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BYND

Konstantin Arnold

DAVONKOMMEN III

DAVONKOMMEN III

So ein Elektroauto ist schon toll, aber esfährt sich nicht wie ein Auto, sondern ein Bügeleisen mit dem man auch fliegen kann. Man fährt 200 und bekommt nichts davon mit. Er zwingt einen zu Pausen an wahllosen Orten, was manchmal schön ist, aber meistens schlimm. In Frankreich ist das mit dem Laden schon besser, außerdem versprühen die Parfüm in Parkhäusern und spielen klassische Musik. Ich könnte einen Thriller über die Verwicklungen beim Laden eines Elektroautos schreiben, wie man ans Auto kommt und sieht, dass nichts geladen hat, und dann der Stecker klemmt oder keinen Empfang ist, um den Ladevorgang zu starten, oder tausend verschiedene Anbieter und Apps und dann das Parkticket bezahlen, obwohl man gar nicht geladen hat. Für mich, ohne Smartphone, ist Elektroautofahren sowieso unmöglich. Ich glaubte, es würde traumhaft und zwinge zu poetischen Pausen, in denen man Lesen kann oder sonst was, aber meistens ist man dafür zu wütend. Nur einmal klappte es, kurz vor Toulouse. Jede Ladestation sollte mittags kurz vor Toulouse sein. Man liegt im Gras und liest und sieht die Pyrenäen, deren Gipfel im Nebel schweben. Davor eine Ebene und dahinter ist Spanien und hinter einem lädt der Audi 350kW pro Stunde. Leider war Toulouse für uns nur was zum Vorbeifahren, eine Welt die wir nicht kannten und ein paar Dörfer mit Burgen drauf. Dafür konnte der Audi aber nichts. Ich stelle mir Toulouse jedenfalls schön vor, viele junge Leute und eine ausweglose Liebe, die man an einem Wochenende kennengelernt hat. Keine katholische Schwere, wie in der Provence. Patrick meinte, dass die Franzosen gar nicht so offen sind, wie alle denken, deswegen fallen Frauen in den Städten, die sichs rausnehmen, so auf. Er meinte auch, dass Toulouse sehr schön ist, aber die Provence schöner, so schön, dass man gar keine Frauen mehr braucht. Sogar die Penner wären nett, auch wenn man ihnen kein Geld gegeben hat.  Als wir in der Provence ankamen, wurde es gerade Abend. Es war warm in Europa. Die Abenddämmerung legte sich über den Mount Ventoux in der Ferne wie eine Flasche ausgeschüttetes Rosé. Man versteht warum van Gogh, Cézanne, Daudet, Mistral und Zola kamen, und wieso man das Licht besser malt, als es zu beschreiben. Wir fuhren lange gerade Straßen und an Häusern mit alten Aufschriften vorbei und bogen rechts in die lange gerade Einfahrt des Chateau Montcaud. Wir fuhren lange gerade Straßen und an Häusern mit alten Aufschriften vorbei und bogen nach rechts in die lange gerade Einfahrt des Chateau Montcaud. Wir hörten das Zirpen der Zikaden, ein anderes Auto in der Ferne und dann den Kies unter den Rädern. Wir rochen den kühlen Geruch der Olivenbäume und sahen den Brunnen, vor dem Chateau, in dem die Zeit stillsteht und Moos drüber wächst. Alles war kalksteinfarben und Pastell, der Besitzer sagte die Fensterläden wären olivenkernsteinfarben und das Schloss von einem Seidenfabrikanten erbaut. Wir aßen gemeinsam zu Abend und die Weine schmeckten, wie das Land aussah. Es waren sehr herzliche Leute, die einmal alles verloren hatten und sich hier alles wiederaufbauten. Wir erzählten von den Bergen Kastiliens und wie unbetreten sie sind, während die im Baskenland rund und grün wären. Hier sind die Berge oben ohne, kahl und ausgeblichen. Der Besitzer sprach von den Cevennen, so als ob man die kennen muss. Er erzählte von einem italienischen Poeten, der im 14. Jahrhundert den Mount Ventoux zum ersten Mal bestieg. Meine Freundin sagte, dass sie als Kind auch eine Raupe hatte und wie viele Kilometer am Ende so ein Kokon ist und der Eigentümer sagte, er weiß, aber die Schmetterlinge werden gekocht. Ich fragte, ob alles, was man hier tun kann, Weintrinken und Glücklichsein ist, Glücklichsein und Weintrinken und Schmetterlinge kochen. Der Eigentümer lachte und sagte, es gebe Momente, in denen man die Schönheit sieht, wie man sie noch nie gesehen hat und manchmal sieht man sie nicht. Die Düfte der Garigue dämpfen den Aufprall der Dinge untereinander. Was die Garigue ist, will ich wissen? Eine immergrüne mediterrane Strauchheidenformation, die als Degradationsstufe der Macchie verstanden werden kann. Ah, was auch immer das ist, unser Streit war vergessen. Wenn man sich wegen nichts in die Haare gekriegt hat, gibt es auch nichts zu besprechen. Nachts hatten wir uns wieder lieb und hörten danach die Seidenraupen auf den Maulbeerbäumen fressen […]