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BYND

Konstantin Arnold

ARCHIPEL

Wir schlafen auf vier Quadratmetern. An der der Tür sind Sicherheitshinweise und ein ansehnliches Doppelschloss angebracht, obwohl man ohne erwähnenswerte Anstrengung einfach durch unser kaputtes Fenster einsteigen könnte. Der Ventilator ging die ganze Nacht auf Stufe drei. Wir atmen benutzte Luft und schwitzen uns in den Schlaf. Im Hinterhof eines ansehnlichen Restaurants mit Pool, indem sie das Geld reinwaschen, dass über die kolumbianische Grenze einige Flecken bekommen hat. Dekadent ist anders, auch wenn wir uns nach zwölf Stunden auf Booten, in Taxen, Bussen und hinter Golf Mobilen, ein schlafversprechendes Einzelzimmer leisten. Gestern haben wir jede Mahlzeit des Tages in Verkehrskantinen zu uns genommen und die Liebe für frittierte Empanadas im Überfluss verloren. Dreimal mussten wir die Grenze auf und ab laufen, weil uns hier und da ein plakativer Stempel fehlte. Dann ist es spät, irgendwo zwischen Pavones und Dominical. Ich schlage mein kleines schwarzes Buch auf, um mich in den Notizen zu verlieren, die meiner Meinung nach das Sagen haben, wenn es um unsere Zeit in Panama geht. Ich weiß noch, wie verkatert und schlaflos wir in Panama City angekommen sind, nachdem uns eine amerikanische Mätresse am Flughafen abgeliefert hatte, der ich bis heute zentral amerikanische Briefpost versprochen habe. Oder, wie sehr ich mich zu Verallgemeinerungen hinreißen lassen habe, nachdem mir klar geworden ist, dass es kein Land gibt, indem man nach der Jungfernfahrt vom Flughafen nicht schon ein Drittel seines Reisebudgets an Unwissenheit verloren hat. Jordan und ich lieben Jeans und festes Schuhwerk. Nicht nur weil man sich dadurch klar von der Flip Flop tragenden Expeditionsgeneration abzugrenzen scheint, sondern auch, weil wir das modisch für ansehnlicher halten. Jedenfalls bis zu dem Moment, in dem wir den akklimatisierten Fahrerraum unseres Luxustaxis verlassen und beginnen, ohne aufzuhören, in unsere neuseeländischen Hemden zu schwitzen. Ich habe gelernt, dass man junge Frauen nicht Seniora nennt und somit wieder Selbstvertrauen in meinen Zahnlückencharme getankt. Nach unserer Zeit in Kalifornien dauert es einige Tage bis wir uns wieder an kleine Spielplätze gewöhnen können, auch wenn wir das Beste aus dem bescheiden Beschäftigungsprogram herausholen, das panamerikanische Pazifikküste zu bieten hat. Irgendwann erzählt uns ein reisender Südafrikaner im Rollstuhl, dass er vor fünfzehn Jahren in seiner Heimatstadt angeschossen wurde und, dass es auf der Karibikseite unseres Urlaubslands den besseren Rum gibt. Also versprechen wir auch der kolumbianischen Kellnerin, die uns zum Bus fährt, dass wir ihr einen Brief zusammenzimmern, sobald wir auf diesen karibischen Inseln angekommen sind, die die reiseerfahrene Entourage in zwei Lager spaltet. Boccas del Toro, irgendwo zwischen Abiturparty und landschaftlichem Hormonüberschuss! Nach sieben Bussen, von denen bei Dreien davon unsere Wellensportgeräte vom Dach gesegelt sind, können wir die Erfahrungen und Empfehlungen unserer Sitznachbarn nicht mehr hören. Wir vergessen Wellenvorhersagen und fordern unser eigenes Urteil, dass unser Leben in den nächsten Tagen in eine Postkartekulisse verfrachten wird. Wir surfen türkisfarbene Bilderbuchwellen und spülen uns den mehlweißen Sand mit Kokosnusswasser von den Waden. Wir feiern den Dschungelgeburtstag irgendeines Kartellkönigs auf einer einsamen Insel von der wir fast zurückschwimmen müssen und trinken mehr Rum als wir normaler Weise vertragen würden. Wir vergessen vier Tage lang den Namen des gemütlichen Kaliforniers, mit dem wir uns bei Tag die Boote teilen und bei Nacht die Heißhungerrechnung für die Straßenstände, die nach durchzechten Nächten Essen verkaufen, von dem man hofft nicht einen schmerzhaften Verdauungstot zu sterben. Irgendwann haben wir genug von paradiesischer Rastafarikultur und sehen Briefversprechen nicht mehr als charmanten Währungszusatz an, auch wenn es um romantische Einladungen und Wiedersehen […]

TAG IM SAND

Relativ nah dran! An dem was man sich so vorstellt, wenn man von irgendwo in den Garten schaut, in dem das Gras immer saftig und grün wirkt. Fernweherotik blendet! Deswegen tragen die meisten von uns auch bei leichtem Regen eine relativ teure Sonnenbrille. Ich muss ein paar Geschichten erzählen an die ich mich im Moment nicht mehr richtig erinnern kann. Wir haben verlernt, wie es ist auf deutsch betrunken zu sein. Wir zählen Haarshampoo nicht mehr zum engen Kreis der wichtigen Reinigungsutensilien und können mit heimischer Exotik nicht mehr viel Anfangen. Es wird Zeit nach Spielplätzen Ausschau zu halten, die groß genug sind, um den Bruch mit Erlebtem nicht allzu gravierend wirken zu […]

ELDORADO

Für zweitausendzweihundert zeitverschiebende Dollar ist es möglich in Los Angeles anzukommen, bevor man in Auckland losgeflogen ist und das, obwohl man dazwischen ein paar Stunden in Tahiti geschwitzt hat. Ich durchlebe die Königsklasse der Jetlags und das, obwohl ich die letzten Wochen versucht habe vor zehn im Bett zu liegen, um schneller zu erleben, was sich in diesen Zeilen wiederfindet. Schlaf beschleunigt und ist dennoch die größte Zeitverschwendung, die ich neben Rechtschreibung bis hierher notieren konnte. Trotzdem können wir nicht anders, nachdem uns der Taxifahrer zu der Adresse gefahren hat, die ich ein paar Stunden zuvor auf mein durchtrainiertes Handgelenk geschrieben hatte. Gegen Nachmittag wachen wir auf, weil in Neuseeland gerade morgen ist und meine deutschen Freunde gerade in den Freitagabend feiern. In einem Poolhouse in Venice, dass von den Ururenkeln Albert Einsteins in sicherer Entfernung zu dem Wahnsinn, der sich an der wohl berühmtesten Strandpromenade unseres Bekanntenkreises abspielt, geräumig ausgebaut wurde. Ich auf einer soliden Hartkernmattratze und Jordan auf dieser chinesischen Designer Couch. Dieses Haus transportiert Idealvorstellung und persönliche Kunst, wie ich sie bisher nur aus überteuerten Möbelmagazinen kannte. An der Wand über dem Bett hängt eine Schaufensterpuppe mit Glühlampenhalsband und auf dem Nachttisch steht ein indonesischer Holzpenis. Nach dem Zähneputzen besorgen wir uns Orientierung und erweitern unseren vierundzwanzigjährigen Horizont auf ein paar geliehen BMX unterwegs durch Venice, während mein Bauch immer noch damit beschäftigt ist, die Extraportionen an Flugzeugmahlzeiten zu verdauen. Wir halten in jeder Bar in der man bescheidenen Blickkontakt mit ansehnlichen Kalifornierinnen genießen kann und sind nach dem zweiten Bier fertig fürs Bett. Auf dem Nachhauseweg erzählt mir Bailey von einer Party am Freitag für die wir am nächsten Tag, gut erholt, eine große Kiste Carlsberg kaufen, um auf den Surf anzustoßen, der um Venice Beach nicht wirklich erwähnenswert ist. Seit vier sitzen wir jetzt frisch geduscht in der Sonne und versuchen unsere Erwartungshaltung mit ein paar lässigen Sprüchen im Zaum zu halten. Doch eigentlich wird für Jordan und mich ein Kindheitstraum wahr. Drei Nächte Los Angeles, keine Orientierung und das Potential eines millionenstarken Eldorados. Wir fühlen die ganze Welt in unseren Adern und verschwenden keinen Gedanken an Panama. Wir verfassen Systemnachrichten an fremde Frauen und tindern bis uns die Likes ausgehen. Als es dunkel genug ist, um angetrunken auf ein paar BMX durch L.A. zu radeln, schnappen wir unsere letzten beiden Carlsberg und versuchen diese Bar zu finden, von der uns das Mädchen mit der Ledermütze erzählt hatte. Der Eintritt ist frei und Jordan bezahlt die ersten Runden Whiskey Cola, weil er kurz vor unserem Abflug noch eines seiner kunstvollen Gemälde an zu wohlhabende Leute verkaufen konnte. Es ist dunkel und rauchig, obwohl keiner eine Zigarette hält. Es kommt Musik, die ich mitsingen kann und die Tanzfläche wirkt einladend, aber nicht auffordernd. Diese Bar ist die Liebe meines Lebens, obwohl uns Holy und ihre ältere Freundin davon überzeugen, dass es sich auf der Dachterrasse von Marc Antoine auch gut feiern lässt. Eine halbe Stunde später führen wir also reife Unterhaltungen über Mode und ihre medialen Vertriebsmöglichkeiten, mit Marc Antoine und seinen aus Paris eingeflogenen Freunden. Irgendwo Downtown. Es ist fast zwölf und wir sehen den Spaß, den wir in dieser Bar haben könnten, an unserem rastlosen Auge vorbeiziehen. Uns bleibt eine Stunde, um dem Kunststudenten, der uns per Anhalter mitnimmt, zu erklären, wo wir eigentlich hinwollen. Mittlerweile ist vor der Bar eine Anakonda an Schlange und wir sind froh darüber, dass wir unsere Stempel noch nicht völlig weggeschwitzt haben. Jordan verliert sich in der Gegenwart einer überschminkten Asiatin. Ich rauche drei Zigaretten mit einem eleganten Mädchen mit Hut. Wir sitzen auf dem Bürgersteig und sie übergibt sich. Ich glaube sie ist ein Model und ich steige blind in das Taxi, das sie glücklicherweise mit ihrer Kreditkarte bezahlt. Ich habe mich aus dem Fenster gelehnt und ein paar provokante Behauptungen aufgestellt, die sie beeindruckt haben. Weil ihre Mitbewohnerin jedoch am Morgen ein anstrengendes Shooting hat, sitze ich einige Kalendersprüche später vor ihrer Tür und versuche ohne Telefon und Taxi über meine Aussichtslosigkeit zu lachen. Es ist drei Uhr morgens und Jordan hat die Schlüssel zu der Haustür, die ich heute Nacht nicht mehr finden werde. Ich bin irgendwo in Los Angeles und lasse mich nach einer Meile Fußmarsch von einem afroamerikanischen Pärchen bis nach Venice mitnehmen. Sie fragen mich nach Geld für Benzin und Zigaretten. Bis auf übertriebene Vorahnung habe ich nichts zu bieten. Vielleicht die Erfahrung in einem urbanen Dschungel verbindliche Verabredungen ohne Mobiltelefon zu treffen. Sarah fühlt sich so schlecht für das Verhalten ihrer Mitbewohnerin, dass wir seit diesem Morgen eine zweiundzwanzigstündige Beziehung führen. Wir frühstücken Omelette bei ihrer Mutter in Malibu, besuchen einen kleinstadtgroßen Flohmarkt in Ventura und versuchen irgendwo zwischen Santa Monica und zeitgemäßer Reiseführung etwas Schlaf nachzuholen. Los Angeles bringt mich an die Endstation meiner Aufnahmefähigkeit. Ich sehe mehr Autos als es Menschen zum Benutzen gibt und bin überrascht wie charmant und besonnen Sarah reagiert, als ein oberkörperfreier Verkehrsteilnehmer auf das Heck ihres Volkswagens knallt. Mitten auf dem Parkplatz einer Fastfoodkette. Inmitten von heißhungrigen Amerikanern, die den Bestellprozess mit der Leidenschaft einer Nationalhymnen in das Drive In Mikrophon jubeln. Hand aufs Herz, denn diese Stadt ist voller […]

ADRETT

Genau dieses tapetenweiße DinA4 Blatt beinhaltet in monatlicher Reihenfolge mehr vorbeugende Außerhausmittel gegen Banalität und Erholung, als man es von einem Zettel dieser Art erwarten könnte. Dinge, die eigentlich schon feststehen, aber noch etwas warten müssen, um gelebt zu werden. Geduld ist eben eine Tugend, die der Spontanität den Spielraum zukommen lässt, den sie verdient. Solche Zettel sind wie monatliche Anzahlungen auf selbstgesetzte Ziele. Wie eine schriftliche Reservierung auf bunte Schlüpfer aus der Jahreskollektion des Otto Katalogs. In den Sommermonaten dominiert, nicht nur der Schriftgröße wegen, die Veröffentlichung des Buches, für das es sich zu reisen gelohnt hatte. Aber eigentlich habe ich heute und morgen frei. Die Wellen stimmen an beiden Küsten der Nordinsel überhaupt nicht. Ich wollte relaxen und Mario wollte mir zeigen wie. Meine Flüge sind bezahlt und die Arbeit in diesem Einkaufszentrum wird mit jedem weiteren Tag erträglicher. Ob wegen der Backwarenverkäuferin, die kurz vor Feierabend einige Blaubeermuffins gegen oberflächliche Witze eintauscht, der […]

PROMINENT II

Es dauert nicht lange, um sich wieder an die Dinge zu gewöhnen, die wir auf den letzten zehntausend Kilometern so angepriesen haben. Eine eigene Toilette mit reinlichem Wohlfühlfaktor, ein Einzelbett ohne Mario und die modische Bereicherung von unbenutzter Wechselwäsche. Wegen unseres akademischen Hintergrunds haben wir aufgehört Früchte zu tragen und die Arbeit zwischen den Weintrauben hinter uns gelassen, um uns von der ersten Bezahlung ein direktes Rückfährticket in das normale Leben zu leisten. Auf dem Schiff haben wir nach starkem Kaffee mit Rührei morgendliche Seeluft geatmet und entschieden, dass Glück kein Zufall mehr sein kann. Es ist Freiheit an Möglichkeiten, die man sich am Vorabend sorgsam zu Recht legt und mit dem Verbindet, was einem das Leben aufmerksamer Weise vor die bewanderten Füße wirft. Eine Einstellung im Umgang mit den Hausaufgaben, die die Gegenwart für uns bereitzuhalten scheint und idealer Weise nur im Rückblick ein Sechser im Lotto. Ohne die Ablenkung, die das einfache Leben zu bieten hat, kann man folglich so weit in sich gehen, bis einem schlecht wird. Zurück in Raglan habe ich neben mütterlichem Urvertrauen noch vierzig Dollar. Die Hälfte davon wollen wir in etwas frisches Gemüse investieren und uns mit der anderen das Bier und Benzin nach Auckland teilen. Eigentlich könnte es eine dieser Nächte sein, in denen man aufgeregt schon nach dem Abendbrot einschlafen möchte, weil man gut erholt auf Wellen treffen will, die das Tiefdruckgebiet des Sommers ab morgen an Neuseelands Westküste schießt. Ist es aber nicht! Und das obwohl wir erst seit einigen Tagen einen ruhenden Motor und gastfreundliches Familienprogramm genießen können. Weil wir mehr vom Leben wollen, als eine gut getaktete Internetverbindung, kaufen wir einen Karton Double Brown im Kühlregal und warten bis Simba seinen Chef davon überzeugt hat, eine halbe Stunde früher den Löffel hinzulegen. Trotzdem ist es spät, als wir uns zusammengequetscht in einem weißen Subaru mit Allrad wieder finden. Auf dem Weg in eine Stadt, die die wenigstens von uns bereits nüchtern bewundern konnten. Mittlerweile ist es fast elf und ein Großteil der Anwesenden, muss in weniger als neun Stunden wieder unausgeschlafene Brötchen verdienen. Einer muss fahren. Das Dosenbier aus dem Kühlregal ist so eisig, dass man es eigentlich nur mit einer Waffel genießen kann und die meisten unserer Witze brauchen für Außenstehende eine deutsche Bedienungsanleitung. Trotzdem lachen wir von Herzen, wenn wir daran denken, dass wir wie verpickelte Groupies durch neuseeländische Nacht heizen, um für türöffnende dreißig Dollar einem lustigen Australier beim Plattendrehen zuzuschauen. Paul Fischer ist ein Musterbeispiel für den Wahnwitz der Berühmtheit und plattendrehender Beweis dafür, dass man mit einigen schlechten Fernsehsendungen selbst den rothaarigen Informatiker von Nebenan zu einer Unterhosen- werbenden Sex Ikone machen könnte. Natürlich sind wir neidisch, weil wir neun Dollar für ein kleines Bier bezahlen und Paul gerade dabei ist eines seiner freien Corona über das Mischpult zu schütten. Vor der Bühne ist es eng, und ich wünsche mir auch eine dieser schlechten Fernsehsendungen, sofern ich dadurch etwas mehr Beinfreiheit genießen kann und uns die Türsteher nicht vor Ende der Show zum Ausgang bitten. Letzten Endes sind unsere untersagten Kopfbedeckungen daran schuld, dass wir den Club noch vor drei verlassen müssen. Auf dem Heimweg sitze ich auf dem Beifahrersitz und habe das Gefühl, dass sich das Kapitel Neuseeland dem Ende neigt. Ich war ein deutscher Student in Hamilton, ein Fremder in Raglan und ein einheimischer Surfbrettverkäufer an der Ostküste. Ich war ein Tourist auf der Südinsel und betrunken in Auckland. Ich habe alles gelebt, so fühlt es sich jedenfalls an. Ich frage mich, ob ich bis auf den Haarschnitt anders geworden bin und gehe in betrunkener Sorgsamkeit die Bekanntschaften durch, von denen ich denke, dass sie ein Leben lang halten werden. Eine davon bittet […]

PROMINENT

(Unästhetische Ansehnlichkeitnach Acht)

TICKET

Dieses Mal fliege ich gegen die Sonne meiner mitteleuropäischen Zukunft entgegen. Nicht aus Angst, man könnte mich in Singapur dafür dran kriegen, dass ich mit dreiundzwanzig einmal in den Pool gepinkelt habe, von dem Touristen bis heute einen fotowürdigen Ausblick genießen können. Mich reizen amerikanische Zollbeamte und das unbändige Angebot mittelamerikanischer Erwartungslosigkeit. Bis auf kurze Hosen und benutzte Luft aus Ventilatoren denke ich über Spielsachen nach, die mir in den Transitzonen zwischen Aukland – Tahiti – Los Angeles – Panama City – Lissabon und Frankfurt […]

GASTARBEITER

Willkommen zwischen den uninteressanten Zeilen des Erwachsenwerdens. In Zeiten, in denen man die Guillotine von Routine fürchtet und vor dem Einschlafen weiß, was der nächste Tag zu bringen hat. Jeder Berg hat sein Tal und ich kann meine Füße nur deswegen still halten, weil wir so lange auf einer Gebirgskette gewandert sind. Nach dem Feierabend beginnt für mich die eigentliche Arbeit. Ich muss mich mit meinem produktiven Tatendrang auseinandersetzen und versuchen, die Sternstunden nachzuholen, die ich in den letzten acht Stunden verpassen musste, weil ich Pinot Noir und Riesling in ein paar Kanister pflücken musste. Nach jedem vollen Eimer stelle ich mein Leben in Frage und versuche mir zu erklären, wie wir eigentlich hier gelandet sind. An meinem ersten Tag, habe ich heimlich so viele Trauben gegessen, dass ich den Rest meines Feierabends auf der noblen Toilette des Winzers verbringen musste. Verdammt war mir schlecht! Ob wegen der Weintrauben oder der Vorstellung, diese Art von unspektakulärer Tätigkeit für die nächsten fünf Wochen betreiben zu müssen, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. An meinem zweiten Tag habe ich meinen Traubenkonsum auf ein paar Hände voll reduziert. Diesmal habe ich Chardonnay aus den Eimern gegessen und konnte nach Feierabend meinen ungesunden Tatendrang damit zügeln, dass ich all meine Klamotten in die Wäschetrommel eines Waschsalons geworfen habe, um die nächsten eineinhalb Stunden in Unterhose ein paar Gartenmagazine durchzublättern. Ich habe mich selbst überlistet und genieße fehlende Alternative. Meistens sitzen wir nach Feierabend für eine halbe Stunde auf der Stoßstange unseres Autos und wissen nicht, ob wir weinen oder lachen sollen. Ich werde meinen Master in San Sebastian machen. Ich werde diesen Moderationsjob für diese Outdoor Filmtour machen, sobald ich meine Abschlussarbeit zu den Akten gelegt habe. Ich denke mir, dass wir keine Wahl hatten. Dass zu diesem Zeitpunkt, unter diesen Bedingungen, die einzige küstennahe Alternative darin bestanden hätte, in Christchurch ein paar zerfallenen Häusern beim Aufbauen zu helfen. Jetzt sitzen wir an unserem Campingtisch inmitten einer idyllischen Ebene, um die eine bergige Postkartenkulisse geklebt wurde und kontaktieren den einundvierzigsten der sechsundachtzig ansässigen Weingüter. Wir treffen uns mit Nicky, telefonieren mit Chris und versuchen Jerome zu finden. Wir bekommen die Emailadresse von Gerry und werden von Kathi weitergeleitet, bevor wir eine Nachricht auf der Mailbox von Peter hinterlassen. Wir können Hendrik nicht finden und erfahren von Grant, dass Cromwell der küstenfernste Ort ist, den eine neuseeländische Landkarte zu verzeichnen hat. Das ist Meersalz in die Wunde, wenn man bedenkt, dass ich die letzten neun Monate nicht weiter als einen romantischen Spaziergang vom Meer entfernt, verbracht habe. Das sind also die harten Zeiten, von denen realistische Erwachsene reden, wenn man ihnen mit zu viel Lebensmut entgegentritt. Wir brauchen Arbeit, um Geld zu verdienen und nicht um unserer freizeitlichen Errungenschaften wieder schätzen zu wissen. Hier in Cromwell gibt es ein kleines Schwimmbad. Wir denken darüber nach eine Clubkarte zu kaufen, um etwas Routine in das Leben auf vier Rädern zu bringen. Es gibt eine urige Kneipe, in der man neben etwas Perspektivlosigkeit auf ein paar echauffierte Anwohner treffen kann, die wir nach eintausend Meter Kraul nur ungerne kennenlernen möchten. An der Theke sitzen ein paar dreckige Farmer, die uns mit abschätzenden, betrunkenen Blicken in ihrem Lebensmittelpunkt willkommen heißen. Hier gibt es mehr Barhocker, als es Einwohner zum Benutzen gibt und wir entscheiden zu stehen. Wir bestellen zwei kleine Bier bei der argentinischen Bedienung, die in völliger Charmeresistenz etwas Exotik in unseren Bestellprozess bringt und freuen uns, dass die Jukebox ein paar Lieder spielt, die wir mitsingen können. Das nimmt den Druck aus der Unterhaltung, zu der man in manchen Kneipen verpflichtet zu sein scheint und wir nicken kontrolliert zu died in your arms tonight. Deswegen haben sie das Pferderennen im Fernsehen lautlos laufen. Den einzigen Fernseher, den ich je besaß, hatte mir zu deutschen Zeiten meine Mutter gekauft. Jedoch nur für zeitweiligen Liebeskummer und mit der Bitte, ihn nach Besserung kassengerecht zurückzugeben. Die einzige Unterhaltung führen wir mit einem glatzköpfigen Maori, der uns ohne Worte darauf hin weißt, dass ihm Marios Tätowierungen gefallen. Weil wir uns im Moment nicht mehr leisten wollen, steigen wir kurz nach acht in unser mobiles Zuhause. Irgendwo zwischen […]

STEROIDE

Es regnet in Strömen. Auf dem Boot werden sie uns morgen erzählen, dass es 35mm per Quadratmeter gewesen sind. Von den urzeitlichen Anblicken, die man auf Google Bilder findet, ist kaum etwas zu erkennen. Wir wollen in Millford den Freund eines Freundes treffen, bei dem wir für heute Nacht unseren Van parken können. Es ist ein später Samstagnachmittag und wir hoffen auf etwas Nachtleben, bei dem man zufälliger Weise auf ein paar einsame Bootbesitzerinnen treffen könnte, weil wir uns neben kühlem Lager keine Touristenexpedition leisten können. Wer hatte eigentlich die Idee, ein kleines Dörfchen in die Mitte des Nirgendwos zu bauen, um dann zu hoffen, dass es genügend Verrückte gibt, die über zwei Stunden durch prähistorisches Grün heizen, um in den Fjorden ein paar Walen bei Baden zu zusehen? Im Fjordland ist alles auf Steroiden. Man schießt einen 35mm Film auf fünfhundert Metern ans Limit, weil es nach jeder Kurve noch größer, noch wilder und noch urzeitlicher aussieht. Als wir am Ende der Einbahnstraße ankommen finden wir eine Tankstelle, einen unfassbar großen Parkplatz und unfreundliches Barpersonal. Wie sollen wir hier den Freund eines Freundes finden? In meiner Generation hat mir niemand erklärt, wie ich mit jemandem Kontakt aufnehme ohne mein Handy zu benutzen. Traditionelle Verabredungen und Münztelefone können helfen. Wir spielen eine Runde Billard in einer Bar, in der jeder Besucher erst einmal nach dem WLan Passwort fragt, bevor er ein Bier bestellt. Wir parken unseren Van etwas außerhalb der Tankstellensiedlung auf einem Parkplatz, der neben uns, heute Nacht nur von einem jungen Pärchen zum Schlafen benutzt wird. Ich glaube es sind Deutsche, denn sie reden wenig und verbringen die meiste Zeit des Abends in ihrem Kleinwagen, der von innen mehr beschlägt, als Oscar prämierte Titanicverfilmungen. Die Nacht zwischen den Gletschern ist so dunkel, dass man eigentlich auch mit offenen Augen schlafen könnte. Wir braten frisches Gemüse mit etwas Hosoisauce an, trinken zwei Falschen Bier und schwören uns nie wieder ohne Zigaretten an vergessenen Plätzen anzukommen. Gegen sechs Uhr wache ich das erste Mal auf und versuche meine Hände zu finden. Es ist immer noch dunkler, als ich es von Blocksiedlungen mit Rollladen gewöhnt bin. Ich glaube wir werden gegen Mittag […]

KILOMETER

Heute ist es noch hell, als ich zwischen den Felsen nach etwas Feuerholz suche. Wir sind an der Bucht aus Dear Suburbia angekommen und trauen uns nicht ins Wasser. Deswegen haben wir uns ein paar langweilige Wasserfälle angesehen und dabei erkannt, wie beschränkt unser Interesse abseits sandiger Straßen und guter Wellen ist. Mario hat gerade einen Vogel fotografiert, den wir für einen Pinguin halten, weil wir südlicher nicht sein könnten. Die letzten Tage hat ein Cyclone aus dem Südpazifik so viel arktische Luft in die Caitlins getrieben, dass wir uns bei deutschen Temperaturen etwas heimisch fühlen konnten. Dazu noch etwas Nachbarschaftsstreit mit einem campenden Grundschullehrer Mitte fünfzig, der davon ausgegangen ist, dass er den Platz an der Feuerstelle für sich beanspruchen könnte. Jetzt hat er sein gelbes Iglozelt ein paar Hügel weiter geparkt, um in aller Ruhe übers Wochenende eine paar Klassenarbeiten in der Wildnis zu korrigieren. Nach den letzten Tagen ist unser Beitrag zur Produktivität auf das Trocknen unserer Neoprenanzüge beschränkt. Nach den letzten Tagen fällt das Nichtstun schwer. Wir mussten fünf Farbfilmen hinterherfahren, die wir per Kurier über die komplette Südinsel geschickt haben, um bis zur Deadline der dritten Wachsausgabe entwickelt vor uns zu liegen. Vielleicht war es auch an der Zeit Queenstown zu verlassen, bevor wir erkennen, dass wir zu viel unseres bescheidenen Budgets in gesellschaftliches Abendprogramm investiert haben. In Dunedin angekommen besuche ich binnen sechsunddreißig Stunden mehr Internetcafés, als ein Computerspieler im Turniermodus. Wir selektieren Fotos in Universitätsbibliotheken. Kaufen der Megabyte wegen den siebten Latte Macchiato im dritten Starbucks Café und spielen mit dem Gedanken, die letzten Zeilen des Wildnissartikels in einem McDonalds Restaurant auf digitales Papier zu bringen. Ich beginne die Straße zu hassen. Ich möchte Duschen und endlich irgendwo hingehören. Ich habe kaum noch Geld und die zu großen Seelöwen satt, die in den Gewässern um Dunedins Buchten zu Hause sind. Mein Körper ist geschwächt von Wochen auf der Straße, tagelanger Surfsessions und Stunden in südneuseeländischem Nachtleben. Kurz bevor sich die Öffnungszeiten dem Ende neigen, ist er abgeschickt. Der Text, den wir die letzten Wochen mit Inhalt gefüllt haben. Wir schauen auf das Resultat und erkennen, dass es das wert war. Wir fühlen uns lebendig und kaufen eine Schachtel rote Malboros. Eigentlich müssten wir in den nächsten Tagen anfangen, nach der Schaffarm Ausschau zu halten, die mir nach ein paar Wochen Freiluftarbeit dabei helfen sollte, meinen Flieger nach Zentralamerika zu buchen. Eigentlich sollten wir uns südlich der Caitlins auch endlich ins Wasser trauen, um an deutschen Stammtischen von Seelöwen und großen Fischen erzählen zu können. Aber eigentlich gibt es keinen Chef im Urlaub. Vielleicht sitze ich einfach mal in der Sonnen und schaue unseren Neoprenanzügen beim Trocknen zu bis es dunkel genug ist, ein Feuer zu machen. Heute Abend gibt es Linsen und etwas Broccoli. Das aber nur, weil wir uns die letzten Nächte Rumpsteak geleistet hatten. Nach dem Abendbrot werden wir am Lagefeuer mit einem französischen Zahnarzt und einer Holländerin, die vor ein paar Jahren mit ihrer Tanzgruppe die HipHop Weltmeisterschaft gewonnen hat, eine Flasche Vodka trinken. Den Schnaps hatte eine campende Alkoholikerin Anfang Fünfzig mit ans Feuer gebracht, die beruflich versucht Fotografien ihrer Mahlzeiten unter die Leute zu bringen. Sie war es auch, die das Lagefeuerambiente mit ihren Lautsprechern in ein Livekonzert von den Dire Straits verwandelt hatte. Mit jedem Glas mehr gehen wir davon aus, dass das Benzingeld noch reichen sollte, bis wir durch eine Fjordlandschaft zu diesem Skatepark kommen, den irgendein […]