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BYND

Konstantin Arnold

 

MMXV

Ich habe viel zu kurz in Tahiti geschwitzt und Jordan in San Juan einfach weiterschlafen lassen. Ich habe kurz hinter Queenstown mein Geld ausgegeben und in Dunedin an der Karibik gezweifelt. In Basel habe ich mir Pizza aus Deutschland bestellt und in Lissabon mit ungeputzten Zähnen auf meinen Anschlussflug gewartet. Ich bin in Hamilton fast von der Universität geflogen und habe in Düsseldorf von Adventura erfahren. Morgens in Malibu habe ich Rührei gegessen und im ICE nach München die richtigen Worte gefunden. Ich habe in Köln E-Mails geschrieben und in Hossegor auf eine Antwort von Chloè gewartet. In Hamburg habe ich meinen Koffer bei Fremden gelassen und in Eisenach bis mittags einen weißen Bademantel getragen. In Raglan war ich einer von Vielen und auf dem Weg zur Toilette meistens betrunken. Ich war zu Besuch im Norden von Brisbane und habe in San Josè mit jemandem in Managua telefoniert. In Panama City habe ich einen Brief nach Los Angeles geschrieben und irgendwo zwischen zwei Grenzübergängen den Glauben an die Weiterfahrt verloren. Kurz vor der dänischen Grenze habe ich aufgehört an andere Städte zu denken auch wenn sich Kaikoura ziemlich eingebrannt hat. Auf einem Woolworth Parkplatz in New South Wales habe ich nach einem Schlafplatz gesucht und im panamerikanischen Dschungel ein Mädchen aus Tennessee kennengelernt. Ich habe nirgendwo das Vertrauen in mich selbst verloren und in Cromwell in einem Kebabladen geweint. Um die Mittagszeit habe ich Bier zum Döner bestellt und im Flugzeug nach Frankfurt über dieses Szenario gelacht. In Dominical saß ich halbnackt im Wachssalon und im Bus immer am Fenster. In Leipzig habe ich zum Sonntag eine zahnärztliche Füllung bekommen, um sie bei herzhaftem Picanha in Peniche wieder zu verlieren. Essensgeschichten sind verbraucht, aber wichtig, weil sich Tiefe nur mit Humor transportieren lässt, ohne lächerlich zu klingen. In Zürich war ich leider länger als in Innsbruck und im Internet eigentlich nur, weil ich dort kein […]

 

HANDWERK

Dort, wo Kartenzahlung aufhört anzufangen und Telefonbücher wieder ihre ausgedruckte Wirkung ausspielen, kannst du entscheiden wem du wie die Hände schütteln möchtest. Damit Türglocken endlich wieder dazu dienen, namentlich begrüßt zu werden und ein Schritt zurück den Erwartungen gerecht wird, die schlaue Sprüche von ihm verlangen […]

URLAUB

Ich habe Zeit. Zum ersten Mal nach vier Monaten kann ich das Angebot der Wurstfachverkäuferin annehmen und die Dinge probieren, bevor sie mit kommerzieller Hingabe eingetütet werden. Ich versuche alles zu machen, von dem ich denke, das man es so tut, wenn man Urlaub hat. Ich lasse mir den Bart schneiden und mache ein Windows 10 Update. Ich treffe Freunde zur Mittagszeit und kann in jugendlicher Gelassenheit auch einfach die nächste Bahn nehmen. Eier mache ich ohnehin nur nach Bauchgefühl, weil meine Zimmerpflanze ohnehin nicht mehr zu retten ist. Ich schaue einen Tatort im Ersten und erfahre von den Tagethemen, dass es Charlie Sheen zu weit getrieben hat. Bei Günther Jauch erzählt Guido Westerwelle von seiner Krankheitserfahrung und ich werde für eine halbe Stunde zum Hypochonder, weil mein Kopf ohne Aufgabe nicht arbeiten kann. Nichtstun sollte bezahlt werden. Jede einzelne Minute. Bis zum nächsten Mittwoch, auf den ich mich freue wie auf Weihnachten und Victoria Secret Fashion After Show Parties zusammen. Eigentlich bin ich so aufgeregt, dass ich im Moment nur mit zwei Tassen Glühwein einschlafen kann. Simon aus München, Jordan aus Wales und mein brüderlicher Vormund aus dem Osten. Alle meine Freunde freuen sich mit mir. Nur wo ist Adventura? Irgendwo zwischen Litauen und deutschen Zollbeamten? Eigentlich sollte die Lektion auf Zeit spätestens morgen auf dem Vulkangelände eintreffen. Ungeduld ist keine Tugend, sondern eine Mammutaufgabe! Deswegen steige ich in den Zug nach Düsseldorf, um die Gesellschaft und den Glühweinstand zu wechseln. Ich schlafe in einer unpersönlichen Wohnung, die sie sich mit ihrer Minimalität teilt. Alles ist weiß, bis auf das selbstgemalte Bild ihres Vaters. Die Fenster gehen bis zum Boden und das Geländer davor wirkt mithilfe des Innenhofs wie ein Pariser Postkartenmotiv. Wir bestellen uns Ente in Kokosmilch und grünem Curry. Der Duftreis hat jedenfalls nicht daran Schuld getragen, dass ich den Rest der Nacht auf einer weißen, minimalen Toilette verbringen durfte. Immer in Begleitung eines laufenden Wasserhahns, um der Geräuschkulisse ihre Eindeutigkeit zu nehmen. Irgendwann wird heute zu einem sonnigen Morgen. Weil ich vor zehn nicht schon Glühwein trinken kann, wollen […]

KOKETTIEREN

Jetzt sitze ich in einem traditionellen Hotelzimmer in Zürich. An der Wand hängt kein digitales Lagerfeuer. Dafür stehen auf dem Tisch eine Liste mit den 100 beliebtesten Fernsehsendern und ein unbenutzter Aschenbecher. Die Wände sind cremegelb, auch wenn das eigentlich Garnichts zur Sache tut. Für die Gemütlichkeit ist hier lediglich der Akzent zuständig. Gerade habe ich zwei Mehrkornbrötchen vom Frühstücksbuffet in meiner Unterhose geschmuggelt, die mich im Laufe des Tages davor bewahren sollen, 36 Schweizer Franken für eine Kinderportion Pasta auszugeben. Extraportionen sind mit deutschen Witzen nicht bezahlbar und selbst Obdachlose schlafen hier im Sakko. Eigentlich wollte ich nach dem Frühstück Aquilla treffen und so tun, als wäre ich schon öfters in Zürich gewesen. Doch dann kam das hier. Unzählige Notizen zwischen Köln und Luzern. Der erste an mich adressierte Kinnhaken. Von einem Treppenhausbesitzer im Rentenalter, der zur Karnevalszeit keine unkostümierten Zärtlichkeiten in seinem Fahrradkeller duldete. Schnitzelbrötchen in der Oberpfalz und Elektrokerzen zum Auspusten kurz vor München. Zahnärztlicher Notdienst am frühen Sonntagabend kurz vor Leipzig. Kurz bevor ich mit betäubter Gesichtshälfte versuche nicht auf die unbezahlbare Funktionskleidung zu sabbern, die ich auf der Bühne tragen muss. Einen Tag später sind die Lippen wieder locker genug um textsicher von Pur bis Bushido die richtigen Worte zu finden und zu beweisen, dass Gegensätzlichkeit Spaß macht. Keine passende Etikette zur Hand zu haben, nur weil man nach einer Taxifahrt im Second Hand Mantel angetrunken eine Quittung fordert. Trotzdem brauche ich langsam eine E-Mail Signatur, auch wenn ich erst googlen musste, wie man die vorgeschriebene Kontaktleiste nennt, die wichtige Menschen automatisiert unter ihre Emails setzen. Dazu brauche ich endlich eine Website sagt Phil, der hoffnungslos daran scheitert mir zu erklären, warum man Baukästen und Domains nicht im Baumarkt kaufen kann. Ich soll nach Amsterdam kommen und jüngeren Studenten erklären, was mich zu meinen Bildern bewegt ohne zu wissen, was Brennweite eigentlich zu bedeuten hat. Ich soll mir bis Mittwoch überlegen, was es mir Wert ist Anfang des Jahres indonesischen Surftourismus zu ertragen, um eine Handvoll Geschichten zu schreiben und dabei etwas mehr auf Rechtschreibung zu achten. So wie bei den Facebook Nachrichten mit dem wohl schönsten Mädchen, das ich bisher (noch gar nicht) gesehen habe. Ich fühle mich frei, weil mich kein Arbeitsvertrag mehr an künstliche Zimmerpflanzen bindet und Adrian meine Abschlussarbeit auf Kommata kontrolliert hat. Ich will nur noch die Dinge tun, die ich tun will. Noch mehr, als zuvor. Ohne Sportscheck Katalogbilder. Und zwar genauso wie ich sie tun möchte. Das ist Treue. Sich davon Schnitzelbrötchen leisten zu können ein Segen, der einen aber noch lange nicht zum Autoren macht. Das überlasse ich den Schubladen, in denen gedacht werden muss, um eine Sache komfortabel einordnen zu können. Oder dem, der im Erdgeschoss dieses Hotels heute einen Vortrag über: „Warum ziehe ich immer die falschen Männer an“ hält. Ich konzentriere mich lieber darauf, noch eine gebrauchte Ebay Kamera zu bestellen, um bei diesen Kollektionsbildern nächste Woche etwas professioneller zu wirken. Kurz vor Schluss darf man doch eigentlich noch Danke sagen? Ich bin sprachlos durch den Zuspruch für Adventura. Einmal morgens auf Toilette kamen mir sogar die Tränen. Inspiriert durch den Wasserfluss und das Herzblut, das so ein Projekt fordert, ist jedes Facebook Like, wie eine luftgetrocknete Knackwurst von Oma. Angefangen haben wir diese Tour in Essen. Etwas angetrunken mit Andre, dem Schalker Ultra und Hotelangestellten, der nichts einzuwenden […]

FRANZÖSISCHER WAHNSINN

IIrgendwo zwischen deutschen Surfversuchen und internationaler Eleganz. Zwischen fehlender Exotik und buntem Wassersportvergnügen in Bars und über Sandbänken. Im Epizentrum saisonaler Wertarbeit made in Germany done in Frankreich stehen die Zeichen auf Oktober. Genau! Der Oktober in dem sich die flipfloptragende Expeditionsgeneration noch einmal in Sommermode auf die Straßen wagt und die Ausnahme der Regel unverhüteten Sex mit einem der besten 34 unserer Erde sucht. Noch ein letzter Höhepunkt bevor es still wird um Hossegor. Ein letzter Zirkus in dem wir alle unsere Rolle suchen. Sind wir die braungebrannten deutschen mit australischem Akzent? Oder der, den Craig Anderson einmal in Lakey Peak getroffen hatte? Stehen wir geheimnisvoll in einer gut besuchten Bar und versuchen interessant zu wirken oder sollten wir uns damit abfinden, dass die Statistenrollen bereits vergeben sind. Ich bin zum ersten Mal beim Quiksilver Pro in Frankreich. Ich habe zum ersten Mal ein blaues Bändchen und viel zu hohe Ambitionen, was den Kompetenzbereich dieser Eintrittskarte angeht. Eigentlich trifft man die Pros so nur, weil die Toilette in der Comeptitors Area besetzt ist und sie sich nach dem Spülen zu nichtssagenden Post Klo Interviews erbarmen. Eigentlich habe ich keine Erwartungen und keine Ahnung, was ich hier eigentlich tue. Ich will Kelly treffen und kein Foto machen. Ich will das Szenario auf mich wirken lassen und mir das holen, was mir südfranzösischer Alltag vor die Füße wirft. In der Media Area bringen fast alle Surfjournalisten Laptops mit. Alle fotografieren mit unbezahlbaren Fotoerstellungsmaschinen und sehen beschäftigt aus. Ich hingegen muss meinen Farbfilm wechseln, als Kelly Slater unter die Post Heat Dusche geht, die ich vergessen habe zu erwähnen. Ich sage Fanning Hallo und versuche dabei entspannt zu wirken. Ich warte mit Carissa vor der Toilette und fotografiere Malia beim Müsliessen. Ich hoffe, dass John meine analoge Kamera auffällt und gehe davon aus, dass Wilko in spätestens fünf Jahren genauso aussieht, wie sein Teammanager. Der Prozirkus hat mich. Jedenfalls für eine halbe Stunde. Dann muss ich mich hinlegen. Gestern waren wir wieder auf einer der unzähligen Partys, auf denen man Magazincover […]

TACHELES

Ich liege in einem unpersönlichen Hotelzimmer in Dresden. An der Wand hängt ein weißer Fernseher durch den ein Lagerfeuer im Winter und ein Aquarium im Sommer etwas digitale Gemütlichkeit ausstrahlen soll. Das Frühstück ist wie immer zu früh, die Eier zu hart und der beste Aufschnitt vor zehn schon vergriffen. Gestern haben wir überteuerten Whiskey aus schweren Gläsern in der Hotellobby getrunken. Ich habe einen schwarzen Mantel getragen und kam mir bis zum zweiten Glas blöd vor. Mit einer soliden deutschen Erkältung und unbekannter Gesellschaft. In leeren Hotellobbys kann man nach Mitternacht problemlos entscheiden, wer man eigentlich sein möchte. Unbefangen und ehrlich. Weil man morgens schon los muss und sich im Kern der Unterhaltung die Möglichkeit gibt, sich auf das Jetzt zu beschränken. Auch wenn meine Nase läuft, weil ich erst das nächste Mal Meersalznasenspray gegen medizinische Chemie eintauschen werde. Die letzten vier Tage haben wir nur Pizza gegessen. Irgendwo zwischen Süddeutschland und Österreich. Irgendwann zwischen Filmvorführung und zu kurzen Mittagspausen in autobahnnähe. Unterwegs sprechen wir über Flüchtlingspolitik und vorgetäuschte Orgasmen. Das sind Voraussetzungen zum Wohlfühlen. Für den Rest sorgen vorgedruckte Willkommensgrüße und systemgeformte Freundlichkeit. Innsbruck ist schön. Der Vorarlberg auch. Die Klosterzimmer in Bregenz sind zu klein und die Klassenfahrt zum Ferienende gehört in Rosenheim zur Inneneinrichtung. In Berlin habe ich männliche Gewinnspielmode mit Stretch an eine kräftige Besucherin verteilt und in Freiburg entdeckt, wie lustig es ist Kinder auf einer Bühne zu haben. Ich habe den Schlüssel für das Einzelzimmer in München immer noch in der Tasche, aus der ich gerade lebe und musste mir der Professionalität wegen eine zweite Hose […]

DANKE

Gerade bin ich 25 Jahre alt geworden und habe dafür 87 Gratulationen auf Facebook erhalten. Unterstützt von vielen Freunden, ohne die dieses Vorhaben nie möglichgewesen wäre, habe ich ein Jahr unterwegs verbracht und die Dinge aufgeschrieben, die man normalerweise auf Instagram veröffentlichen würde. Dazu habe ich Texte verfasst, voller Vorfreude jeder Farbfotoentwicklung entgegengefiebert und mich gefragt, wo eigentlich zu Hause liegt? Dort, wo man die Hand voll guter Freundschaft mindestens einmal im Jahr zur kostenlosen Maniküre bringt? Oder dort, wo man dieses handschriftliche Dankeschön eh nicht versteht? Wo liegen also die Gründe, die eine kleinstadtgroße Zahnlücke dazu bringen, nicht genau dort an seinen Falten zu arbeiten, wo der Zufall von Geburt ihn hingeworfen hat?
Deswegen lieben wir Literatur. Präzise aufgereiht in einem schweren Holzregal erzählt sie von der Vielzahl des Repertoires. Von Gegensätzlichkeit und fehlenden Stereotypen. Von langen Nächten in kurzen Geschichten. Über Los Angeles und Neuseeland nach Australien und Mittelamerika sprechen wir Erfahrungen jedem zu, der sich für unbelesenes Erleben begeistern kann. Durch Wälder ohne Wanderwege mit keinG und kaum Guthaben, auf denen ich versucht habe meine Haare noch einmal so lange wachsen zu lassen, bis ich doch nochmal aussehe, wie der Australier, der ich eigentlich nicht bin. Deswegen 34 Geschichten und Bilder, für die mir die Worte fehlen. Fotografiert auf 35 mm Negativfilm und durch die Linsen zweier analoger Kameras, für die ich weniger zahlen musste, als für eine akzeptable Farbfotoentwicklung. Vielleicht ist das Gras deswegen nicht so grün, wie es aus filmreifer Idealvorstellung eigentlich auszusehen hat? Vielleicht geht es darum, wie Dinge sind und nicht wie sie sein sollten? Weil man Erfahrungen jedem zuspricht, der sich für unbelesenes Erleben begeistern kann! So wie Luke und dem Layout. Meiner Mama und den Wurzeln. Steffi, Sabine und Erik für die Kommas. Und (Komma?) um dem dankbaren Nagel auf den Kopf zu hauen: Danke denen, die mich ausgehalten haben für den Inhalt! All jenen, die mich ermutigt haben, das Wort Weltenbummler in seine unerträglichen Einzelteile zu zerlegen und schlussendlich der Erfahrung, dass es im Leben um die Menschen geht und nicht nur ums Essen.

PROSA

Zuhause. Im Thüringer Wald kann man eigentlich nur auf Fragen antworten, die so eigentlich gar nicht gestellt wurden. Auch das filmreife Leben, von dem ich träume, seitdem ich mit fast 16 mein erstes Surfmagazin im Presseshop am Markt nicht bis zum Ende durchblättern durfte, beschränkt sich gerade auf die Kulinarik der Provinz. Urlaub machen ist wohl eine der schwersten Beschäftigungen seit es Arbeit gibt. Gestern habe ich das alte Wachs von meinen Brettern abgezogen, weil ich finde, dass sie so besser aussehen, wenn sie in einer meiner Zimmerecken auf ein neues Reiseziel warten. Heute gibt es wolliges Familienprogram, das sich wie die Festzelttournee einer regionalen Coverband durch die umliegenden Dörfer schlängelt. Für ein paar Stunden ist dann früher alles besser, alles größer, alles härter. Da ist man noch bergauf in die Schule gelaufen, hin und zurück! Nach dem Rührei bei Oma und der Hühnerfrikassee meiner Tante frage ich mich, ob Jordan heute in Wales gelandet ist? Auch wenn ich schon zwei Wochen früher fliegen musste, bin ich mir sicher, immer noch brauner zu sein als mein walisischer Bruder. Bis auf den Zahnarzttermin habe ich alles gemacht, was man so tut, wenn man in Deutschland ist. Ich bin mit meinem Skateboard ein paar Berge herunter gefahren und habe mir vorgestellt, ich surfe Asphalt. Ich habe mich für ein Lokalblatt vor einer historischen Burg mit meinen Surfbrettern ablichten lassen und nach dem vierten Bier entschieden morgen in einer Bar aufzulegen, obwohl ich eigentlich nur Bonnie Tyler kenne und keine Ahnung habe, wie man Übergänge fließend einbaut. Das lasse ich einfach Benjamin machen. Ich bin einfach überdurchschnittlich braungebrannt und drehe alle fünf Minuten talentiert am Lautstärkeregler. Verdammt, das macht Spaß. Dachte ich zumindest gestern, als zu der Facebook – Veranstaltung erst drei Leute zugesagt hatten. Heute will ich mich in dem Baggersee ertränken, den ich eigentlich mit einem braunhaarigen Mädchen besuchen wollte, die sich an diesem Nachmittag sicher in mich verliebt hätte. Leider hatte sie mir kurz vorher abgesagt und so habe ich mir den viel zu teuren spanischen Käse zusammen mit dem viel zu teuren italienischen Weißwein einfach mit meiner Mutter schmecken lassen. Schon nach dem Editorial des Surfmagazins mit fast 16 habe ich mir geschworen mein Herz auf der Zunge zu tragen und mir von niemandem vorschreiben zu lassen, wie mein Hase eigentlich zu laufen hat. Peinlich ist mir eigentlich auch nichts bis auf Interviewaussagen, die ich so nie gesagt habe. Deswegen sitze ich jetzt mit meinen vier getrunken Schwarzbier am Gartentisch und versuche dem Redakteur seine kleinen, aber entscheidenden Tippfehler zu verzeihen. Weit aus dem Fenster lehnen kann ich mich eh nicht, nachdem ich gestern das auf Rechtschreibung korrigierte Skript meines Buches in den Händen gehalten habe. Ich glaube es wäre einfacher gewesen, wenn sie nur die Stellen markiert hätte, an denen sich keine Fehler finden. Dann überarbeite ich und schreibe E-Mails bis ich nicht mehr sitzen kann. Jetzt geht es meistens darum, die Energie rauszulassen, die ich normalerweise mit acht Stunden Surfsport in pure Freude umwandeln konnte. Zuhause ziehe ich Bahnen in deutschen Freibädern, skate ausgestorbene Skateparks und mache nach dem Aufwachen heimlich ein paar Liegestütze. Alles an einem Tag. Genau wie dieses Festival, das ein paar Freunde auf einer durchnässten Ackerwiese veranstalten und somit 1800 Menschen zusammenbringen, die auf vergangenen Kleinstadtparties oder in der Grundschule mal miteinander geknutscht haben. Das war ein Highlight, aber ein neues Profilbild habe ich nicht […]

UNEINS

Der Zugbegleiter wünscht mir und den anderen Fahrgästen eine gute Reise in akzentloser deutscher Sprache. Ein beruflich ausgelasteter Pullunderträger mit ordentlichem Kurzhaarschnitt, versucht seiner Lebensgefährtin fahrplanabweichende Verspätung zu erklären und ich genieße Gefilde durch gut geputztes Glas, die ich noch aus meiner Kindheit kenne. Eigentlich hat es nur vier Tage gedauert, bis ich meine Batterien wieder so voll hatte, dass ich Gedanken an finanziell unmögliche Interkontinentalflüge in Erwägung ziehen konnte. Ich muss Geschichten erzählen, an die ich mich im Moment nicht wirklich erinnern kann. Ich suche nach Spielplätzen, die den Bruch mit dem Erlebten weniger gravierend erscheinen lassen und versuche Lücken zu füllen, wenn es darum geht in deutscher Sprache betrunken zu sein. Mein Körper ist ausgelaugt und frisch gewaschen. Haarshampoo ist auf gutem Weg, sich den ehemaligen Stammplatz in meiner Kulturtasche zurück zu erkämpfen und die deutsche Sim Karte habe ich heute Morgen bestellt. Natürlich möchte ich mich etablieren! Bis zu einem gewissen Grad ist mütterliche Wärme, die wohl schönste Art und Weise Ferien zu machen. Die Tage werden realer, nachdem man heutzutage in sechzehn Stunden mehr Kontinente und Kulturkreise erleben kann, als es an einem Tag Unterhosen zum Wechseln gibt. Zumindest dann, wenn man sich an mitteleuropäische Kleidungsmentalität hält. Panama City und Los Angeles sind näher als unser Nachbardorf, für das meine Mutter in den 80ern einen ostdeutschen Transitantrag stellen musste. Heute planen wir Familien ab dreißig und haben wenig Verständnis für sesshafte Geborgenheit. Irgendwann werden die Nächte länger, weil es hier normal ist, erst kurz vor Mitternacht zu entscheiden, in welcher Bar man gerne in die Morgenstunden feiern möchte. Guter Sauerteig und Bratwurst. Ein resozialisierendes Grillfest jagt das Nächste und dann ist guter Bornsenf so selbstverständlich, wie die Pünktlichkeit des Zuges in dem ich gerade sitze. Gestern habe ich etwas Holz gesammelt, um meiner Mutter einen winterlichen Vorrat für ihren Kamin zu hacken. In dem Wald, der direkt auf das Grundstück wächst, auf dem ich vormittags Filterkaffee im Bademantel genießen kann. Was würde ich für einen Tag im Sand geben. Nicht an Seen oder in tattooverseuchten Freibädern! Dieses Nachhausekommen ist anders, als die anderen! Ich frage mich, was unterwegs wohl passiert ist und schneide mir meinen viel zu langgeworden Bart ab. Ich merke, dass ich lieber frage, als nur zu antworten, weil das Interessiert sein mehr verspricht als das Interessante. Irgendwann verinnerlicht man eine Art zu leben, wie gut gekautes Rührei mit Speck. Dann ist es nicht mehr wichtig zu reden, weil man seine Inbrunst aus Genussgründen lieber nur der Eiermahlzeit widmen möchte. Diese Reise war länger als die Reisen zuvor und zu lang für die heimatverbundene Nabelschnur. Hier durchsuchen gut gekleidete Opas nach acht einige Restmüllbehälter auf Gleis vier. Für nichts als abenteuerlichen Flaschenpfand. Ein Deutschtürke versucht auf Bahnsteig fünf etwas Zigarettenrauch vor die Linse seines Smartphones zu blasen, um sich mit der Blitzfunktion ein verruchtes Erinnerungsfoto vom Bahnhof zu schießen. Irgendwo zwischen Fulda und Frankfurt Flughafen. Deutschland fühlt sich nun an, wie eine Reise, nur dass man einen europäischen Reisepass nicht mit dem Bundesadler abstempeln lassen kann. Am fünften Tag suche ich nach Masterplätzen in Stockholm und google, ob es in Nordeuropa auch Brünette Frauen gibt. Ein befreundeter Schwede erzählt mir von auslandserfahrenen Kommilitoninnen, voller Yoga und tropischen Tätowierungen auf der Suche nach den Chiasamen, die sie für ihr Müsli brauchen. Eigentlich gibt es nichts schlimmeres, als vermeintlich interessante Frauen mit konkretem Ernährungsplan. Am sechsten Tag beantworte ich Luke’s Fragen zur Haptik des Buches, das ich bis September veröffentlichen will, ohne zu wissen, was Haptik eigentlich bedeutet. Gegen Ende der Woche sitze ich nun in einem späten ICE nach München und bereite mich nicht auf das Moderationsvorsprechen vor, das ich morgen aus meinen abgeschnittenen Ärmeln zaubern muss. Ich trage ein paar durchgetretene Vans und eine viel zu kleine Jeansjacke. Ich denke, dass ich mir vor meinem Termin ein ordentliches Shirt von Simon leihen sollte und höre unbewusst Mädchenlieder von Ed Sheeran durch die Zufallsfunktion meines Telefons trillern. Was […]

REVUE

Jetzt sitze ich mit festem Stuhlgang in der Transitzone des Panama City International Airports und trage ausgewaschene Jeans und festes Schuhwerk ohne zu schwitzen. In den letzten zwölf Monaten habe ich sieben Länder bereist ohne mich in kurzlebiger Internetdekoration zu verlieren. Meine fotografische Telefonbibliothek liefert bis auf etwas unanständigen Überfluss keinerlei Indiz über das Erlebte. Trotzdem ist meine Haut braun genug, um meine Zähne, ohne allabendliches Putzen, immer noch weißer erscheinen zu lassen, als eine Weste, die ich auf den Spielplätzen dieser Welt mit jugendlicher Wissbegierde einsauen konnte. Wenn man des fehlenden Angebots wegen so viele unmanierliche Hamburger essen muss, wie wir in den letzten Tagen durch Nicaragua, sind weiße Anziehsachen sowieso weniger von Vorteil. War es das wert? Für ein paar Reisepasspaninies und vertraute Gesellschaft über dreißig Stunden durch panamerikanischen Wahnsinn zu heizen? Sechs Ländergrenzen zu passieren, um in Costa Rica wegen zwei Bananen fast den Anschluss zu verlieren und in Panama ohne einen finanziellen Nachweis abenteuerliche Grenzkonversationen zu führen? Dafür, dass man tägliche immaterielle Verlustängste leidet und sich irgendwo zwischen Managua und San Jose mit vierunddreißig anderen Businsassen für drei stromlose Stunden benutze Luft teilt? Existenzängste leidet, weil der fünfte Bankautomat immer noch nicht in der Lage ist, europäische Kreditkarten zu lesen, um das Benzin zu bezahlen, mit dem wir ironischer Weise später im Sand stecken bleiben? Sich Ort für Ort verdaungsspezifische Trinkwasserfragen zu stellen und in einem Hostel nach dem anderen reisebegleitende Unterhaltungen zu führen? Mit der ganzen Kraft meines ausgelaugten Körpers sage ich: na klar! Viel zu viel spielt in unsere Karten und fordert uns auf Wälder ohne Wanderwege zu betreten. Die Dinge zu tun, von denen uns klardenkende Erwachsene abraten, weil sie davon ausgehen, dass es ausreicht Szenarien im Namen anderer erlebt zu haben. Wir entscheiden uns ohne Bedenken gegen den wohl schönsten Nationalpark des Äquators und für die Ladies Night in Hermosa. Weil wir uns so gerne im Nachtleben verlieren, nachdem wir die Zeit zwischen Frühstück, Mittag und Abendbrot im Wasser verbringen konnten. Hier gibt es überall Amerikaner! In Jaco erzählt uns einer, wie er Tage zu vor mit Viagra, Kokain und einer achtzehnjährigen Prostituierten in ein billiges Hotelzimmer verschwunden ist. Ein anderer lässt die Seele bei unkonventionellen Baseballwetten in akklimatisierten Casinos baumeln und erzählt den Zurückgebliebenen zuhause später vom ganzen Stolz zentralamerikanischer Amerikanisierung. Dafür ist uns selbst das verdorbene Hühnchen zu schade, das wir seit unserer Abreise in Panama in uns herumgetragen haben. Gegen die Stereotypisierung verbringe ich einen kurzen Strandtag mit einem braungebrannten Mädchen aus Tennessee, bevor wir uns auf unermüdliche Nachtfahrten ohne Fensterheber durch lichten Dschungel einlassen. Hier bezahlen Jordan und ich Dosenbier mit drei verschiedenen Währungen und realisieren langsam, dass sich unser Pubertätseldorado dem jungen Ende neigt. In meinen letzten Tagen verliere ich endlich genügend Materielles, um zu verstehen, wie belanglos die Dinge sind, die eigentlich keinen Namen tragen. Es sind die Bekanntschaften und scheinbar so unbequemen Momente an welche man zurückdenkt, wenn man in überteuerten Flughafenrestaurants nach einer Steckdose fragt, um dem Finale des vergangenen Jahres ein paar Zeichen zu setzen ohne sich in reisenden Kalendersprüchen zu verlieren mit denen man so starke Magenverstimmungen provoziert, dass man am liebsten zu Hause geblieben wäre. Am Morgen meiner Abreise lasse ich Jordan schlafen. Irgendwie beneide ich ihn um sein bedenkenloses Urvertrauen, auch wenn er dasselbe von meiner abendteuersüchtigen Zuversicht sagt. Irgendwie verabschiedet man sich doch nur richtig von den Menschen, die man für eine ganze Zeit nicht wiedersehen […]