TERTULIA
An einem feuchtkalten Januartag im Juni, es war zum Zerreißen kalt, tritt nach durchzechter Nacht, frühmorgens, eine Gruppe Männer in das Lokal, und verlangt nach Kaffee. Sie sehen fertig aus und stinken, riechen das aber nicht. Ihre Anzüge sind geknittert. Der Rest ist von Leidenschaften verzehrt. Von einem Leben, davon, dass sie für all die Momente kämpfen, die in Schönheit und Wahrheit alles überstrahlen und davon, dass sie davon keinem erzählen können, außer denen, die es mit ihnen erleben. Leidenschaft ist vielleicht das schönste Deutsche Wort, das es gibt, auch wenn es nicht so klingt, aber wenn alles in ihnen klar wäre, wären sie dann um diese Zeit ins Lokal kommen? Würden sie ihre Frauen lieben und ihnen alles geben, das Glück, genauso wie das Unglück, das dafür nötig ist. Diese Männer stehen in Verbindung mit ihrem Innersten, ihren Gefühlen und Gedanken und sie kämpfen damit. Sie können nicht anders. Sie müssen es tun und damit ist ihnen genüge getan. Weil sie es tun mussten. Bis hierhin ist der Anfang schon mal schön und gut und geklaut, so schön und gut, dass ich ihn nicht einfach so ungeklaut stehen lassen konnte. Wer auch immer ihn geschrieben hat, hat ihn einfach so stehen lassen und nichts daraus gemacht. Vielleicht hat er ihn aber auch gar nicht selbst geschrieben, sondern auch selbst geklaut und dann stehen lassen. Jetzt gehört er mir, ist mein Text. Vielleicht ist es schon immer meiner gewesen und ich habe nur vergessen, dass ich ihn geschrieben habe. Jedenfalls mache ich was draus, wobei der Anfang so gut ist, dass danach eigentlich gar nichts mehr kommen braucht. Die nächtliche Vergänglichkeit führt sie in eine Bar, dorthin, wo die kleinen Gassen auf großen Plätzen enden. Die Häuser fallen übereinander her. Verträumt blickt die Straße zum Fluss. Portugal hat die Weltkugel auf der Fahne und Melancholie in der Brust. Träume und Trauer. Vor allem morgens, wenn die Zeit stillsteht. Schon mal aufgefallen? Die älteste Nation Europas leidet am Herzweh einer mysteriösen Multiplikation von Gefühlen. Sie leidet nicht am Leid, sie genießt es, erfreut sich daran. Schweigt, steht an Theken und wandert mit den Blicken in die Ferne zur Theke und wieder zurück. Denkt, das blauste Meerwasser ist immer noch uns und wir haben China missioniert, Lissabon erbaut und gehalten, Priester nach Tibet geschickt, das Christentum bis nach Japan geschifft, Märtyrer geschaffen, die Europameisterschaft gewonnen, starke Frauen gezeugt, Brasilien regiert, die ganze Südhalbkugel portugiesisch sprechen lassen, mit Zucker gehandelt, Gewürzen, Menschenleben und Gold. Kaffee kostet hier immer noch 60 Cent und man ist da stolz drauf, wie auf den Largo do Carmo, der jetzt still und friedlich im Zentrum liegt, wie eine Dorf. Jacarandablüten fallen heute noch wie Bomben auf den Platz und verzaubern die Umgebung. Der süßen Seite der Wehmut steht das bittere Erkennen der Realität gegenüber. Ruinen. Die Dinge sind nicht mehr so wie sie sind, man kann sie nicht ändern und hat deshalb Poesie draus gemacht. Dichtet, bis alles verloren ist, aber so lang wird die Gruppe Männer nicht bleiben. Sie sind gekommen, um zu reden, miteinander, von sich, einer von ihnen bin ich […]