DAVONKOMMEN I
Es geht mir nicht ums Reisen. Das kann ich zuhause, wenn ich in Lissabon bin. Einer der Hintergründe vor dem wir uns abspielen, die Handlung ist die gleiche, Europa mein Zuhause. Reisen ist ja nicht nur hier und da nicht. Menschen und Orte sind überall und sie führen sich an ihnen auf. Fern von eigenen Banalitäten, um nah an denen der anderen zu sein. Lissabon ist keine banale Stadt. Niemand hält hier Ordnung der Ordnung wegen. Keiner geht ohne ein Glas, nur damit der Tag in den Plan passt. Manche sehen das, wie man ferne Orte sieht, herausgerissen aus allem und dort eingefügt, wo sonst alles ein Ende hat. Es ist ein Gefühl, das man kennt, wenn man einen traurigen Film guckt oder ein bestimmtes Lied hört oder bald gehen muss oder sich Spanien vorstellt, am Abend, in Polen, weit weg in der Ferne, selbst Alicante wird dann schön, so ein Drecksloch. Ich glaube was wichtiger ist, Reisen haben immer ein Ende, einen voreiligen Wert, ohne Tod. Diese hier beginnt morgens, halb sieben, mit einer Flasche Schnaps. Am Flughafen. Portugiesische Küche. Ich hatte mir das einfach notiert. Die Flasche lag im Duty-Free und darauf stand: schmecken sie den Wert, den nur die Zeit den Dingen geben kann. Ich fand, dass das schön geschrieben ist und da stand auch noch mehr. Über die Rückgewinnung von Momenten, die man am Tisch miteinander teilt, Anekdoten, die einen Toast verdienen und der Digestif als Ende einer Mahlzeit. Das Marketing machte mich an. Stimmt ja. Alles, was gut ist, wird besser mit der Zeit. Wein, Liebe, Leder, abgenutztes Lissabonner Kopfsteinpflaster. Das Schöne daran ist ja nicht das Abgenutzte, sondern die Zeit, die es abgenutzt hat. Hell erleuchtet flogen wir nach Madrid. Madrid ist eigentlich immer eine sehr glückliche Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer, wenn man sich bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Toreros führen, es reicht ein fantastischer Geist zu sein, der gerne denkt und weiß, was passiert und nicht passiert und das, was passiert nicht ernster nimmt, und schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Die heißen Augusttage, Mittagessen im Botín, keine Polizei, die uns danach anhielt. Die Tage im Westin, der Retiro nach dem Regen, die Flamenconächte in der Candela, die es nun nicht mehr gibt. Es gibt nur noch Shows, weil die meisten mit Flamenco nichts anfangen können, solange er keine Show ist und an gewissen Stellen übertrieben wird. Wenn man das erste Mal einen Flamenco sieht, ist es ein Spektakel, aber man sieht mehr vom Spektakel, als vom Flamenco. Irgendwann will man nur noch Flamenco, ohne die Show und in der Candela konnte man ihn sehen. Unser Madrid besteht aus vielen Orten, die wir kennen und Orten, die wir noch nicht kennen und Orten, die wir kennen, aber noch nicht so, wie wir jetzt sind, nicht im Herbst, und im Regen, wochentags, von einem Elektroauto aus. Sie wusste, ich wollte unser Gepäck nur schnell im Palace Hotel aufgeben und die Zeitung am Plaza Santana lesen und dann die Paseo del Prado runter, an den Bücherständen vorbei, um in den Prado zu gehen, wie immer, aber sie wollte nicht, also ging ich allein zu Sorolla. Im Prado ist es aber am meisten so. Man steht vor den gleichen Gemälden und es sind andere. Es gibt ein paar die immer gleich sind und immer anders und manche, die einen noch nie so faszinierten wie jetzt. Jusepe de Riberas Martyrium ist so ein Bild. Wie die Frau im aus dem Gemälde guckt. Sie guckt aus ihrer Zeit, so als ob sie den Wert des Gezeigten und deren Fehler schon damals kannte. Sie schaut, als könnte sie uns sehen. Nicht mal Riberas Maria Magdalena oder seine Maria Magdalena mit Bart, nimmt einen so gefangen, wie der Blick dieser Frau kurz nach dem Mittelalter, deren noch Bilder zeigen, wie Frauen wirklich Schwanger geworden sind: per Lichtstrahl, der von einem Engel aus […]