch die Erinnerung gesehen. Den eigentlichen Wert von etwas erkennt man erst, wenn man ihn rückwärts im Regen durch Glas betrachtet hat. Kein Gefühl des Versagens, kein Unheil, keine Erwartung dringt ein. Keiner muss keinem was beweisen, nicht mal sich selbst. Man sieht sich im Fenster, im Regen, nicht in allem und jedem. Denkt nicht über Gedanken nach, bevor man sie hat. Hat sich schon an alles gewöhnt, nur an die Liebe, an Lissabon nicht. Tritt aufs Pflaster, aber der Boden verbindet sich nicht. Doch noch ein alter Bekannter, der einen kennt und fragt wie es geht, und was nur los gewesen ist. Ein Beweis, dass es uns gab. Ein Mütterchen erkennt einen wieder, der Fleischer grüßt doch noch, der Laden, in den wir gerne gingen, ist zu. Es gibt jetzt andere Läden, mit anderen Menschen. Man hört Schiffe kommen, wie immer die Glocken der São Vicente dreimal, Möwengeschrei. Eins mit fünf Segeln steht im Hafen, an den Masten wurden Lichterketten angebracht. Kastanienrauch liegt in der Luft dieser Zeit. Man sieht die Welt und sieht, dass die Welt noch gut ist, sich aber ohne einen weitergedreht hat. Die besten Sommertage waren immer die im Herbst, der Fluss himmelblau, silbrig, ich hoffe nur, dass das jeden Tag jemand sieht. Die Dachziegel rot und übereinandergestapelt. Das kann man doch nicht einfach so ungeschrieben stehen lassen. Den Charme der Denkmäler, die Klarheit der Kontur, die Weichheit des Ganzen, das Auseinandergehören der Töne im Licht. Alle Erinnerungen an alle Zeiten, die wir hatten und nicht halten konnten, die uns vergingen, wie ein schöner Tag im Herbst. Ich sehe ihren Wert davon ganz klar, ohne dass wir ihn verloren hätten. Es ist mehr die Erinnerung eines Verlusts, als der Verlust selbst. All die Straßen und Plätze über die ich ging, mit dir und ohne dich, vor dir, nur nicht danach, nirgendwohin. Die Versprechen, die ich dir gab, die Hoffnungen, die wir teilten, Reste von Träumen in den Straßen der Stadt. Eine unerreichbare Welt in die Zeit zurück. Ich lebe besser hier, als woanders zu sterben. Das soll nicht sagen, wie egal mir das Leben ist, das zeigt, welchen Wert diese Stadt in mir hat. Es gibt nichts Vergleichbares, außer sie und nichts, was sich besser mit ihr vergleichen ließe, als diese Stadt. Durch sie habe ich […]