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BYND

Konstantin Arnold

KOKETTIEREN

Jetzt sitze ich in einem traditionellen Hotelzimmer in Zürich. An der Wand hängt kein digitales Lagerfeuer. Dafür stehen auf dem Tisch eine Liste mit den 100 beliebtesten Fernsehsendern und ein unbenutzter Aschenbecher. Die Wände sind cremegelb, auch wenn das eigentlich Garnichts zur Sache tut. Für die Gemütlichkeit ist hier lediglich der Akzent zuständig. Gerade habe ich zwei Mehrkornbrötchen vom Frühstücksbuffet in meiner Unterhose geschmuggelt, die mich im Laufe des Tages davor bewahren sollen, 36 Schweizer Franken für eine Kinderportion Pasta auszugeben. Extraportionen sind mit deutschen Witzen nicht bezahlbar und selbst Obdachlose schlafen hier im Sakko. Eigentlich wollte ich nach dem Frühstück Aquilla treffen und so tun, als wäre ich schon öfters in Zürich gewesen. Doch dann kam das hier. Unzählige Notizen zwischen Köln und Luzern. Der erste an mich adressierte Kinnhaken. Von einem Treppenhausbesitzer im Rentenalter, der zur Karnevalszeit keine unkostümierten Zärtlichkeiten in seinem Fahrradkeller duldete. Schnitzelbrötchen in der Oberpfalz und Elektrokerzen zum Auspusten kurz vor München. Zahnärztlicher Notdienst am frühen Sonntagabend kurz vor Leipzig. Kurz bevor ich mit betäubter Gesichtshälfte versuche nicht auf die unbezahlbare Funktionskleidung zu sabbern, die ich auf der Bühne tragen muss. Einen Tag später sind die Lippen wieder locker genug um textsicher von Pur bis Bushido die richtigen Worte zu finden und zu beweisen, dass Gegensätzlichkeit Spaß macht. Keine passende Etikette zur Hand zu haben, nur weil man nach einer Taxifahrt im Second Hand Mantel angetrunken eine Quittung fordert. Trotzdem brauche ich langsam eine E-Mail Signatur, auch wenn ich erst googlen musste, wie man die vorgeschriebene Kontaktleiste nennt, die wichtige Menschen automatisiert unter ihre Emails setzen. Dazu brauche ich endlich eine Website sagt Phil, der hoffnungslos daran scheitert mir zu erklären, warum man Baukästen und Domains nicht im Baumarkt kaufen kann. Ich soll nach Amsterdam kommen und jüngeren Studenten erklären, was mich zu meinen Bildern bewegt ohne zu wissen, was Brennweite eigentlich zu bedeuten hat. Ich soll mir bis Mittwoch überlegen, was es mir Wert ist Anfang des Jahres indonesischen Surftourismus zu ertragen, um eine Handvoll Geschichten zu schreiben und dabei etwas mehr auf Rechtschreibung zu achten. So wie bei den Facebook Nachrichten mit dem wohl schönsten Mädchen, das ich bisher (noch gar nicht) gesehen habe. Ich fühle mich frei, weil mich kein Arbeitsvertrag mehr an künstliche Zimmerpflanzen bindet und Adrian meine Abschlussarbeit auf Kommata kontrolliert hat. Ich will nur noch die Dinge tun, die ich tun will. Noch mehr, als zuvor. Ohne Sportscheck Katalogbilder. Und zwar genauso wie ich sie tun möchte. Das ist Treue. Sich davon Schnitzelbrötchen leisten zu können ein Segen, der einen aber noch lange nicht zum Autoren macht. Das überlasse ich den Schubladen, in denen gedacht werden muss, um eine Sache komfortabel einordnen zu können. Oder dem, der im Erdgeschoss dieses Hotels heute einen Vortrag über: „Warum ziehe ich immer die falschen Männer an“ hält. Ich konzentriere mich lieber darauf, noch eine gebrauchte Ebay Kamera zu bestellen, um bei diesen Kollektionsbildern nächste Woche etwas professioneller zu wirken. Kurz vor Schluss darf man doch eigentlich noch Danke sagen? Ich bin sprachlos durch den Zuspruch für Adventura. Einmal morgens auf Toilette kamen mir sogar die Tränen. Inspiriert durch den Wasserfluss und das Herzblut, das so ein Projekt fordert, ist jedes Facebook Like, wie eine luftgetrocknete Knackwurst von Oma. Angefangen haben wir diese Tour in Essen. Etwas angetrunken mit Andre, dem Schalker Ultra und Hotelangestellten, der nichts einzuwenden […]

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