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BYND

Konstantin Arnold

WETTERLEUCHTEN

WETTERLEUCHTEN

Es gibt da etwas, dass dir nur Leute zufügen können. Etwas, dass dich reinzieht, ohne, dass du etwas anderes dagegen tun könntest. Du kannst immer und überall in sowas reingeraten und alles am Ende nicht so gewollt haben. Du kannst versuchen, es zu erklären, dich darüber aufregen, verrückt werden, flennen, wenn das dein Männerbild zulässt, aber du kannst nichts dagegen tun, denn das hieße sich dem Leben verwehren, wie es sich bietet. So sind die Schwerkräfte des Lebens nun mal, Naturgesetze menschlicher Umlaufbahnen, die in Form von Anziehungen und Abstoßungen um dich kreisen, solange du lebst und so lange Leben Mitleben heißt und du noch kein dummes, gefühlskaltes Arschloch geworden bist, also ein glücklicher Mensch. Unter liebenden Lebensumständen heißt das, in meinem Fall, dass alles, was man nun tun kann, falsch ist oder gegen dich verwendet wird. Spricht man es aus, dreht man ein Ding draus, spricht man es nicht aus, hat man es nie gesagt, verheimlich vielleicht sogar was, also sagt man es und richtet ausgesprochenen Schaden an, unterstellt dem anderen, dass es ihn beschäftigen würde, oder regt den Verdacht, dass es für jemanden von Interesse wäre, obwohl man nur ein gottverdammter Geliebter ist, der aus Verständnis versucht, den anderen vor seinen eigenen Gedanken zu bewahren. Das, was dir nur diese Leute zufügen können, geht meist mit einer gewissen Verantwortung einher, die dir von ihnen aufgetragen wird. Das kann die Information eines Freundes sein, die man einem anderen aber nicht erzählen darf. Das kann Rücksicht sein, die man in Form von Unehrlichkeit aufeinander nimmt. Ich habe Menschen gesehen, die nie etwas aussprachen und nur so überlebt haben. Hat aber nichts mit dem Schweigen meiner Eltern damals beim Chinesen zu tun. Das muss man mal diplomatisch sehen. Wenn einem Land aus Versehen eine Bombe in ein anderes fällt, lässt sich darüber reden, aber sobald es auf öffentlicher Bühne ausgetragen wird, ist das andere gezwungen zu reagieren und die Sache wird fatal. Ich sage daher immer gleich alles und nehme auch keine Rücksicht auf niemanden, nicht mal mich selbst, auch wenn das nicht so ein guter Grund zum Trinken ist, wie es nicht zu tun. Wenn nun viele dieser Leute mit anderen zusammenkommen, merken sie oft gar nicht, dass sie das tun, aber diese Erkenntnis bringt genauso viel, wie sie nicht zu haben. So ist es immer schwierig, wenn man sich eine Zeit nicht gesehen hat und dann erzählen muss, wie etwas war. Oft hängt die Seele noch da wo die Geschichte spielt. Anders ist es, wenn man mit diesem einen Menschen an den verschiedenen Orten gewesen ist, dann hat die Seele in ihm ein Zuhause. Antibes, Lissabon, München, St.Moritz, Mailand. Ich bin dann immer aufgeregt, was sich nicht so zeigt, sondern dadurch, dass ich alles fertig gedacht und parat haben will, wenn sie kommt. Sie ist allumfassend. Nimmt mich ein. Vielleicht verliere ich mich, hab ein Recht auf mich, aber in Mailand bringen wir uns auf den neusten Stand. Essen diese Pizzadinger, die sie so mag, gleich hinter dem Duomo. Spazieren durch die Galeria, trinken einen Caffee bei Camparino im Stehen und freuen uns, dass die Statue des Leonardo jetzt so schön im Grün steht. Sie schwärmt, wie Lissabon blüht. Ich hätte die Jacarandas verpasst. Die ersten warmen Sommertage. Aber ist gut jetzt in Mailand zu sein. Wir gerne würde ich ihr was teures kaufen. Sie fragt, wie alles so war? Wie schwierig die Zeit daheim und der eine Abend mit Oma, obwohl der nach einer Flasche Wein und zwei doppelten Wodka eigentlich ganz schön wurde. Sie fragt, wieso und ich weiß nicht, wie ichs erklären soll, aber Oma will immer, dass ich zu ihr komme, selbst wenn draußen der schönste Frühlingstag ist, Sonne, was seltenes. Ich überredete sie, mit mir auf eine Caféterrasse zu kommen, um ein Glas in der Sonne zu trinken, aber unter solchen Umständen bekommt man natürlich keinen Tisch und einen Sonnenbrand und bezahlt zu viel. Nach einem Versuch von Apéro (meine Oma trank nichts) ging wir essen (meine Oma aß nichts). Sie bestellte sich einen Sex on the Beach mit zwei doppelten Wodka und sagte sie lade mich ein, nur die Flasche müsste ich selbst bezahlen. Nach der Hälfte wurde es eigentlich ganz lustig und bis dahin ist es unerträglich gewesen. Ich habe an diesem Abend wieder gemerkt, dass Alkohol eine Lösung ist, eine viel bessere, als das was er entriegelt, in sich zu behalten. Oma begann locker zu werden, wie eine Freundin, sogar ein paar neue Geschichten aus dem Krieg waren dabei und nicht immer nur die gleichen und wenn dann nur einmal. Nur warum meine Mutter so ist, wie sie ist, konnte sie auch nicht sagen. Ihrer Meinung nach trug sie daran keine Schuld. Eingeharkt bracht ich sie heim, rechts die Oma, links den Rest Wein. Es war ein schöner Abend. Der Himmel war noch blau und die Nacht blieb […]

SCHARLATAN

SCHARLATAN

Ich habe schon viele Anfänge gehabt. Sie kommen, wie sie gehen. Man will los schreiben, aber dann passiert wieder was oder man ist in Wien und nichts ist mehr wichtig, außer dass man Geld verdient, um sich das Leben und das Schreiben zu leisten und diese Creme, die man sich morgens und abends in den Arsch schmieren muss. Die Creme hat einen schmalen hundepimmelartigen Aufsatz, den man sich einführt. Und so stehe ich, morgens und abends, egal wie betrunken, egal wie verklemmt, mittellos in der Opernsuite des Bristol-Hotels und kämpfe gegen Hemmungen, Hämorriden, Zeitungen, Verleger, den Ausverkauf, der ganzen verdammten Welt. Zwei Schlafzimmer, drei Bäder, Türen, die durch Schränke gehen und viertausend Euro im Dispo wären auf meiner Seite. Wenn man so arm dran ist und sich dann noch was in den Arsch stecken muss, braucht man Menschen, die dafür bezahlt werden, dass sie nett fragen, wies einem geht. So wie Herr Baur, der Maître des Restaurants, der meint ich sei dünner geworden. Das wären die kürzeren Haare oder der Bart, Durchfall will ich nicht sagen. Egal, ich soll hier was und spare mir Mahlzeiten anderswo. Was für ein netter Mann. Die Zeitung ist morgens auch immer da. Genau wie die Sehnsucht nach meinen dunklen leidenschaftliche Portugiesen, die in aller Herren Ländern arbeiten und ihre besten Jahre opfern und dann hoffentlich noch welche haben, wenn sie heimkehren mit Geld und Erinnerung an ihre dunklen Dörfer und Landalleen. Portugiesen sind Weltentdecker, Astronauten der Vergangenheit, aber seitdem die Welt entdeckt ist, müssen sie aus anderen Gründen gehen, um die Entfernung zu spüren, zu dem, was man liebt. São Paulo, Macau, Hongkong, Südchina, Wien, Urlaub in Mosambik, wo man Frauen kennenlernt und eine, mit der man die Zeit in den Jahren danach rumkriegt. Man erkennt sie daran, dass sie selbst im Wiener Sommer noch Jacken tragen, zumindest Jacketts. Einer Paar saß im Flugzeug uriberisch neben mir. Mit dieser den Sinn gefangen nehmenden Menschlichkeit, dem Wissen, was Essen und Teilen ist, Leben mit Wein. Ihrer Milde vor der ganzen Rauheit des Atlantik. Eine maurische Ruhe ging von ihnen aus, hellenische Klasse, ein südhemisphärischer Geist. Ich wollte am Flughafen gar nicht von ihnen gehen. Überall sieht man glückliche Touristen, die im T-Shirt vor einem Essen in der schwachen Aprilsonne zwischen den Wolken sitzen. Sie kommen aus London oder Paris, aber wer Lissabon kennt, hat es schwer, irgendwo anders glücklich zu werden. Man schaue dafür nur auf die portugiesischen Kellner im Bristol, die verfolgt von Geldsorgen und Erinnerungen manchmal beim Abräumen eines Tisches verharren und ins Leere blicken, durch die blassen Fenster aufs ganze Nass und sich nach Portugal sehnen. Die Sonne ist für sie nicht nicht mehr als ein Gerücht über den Wolken. Denn irgendwann wird dieses leichte Grau über all den Dingen und Dächern in Schluchzen ausbrechen, voller Mitgefühl für sie und alle Menschen auf der Flucht, Betrogene und Boxer, die in er der ersten Runde k.o. gehen, Autoren, die seit Tagen nur auf dem Klo sind. Die Wurzeln dieses Gemüts liegen in den tiefen Katastrophen und Niederlagen, die dieses Volk aus Seefahrern und Fischern hinnehmen musste. Erdbeben auf der Höhe der Aufklärung, Voltaire gegen Leibnitz sei dank. Vier Jahre Kolonie Brasiliens, aufgrund peinlicher Brüderkämpfe. Eine Diktatur, aber heute ein verlässlicher Freund in Europa, eine Zierde für die Demokratie, wenn man sich, dem Ozean abgewandt, das Ausmaß der Korruption mal wegdenkt. Denn der Atlantik ist es, der keine Hochmut zulässt. Dafür aber einen sehr attraktiven Ernst, und einen Stolz, sich nicht würdelos zu widersetzen, wenn man mal aus höchsten Höhen in die tiefsten Tiefen fällt, als mächtigste aller Mächte. Sie sind tiefer in ihrer Freude, dauerhafter in Beziehungen, inbrünstiger im Gebet, also das Gegenteil von Italien. Selbstbewusst, trotz  einer Randständigkeit im Schatten der Mächte, die ihnen eine rettende Nebenrolle im großen Krieg zu teilten, als Europa endet, und in Portugal die Unendlichkeit beginnt. Dieses Volk ist bescheiden, es mahnt leider, zeigt weniger als andere auf andere und die Misthaufen unserer Zeit. Ihre Verbindungen haben nichts von der üblichen Überquerung von Grenzen und dem herkömmlichen Anspruch den Liebende stellen. Allein wie meine Freundin mit Niederlagen und Rückschlägen umgeht, wie sie ihre Klagen lebt und Wünsche. Ich weiß noch wie lang sie an diesem Kleid vorbeiging und schwärmte, bis ich es ihr kaufen konnte. Oder wie lang sie mit einem Telefon telefonierte, das aussah, wie aus dem Fenster geworfenes Glas. Sie hatte auch mal eine seltene Hautkrankheit, die ihr Gesicht anschwellen ließ, was sie aber nicht davon abhielt (und mich auch nicht), abends noch mit auf ein Glas zu gehen und zu lachen, auch wenn das weh tat. Durch diese schwere Innerlichkeit sind die heiteren Stunden des Apéro doch möglich. Ich liebe dieses Land so sehr, dass man einfach nicht davon kommen kann, ohne es ein bisschen länger beschrieben zu haben, selbst wenn man lange schon im Hotel in Wien ist. Ein Hotel ist ja ersteinmal ein Haus, in dem man eigentlich nicht zuhause ist. Die Zimmer gehören mehr denen, die es aufräumen, den Eingang bewacht ein Portier, der Nachtisch ist eine Pflicht den Kellnern gegenüber.  Aber es gibt auch Hotels in denen du richtig leben kannst, mit Durchfall wie in deinem Leben, sogar daran sterben könnte man da. Ob man jedoch in einem Hotel zuhause ist, wird erst im Ernstfall klar, aber das Bristol in Wien ist so ein Haus, genau wie das Sulthanamet in Istanbul oder das Grand Hotel du Cap-Ferrat an der Riviera. Vor allem aber im Bristol ist die Stadt mit im Zimmer, obwohl man ganz wunderbar alleine ist, während man sich ausscheißt und ausscheißt und vielleicht aus dem Fenster schmeißt, wenn man weiter so scheißt. Man wird zum Mitbürger einer Straße, eines Viertels, einer Idee. Im Spiegelschrank über dem Klo bedauert dich der Abendglanz der Stadt durch die Fenster: Welt genug. Tausend ferne Geräusche bauen Stille um dich her. Im Lack der Autos unten präsentieren sich die Lichter der Auslagen und grüßend sehen die Reklame von den Dächern auf meine kleine Welt. Nachts um drei noch nach Kohletabletten zu fragen oder einem Chirurg ist auch nichts schlimmes. Die fremdartigsten Dinge werden mit uralter Sicherheit in die Atmosphäre einbezogen. Der Arzt sagte, normalerweise blieben die Leute heute nicht mehr so lang in solchen Hotels, dass Durchfall samt Folgen in ein und demselben Zimmer bekämpft werden. Er sagte, sie schleppen ihn mit sich rum. Ich sagte, ich würde abwechseln und hätte drei Klos. Die ersten Nächte waren lang, jetzt bin ich auf Kohletabletten und kann langsam wieder Tafelspitz essen. Gestern war ich mit Durchfall sogar bei Vivaldi. Dem Doktor gefiel der auch. Das sowas Menschen machen. Wir waren beide der Meinung, dass OP.8. Nr. 2 Sommer RV315 Ill Pesto natürlich das Beste ist, aber ohne die anderen Lieder gar nichts wäre. Ein ultimativer Moment, der sich dazwischen nicht nur verschwendete. Natürlich wussten wir die genaue Bezeichnung nicht, die mussten wir googeln. Er beschrieben mir das mit einem Bienenschwarm und ich mit Bauchkrämpfen. Er sagte er liebe Vivaldi, nur nicht in G-Moll und ich sagte, ja klar, so als wüsste ich was er meint. Hier wüssten man aber auch wo meine Beschwerden herkommen. Durchfall und der kalte Stein auf den Sitzbänken in der Karlskirche, das vertrage sich nicht mit Tafelspitz und Blauburgunder. Auch wenns nur ein Achtel ist. Aber wir hatten gute Plätze ganz vorn, beheizt. Ich beschrieb ihm den schönen Geruch meines Sitznachbarn, der sich mit der Musik zusammentat. Es war eine Mischung aus Sachen, die noch von Mama gewaschen wurden, Motten und Hautcreme. Draußen nach dem Konzert sahen wir uns wieder. Ich sah erst ein schönes großes Mädchen und dann ihn. Das Schöne lauert überall, man sieht es in allem und jedem, und in Frauen, die einem hinterhergucken meistens als etwas, das gerade noch wegonaniert werden kann. Ich ging zu ihm ihn. Sein Name war Mario. Er verhielt sich wie jemand, dessen Vater ein berühmter Opernsänger in Mailand ist und trug auch solche Sachen. Lottriges Zeug mit Motten, dass vor ihm schon hundert andere anhatten. Mario war Ende dreißig, Single und stand noch auf Gästelisten. Ein ganz normaler Berliner. Drogennehmen ohne Selbstverantwortung, bis Papa aus Mailand kommt und den Perserteppich ausrollt auf dem man sich und seinen Selbstmordversuch auskotzen kann. Menschen wie Mario kommen direkt hinter jungen Australiern, die nicht mitbekommen haben, was in Europa los war, die letzten 2000 Jahre und jetzt Jesus entdecken und Menschen mit ihren Aszendenten belästigen. Seine Heimat war Mailand und Wien und seine Heimat konnte nicht Berlin für ihn sein. Er wollte anfangen, wie multikulturell und […]

UNZUMUTBARES

UNZUMUTBARES

Bin geschafft, aber kanns kaum erwarten, und der Baggerfahrer vor unserem Haus baggert ja auch. Senhor Alfredo schleppt seinen schweren Körper schon seit neun wieder durch die Tendinha, auch wenn der selbst daran Schuld ist, am Körper und dass er so spät immer noch eine letzte Flasche aufmacht. Ich könnte einfach morgen damit anfangen, ausgeschlafen, ohne Baggerfahrer und Alfredo, gleich an der Riviera, aber unsere fängt meistens sowieso schon zu Hause in Lissabon an. Ich bringe den Müll raus, sie sucht sich ihre Outfits zusammen. Ich gieße die Blumen, sie sucht sich die Outfits zusammen. Ich räume auf, sie sucht immer noch. Klare Rollenverteilung. Es ist dann meistens weit nach Mitternacht und unser Flug nur noch wenige Stunden entfernt. An Schlaf ist nicht zu denken, denn sie sucht dann immer noch. Wir haben das so oft gemacht, dass es mich gar nicht mehr aufregt. Außerdem habe ich das mit meinem Psychologen besprochen. Er hat mich darauf eingestellt und wir laufen seitdem wie ein Uhrwerk. Er meinte, ich solle solange mit einem Buch in ein Café gehen, auf dem Weg zum Flughafen, oder schon mal eine Einleitung schreiben, die wie immer damit beginnt, dass der Flug so früh war und wir so spät gewesen sind. Ich flog nur mit Anzug, zwei Hemden, einer Badehose, ohne Computer, mein Telefon benutzte ich eh nicht. Ich flog, wie man nach dem Aufwachen vielleicht an den Strand geht. Mit einem fast fertig gelesenen Buch von Pio Baroja, der über die gute alte Zeit schreibt, als das Meer noch nicht industrialisiert war und die Küsten nicht so kultiviert. Er behauptet nicht, dass Meer sei damals besser gewesen, aber weniger befahren, nicht so friedlich, vielleicht etwas romantischer und gefährlicher, wohl aber jünger und nicht ganz so verglichen. Betrand Russels Warum ich kein Christ bin kam auch mit, obwohl das nicht passt und Worte wie Transgression, also die Eroberung der Dinge, die kein Sex sind, ein zu schweres Thema für einen so leichte Gegend ist. Sie bekam den meisten Platz in unserem Koffer. Ich schrieb meiner Mutter, dass ich jetzt eine Zeit lang nicht da bin, wo ich sonst bin und sie schrieb zurück, noch weniger als sonst? Ich antwortete ja. Wo gehts denn hin? Hotel du Cap, Antibes. Was, bist du nicht pleite? Ja, sagte ich, aber die Mahlzeiten sind umsonst, inklusive der Drinks, wir fliegen zum Sparen hin. Keine Ahnung, warum ich das schrieb. Aber ich hatte sonst nichts zu schreiben, außer dieser Geschichte, die jetzt erst einmal gelebt werden musste und mich hoffentlich davon abhielt, die alten immer weiter zu umschreiben, bis sie endgültig versaut sind. Nachdem sie mich in der Bar abgeholt hatte und wir endlich im Taxi saßen und nichts mehr schiefgehen konnte und sie ihren Pass erst nicht dabei hatte, und dann doch und ihr Telefon, und ihre Outfits, fragte ich, ob mich mein Psychologe von der Liebe geheilt hätte? Wir streiten ja gar nicht mehr. Ich hatte ihm gesagt, er solle mich ganz machen, aber doch nicht ganz. Sie sagte, nein, keine Sorge, ich hätte nur gelernt Dinge für mich zu behalten und zu unterscheiden, wann man etwas sagt und was und vor allem wie. Wir hätten aus unseren Streits gelernt und wären es allen Orten schuldig, die wir schon verschwendet haben. Ich sagte, große Gefühle gäbe es doch nicht umsonst und wir brauchen uns gerade aufgrund der Neurosen. Doch, gibt es, so ist die Liebe und wie schön das Leben ohne Neurosen dann ist. Der Rest wäre fürs Tagebuch meiner papierenen Klagemauer. Sie sagte das sehr schön und klar und wie noch nie. Frauen wissen immer schon, was wir uns erarbeiten müssen. Sie haben es in sich. Bei mir wäre da eine Art alte Schuld, bei ihr eine Form des Vergehens. Vor uns vielleicht eine enge, höhere, angenehme Verbindung, wie Bruder und Schwester, die gerne miteinander ins Bett gingen. Die Meisten meinen, sich mit ihrem Partner so gut zu fühlen, sie wären wie Häfen für sie im Ansturm des Alltags. Wie kann die Liebe der Hafen sein und der Alltag ein Sturm, ohne weiße Boote vor Anker? Und warum muss man sich immer gut fühlen? Es gibt andere gute Gefühle, die viel besser sind. Wie wenn man genauso schnell fällt, wie man auch angezogen wurde und seine Tage in einem Parabelflug beginnt.  Auf der anderen Seite konnte so ein Streit auch noch kommen. Man hält ihn immer für unmöglich, bis es so weit ist. Vor allem auf dem Weg an die Riviera läuft man auf viele leere Tore zu, es ist Halbfinale, eins eins, kurz vor Schluss. Man kanns nur verkacken oder erkältet sich so, dass man nicht rauchen kann, bekommt Hemmungen, Hunger, Hämorriden, Durchfall, oder mit seinen Erwartungen zu tun. Liebende sind wie Panther. Sie kratzen nur zu gern, wenn sie gestreichelt werden wollen […]

HINTER DEN BERGEN LINKS

HINTER DEN BERGEN LINKS

Ich wusste, dass es am Tejo lang geht und dann nach Norden, die Serra hoch und dann auf der Serra lang und irgendwann in ein schönes Tal und in ein noch schöneres, von dem ich dachte, dass es schon das Schönste gewesen wäre. Die lange Straße, auf der wir kamen, schlug am Ende des Tals einen Brückenbogen, in einen kleinen Ort, der ganz im Rauch lag, weil dort Schnaps gebrannt wird. Der hochprozentige Dunst liegt wie Nebel über dem Dorf in der Sonne und zieht morgens, bei Südwind die frisierten Weinberge hoch bis zur Quinta do Reguengo links am Hang. Ich wusste, dass das die Quinta do Reguengo ist und die Capela da Nossa Senhora da Vega daneben und gleich die Birkenbäume kämen und Oliveiras und die Weinberge, von denen man über den Fluss und die Felder die Hänge hoch sehen konnte. Unten im Tal war ein kleines Lokal, das Fisch aus jenem Fluss frittierte, der dem Tal seinen Namen gab, bevor er in den Douro mündete und für immer verschwand. Der Rio Sabor entspringt nördlich von Bragança und schneidet die schönsten Schneisen in das Himmelhügelmeerland. Das wusste ich alles und ich fragte mich, ob es nicht doch besser wäre, alles wieder zu sehen und schon zu wissen, so wie es besser ist, mit einer Frau zu sein, und nicht vielen, obwohl ich das schon lange wusste, nur noch nicht ganz verstand, bis ich es ganz verstanden hatte; und ich sagte mir, wenn ich es nur lange genug verstehe, würde sich die romantische Tektonik meiner Gefühle schon verschieben. Ich hatte das alles schon einmal gesehen und sah nun alles wieder und sah es viel mehr. Orte wiedersehen oder neue, zum Ersten Mal oder lange nicht und dann wieder, ist es mit Leuten wie mit Orten? Hängt von den Leuten ab, die die Orte ausmachen und den Orten, die die Leute prägen. Leute sollte die Orte schon in sich tragen, aber da ist etwas, dass Leute haben und Orte eben nicht, das Unglück Denken zu müssen. Außer mir Hügel, die nie wirklich Berge sind. Dass die auch Namen haben, wusste ich, weil wir mit Karte fuhren und nur Straßen, auf denen Traktoren sind. Außerdem hing auf dem Herrenklo der letzten Tankstelle ein Relief der Region. Als wir in das nächste Dorf kamen, fragte ich einen Müllmann, wo man hier essen kann und er sagte es mir und dann wusste ich das auch. Bekamen wir im Vornherein Empfehlungen strichen wir sie normal von der Landkarte. Wir fragten die Leute, wo wir hinmüssten, um zu wissen, dass es für uns da nichts gab. Müllmänner, Männer auf Pferden, Bruchsteinhändler, Fischer und Frauen mit Bart ausgenommen. Es war dann wie montags im März Champagner trinken, den man sich für Silvester aufgehoben hat. Es hatte auch nichts mit den Orten zu tun, sondern nur mit den Hoffnungen, die man sich an ihnen macht und den Erwartungen, die sie vertreiben. Wir sind nicht die Typen, die nirgendwohin wollen, nur weil da alle hingehen, wir hatten einfach kein Ziel, und unsere Gründe, bis irgendwann, irgendwie in San Sebastián zu sein. Ja, wo will man denn hin? Erreicht man ein Ziel, wird es die Schwelle zum Nächsten. Das Einzige, das es wirklich gibt, ist endgültig und wäre fatal, aber noch keine Pflicht, nur eine Stecknadel zu der wir uns aufziehen. Eine Übersetzung für Menschen, die die Sprache des Gehens nicht sprechen. Ziele sinds nichts weiter als Entschuldigungen, wie Einkäufe welche sind, Abschlüsse, Auslandssemester, Café in der Sonne, Vaterunser und Zigaretten. Man darf das Reisen nicht Orten überlassen. Es ist nicht nur hier und da nicht. Man muss den Blick dafür behalten, die schöne Straße sehen und nicht den Weg zur Arbeit. Den Körper einer Frau, und nicht die, mit der man ständig streitet; den Terreiro do Paço und nicht die Leute, die darauf sitzen oder was man über ihn sagt. Ein Mensch gewöhnt sich an alles, an das Schlechte, was gut ist, aber auch an das Gute, was nicht gleich schlecht ist. So hielten wir an vielen Orten, an denen man nie halten würde, so vielen wie möglich. Klippen, Täler, Leere. Gigantische spanische Flächen, an deren Ende, die Berge wie Schildwachen standen, die Wolken abfangen. Die meisten Orte waren aus einer Kirche und einer Bar gemacht, und einer Straße, die durch das alles führte und von zwei Ampeln begrenzt wurde. Die Kirchen konnte man von weitem sehen, ohne auf die Bar schließen zu können, aber im Nachhinein lässt sich sagen: je weniger Turm und je mehr Mauer der Kirchturm gewesen ist, desto netter der Mann an der Bar […]

CAMPO GRANDE

CAMPO GRANDE

Liege vorm Campo Grande im letzten Rest einer untergehenden Sonne am Rande Europas. Jardim Mário Soares, bestimmt eine Stunde schon. Bisschen verkatert, aber gar so nicht unbequem, die Bank, den Schal und die Handschuhe so als Kissen über die Lehne gelegt. Leute kommen vorbei, manche sehen mich an, denken, was für ein Penner, andere tun so, als wäre ich gar nicht hier und gehen weiter den Weg lang. Gerade ein Blinder im glänzendem blauen Cordanzug, und die zwei eben waren auch nicht schlecht, er schon sehr alt, und sie alt, aber nicht sehr. Beide kamen an mir vorbei, und setzten sich auf die Bänke den Weg runter, wo die exotischeren Bäume sind, aber sie setzten sich nicht auf die gleiche Bank, sondern auf zwei verschiedene, die sich gegenüberstehen. Von der einen kann man geradeaus in die Arschritze der Statue eines fetten Zé Povinhos sehen, der Wasser aus zwei Weinschläuchen in einen Brunnen spritzt. Das Wasser frisch wie ein Fluss. Von der anderen den McDonalds und die Büste von Mário Soares. Mit einem einvernehmlichen Nicken standen sie dann auf, nach einer Weile, fassten sich an, gingen weiter, als ob nichts gewesen wäre, war ja auch nichts, nur zwei, die sich gegenüber auf eine Bank gesetzt hatten und einer in der Sonne, der das sah. Man kommt hier übrigens nur her, wenn man mindestens fünf Jahre in Lissabon lebt, oder gerne kompliziert mit dem Bus fährt und aus umliegenden Dörfern stammt. Wer direkt nach Campo Grande zieht, wenn er nach Lissabon kommt, hat einen absoluten Schuss. Man versteht das hier ohne die Altstadt nicht. Könnte sonst wo sein. Man kanns gar nicht genießen, ohne zu wissen, wie schön Graça ist. Ich bin auch nur hier, weil in einem Informatikgeschäft gerade meinen Laptop operiert wird. Mindestens drei Stunden würde das dauern, mindestens! hatte der Spezialist gesagt, die ich im Park verbringen müsste, nein dürfe. Zeit haben, zu früh dran sein oder zu spät und so Zeit verschenken. In der Sonne liegen und auf meinen Laptop warten, ist ja auch Teil meiner Arbeit, denn wenn ich nicht in der Sonne liegen würde, könnte ich das auch nie schreiben und die Geheimnisse des Lebens, die einem als Zufälle begegnen zu Notwendigkeiten erheben. Außerdem bestehe Hoffnung, hatte er gesagt. Sie werden lachen, aber ich kann jetzt nicht einfach heimgehen und mit einem anderen Computer weitermachen, als ob nichts wäre. Das geht einfach nicht. Die Tasten Z und Y vertauscht, Deutsch schreiben ohne Ü. Abergläubischen Routinen, die Spitzensportlern eigen sind. Ich kann auch nicht einfach per Hand schreiben, das ist nicht das gleiche, auch wenn die Gedanken vom Kopf direkt über den Arm aufs Papier gehen, sie sind nicht simultan. Mit dem Computer kann man fast so schnell denken, wie man schreiben kann und muss nicht warten, bis man was fertig geschrieben hat, um weiter denken zu können. Notizen klar, Briefe gehen auch, auch ein paar Fetzen, aber keine fertigen Sätze. Nun zeigt mir dieses Computerding klar, wie verletzlich, dass alles ist, alles, was man tut, wie fragil. Keine Ahnung, wie das Menschen vor mir geschafft haben, ohne Clouds und Psychiater, kopieren und einfügen, ich fühl mich, wie ein Pianist ohne Klavier. Wie ich die Rechnung bezahlen soll, ist mir auch noch nicht klar. Habe ehrlich überlegt den Rest des Nachmittags einfach schnell über Zebrastreifen zu gehen und mich anfahren zu lassen. Zu viel Zeit zum Denken. So viel, dass mir die Zeit auffiel und der Staub in der Luft, durch den man die kalte Winterluft sehen konnte. Normalerweise würde ich mir die Zeit mit Zwangsgedanken vertreiben, bin aber […]

MITTELMEERMANN

MITTELMEERMANN

Nur noch eine Hecke sein, die an einer Straße wächst. Und erst dahinter die Welt. Ohne zu wissen, was man nicht weiß und was man damit wieder gemeint hat. Leben und Sterben mit ganzem Körper und mit ganzer Seele Zeugnis ablegen, welch Schauspiel dessen Großartigkeit nur mit der Stille nach einer langen Party gleichzusetzen ist. Mir hätte in dieser Stunde, an diesem Ort, in Lissabon, in dieser Phase meines Lebens vielleicht nichts Lieberes geschehen können, als nachts wach zu liegen, zeitlos und still wie Luft, nach einem, unserer vielen Streits, und sie sagt: Boa Noite, morgen versuchen wir es erneut. Ich dachte, dass es so eigentlich immer sein müsste. Vielleicht fühlte ich mich nie wieder so lebendig und so allein. Es wird Zeit, dass ich schreibe, damit wir hier weiterkommen. Alles begann mit meinem Zusammenbruch am Rossio, wie im Film, nur dass es im Buch gewesen ist. Ich konnte mich aber geradeso halten, an einer schönen Straßenlaterne, vor der Bahnstation, zwischen all den Leuten. Lissabon lag im Rauch, es war abends, nachtblau, der Himmel laternenhell. Ich war wieder durch die Gassen gelaufen, hatte in die Fenster gesehen, um zu sehen, was Leben ist und wie das geht. Ich kenne nur meins und das Ideal, das ich von anderen habe. Am Praça São Paulo sah man es besonders mit den kahlen Bäumen, die aussahen, als würden sie nie wieder grün werden, den Bars voller Puppen und Kumpels, die Fleischer gut gelaunt, weil sie den Platz hatten mit Bäumen und eine Frau und Wein, der für die nötige Abwechslung sorgt. Menschen kauften Geschenke ein. Ich hatte kein Geld für solche Sachen, weil wir das zum Erleben brauchten, aber irgendwie brauchte man doch schöne Sachen, um die Dinge zu erleben; in schönen Sachen, schöne Dinge erleben, im Leinenanzug den Nil runter, mit Parfüm, so nen Zeug. Ich sah in Schaufenster, Anwaltskanzleien und Blumengeschäfte ganz anderer Viertel, die für ganz andere Menschen mit ganz anderen Leben ganz normal sind. Ich ging an Orte zwischen den Orten, wo die Gewohnheit der einen auf das Interesse der anderen knallt und doch alles gleich ist. Das Leben der anderen schien immer schöner und leichter, weil man die nicht selbst sein musste und ich dachte, wenn die meins von außen sehen, denken die das bestimmt auch. Nach meinem Zusammenbruch ging ich erst mal zu Jorge, meinem Freund, dem Schuhputzer, weil der gleich am Rossio ist. Ich erzählte ihm, was los war und er freute sich, einen Grund zum Trinken zu haben, sagte ich müsste aber zahlen, wie Leute, die dich um eine Sache bitten und so tun, als täten sie dir damit einen Gefallen, aber ich war froh, dass Jorge da war und keine sentimentalen Fragen stellte und meinte, dass man mit einem Glas Roten noch alles heilen könnte. Er sagte Silvester ginge er zum Feuerwerk, am Terreiro do Paço. Ob ich auch komme? Wenn es regnet, geht er aber nicht. Ich sagte Jorge, ich hatte gerade die Symptome eines Herzinfarkts, Schweiß, Schwindel, Schwarz und dann die Straßenlaterne. Wahrscheinlich bin ich Silvester tot. Ja, Ja, sagte Jorge, du denkst nur was Leute denken, die denken, dass jemand tot auf dem Boden liegt und um sein Leben röchelt, wenn er gerade nicht drangeht oder aufmacht. Hast du vorher irgendwas anders gemacht? Nicht wirklich, wir haben gestritten, ich hatte zum Mittag, um vier, ein halbes Kilo grüne Bohnen, mich bis sechs Uhr frühs in Alfama rumgetrieben und war gerade erst Fasten mit Herzcheck, allem drum und dran. Vielleicht ist das die verspätete Angst aus Algerien, sagte Jorge, was ein Dreckloch, oder zu viel Schreiben oder Schreiben generell, und immer wieder dieses Beziehungsdrama seit Wochen, Monaten, Jahren! Du brichst lieber dein Herz, als ihrs. Na und die Scheiße von Telefonen immer alles, überall Regeln zu können. Es gibt Gedanken, die einem die Kehle abschnüren, Gefühle, die uns den […]

EPISODE AM GENFER SEE

EPISODE AM GENFER SEE

Ob ich schon mal in Lausanne gewesen bin, kann ich nicht sagen. Es gibt zu viele Seen in der Schweiz, an denen ich schon ein schlechtes Gewissen hatte. Die Welt scheint dort einfach zu in Ordnung. Vorfahrtsregeln, Blumenbete, sehr biologisch angebaute Buttermilch, Atommüllendlager, alles genau geklärt. Aber nein, das ist kein Einstieg, nicht der den ich will. Nochmal. Ob ich schon mal in Lausanne gewesen bin, kann ich nicht sagen. Es gibt zu viele Seen in der Schweiz, die schön sind und zu viele Gründe, sich an ihnen abzuspielen. Das Stück von Nizza nach Genf ist überhaupt eines der Stücken Welt der Welt. Schon besser! Oder lieber doch nur einmal Welt? Das Stück von Nizza nach Genf ist überhaupt eines der Stücken schönsten Stücken Welt. Die stolzen Städte und Dörfer spiegelten sich eitel im See. Ihre Lebensart bleibt einem verschlossen. Rechts waren die Weintrassen der Lavaux, links lag der See und auf der anderen Flussseite die Berge. Ich las Camus Wüstensgeschichten, aber wusste selber, dass man irgendwann stirbt und das Buch passte nicht zur Landschaft und ich legte das Buch wieder weg. Keine Kirche war höher als die Zypressen. Man fuhr dicht an den Gärten der Herrschaftshäuser vorbei, deren Dächer zum See hin brandeten. Ihre Gärten blühten. Die Luft war frisch und ich sah die Berge und den See und freute mich sehr, dass ich lebe. Ich kam mit dem Zug in die Stadt und hatte mein Bahnticket in der Brusttasche. Der Lärm des Tages legte sich gerade und die sanften Töne des Abends stimmten sich ein. Die fertigen Vorstellungen trieben die Menschen aus ihren Theatern auf die Gassen, um sich aufzuführen. Straßenbahnen fuhren vorbei, nahmen ihren Lärm aber gleich wieder mit. Die stolzen Häuser standen alt und ruhig für sich da. Verliebte lagen im Park und sahen in den Himmel. Es war wirklich Frühling, Gott und die Welt saß auf den Terrassen der großen Hotels und legte seine Augenblicke auf den See. Die Sonne ging unter und irgendwo wieder auf und das Leben war so einfach gemacht, wie Campari Orange. Es fühlt sich an, wie der See aussah. Gut und klar, bis zu den Alpen und dann dunkel, wolkig und geheimnisvoll, voll tiefer Gedanken, die sich am Rand des Bewusstseins verfangen. Aber hier, von den Terrassen bis zum See, hätte man denken können, es wäre immer sieben Uhr und immer Zeit für einen Drink und nie Nacht. Ich hatte eingecheckt und mich auf die Terrasse vor einen Drink gesetzt und war zum Abendessen verabredet. Keine Ahnung mit wem. Jemand vom Hotel wollte mich kennenlernen. Es waren immer die gleichen beschäftigten Leute mit zwei Telefonen, die ganz toll vom Hotel redeten, bis sie kündigten und vom nächsten Hotel das gleiche sagten. Es war zwecklos, aber ich war froh, nicht allein zu essen. Ich traf sie im Restaurant. Sie trug einen gerade gekauften Regenmantel von Burberry. Das gerade gekaufte, konnte man sehen. Man konnte es an der Verzweiflung sehen, mit der sie ihn drinnen trug und auf Regen hoffte. Sie war sehr gleichalt. Groß und blond und blass. Jung für ihr Alter, oder für ihr Alter schon alt. Wir aßen irgendwas und sprachen über Banales. Bedeutungsloses Zeug. Aber was bedeutet überhaupt irgendwas, wenn nicht das Wetter in Lausanne oder der Kaffee in Neapel. Ich sagte, sie sei Französin, sie wüsste, wie schlecht Kaffee schmecken kann. Pariser Cafés sind ja auch nicht mehr das, was sie nie waren. Der Lebensraum der Künstler ist der Kunst zum Opfer gefallen. Der Wartesaal der Talente wurde zum Industriegebiet der Intelligenz. Was es überhaupt noch heißt Autor zu sein? Menschen beim Essen zu beobachten und sich zu fragen, woher sie kommen, wer sie sind und für welchen Fußballverein. Wie man das macht? Man sucht nach Hinweisen, Tätowierungen, Fanschals, Kleidung na klar, wobei die heute nichts mehr über die Leute sagt. Man ordnet ihre Bewegungen ein, guckt wie sie gucken, wenn man guckt und wohin. Was ich sonst noch gerne mache außer Menschen wie Gemälde betrachten? […]

NICHTS UND NIEMAND

NICHTS UND NIEMAND

In Algerien wohnen im Frühling die Götter, schreibt Albert Camus 1936. Er schreibt von der Sonne am Abend und vom Wind, den Dörfern und Geschichten, die man sich dort erzählt, den Menschen Algiers. Sie kommen aus den Bergen der Kabylei, dem großen Süden, den unendlichen Weiten der Wüste, und vom Meer, aus Städten mit Namen wie Tamanrasset oder Djanet oder noch weiter aus Mali. Der Großteil dies Landes liegt hinter den Bergen unter dem Gewicht der Zeit, das auf ihm lastet und dem Staub und den Steinen, die noch nicht Staub geworden sind. Guy de Maupassant hat in Allouma da besser drübergeschrieben. Nomadenleben, eine sich bewegende Landschaft, ganz tief drin. Camus schreibt von Oasen und Sehnsüchten, die sich dort hin flüchten, einem Meer, das nur schlürft und schluckt. Er schreibt von einem Licht, das so hell wäre, dass es schon wieder Schwarz ist. Ruinen, die zur Natur übergehen und eins werden mit der Erde, die sie, wie allen fallenden Dingen, wieder in sich aufnimmt. Die römischen Ruinen Algeriens sind besser als die Römischen oder Griechischen. Sie sind nicht abgesperrt. Kindern können dort ihre ersten Zigaretten rauchen oder Küsse küssen und müssen dafür nicht an Bushaltestellen gehen, so wie wir. Die romantische Liebe haben die Mauren, im 15. Jahrhundert, aus Spanien nach Nordafrika gebracht. Nur Küssen tut in Algerien heute keiner. Es gibt auch keine Wüsten mehr, keine Inseln, nur das Bedürfnis danach ist noch spürbar. Es gibt auch kein Algerien mehr, so wie Camus das kannte. Ich wusste nichts über dieses Land und niemand, den ich kannte, war je da und dieses Nichts und dieser Niemand sind gewesen, das mich so anzog. Menschen gehen dafür in die Wüste. Auf der Algerischen Botschaft konnte man auch nicht glauben, dass ich da hinwill. Algier, was wollen sie da? Die Menschen werden misstrauisch, und ich auch, man will nicht, dass jemand kommt, geschweige denn das irgendwer geht. Aber es ist Zauber in arabischen Ländern zu sein, sagte ich, gerade im Herbst. Laubbäume ohne Laub, Moscheen, ein Muezzin, der mit seiner Stimme den klaren Tag durchtrennt. Alhamdulillah, das genügte, ich bekam mein Visum. Puh. Arabien ist immer aufregend, gerade, wenn es Afrika ist und man allein und die Polizei schon mit im Flugzeug, weil die Algerier Gründe haben, sich zu rächen. An Griechen, Karthagern, Römern, Vandalen, Arabern, Berbern, spanische Mauren, Osmanen, lebt aber keiner mehr. Nur die 160 Jahre französische Kolonialherrschaft sind noch nicht verjährt. Besser Macron kommt, bringt Segen, macht Eingeständnisse, öffnet ein paar Archive, braucht Gas aus der Wüste, 1500km weit entfernt, Paris läge näher. Alicante ist 350 Kilometer entfernt. Was das Meer für einen Unterschied machen kann. Mare nostrum, menschenleeres Blau, nach wie vor das Schicksalsmeer. Die Sanftheit Algiers wäre beinahe Italienisch, schreibt Camus. Ich war gerade in Rom und das Einzige, was diese Länder verbindet ist Marcello Mastroianni, der die Hauptrolle in Der Fremde spielt. Italien strömt über vor Erinnerung und Museen, scharfen kulturellen Spuren, in Algier sind die Museen zu oder stehen leer. Constantine ist vielleicht einen entfernten Vergleich mit Toledo wert, ohne Tradition wäre Spanien ja nur eine Steinwüste, mit Bäumen, aber nicht so schönen Steinen. Die Langeweile Toledos ist feiner, aber weil das Meer dort so weit ist, fehlt den Menschen irgendetwas. Dafür gibt es Klöster und Kulturen, Bauwerke, Landschaften, in die sich der Mensch retten kann. In Algerien amputiert man der Welt gerade das, was ihre Dauer bewirkt und einen Anblick ausmacht und das Herz füllt. Die Überlieferung. Man will sich nicht erinnern, keine Vergangenheit mehr, nur das Meer und die Wüste, die eine letzte Würde verleiht. Es gibt keinen Lehren mehr, nur Märtyrer, die dieses Land zusammenhalten und ein Gefühl von Freiheit durch Feindbilder schaffen. Einen Käfig, in dem man fliegen kann. Denkmal drauf, fertig. Zur Einweihung werden Blumen gestreut [….]

ROM

ROM

Moment mal am Nachmittag, abends, oben, über der Stadt. Als ob der Himmel hier näher wäre. Mit den Büsten aller, die schon gestorben sind. Die Via Garibaldi runter, bei den plaudernden Nonnen vorbei und am Paola Brunnen die Treppen der Sakristei links, wo das Wasser immer fließt, und nie gleich und die Straße dann rechts biegt und man eine Weile schön unter Bäumen geht, bevor man auf die Brücke kommt. Ponte Mazzini, die, von der man auf die Ponte Sisto sehen kann und sieht, wie Türme in den Himmel stechen und sich der Fluss windet und über allem die Pinien stehen, schon immer grün im Herbst. Für die Römer geht die Sonne hinter dem Gianicolo unter, nirgendwo anders. Da, wo die Welt dich haben will, kurz nachdem dich dein Freund verlassen hat und du nun allein ist, mit dem Blick auf Rom und den Herbst und den Vögeln über dir, die am Himmel dimensionale Manöver zeigen, all dem Licht und dem Laub, und dich fragst, ob du das alles so fühlst, weil du jetzt alleine bist und nichts zu schreiben hast oder weil es wirklich so ist, wie du siehst. Manche Momente kann man nicht teilen, sie vergehen und sind tief in uns drin. Zwei küssenden Motorradhelme im Verkehr sehen das auch so. Jemand rudert unter den Brücken heim, wie ein Wasserläufer, der ein Zuhause hat. Den Fluss geht alles das nichts an. Er fließt träge und dreckig an allem vorbei in die Dämmerung. Ins letzte Licht. Bis ans Ende des Ausblicks, Albaner Berge oder ist das Umbrien? Was Schönes, einmal nicht Michelangelo, nicht Bernini, einmal nicht wissen, um gucken zu können. Der Tag endet, wie er beginnt. Früh und purpurn. Traurig jede Abendstunde, die man dann nicht in Rom verbringt. Die Luft ist frisch, als ob man noch gar nicht geraucht hätte. Rom hat auf uns gewartet, jaja, als ob, wir auf Rom. Bin das dritte Mal da, aber war noch nie hier. Nur einmal zum Cabrioholen und einmal in einem Hotel am Flughafen, das meine Freundin uns am Flughafen buchte, um den frühen Flug nicht zu verpassen, den wir dann verpassten, weil wir selbst dort eine Bar fanden, in der wir streiten konnten. Man kann Rom einfach nicht denken, ohne es gesehen zu haben. Antikes Herz einer Weltmacht, religiöses Zentrum und auch noch Hauptstadt Italiens. Erfahrungen, die von anderen gemacht werden. Immer nur Worthülsen, Geschichtsunterricht, sonntags, verkatert, TerraX. Ein Vorurteil, wie New York oder Yoga, aber Yoga kann nichts dafür, von dem wes gemacht wird. Jetzt hat die ewige Stadt Bedeutung bekommen: Roma Termini, Taxifahrer, Arschloch. Sie sitzen den ganzen Tag, leben nicht, sterben nur langsam. Wie auch? Sie haben die schlimmsten Väter der Menschheitsgeschichte, die sie selbst Söhne von Vätern sind, die nach dem Krieg heimkamen und erst mal einen Küchenstuhl reparierten. Seit sie von zuhause weg sind, wohnen sie mit ihren Frauen. Meiner Meinung nach muss man sich in der Welt rumtreiben bevor man nach Rom kommt. Prima di arrivare a Roma bisogna muoversi nel mondo, aber der Taxifahrer versteht nur Bahnhof und fährt mich zum anderen. Also Umsteigen ins Nächste. Hotel Excelsior bitte! Bello, meint der neue, das läge wunderbar am Parks der Borghese, gleich an der Via Veneto, ob ich Fellinis Roma gesehen habe? Zwei Wochen in der Stadt? Nein, aber wir werden Rom schon zu unserem machen. Der Taxifahrer meint, bello, aber in Fellinis Rom hätten Frauen drei Titten. Er spricht von all diesen Filmen, die Liste ist lang und man hat nur ein Leben und das hat Vorrang und ist nie genug, nicht mal für Bücher. Er sagt, es sei nicht leicht in Rom ein Buch zu lesen. Das Leben finde in den Straßen statt und man wäre ein Teil von ihnen. Rom ist aus Fleisch und Blut, nicht nur Resten, dem Gesicht einer Frau, die vor einem Schaufenster steht und sich auf den Feierabend freut. Sie schaut sich […]

EXZESS

EXZESS

Am Anfang war das nur eine Schnapsidee, irgendwas in der Ferne, ein Jahr weit weg. Die von der Redaktion meinten, ich dürfe nicht mehr über Wein schreiben und Liebe und was Leben im Süden sonst noch so ist. Über was soll ich dann schreiben, fuhrs aus mir raus, soll ich Fasten oder was? Das wäre eine tolle Idee meinten die und ich sagte halt zu, war ja noch ein Jahr hin, und dann ein halbes, und dann auf einmal nächste Woche. Nächste! Woche! Panik ergriff mich. Zehn Tage ohne Essen und Trinken, Essen mit Trinken und dann Rauchen. Ich rief die Fastenklinik an, verlangte nach Seelsorge. Nein, sagte die Ärztin am Apparat, Muskeln verlieren sie nicht und ja, sie sind danach noch der gleiche, vielleicht sogar noch mehr. Ich will auf keinen Fall aufhören zu rauchen, oder solche Scherzchen, sagte ich, hören sie, die Beziehung zu meinem Körper ist erste Sahne. Wir verstehen uns prächtig. Ich kann essen was und wann und wie ich will. Der menschliche Körper kann vierzehn Tage ohne Nahrung auskommen, sieben ohne Wasser, sie sind dafür gemacht, sagte die Ärztin. Bei Normalgewicht besitzen sie 10kg Fett und 3kg mobilisierbare Proteine. Damit könnten sie 40 Tage fasten, wie die Jungs aus der Bibel: Moses, Jesus, Elias. Bei 20kg Übergewicht sind es schon 100 Tage. Die Ärztin war sehr nett, gar nicht so arztmäßig, und sagte, sie freue sich dann schon auf mich. Musste sie ja auch. Immerhin bezahlen die Reichen ein Schweingeld dafür, dass man sie dort Hungern lässt. Sie lassen sich von dieser Klinik reduzieren, ihre Geschmäcker auf Null setzten, bis die Übersteigerung abschwillt, weil nach Kaviar nichts mehr kommt. Zuhause kann man nicht so fasten. Meine Freundin probierte das Mal. Sie sah mich essen und wir stritten und das ist alles nicht förderlich. Es ist besser, sich seiner Gewohnheiten und Gelegenheiten zu entziehen, all der Möglichkeiten, den Wechselbeziehungen und Wirkungszusammenhängen, wegen denen man trinkt. Manche haben gar keine, andere zu viel und die sind besser allein, und der Mensch, den man lieben muss, weit weg. Außerdem bekommt man den Arsch ausgespült und das lässt man besser andere machen. Ungefährlich ist das nicht, aber Buchinger hätte 100 Jahre Erfahrung versichert mir die Ärztin, als ich immer noch nicht glauben konnte, dass man mir wirklich ein Enema reinsteckt. Ist vielleicht ein Männerding, aber ich hatte das schon mit fünf und mit Zäpfchen, als ich noch gar nicht wusste, was mein Schwanz ist. Heilfasten zählt zu den härtesten Fastenformen. Die tägliche Energiezufuhr beschränkt sich auf maximal 400 Kalorien (250 braucht allein das Gehirn). Der tägliche Plan sieht Gemüsebrühe (0,25l), Obst und Gemüsesäfte, 2,5l Wasser und 30 Gramm Honig vor. Es sollte die erste Geschichte meines Lebens werden, in der kein Wein vorkommt, aber er war omnipräsent. Zur Rache suchte ich mir natürlich die Klinik im Süden aus. Es gibt natürlich noch viele andere Kliniken, aber keine im Süden und keine von Otto und an einen Ort, der aussieht wie eine Jugendherberge und nach Spucke riecht, Kräutertee aus bunten Bechern, wollte ich auf keinen Fall, wenn ich schon leiden muss. Um ganz ehrlich zu sein, kam mir das doch recht. Ich fühlte mich etwas aus den Fugen und seit einer Weil zu Linsen hingezogen. Mein Körper hatte genug. Erst die Weinernte, dann lange Ferien Madrid, Hochzeiten, Geburtstage und kaum Tage dazwischen und jeder Tag ein Fest. Früher gab es Tage und Weintage, aber seitdem ich mit Madame Mon Amour zusammen wohne sind alle Tage voll Wein. Selbst die heute journal Tage. Mahlzeiten mit Menschen, die ich liebe, zu mir zu nehmen, ohne Wein, fällt mir nicht ein, Essen wird erst so zur Mahlzeit, und ich glaube, ich verlor die Balance. Das merke ich, wenn ich anfange, Dinge zu kaufen, bevor sie alle sind oder nachts auf dem Platz vor der Kathedrale liege oder froh bin, dass die Gassen auf den Heimwegen Lissabons schön schmal sind. Verstehen sie mich nicht falsch, ich bin keiner von diesen Selbstzerstörerischen Typen mit Todessehnsucht, und all der Naivität, die es dazu braucht, dafür bin ich mir zu bewusst, zu ehrgeizig und christlich erzogen. Ich trinke auch nicht, um Schreiben zu können, höchstens, um abends nicht mehr schreiben zu müssen. Auch nicht, damit der Abend schön wird, sondern weil er schön ist. Der Abend ist für mich eine heilige Zeit, Muße, Diskutieren, über gutes und schlechtes und was überhaupt gut und schlecht ist, deswegen trinkt man ja. Man ist von Momenten abhängig, wie die meisten, mehr nicht. Morgens esse ich ein Stück Brot zum Kaffee, mittags einen Teller irgendwas, um weiter arbeiten zu können und abends erst der Genuss. Keine Süßigkeiten, nichts künstliches, nur Naturwein. Ich trinke abends einfach gern Wein, wie die meisten Kopfarbeiter. Punkt. In den zehn Tagen in der Klinik habe ich keine Zigarette geraucht, nicht mal dran gedacht, nur daran, dass ich danach nicht damit aufhören will. Natürlich ist das dämlich, aber hinter dem Dämlichen liegt eine Wahrheit, die jeder selbst Entschlüssen muss, in dem er herausfindet, welche damit gemeint ist. Eine poetisch perverse Lust am Laster. Warum lachen wir übers Laster? Kommt man so über die Sterblichkeit hinaus? Kommen wir aber erst mal an, nach zwei Stunden Schlaf, und morgens, aus Protest, sogar noch bei McDonalds sogar am Flughafen […]