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BYND

Konstantin Arnold

AMALFI

AMALFI

Am Ende jenes Sommers wohnten wir auf einem Berg in einem Dorf fast im Himmel, das auf viele andere Dörfer auf anderen Bergen blickte, die auch fast im Himmel waren. Die Berge waren steil und das Meer unerreichbar und keine Stufen führten zum Meer, die man gehen konnte. Enge Straßen liefen entlang der Weintrassen von den Dörfern zum Meer und man sah die Kaps und Buchten, mit den Straßen, die sich in die Ferne schwangen, wie ein sanfter werdendes Vergehen. Meer und Himmel lagen in einem Blau, ohne Grenze, wie Unendlichkeit, die man von den Terrassen aus sehen konnte. Erst am Abend trennten sich Himmel und Erde wolkenlos, bis zum nächsten Tag, und Capri erschien am Horizont und das ganze Meer mit seinen Inseln und Booten, der ganzen gigantischen Golf bis zum Vesuv. Die von der Sonne ausgeblichen Farben kehrten langsam in ihre Dinge zurück und eine Art Ende lag in der Luft. Herbst und Stille, der Geruch von kühler werdendem Grün, dass heimlich in der Dämmerung bewässert wurde. Das Grün hatte viele Farben. Manches war noch jung und fickrig, wie nach einem Vulkanausbruch, anderes sah tausend Jahre alt aus. Grüner und schöner noch als die borromäischen Inseln, der Garten der Villa Orengo und den Kaps der Côte d’Azur, Wagner, Sissi, leider, eigentlich unbeschreiblich und das sage ich nicht einfach so. Ich habe es lange probiert und viel geschrieben, aber nichts, was so ist wie hier. Eine Landschaft ist ja vor allem immer ein Gefühl und das lässt sich nicht beschreiben, nur vielleicht die Landschaft, bei der man es hat. Eine Allee unter Bäumen, von Steinmauern gesäumt, ein Götterquergang, durch den Garten, der am Ende die Klippen hinabstürzen will. Es ist vielleicht der sinnlichste Ort auf der Welt, um sich das Leben zu nehmen. Die Menschen nennen dieses Ende dell’Infinito, trotz seines Geländers und sehen von hier auf die Welt und sehen, dass die Welt doch gut ist, fast Himmel, man berührt ihn ja fast und könnte Göttern glauben, wieso auch nicht? Das Ende des Kaps sah aus wie der Olymp, oder was man sich unter Olymp vorstellt, wenn man mal durch Homers Odyssee geblättert hat. Sirenen mit geflochtenen Haaren und entschlossenen Gesichtern, in offenen, hellenische Kleider, die Fotos für ihr Instagram machen. Der Anblick des Meeres hatte ihnen die Augen blau gefärbt und die Araber, die in den Häfen mit ihren Müttern schliefen, schwarzes Haar und dunkelblonde Haut. Sie heißen Serena oder Gaia, und wollen gar nicht, dass man Kriege für sie führt, nur, aus Sehnsucht zur Antike, sondern nur, dass man sie, kurz bevor die Welt ins Meer fällt, vor diesem Ausblick fotografiert. Abgesehen von denen wussten wir in jenen Tagen nicht, welche Zeit gerade ist und wie spät es war in welcher Epoche. Die  Momente hielten an, wie von Catel und Schinkel gemalt, ohne zu vergehen. Die vielen steilen Treppen hielten die dicken Amerikaner fern und nur manchmal sah man einen Buntangezogenen, durch die Zeitlosigkeit unseres Gartens mähen, wie ein dicker Pflug mit Uhrzeit und Datum dran. Manchmal zogen Gewitter auf und brachten Regen, aber der konnte dem Wetter nichts. Er hatte nicht die gleiche traurige Wirkung. Erst kam Wind und dann Wolken, die den Regen von den höheren Bergen im Süden brachten. Die Boote flohen in ihr Häfen und zogen weiße Linien im Blau, die dann in der Strömung zurückblieben, wie die leise Spur einer Erinnerung. Wir kannten solchen Regen nicht. Er war gnädig und nahm nicht die gesamte Farbe des Himmels in Anspruch, und war auch schon wieder weg. Für einen Moment sah die Welt dann aus, wie ein Glas Rosé, das man gegen die  Sonne hält. Alles war still und die Dinge dampften. Die Nacht kam aus den Tälern und man sah, wo noch überall Häuser waren. Sie schienen einsam und allein in den Bergen wie Sterne oder flimmerten in fernen Buchten über dem Meer. Andere Gewitter verschonten die Tage und kamen bei Nacht. Die waren heftig und blieben lange und die Welt wurde so nass, dass man dachte, sie könnte nie wieder trocken werden. Es regnete in die Träume und man wurde wach, weil der Regen durch die offenen Fenster fiel. Einer von uns musste dann auf die Terrasse, immer ich, und sah raus und spürte die Hitze und sah die Gärten mit den Kieswegen unter mir, schön und grün und nass, und das Meer im Mondlicht. In diesen Nächten, im Hotel, in unserem Zimmer, mit dem Gewitter draußen, und uns im Bett, nachdem man sich von einem bestimmten Gefühl befreit hatte, und den leeren Gängen, wurde man wieder gläubig. Man sagt, wer die Welt so gesehen hat, kann gar nie mehr unglücklich werden […]