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BYND

Konstantin Arnold

OHNE GRUND

OHNE GRUND

Es war schön, einen Grund zu haben, frühmorgens durch den Jardim Maîtres da Patria gehen zu müssen, aber es gab kaum einen und niemand, den ich kannte lebte da oder dahinter, also kein Weg führte daran vorbei und keine Lokale, in die wir gingen oder sonst irgendwer gehen konnte, schon gar nicht zu dieser Zeit. Man konnte ja morgens nicht einfach ohne Grund aus dem Haus, bis zum Maîtres da Patria, um Kaffee in der Sonne zu saufen und sich über die Enten zu freuen, die in den beiden Teichen des Parks ihr Zuhause hatten, so wie man es machte, wenn man in die medizinische Fakultät musste, die hinter dem Park lag, um sich auf die Seuche testen zu lassen. Das war so ein Grund und wir wussten es zu schätzen, Sachen auf Wegen zu erledigen, die andere zum Spazieren benutzten und den Park zu sehen, auch wenn das kein guter Grund gewesen war. Andere Orte hatten bessere Gründe, um zu einer Zeit an ihnen zu sein, zu der man sonst nie an ihnen gewesen wäre. Gerade die Baixa. Man konnte da gut was besorgen gehen und auch gut hingehen, wenn man nichts zu besorgen hatte. Man konnte sich die Schuhe wichsen lassen, wenn man welche hatte, die sich wichsen ließen oder eine Morgenausgabe kaufen, wenn man für eine von denen Zeitung schrieb, die der Kiosk daliegen hatte. Man konnte auch Interviews geben, wenn man jemanden kannte, der einen was fragen wollte und am nächsten Tag dann gleich nochmal hin, um in den Morgenausgaben zu lesen, was man nie so gesagt hatte. Aber das kam eigentlich nur einmal vor, in der Zeit, als die internationalen Zeitungen, wegen Schnees in Madrid, nicht in Lissabon ankamen und der Bauch von Jorge explodierte, weil der nie richtig aß, hatten die anderen Schuhputzer gesagt. Zu viel Wein auf leeren Magen, das räche sich halt irgendwann, hatten sie gesagt. Auf jeden Fall kam man hierher, um frühe Frauen zu treffen, die in schönen Kleidern, vor einem geschäftigen Hintergrund, in Cafés saßen und mit anderen frühen Frauen was Eiliges zu besprechen hatten, bevor sie in Kanzleien stiegen oder in Flugzeuge oder in der Stripshow auftraten, die oben am Bogen zum Rossio lag. Ganz im Schatten der Unterstadt, in deren Schluchten immer noch die letzten Reste der Nacht hängen und von Straßenfegern entsorgt werden müssen. Die ganze Angst und das bisschen Rettung, durch die Strahlen eines neuen Tages, der langsam durch die müden Wolken scheint. Kellner stellen Stühle raus. Menschen müssen irgendwo hin und die Eiligkeit steht ihnen, vor der Arbeit, wenn sie noch frisch sind. Sie eilen durch schöne Parks und über weiße Plätze, bevor sich die endlose Kette der Ereignisse in Gang setzt und alle zu spät kommen lässt. Einen nach dem anderen, der wegen dem einen dann den anderen sitzen ließ und der eine, nicht früher zum anderen konnte, weil der zu spät gewesen war, blablabla. Man muss sich die Zeit nehmen, man hat sie nicht und kann nicht am Leben vorbeirennen, wie es sich bietet. Es hat einen Anspruch darauf gelebt zu werden. Oh ich hoffe, dass meine Freundin mich Portugiesisch macht, bevor ich sie Deutsch machen kann. Denn trotz den Gesprächen mit Kellnern und Straßenmenschen komme ich nie zu spät, nirgendwohin, weil ich keine Termine habe. Jacke chronisch über die Schulter geworfen (immer eine dabei). Nicht mal, wenn ich irgendwo hinmuss und spät dran bin und die Jacke am Finger trage und einer ruft: Òla Konstantino, como e que? Pedro aus dem Garaffenladen oder Antonio unter den Arkaden. Die Kellnerinnen der Tendinha oder die Fleischerjungs, aber die kennen meinen Namen nicht, die rufen nur. Am schönsten ist es, wenn die Kellnerinnen rufen, Konstantino querido rufen die dann, Já comeste pequeno-almoço, ob ich schon gefrühstückt habe und ich sage nein und sie rufen, komm her, wir braten dir ein Ei. Das sind so herzliche Frauen und das Highlight ihrer Tage ist, sie im Kalender durchzustreichen oder mir ein Ei zu braten. Sie fragen dann, ob ich wüsste, welchen Tag wir heute haben, damit sie ihn durchstreichen können und ich sage nein. Sie wissen es genau, aber sie wollen es genauer wissen und gehen raus und fragen besser noch mal nach. So ist Lissabon […]