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BYND

Konstantin Arnold

NICHTS UND NIEMAND

NICHTS UND NIEMAND

In Algerien wohnen im Frühling die Götter, schreibt Albert Camus 1936. Er schreibt von der Sonne am Abend und vom Wind, den Dörfern und Geschichten, die man sich dort erzählt, den Menschen Algiers. Sie kommen aus den Bergen der Kabylei, dem großen Süden, den unendlichen Weiten der Wüste, und vom Meer, aus Städten mit Namen wie Tamanrasset oder Djanet oder noch weiter aus Mali. Der Großteil dies Landes liegt hinter den Bergen unter dem Gewicht der Zeit, das auf ihm lastet und dem Staub und den Steinen, die noch nicht Staub geworden sind. Guy de Maupassant hat in Allouma da besser drübergeschrieben. Nomadenleben, eine sich bewegende Landschaft, ganz tief drin. Camus schreibt von Oasen und Sehnsüchten, die sich dort hin flüchten, einem Meer, das nur schlürft und schluckt. Er schreibt von einem Licht, das so hell wäre, dass es schon wieder Schwarz ist. Ruinen, die zur Natur übergehen und eins werden mit der Erde, die sie, wie allen fallenden Dingen, wieder in sich aufnimmt. Die römischen Ruinen Algeriens sind besser als die Römischen oder Griechischen. Sie sind nicht abgesperrt. Kindern können dort ihre ersten Zigaretten rauchen oder Küsse küssen und müssen dafür nicht an Bushaltestellen gehen, so wie wir. Die romantische Liebe haben die Mauren, im 15. Jahrhundert, aus Spanien nach Nordafrika gebracht. Nur Küssen tut in Algerien heute keiner. Es gibt auch keine Wüsten mehr, keine Inseln, nur das Bedürfnis danach ist noch spürbar. Es gibt auch kein Algerien mehr, so wie Camus das kannte. Ich wusste nichts über dieses Land und niemand, den ich kannte, war je da und dieses Nichts und dieser Niemand sind gewesen, das mich so anzog. Menschen gehen dafür in die Wüste. Auf der Algerischen Botschaft konnte man auch nicht glauben, dass ich da hinwill. Algier, was wollen sie da? Die Menschen werden misstrauisch, und ich auch, man will nicht, dass jemand kommt, geschweige denn das irgendwer geht. Aber es ist Zauber in arabischen Ländern zu sein, sagte ich, gerade im Herbst. Laubbäume ohne Laub, Moscheen, ein Muezzin, der mit seiner Stimme den klaren Tag durchtrennt. Alhamdulillah, das genügte, ich bekam mein Visum. Puh. Arabien ist immer aufregend, gerade, wenn es Afrika ist und man allein und die Polizei schon mit im Flugzeug, weil die Algerier Gründe haben, sich zu rächen. An Griechen, Karthagern, Römern, Vandalen, Arabern, Berbern, spanische Mauren, Osmanen, lebt aber keiner mehr. Nur die 160 Jahre französische Kolonialherrschaft sind noch nicht verjährt. Besser Macron kommt, bringt Segen, macht Eingeständnisse, öffnet ein paar Archive, braucht Gas aus der Wüste, 1500km weit entfernt, Paris läge näher. Alicante ist 350 Kilometer entfernt. Was das Meer für einen Unterschied machen kann. Mare nostrum, menschenleeres Blau, nach wie vor das Schicksalsmeer. Die Sanftheit Algiers wäre beinahe Italienisch, schreibt Camus. Ich war gerade in Rom und das Einzige, was diese Länder verbindet ist Marcello Mastroianni, der die Hauptrolle in Der Fremde spielt. Italien strömt über vor Erinnerung und Museen, scharfen kulturellen Spuren, in Algier sind die Museen zu oder stehen leer. Constantine ist vielleicht einen entfernten Vergleich mit Toledo wert, ohne Tradition wäre Spanien ja nur eine Steinwüste, mit Bäumen, aber nicht so schönen Steinen. Die Langeweile Toledos ist feiner, aber weil das Meer dort so weit ist, fehlt den Menschen irgendetwas. Dafür gibt es Klöster und Kulturen, Bauwerke, Landschaften, in die sich der Mensch retten kann. In Algerien amputiert man der Welt gerade das, was ihre Dauer bewirkt und einen Anblick ausmacht und das Herz füllt. Die Überlieferung. Man will sich nicht erinnern, keine Vergangenheit mehr, nur das Meer und die Wüste, die eine letzte Würde verleiht. Es gibt keinen Lehren mehr, nur Märtyrer, die dieses Land zusammenhalten und ein Gefühl von Freiheit durch Feindbilder schaffen. Einen Käfig, in dem man fliegen kann. Denkmal drauf, fertig. Zur Einweihung werden Blumen gestreut [….]