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BYND

Konstantin Arnold

UNEINS

Der Zugbegleiter wünscht mir und den anderen Fahrgästen eine gute Reise in akzentloser deutscher Sprache. Ein beruflich ausgelasteter Pullunderträger mit ordentlichem Kurzhaarschnitt, versucht seiner Lebensgefährtin fahrplanabweichende Verspätung zu erklären und ich genieße Gefilde durch gut geputztes Glas, die ich noch aus meiner Kindheit kenne. Eigentlich hat es nur vier Tage gedauert, bis ich meine Batterien wieder so voll hatte, dass ich Gedanken an finanziell unmögliche Interkontinentalflüge in Erwägung ziehen konnte. Ich muss Geschichten erzählen, an die ich mich im Moment nicht wirklich erinnern kann. Ich suche nach Spielplätzen, die den Bruch mit dem Erlebten weniger gravierend erscheinen lassen und versuche Lücken zu füllen, wenn es darum geht in deutscher Sprache betrunken zu sein. Mein Körper ist ausgelaugt und frisch gewaschen. Haarshampoo ist auf gutem Weg, sich den ehemaligen Stammplatz in meiner Kulturtasche zurück zu erkämpfen und die deutsche Sim Karte habe ich heute Morgen bestellt. Natürlich möchte ich mich etablieren! Bis zu einem gewissen Grad ist mütterliche Wärme, die wohl schönste Art und Weise Ferien zu machen. Die Tage werden realer, nachdem man heutzutage in sechzehn Stunden mehr Kontinente und Kulturkreise erleben kann, als es an einem Tag Unterhosen zum Wechseln gibt. Zumindest dann, wenn man sich an mitteleuropäische Kleidungsmentalität hält. Panama City und Los Angeles sind näher als unser Nachbardorf, für das meine Mutter in den 80ern einen ostdeutschen Transitantrag stellen musste. Heute planen wir Familien ab dreißig und haben wenig Verständnis für sesshafte Geborgenheit. Irgendwann werden die Nächte länger, weil es hier normal ist, erst kurz vor Mitternacht zu entscheiden, in welcher Bar man gerne in die Morgenstunden feiern möchte. Guter Sauerteig und Bratwurst. Ein resozialisierendes Grillfest jagt das Nächste und dann ist guter Bornsenf so selbstverständlich, wie die Pünktlichkeit des Zuges in dem ich gerade sitze. Gestern habe ich etwas Holz gesammelt, um meiner Mutter einen winterlichen Vorrat für ihren Kamin zu hacken. In dem Wald, der direkt auf das Grundstück wächst, auf dem ich vormittags Filterkaffee im Bademantel genießen kann. Was würde ich für einen Tag im Sand geben. Nicht an Seen oder in tattooverseuchten Freibädern! Dieses Nachhausekommen ist anders, als die anderen! Ich frage mich, was unterwegs wohl passiert ist und schneide mir meinen viel zu langgeworden Bart ab. Ich merke, dass ich lieber frage, als nur zu antworten, weil das Interessiert sein mehr verspricht als das Interessante. Irgendwann verinnerlicht man eine Art zu leben, wie gut gekautes Rührei mit Speck. Dann ist es nicht mehr wichtig zu reden, weil man seine Inbrunst aus Genussgründen lieber nur der Eiermahlzeit widmen möchte. Diese Reise war länger als die Reisen zuvor und zu lang für die heimatverbundene Nabelschnur. Hier durchsuchen gut gekleidete Opas nach acht einige Restmüllbehälter auf Gleis vier. Für nichts als abenteuerlichen Flaschenpfand. Ein Deutschtürke versucht auf Bahnsteig fünf etwas Zigarettenrauch vor die Linse seines Smartphones zu blasen, um sich mit der Blitzfunktion ein verruchtes Erinnerungsfoto vom Bahnhof zu schießen. Irgendwo zwischen Fulda und Frankfurt Flughafen. Deutschland fühlt sich nun an, wie eine Reise, nur dass man einen europäischen Reisepass nicht mit dem Bundesadler abstempeln lassen kann. Am fünften Tag suche ich nach Masterplätzen in Stockholm und google, ob es in Nordeuropa auch Brünette Frauen gibt. Ein befreundeter Schwede erzählt mir von auslandserfahrenen Kommilitoninnen, voller Yoga und tropischen Tätowierungen auf der Suche nach den Chiasamen, die sie für ihr Müsli brauchen. Eigentlich gibt es nichts schlimmeres, als vermeintlich interessante Frauen mit konkretem Ernährungsplan. Am sechsten Tag beantworte ich Luke’s Fragen zur Haptik des Buches, das ich bis September veröffentlichen will, ohne zu wissen, was Haptik eigentlich bedeutet. Gegen Ende der Woche sitze ich nun in einem späten ICE nach München und bereite mich nicht auf das Moderationsvorsprechen vor, das ich morgen aus meinen abgeschnittenen Ärmeln zaubern muss. Ich trage ein paar durchgetretene Vans und eine viel zu kleine Jeansjacke. Ich denke, dass ich mir vor meinem Termin ein ordentliches Shirt von Simon leihen sollte und höre unbewusst Mädchenlieder von Ed Sheeran durch die Zufallsfunktion meines Telefons trillern. Was […]

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