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BYND

Konstantin Arnold

SCHARLATAN

SCHARLATAN

Ich habe schon viele Anfänge gehabt. Sie kommen, wie sie gehen. Man will los schreiben, aber dann passiert wieder was oder man ist in Wien und nichts ist mehr wichtig, außer dass man Geld verdient, um sich das Leben und das Schreiben zu leisten und diese Creme, die man sich morgens und abends in den Arsch schmieren muss. Die Creme hat einen schmalen hundepimmelartigen Aufsatz, den man sich einführt. Und so stehe ich, morgens und abends, egal wie betrunken, egal wie verklemmt, mittellos in der Opernsuite des Bristol-Hotels und kämpfe gegen Hemmungen, Hämorriden, Zeitungen, Verleger, den Ausverkauf, der ganzen verdammten Welt. Zwei Schlafzimmer, drei Bäder, Türen, die durch Schränke gehen und viertausend Euro im Dispo wären auf meiner Seite. Wenn man so arm dran ist und sich dann noch was in den Arsch stecken muss, braucht man Menschen, die dafür bezahlt werden, dass sie nett fragen, wies einem geht. So wie Herr Baur, der Maître des Restaurants, der meint ich sei dünner geworden. Das wären die kürzeren Haare oder der Bart, Durchfall will ich nicht sagen. Egal, ich soll hier was und spare mir Mahlzeiten anderswo. Was für ein netter Mann. Die Zeitung ist morgens auch immer da. Genau wie die Sehnsucht nach meinen dunklen leidenschaftliche Portugiesen, die in aller Herren Ländern arbeiten und ihre besten Jahre opfern und dann hoffentlich noch welche haben, wenn sie heimkehren mit Geld und Erinnerung an ihre dunklen Dörfer und Landalleen. Portugiesen sind Weltentdecker, Astronauten der Vergangenheit, aber seitdem die Welt entdeckt ist, müssen sie aus anderen Gründen gehen, um die Entfernung zu spüren, zu dem, was man liebt. São Paulo, Macau, Hongkong, Südchina, Wien, Urlaub in Mosambik, wo man Frauen kennenlernt und eine, mit der man die Zeit in den Jahren danach rumkriegt. Man erkennt sie daran, dass sie selbst im Wiener Sommer noch Jacken tragen, zumindest Jacketts. Einer Paar saß im Flugzeug uriberisch neben mir. Mit dieser den Sinn gefangen nehmenden Menschlichkeit, dem Wissen, was Essen und Teilen ist, Leben mit Wein. Ihrer Milde vor der ganzen Rauheit des Atlantik. Eine maurische Ruhe ging von ihnen aus, hellenische Klasse, ein südhemisphärischer Geist. Ich wollte am Flughafen gar nicht von ihnen gehen. Überall sieht man glückliche Touristen, die im T-Shirt vor einem Essen in der schwachen Aprilsonne zwischen den Wolken sitzen. Sie kommen aus London oder Paris, aber wer Lissabon kennt, hat es schwer, irgendwo anders glücklich zu werden. Man schaue dafür nur auf die portugiesischen Kellner im Bristol, die verfolgt von Geldsorgen und Erinnerungen manchmal beim Abräumen eines Tisches verharren und ins Leere blicken, durch die blassen Fenster aufs ganze Nass und sich nach Portugal sehnen. Die Sonne ist für sie nicht nicht mehr als ein Gerücht über den Wolken. Denn irgendwann wird dieses leichte Grau über all den Dingen und Dächern in Schluchzen ausbrechen, voller Mitgefühl für sie und alle Menschen auf der Flucht, Betrogene und Boxer, die in er der ersten Runde k.o. gehen, Autoren, die seit Tagen nur auf dem Klo sind. Die Wurzeln dieses Gemüts liegen in den tiefen Katastrophen und Niederlagen, die dieses Volk aus Seefahrern und Fischern hinnehmen musste. Erdbeben auf der Höhe der Aufklärung, Voltaire gegen Leibnitz sei dank. Vier Jahre Kolonie Brasiliens, aufgrund peinlicher Brüderkämpfe. Eine Diktatur, aber heute ein verlässlicher Freund in Europa, eine Zierde für die Demokratie, wenn man sich, dem Ozean abgewandt, das Ausmaß der Korruption mal wegdenkt. Denn der Atlantik ist es, der keine Hochmut zulässt. Dafür aber einen sehr attraktiven Ernst, und einen Stolz, sich nicht würdelos zu widersetzen, wenn man mal aus höchsten Höhen in die tiefsten Tiefen fällt, als mächtigste aller Mächte. Sie sind tiefer in ihrer Freude, dauerhafter in Beziehungen, inbrünstiger im Gebet, also das Gegenteil von Italien. Selbstbewusst, trotz  einer Randständigkeit im Schatten der Mächte, die ihnen eine rettende Nebenrolle im großen Krieg zu teilten, als Europa endet, und in Portugal die Unendlichkeit beginnt. Dieses Volk ist bescheiden, es mahnt leider, zeigt weniger als andere auf andere und die Misthaufen unserer Zeit. Ihre Verbindungen haben nichts von der üblichen Überquerung von Grenzen und dem herkömmlichen Anspruch den Liebende stellen. Allein wie meine Freundin mit Niederlagen und Rückschlägen umgeht, wie sie ihre Klagen lebt und Wünsche. Ich weiß noch wie lang sie an diesem Kleid vorbeiging und schwärmte, bis ich es ihr kaufen konnte. Oder wie lang sie mit einem Telefon telefonierte, das aussah, wie aus dem Fenster geworfenes Glas. Sie hatte auch mal eine seltene Hautkrankheit, die ihr Gesicht anschwellen ließ, was sie aber nicht davon abhielt (und mich auch nicht), abends noch mit auf ein Glas zu gehen und zu lachen, auch wenn das weh tat. Durch diese schwere Innerlichkeit sind die heiteren Stunden des Apéro doch möglich. Ich liebe dieses Land so sehr, dass man einfach nicht davon kommen kann, ohne es ein bisschen länger beschrieben zu haben, selbst wenn man lange schon im Hotel in Wien ist. Ein Hotel ist ja ersteinmal ein Haus, in dem man eigentlich nicht zuhause ist. Die Zimmer gehören mehr denen, die es aufräumen, den Eingang bewacht ein Portier, der Nachtisch ist eine Pflicht den Kellnern gegenüber.  Aber es gibt auch Hotels in denen du richtig leben kannst, mit Durchfall wie in deinem Leben, sogar daran sterben könnte man da. Ob man jedoch in einem Hotel zuhause ist, wird erst im Ernstfall klar, aber das Bristol in Wien ist so ein Haus, genau wie das Sulthanamet in Istanbul oder das Grand Hotel du Cap-Ferrat an der Riviera. Vor allem aber im Bristol ist die Stadt mit im Zimmer, obwohl man ganz wunderbar alleine ist, während man sich ausscheißt und ausscheißt und vielleicht aus dem Fenster schmeißt, wenn man weiter so scheißt. Man wird zum Mitbürger einer Straße, eines Viertels, einer Idee. Im Spiegelschrank über dem Klo bedauert dich der Abendglanz der Stadt durch die Fenster: Welt genug. Tausend ferne Geräusche bauen Stille um dich her. Im Lack der Autos unten präsentieren sich die Lichter der Auslagen und grüßend sehen die Reklame von den Dächern auf meine kleine Welt. Nachts um drei noch nach Kohletabletten zu fragen oder einem Chirurg ist auch nichts schlimmes. Die fremdartigsten Dinge werden mit uralter Sicherheit in die Atmosphäre einbezogen. Der Arzt sagte, normalerweise blieben die Leute heute nicht mehr so lang in solchen Hotels, dass Durchfall samt Folgen in ein und demselben Zimmer bekämpft werden. Er sagte, sie schleppen ihn mit sich rum. Ich sagte, ich würde abwechseln und hätte drei Klos. Die ersten Nächte waren lang, jetzt bin ich auf Kohletabletten und kann langsam wieder Tafelspitz essen. Gestern war ich mit Durchfall sogar bei Vivaldi. Dem Doktor gefiel der auch. Das sowas Menschen machen. Wir waren beide der Meinung, dass OP.8. Nr. 2 Sommer RV315 Ill Pesto natürlich das Beste ist, aber ohne die anderen Lieder gar nichts wäre. Ein ultimativer Moment, der sich dazwischen nicht nur verschwendete. Natürlich wussten wir die genaue Bezeichnung nicht, die mussten wir googeln. Er beschrieben mir das mit einem Bienenschwarm und ich mit Bauchkrämpfen. Er sagte er liebe Vivaldi, nur nicht in G-Moll und ich sagte, ja klar, so als wüsste ich was er meint. Hier wüssten man aber auch wo meine Beschwerden herkommen. Durchfall und der kalte Stein auf den Sitzbänken in der Karlskirche, das vertrage sich nicht mit Tafelspitz und Blauburgunder. Auch wenns nur ein Achtel ist. Aber wir hatten gute Plätze ganz vorn, beheizt. Ich beschrieb ihm den schönen Geruch meines Sitznachbarn, der sich mit der Musik zusammentat. Es war eine Mischung aus Sachen, die noch von Mama gewaschen wurden, Motten und Hautcreme. Draußen nach dem Konzert sahen wir uns wieder. Ich sah erst ein schönes großes Mädchen und dann ihn. Das Schöne lauert überall, man sieht es in allem und jedem, und in Frauen, die einem hinterhergucken meistens als etwas, das gerade noch wegonaniert werden kann. Ich ging zu ihm ihn. Sein Name war Mario. Er verhielt sich wie jemand, dessen Vater ein berühmter Opernsänger in Mailand ist und trug auch solche Sachen. Lottriges Zeug mit Motten, dass vor ihm schon hundert andere anhatten. Mario war Ende dreißig, Single und stand noch auf Gästelisten. Ein ganz normaler Berliner. Drogennehmen ohne Selbstverantwortung, bis Papa aus Mailand kommt und den Perserteppich ausrollt auf dem man sich und seinen Selbstmordversuch auskotzen kann. Menschen wie Mario kommen direkt hinter jungen Australiern, die nicht mitbekommen haben, was in Europa los war, die letzten 2000 Jahre und jetzt Jesus entdecken und Menschen mit ihren Aszendenten belästigen. Seine Heimat war Mailand und Wien und seine Heimat konnte nicht Berlin für ihn sein. Er wollte anfangen, wie multikulturell und […]

CAMPO GRANDE

CAMPO GRANDE

Liege vorm Campo Grande im letzten Rest einer untergehenden Sonne am Rande Europas. Jardim Mário Soares, bestimmt eine Stunde schon. Bisschen verkatert, aber gar so nicht unbequem, die Bank, den Schal und die Handschuhe so als Kissen über die Lehne gelegt. Leute kommen vorbei, manche sehen mich an, denken, was für ein Penner, andere tun so, als wäre ich gar nicht hier und gehen weiter den Weg lang. Gerade ein Blinder im glänzendem blauen Cordanzug, und die zwei eben waren auch nicht schlecht, er schon sehr alt, und sie alt, aber nicht sehr. Beide kamen an mir vorbei, und setzten sich auf die Bänke den Weg runter, wo die exotischeren Bäume sind, aber sie setzten sich nicht auf die gleiche Bank, sondern auf zwei verschiedene, die sich gegenüberstehen. Von der einen kann man geradeaus in die Arschritze der Statue eines fetten Zé Povinhos sehen, der Wasser aus zwei Weinschläuchen in einen Brunnen spritzt. Das Wasser frisch wie ein Fluss. Von der anderen den McDonalds und die Büste von Mário Soares. Mit einem einvernehmlichen Nicken standen sie dann auf, nach einer Weile, fassten sich an, gingen weiter, als ob nichts gewesen wäre, war ja auch nichts, nur zwei, die sich gegenüber auf eine Bank gesetzt hatten und einer in der Sonne, der das sah. Man kommt hier übrigens nur her, wenn man mindestens fünf Jahre in Lissabon lebt, oder gerne kompliziert mit dem Bus fährt und aus umliegenden Dörfern stammt. Wer direkt nach Campo Grande zieht, wenn er nach Lissabon kommt, hat einen absoluten Schuss. Man versteht das hier ohne die Altstadt nicht. Könnte sonst wo sein. Man kanns gar nicht genießen, ohne zu wissen, wie schön Graça ist. Ich bin auch nur hier, weil in einem Informatikgeschäft gerade meinen Laptop operiert wird. Mindestens drei Stunden würde das dauern, mindestens! hatte der Spezialist gesagt, die ich im Park verbringen müsste, nein dürfe. Zeit haben, zu früh dran sein oder zu spät und so Zeit verschenken. In der Sonne liegen und auf meinen Laptop warten, ist ja auch Teil meiner Arbeit, denn wenn ich nicht in der Sonne liegen würde, könnte ich das auch nie schreiben und die Geheimnisse des Lebens, die einem als Zufälle begegnen zu Notwendigkeiten erheben. Außerdem bestehe Hoffnung, hatte er gesagt. Sie werden lachen, aber ich kann jetzt nicht einfach heimgehen und mit einem anderen Computer weitermachen, als ob nichts wäre. Das geht einfach nicht. Die Tasten Z und Y vertauscht, Deutsch schreiben ohne Ü. Abergläubischen Routinen, die Spitzensportlern eigen sind. Ich kann auch nicht einfach per Hand schreiben, das ist nicht das gleiche, auch wenn die Gedanken vom Kopf direkt über den Arm aufs Papier gehen, sie sind nicht simultan. Mit dem Computer kann man fast so schnell denken, wie man schreiben kann und muss nicht warten, bis man was fertig geschrieben hat, um weiter denken zu können. Notizen klar, Briefe gehen auch, auch ein paar Fetzen, aber keine fertigen Sätze. Nun zeigt mir dieses Computerding klar, wie verletzlich, dass alles ist, alles, was man tut, wie fragil. Keine Ahnung, wie das Menschen vor mir geschafft haben, ohne Clouds und Psychiater, kopieren und einfügen, ich fühl mich, wie ein Pianist ohne Klavier. Wie ich die Rechnung bezahlen soll, ist mir auch noch nicht klar. Habe ehrlich überlegt den Rest des Nachmittags einfach schnell über Zebrastreifen zu gehen und mich anfahren zu lassen. Zu viel Zeit zum Denken. So viel, dass mir die Zeit auffiel und der Staub in der Luft, durch den man die kalte Winterluft sehen konnte. Normalerweise würde ich mir die Zeit mit Zwangsgedanken vertreiben, bin aber […]

MITTELMEERMANN

MITTELMEERMANN

Nur noch eine Hecke sein, die an einer Straße wächst. Und erst dahinter die Welt. Ohne zu wissen, was man nicht weiß und was man damit wieder gemeint hat. Leben und Sterben mit ganzem Körper und mit ganzer Seele Zeugnis ablegen, welch Schauspiel dessen Großartigkeit nur mit der Stille nach einer langen Party gleichzusetzen ist. Mir hätte in dieser Stunde, an diesem Ort, in Lissabon, in dieser Phase meines Lebens vielleicht nichts Lieberes geschehen können, als nachts wach zu liegen, zeitlos und still wie Luft, nach einem, unserer vielen Streits, und sie sagt: Boa Noite, morgen versuchen wir es erneut. Ich dachte, dass es so eigentlich immer sein müsste. Vielleicht fühlte ich mich nie wieder so lebendig und so allein. Es wird Zeit, dass ich schreibe, damit wir hier weiterkommen. Alles begann mit meinem Zusammenbruch am Rossio, wie im Film, nur dass es im Buch gewesen ist. Ich konnte mich aber geradeso halten, an einer schönen Straßenlaterne, vor der Bahnstation, zwischen all den Leuten. Lissabon lag im Rauch, es war abends, nachtblau, der Himmel laternenhell. Ich war wieder durch die Gassen gelaufen, hatte in die Fenster gesehen, um zu sehen, was Leben ist und wie das geht. Ich kenne nur meins und das Ideal, das ich von anderen habe. Am Praça São Paulo sah man es besonders mit den kahlen Bäumen, die aussahen, als würden sie nie wieder grün werden, den Bars voller Puppen und Kumpels, die Fleischer gut gelaunt, weil sie den Platz hatten mit Bäumen und eine Frau und Wein, der für die nötige Abwechslung sorgt. Menschen kauften Geschenke ein. Ich hatte kein Geld für solche Sachen, weil wir das zum Erleben brauchten, aber irgendwie brauchte man doch schöne Sachen, um die Dinge zu erleben; in schönen Sachen, schöne Dinge erleben, im Leinenanzug den Nil runter, mit Parfüm, so nen Zeug. Ich sah in Schaufenster, Anwaltskanzleien und Blumengeschäfte ganz anderer Viertel, die für ganz andere Menschen mit ganz anderen Leben ganz normal sind. Ich ging an Orte zwischen den Orten, wo die Gewohnheit der einen auf das Interesse der anderen knallt und doch alles gleich ist. Das Leben der anderen schien immer schöner und leichter, weil man die nicht selbst sein musste und ich dachte, wenn die meins von außen sehen, denken die das bestimmt auch. Nach meinem Zusammenbruch ging ich erst mal zu Jorge, meinem Freund, dem Schuhputzer, weil der gleich am Rossio ist. Ich erzählte ihm, was los war und er freute sich, einen Grund zum Trinken zu haben, sagte ich müsste aber zahlen, wie Leute, die dich um eine Sache bitten und so tun, als täten sie dir damit einen Gefallen, aber ich war froh, dass Jorge da war und keine sentimentalen Fragen stellte und meinte, dass man mit einem Glas Roten noch alles heilen könnte. Er sagte Silvester ginge er zum Feuerwerk, am Terreiro do Paço. Ob ich auch komme? Wenn es regnet, geht er aber nicht. Ich sagte Jorge, ich hatte gerade die Symptome eines Herzinfarkts, Schweiß, Schwindel, Schwarz und dann die Straßenlaterne. Wahrscheinlich bin ich Silvester tot. Ja, Ja, sagte Jorge, du denkst nur was Leute denken, die denken, dass jemand tot auf dem Boden liegt und um sein Leben röchelt, wenn er gerade nicht drangeht oder aufmacht. Hast du vorher irgendwas anders gemacht? Nicht wirklich, wir haben gestritten, ich hatte zum Mittag, um vier, ein halbes Kilo grüne Bohnen, mich bis sechs Uhr frühs in Alfama rumgetrieben und war gerade erst Fasten mit Herzcheck, allem drum und dran. Vielleicht ist das die verspätete Angst aus Algerien, sagte Jorge, was ein Dreckloch, oder zu viel Schreiben oder Schreiben generell, und immer wieder dieses Beziehungsdrama seit Wochen, Monaten, Jahren! Du brichst lieber dein Herz, als ihrs. Na und die Scheiße von Telefonen immer alles, überall Regeln zu können. Es gibt Gedanken, die einem die Kehle abschnüren, Gefühle, die uns den […]

NACHMITTAGE

NACHMITTAGE

Heute Morgen Möhren geschnitten. Ganz bewusst. Nicht nebenbei. Gibt interessanteres, davon später mehr. Erst mal die Scheiße wegschaufeln vom Wochenende. War wieder viel los. Merke ich, weil ich wieder Dinge kaufe, bevor sie alle sind. Oreganoblüten, Streichhölzer, Kerzen, Möbelpolitur, Schaumwein, frische Chilis, Kupferstiche von Neapel, sonen Zeug. Es ist fast noch schlimmer, als in den schlimmsten Zeiten, als alles ganz und gar nicht lief, mit ihr und mir, und mir und ihr. Damals hatte sie keinen Job und ich kein Verständnis und wir keinen Staubsauger. Das machte was mit einem. Dazu noch Leben, Lieben, Schreiben, Lesen und dann das, was auch immer das ist, das wussten wir da ja noch nicht. Man braucht erst mal einen Moment, bis man versteht, dass das Wasser durch die Decke aus der Lampe in mein Arbeitszimmer läuft. Es war noch früh und wir hörten es im Schlaf eine Weile angenehm Plätschern, bis wir davon wach wurden und das Zimmer unter Wasser stand. Ich schöpfte zwei Stunden. Wie auf der Titanic, nur ohne das Untergehen. Ein Rohrbruch oder ein Loch im Dach, so richtig weiß das in Lissabons Altstadt natürlich keiner. Für jemanden mit ästhetischen Zwangsstörungen, für den alles an seinem Platz stehen muss, jedes Bild, jedes Buch, damit ich es dort finde, wie gelebt, ist das natürlich eine Qual. Mein ganzes geistiges Leben lag brach und ausgebreitet und durcheinander zum Trockenen im Wohnzimmer. Therapeutisch gesehen, ist das natürlich praktisch. Wir wussten nicht, ob das Wasser wiederkommt, keiner wusste das, aber ich entschied, es nach ein paar Tagen wie nach dem Erbeben 1792 zu machen, als die Leute das auch nicht wussten. Ich hing jeden Zettel, jedes Bild, jede Notiz wieder genau da auf und hoffte, dass die Decke hält und der Regen nie mehr so wieder kommt. Aber der Regen kam wieder und wie, an einem Nachmittag, und sogar das Pantheon, sonst strahlend weiß im Blau des Himmels, wurde unvorstellbar nass. Er fiel vom Himmel durch die Decken auf meine Seiten bis tief in diese Zeilen hinein, spülte alles aus, wusch alles ab. Den Dreck aus Kanalisationen. Die Leute sprachen von atmosphärischem Regen, aber das brauchten sie gar nicht, muss kein spezieller sein. Die Stadt kommt schon mit ganz normalem nicht klar. Hier kennt man nur den, der auch schon wieder vorbei ist. Er nimmt nie die gesamte Farbe des Himmels in Anspruch. Man spürt, dass über dem Grau noch was Blaues ist. Nur hat man diesmal dazu die Zeit umgestellt und es wurde früh dunkel und war frühs noch dunkel und die Nachmittage waren weg. Die Leute zogen sich wieder was an und gingen vor die Tür oder zündeten Kerzen an und hielten Rosenkränze und beten gegen Regen und dafür, dass die Mietpreise nicht weiter durch die Decke steigen. Sogar die Kreuzer im Hafen zogen still und unschuldig von dannen. Nur ihre Scheiße, die Pizzaschachteln und Krankheiten ließen sie zurück. Ich reg mich nicht auf, normal nicht, aber wenn dann noch Montag ist, Anfang Herbst und Windows ein Update macht und die Welt sowieso stillsteht, sieht einfach alles aus, als ob es nie wieder anders werden könnte. Nicht mal die Gitterstäbe im Park können dann noch helfen, die kahlen, die Statue und der Fluss, der aussieht wie das Meer, wenn das andere Ufer im Nebel liegt. Ein Schatten kommt über mich, nicht der später Sommernachmittage, der sowieso zum Licht gehört, nein, der scharfe Winterweltuntergangsschatten, der die sesshaften Dinge untersucht, bis in nie ganz aufgeklärte Ecken, wo Menschen nicht hinterfragen, und leben, als wäre es erst die Generalprobe. Das Verdauungssystem ist nicht umgestellt und drinnen wird’s dunkler als draußen, lange bevor die Tage zu Ende sind. Die viel zu frühe Dunkelheit schleicht sich ein und wechselt sich ab, wird hell, wird dunkel, während draußen Blätter hängen wie Erinnerungen eines Sommers im Wind. Meine Laune geht nun zum Teufel, der Schwanz  wird schlaff, die Gedanken finster und alle Gefühle sind knochenlos, die Welt ist ohne Glanz. Wer weiß dann schon, welcher banaler Mist sich einem noch in den Weg stellt, auf dem Weg hoch über sich hinaus, ins Unbedingte. Früher konnte ich daher Nachmittage nicht ausstehen. Sie schienen vorbei, bevor sie zu ende waren. Eine tote Zeit, teilnahmslos, Kaffee und Kuchen, Einzelkindmäßig, Diabetes, sonntags, hoffnungslos unterfordert, Trash TV, Deutschland, um vier. Die Dinge tot oder lebendig, aber immer fürchterlich eindeutig, wie Leere mit Einrichtungsgegenständen vollgestellt. Heute weiß ich, dass das von  Amifilmen kam, die mich meine Mutter an Nachmittag gucken ließ, weil sie nicht da war. Das waren Filme, in denen Familien in Vorstadthöllenreihenhäusern am Esstisch saßen und nicht mit einander redeten. Es war der  Filter einer amerikanischer Leere, der sich über die Nachmittage meiner Kindheit legt, bevor der wunderbare aus Paris kam. Jeder hat vielleicht so ein Trauma, eine unbegründete Niedergeschlagenheit, die ich aus Lissabon nicht kenne, wie von keinem Orten, an dem es hell erleuchtete Boulevards gibt, Aufgaben, Bars und Restaurants, Termine, Frauen und Männer. Sie feiern den täglichen Sieg über die Leere und das Ende und die […]

KERLE

KERLE

Das hat Lissabon nun davon. Einen Jungen, der im Café sitzt und einen Brief, an seine Freundin schreibt, um ihr seine Gefühle zu erklären. Ich hätte mich dafür in jedes andere Café setzen können, aber es hätte nicht in jeder anderen Stadt sein können, mit einer anderen Freundin. Andere Städte haben auch schöne Freundinnen, ich weiß, eine schöner als die andere, aber es reicht nicht schöner als andere zu sein. Schön, wenn’s so ist, aber es nutzt sich ab, braucht sich auf und vergeht, wenn hinter dem Schönen nicht das Unendliche verborgen liegt, etwas an das man nie ganz gelangt und immer braucht, wenn man es hat. Man muss es finden. All diese Körper nach dieser Seele durchsuchen. Mehr will ich jetzt nicht sagen. In einer aufgegeilten Welt aus Superlativen so kurz vor dem Höhepunkt, besticht die Wahrheit durch ihre stille Erfahrung. Soll sagen, dass man die größten Worte verliert, für sonst was und wen, sagt oh die war aber heiß und der und wie gut das Essen nicht gewesen war und man sagt es über Gerichte, Nächte und Frauen, Frauen, die einem nichts bedeuten und nichts waren und auch nicht so sind. Wenn man dann die trifft, für die man alle anderen gehalten hat, sagt man nichts mehr. Man schweigt. Sitzt im Café und schreibt auf, was man nicht einfach so sagen kann. Dass alle in Rauch aufgehen wie Gedanken, wenn sie durch die Menge geht, aber dass man noch anderen nachguckt, genauso wie man Balkone anguckt, Gemälde, Laub im Wind, alte Männer im Park, einen Unfall, in den ein alter Sportwagen verwickelt ist, nur anderen Frauen vielleicht ein bisschen mehr, weil man das nicht darf. Das Sanfte der Abendröte beruhigt mein rastloses Gemüt, das Warme des Flusses, in dem das andere Ufer durch die Gassen schimmert. Als ob sich der Himmel bewegt. Ich muss sie alle verstehen, und wenn ich sie verstanden habe, kann ich sie so sehen. Nicht, was ich weiß, macht mich verrückt, nur was ich nicht weiß und alle Filme, Bücher, Möglichkeiten, in denen es so ist, und Verbote und alle, die zusammensind, und nicht zusammengehören. Wenn sich im Internet zwei Obst in den Arsch stecken, steht da ab 18. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft warum? Das ist die Wahrheit, wenn sie nicht allzu hochwertig produziert ist. Anständige Menschen, die sich nach der Arbeit Bananen kaufen, um sie sich reinzustecken oder sich anzuschauen, wie sich die jemand reinsteckt. Dass in Filmen, Büchern, Liedern, auf Bildern, Verpackungen und Profilen, in der Werbung und der Bibel, den größten Museen der Welt überlebensgroße Menschen auf Postern sind, die die Wahrnehmung von Menschen in Echt bestimmen, obwohl das zu billigen Begriffen führt, mit denen wir uns die Welt erklären, erklärt keiner einer Achtzehnjährigen, die sich die Lippen spritzt oder die Titten macht. Entschuldigung es ist Kochsalzlösung mit einer Silikonhülle und es sind dann nur noch Titten und ich habe noch niemanden gehört, der dann nicht Titten sagt, also muss ich es schreiben. Es ist kein Unterschied zwischen Internet und Echt -man kennt es von Menschen, die man im Internet kennenlernt und in Echt trifft- es ist eine Lüge. Und mit dieser Lüge will ich nicht leben. Sie ergibt keinen Sinn. Möglichkeiten, die uns brauner machen, als wir sind. Jede Sau hat heute ein Instagram Profil und einen Therapeuten. Bei mir führt das dazu, dass ich mir aus Angst, alles viel zu phantastisch vorstelle. Ohne, dass man im Kalten aufs Taxi wartet und langsam nüchtern wird, ohne dass die Kellner scheiße sind und das Essen zu teuer, weil das Restaurant, in das man wollte, Dienstags dicht hat und sie dies und das nicht essen wollte und gar nicht trinkt; ohne dass die Kippen alle werde oder Pickel da sind und Türsteher, wo keine hingehören, ohne dass man beim Tanzen beobachtet wird und tanzt, aber so, dass man nichts genießt, weil man zeigen muss, wie gut […]

FANAL

FANAL

Keine Ahnung, was los ist. Ich versuche schon seit einer Weile kein guter Mensch zu sein und finde das schwieriger, als sonst irgendetwas, außer vielleicht zu verstehen, wo die eigene Interpretation der Dinge endet und sehr wohl der Vorwurf des anderen beginnt; oder zu wissen wie etwas ist, bevor es sich ändert, oder selber zu entscheiden, was richtig ist und was falsch, oder wirklich zu denken und zu fühlen, was man fühlt und denkt und nicht, was man denken und fühlen sollte, weil man nicht schlecht genug ist. Anstand wäre doch zu sagen, ich habe geweint, weil ich dich liebe, aber das ist meine Sache. Es geht dich nichts an. Du sollst kommen und gehen, wann du willst. Wenn du kommst, will ich mich freuen und wenn du gehst, nicht traurig sein, selbst wenn ich lüge. Wir sitzen im Park auf einer Bank, nicht weit von Estefania. Ein Stück Grün, das man auf Alltagswegen passiert. Wir haben hier schon groß Schlachten geschlagen und Fragen auf die großen Antworten der Liebe gesucht. Gefühle sind kompliziert. Man hat sie schon, man muss nicht noch drüberschreiben. Drüber schweigen. Alle wichtigen Augenblicke bedürfen der Sprache nicht. Ich wünschte ich könnte das glauben und warten, wie alle warten, ein bisschen auf den Bus und ein bisschen auf den Tod, darauf, dass einem schon wer das Warten versüßt und alles von alleine passiert, ohne, dass man es selbst passieren lassen muss. Was ist das Leben mehr als eine große Abschweifung, aber Schreiben und Lieben nicht, denn auf irgendeine Art beweist es irgendwas, ein Gefühl von Leben und ein Gefühl von Tod, Sterblichkeit und Unsterblichkeit, eine Atempause, einen Augenblick lang damit fertig, obwohl man noch lebt. Ein Beweis fühlt sich nie so an, wie das, was er beweist. Sie gibt mir einen Kuss und der Kuss kann sich nicht immer anfühlen, wie nach einem langen Gespräch im Park oder wenn man sehr geil ist oder sich gerade aus einem brennenden Frack befreit hat, weil er sich manchmal eben anfühlt, als hätte man das Gespräch zu Hause geführt, ohne Wein und das irgendwas gebrannt hat und man sich eine Weile nicht sieht. Man erwartet von einem Gefühl, dass es so oder so ist und nur weil es nicht so ist, ist es nicht schlecht. Tiefen Gefühlen kommen viele andere komplizierte Gefühle in die Quere, Schwerkraft der Werte. So ist das nun mal. Manche Leute sind vielleicht so sehr etwas, dass sie es gar nicht mehr tun brauchen. Aber ohne mich und das würde ich wahrscheinlich gar nie drüberschreiben, weil die Tendenz besteht, dass man, wenn man zu lange wartet und anfängt, etwas von einer Sache zu verstehen, überhaupt nicht mehr schreiben will. Zu wissen wann und trotzdem nichts auf Morgen zu verschieben und darauf zu vertrauen, dass der Morgen kommt, an dem man sich liebt, ein Buch zur Hand nimmt, einen Satz schreibt, über diesen Platz geht, mit Bäumen auf beiden Seiten und dem Zeitungsladen an der Ecke, wo die Elektrische abbiegt und weiter zum Parlament fährt. Wo war ich? Egal, stimmt das Timing nicht, ist alles wie ein fauler Trick, ein überflüssiger Effekt, unangebracht, aufgesetzt, wirkungslos und so weiter. Man kommt sonst wo her, obwohl der Moment ein ganz anderer ist. An meiner Wand hängen tolle Zitate dazu: Eins von Horaz zum Thema wann man was sagt und eins von Remarque, der den Wert eines Mannes anhand der Geschichten festmacht, die er nicht geschrieben hat oder sie so geschrieben hat, dass er sie nicht nochmal schreiben muss. Zwischen beiden klebt ein Bild vom Piemont. Wollte ich schon immer mal hin. Werden wir jetzt auch. Auf dem Rückweg von Portofino. Sind erst zwei Tage am Cap Ferrat und fahren dann dorthin. Rückflug von Turin. Ob ich vorher noch auf ein paar Drinks rumkomme? […]

NEULICH BEIM WEINHÄNDLER

Neulich beim Weinhändler

Wenn man sich gerade an den Winter gewöhnt, das späte Licht, die kalte Luft, den Mantel, den Regen, wenn man gar nicht mehr daran denkt, dass es je anderes gewesen ist und nie wieder wird, kommt der Sommer plötzlich, wie eine Trennung. Die Tage, an denen Treppenstufen zu Plätzen wurden, weil dort etwas Sonne hinfiel sind vorbei, gezählt, gesessen. Es strahlt dann überall, und die Tage werden länger. Man weiß immer schon, dass etwas vorbei ist, bevor es so ist. Es ist ein feiner Staub, der sich über alles legt, wie die Reste eines Traums. Frühling! Drinnen nackt schlafen und draußen Jacke tragen. Wenn ich nach einem Streit dann so schön weltenverloren durch die Straßen gehe und viele Portugiesen um mich habe, die mich zu einem besseren Menschen machen und denke, sie ist der blödeste Mensch der Welt und auf Deutsch vor mich hinfluche und jemanden treffe, den ich kenne, denke ich das nicht mehr. Mir wird dann schnell klar, was ich habe und dass es nicht selbstverständlich ist, egal wie oft man es haben kann, und dass es mit anderen ganz und gar nie so ist. Sie haben ihre Ansichten und lachen über andere Witze und wollen lieber Bestelltes essen und nicht mehr durch die Straßen gehen, nachdem die Geschäfte schließen. Aber vor allem versuchen sie es und werfen einem ihre Blicke nach, die interessant und selbstbewusst und verspielt daherkommen sollen, und wie ein verschluckter Schrei nach Liebe klingen. Ich fand diese Frauen immer toll, bis ich merkte, dass sie nie sehr lange hielten. Wer wirklich was ist, muss es nicht sein. Sie macht natürlich das, was jede Frau macht, aber sie macht es anders. Sie macht es auf eine Art, die Menschen anzieht, von denen es wenig gibt. Man hat immer die Wahl sich zwischen dem einen und dem anderen zu entscheiden. Das eine ist leichter als das andere, aber das eine führt ins Nichts. Alles hat damit zu tun oder mit dem Ausbleiben davon. Wenn sich Leute eine reinhauen und Beton ans Bein binden, um sich im Tejo zu versenken, hat es damit zu tun. Wenn ich mich für das eine entschied und nach einer langen Nacht dafür schämte und heimlich heulte und dann rausging, und nicht wusste wohin, war die Stadt für mich da, vor allem die Rua João do Outeiro, wo Zé da Mouraria ist. Sie schenkte mir ein Café in der Sonne oder eine schöne Bank und einen netten alten Menschen, der darauf sitzt und sagt: für einen Verrückten bist du eigentlich normal, rede mit ihr. Wir konnten manchmal tagelang kein Wort miteinander reden, aber ohne Reden verstanden wir uns prächtig. Das ist ein typischer Satz, ich weiß, aber ich wollte ihn schon immer mal schreiben. Ich wollte ihn damals schon schreiben, als ich noch Italienerinnen traf und Frauen aus Brasilien, die kein Wort Englisch konnten und der Satz noch weniger stimmte, mit dem Zusatz, dass ich versuchte, ihnen zu erklären, mir bitte ihre Zungen zu zeigen. Am besten lernt man die Sprache eines Landes durch eine Frau. Aber das ist nie so, wie es sich anhört, und nie so sehr so, wie jetzt, und es ist auch jetzt nicht ganz so, denn […]

NACHTS, OBEN IN GRAÇA

NACHTS, OBEN IN GRAÇA

Man denkt ja, der Campo Santana wäre nur so ein Hügel, aber das ist er nicht. Er ist wie der Bug eines Schiffs, das in die Unterstadt sticht. Die Gassen sind ein Universum. Amalie wurde in ihnen geboren. Candy, die Rahmenmacherin lebt hier. Mein erstes Haus ist nicht weit und das Café, in das ich früher gerne ging. Nur für die Zukunft. Es arbeitet immer noch dieselbe Kellnerin hier, immer noch so herzlich, dass sie gar nicht freundlich sein muss. Sie weiß genau, dass ich früher oft hier war und wieder da bin, aber sie tut so, als könne sie sich an nichts erinnern. An den kurzen Doppelten, und ein Glas Wasser und mein geschundenes Herz. Nach all den Jahren. Vor all den Dingen. Damals hatte ich noch keine Sachen für den Strand und war auch sonst sehr deutsch. Ich dachte immer schon an das, was ich tue, nachdem ich etwas fertig getan hätte, bevor ich angefangen hatte, es zu tun. Ich ging kurz vor die Tür, um mir ein Brathähnchen zu holen, egal wen ich treffe, ich hätte mich nicht um eine Mahlzeit meines Lebens bringen lassen. Aber das geht in Südeuropa nicht, weil man sich sonst gegen das Leben versündigt, so wie es sich in den Gassen bietet und man nie weiß, wen man trifft und wo man isst und in welcher Bar man später endet. Seit neustem haben alle meine Drinks da. Sie fragen, was ich nur will und umso mehr man weiß, desto weniger gibt man sich mit weniger zufrieden. Also ordentlichen Wermut und St. Germain her. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Damals in dem Café schrieb ich mal eine Geschichte über die Stierkampfarena und eine Markise unter der ich mal saß. Ich schrieb den ganzen Morgen und aß zu Mittag und schrieb dann noch ein bisschen mehr. Ich glaube irgendjemand rief mich an und fragte, wo ich bin und wies geht und wieso gerade da. Es war fast so Sommer wie jetzt. Mai meines Lebens. Die Bäume blühten und die Feiertage liefen so vor sich hin. Ich hatte vieles vor mir und einiges dahinter und keine Ahnung von dem Kreuzfeuer in das ich geraten würde und der Gratwanderungen, auf die sich jeder begibt. Ist es nicht das, was wir wollen? Ein Leben, dass seine Verluste und Verletzungen mit Falten und Furchen irgendwann in uns eingegraben hat? Es ist ein besonderes Gefühl, das ich sonst nur noch habe, wenn ich über den Platz vor meiner ersten Wohnung gehe und mich erinnere, wie es war, hier zu sein, vor allem Anfang und allen Verwicklungen und Verhältnissen, die das Ich eingeht, mit sich und der Welt und den Menschen und der Welt. Die Welt ist schön. Nur wir Menschen machen sie mit uns und unseren Kausalitäten und Korrelationen und all den anderen komplizierten Dingen mit K kaputt. Es ist immer noch die gleiche Welt, aber ein anderes Gefühl. Hunderttausend Mal gesehen, aber dieses eine Mal wirklich. Das Leben ist doch verrückt, was gar nicht schlimm ist, nur wenn es so wird, dass man es gar nicht mehr schreiben kann, ohne dass es einen Sinn ergibt, wird man es auch. Über das Gefühl von heute, werde ich das auch irgendwann sagen, mit anderen Plätzen, die auch schöne Gefühle haben, wenn man sich einmal daran erinnert. Man geht dann dorthin zurück und das Gefühl ist noch da. Die Luft ist frisch und das Wasser schimmert durch die Bäume. Ein Gedanke daran, wie es wohl eines Tages sein wird, die Zeit und der Blick und die Erinnerung daran. Was machen wir eigentlich? Wie viel berghoch für wie viel bergrunter? Keine Ahnung, was du machst, ich laufen so rum. Ich laufe gerne ziellos umher, nachdem ich gearbeitet habe und schaue, wohins mich zieht. Tagsüber lehrt sich das Notizbuch und abends wird es wieder voll. Du wirst nie fertig, vergiss es. Läufst dir die Absätze ab und schaust, was passiert und der Traum, in ein Café zu gehen und zu sehen, wer da ist, ohne sich zu verabreden, geht irgendwann in Erfüllung. Hemdknopf bis zum Hosenknopf offen. An manchen Tagen […]

GENUGTUUNG

GENUGTUUNG

Hätte ichs gestern geschrieben, wäre es nie so geworden wie heute und schreibe ich es heute, ist es nie so gewesen wie gestern. So ist das Leben. Die eigentliche Frage ist doch, wann mein geräucherter Körper hinter meinem Aussehen hervorkommt. Rauchen geht gut, solange einem der Tod nichts anhat, keine Zeichen zeigt. Für was hat man weiße Zähne, wenn nicht für Momente in denen sie schwarz werden? Gestern ist es noch ok mitternachts vor einem Quiosque zu stehen, wochentags, wie immer jung, heute ist man einer von denen. Man denkt ja, es sind immer die anderen, die alt werden und im immer noch vorm Quiosque stehen, sowas passiert einem nicht. Flugzeugabstürze, Leberzirrhosen oder Frauen, die den Gärtnern ficken, nachdem man sich das Leben genauso eingerichtet hat, wie sie wollen. Alles mitnehmen, heißt alles, alles, was das Leben ist und wie es ist, mit all seinen Kindern und Konsequenzen, nicht nur von einem sehr viel. Er hat alles mitgenommen, steht am Ende eines Künstlerlebens gerne auf den Verpackungen. Was da nicht steht, ist alles, was mit einundzwanzig noch stehen konnte, anstatt einer ernsthaften Liebe. Gut, dass mit den Kindern weiß ich selbst nicht. Solange sie einen nur bewundern, weil man scharfe Messer benutzen darf und alles, außer Weinen und Schlafen, besser kann als sie, weiß ich auch nichts damit anzufangen. Ich freu mich mehr, wenn einer was wird, der schon ist. Man sehe dadurch ganz neue Sachen und andere und alte, aber aus einer neuen Perspektive. Ja, das sehe ich auch, wenn ich nachmittags durch Lissabon lauf. Der Wind weht hier gerade noch so die Hitze weg. Immerhin habe ich schon mal allen gesagt, die ich scheiße finde, dass ich sie scheiße finde. Der Brasilianerin bei Ramiro, dem großen Italiener bei Vino Vero und Ricardo, obwohl ich den wieder mag und dass bei Gelegenheit zurücknehmen muss. Erwachsen oder? Es fühlt sich vielleicht einsam und verloren an, aber sehr richtig und man darf es nicht nur nicht tun, weil es sich so anfühlt. Das ist wie nie Schluss machen, weil man eine schöne Wohnung miteinander hat und Pläne und Schwiegereltern, die man mag. Ist aber ein anderes Thema und hat nichts mit dem zu tun, was ich gestern schon schreiben wollte. Es ist heute Morgen nur akut und ich würde mich jetzt gerne wieder vor der Unvollkommenheit der Welt zurück in meine Texte flüchten. Nachdem ich was geschrieben habe, kann ich die Vollkommenheit dann auf ein paar Meter mit ins Leben nehmen. Es ist ein komisches Gefühl, leer und irgendwie demütig und so, als ob ich einen Stierkampf gesehen hätte. Nach einem Stierkampf weiß ich nie, wie ich mich fühlen soll. Meistens wie jemand, der mit jemandem geschlafen hat, den er nicht liebt. Und trotzdem, was war das für ein Wochenende. Fünf Jungs, ein Dorf, eine Stunde von Lissabon. Man könnte mir alles nehmen und mich einsperren. Ich würde in meiner Zelle sitzen, mit der Erinnerung daran, und schmunzeln. Wie wir da hinter den Holzbarrikaden standen und vor den verbarrikadierten Schaufensterfassaden, wie im Krieg. Mit roten Halstüchern, was bei mir ganz schön schwul aussah. Wir standen auf den Barrikaden und Postkästen oder hingen an den Laternen, wenn die Stiere kamen. Mit einem zehn Liter Schlauch Wein, den uns die Frauen nach dem Mittag gaben, weil wir jung sind und schön und der Tod uns nichts kann. Wir wecken Muttergefühle und andere Gefühle und hatten gut gegessen und sie meinten, wir sollten was Ordentliches trinken, wenn wir die Lardgada überleben wollen und den nächsten Tag […]

ENDE

ENDE

Die Geschichte muss man nachts schreiben. Fix und fertig, bei Kerzenschein, mit Wein, und allein. Ich dachte immer, so fertig, allein mit Wein schreiben, wäre das Klischee schlechter Geschichten, die man nachts geschrieben hat. Ist es auch, aber ich sitze nun hier und war schon im Bett und hab heut schon genug geraucht und wollte es morgen in aller Frische wieder tun. Sobald die Ruinen im Hinterhof Sonneaufgangsfeuer fangen und ich weiß, die Nacht, die Nacht ist geschafft. Auf meinem letzten Weg zum Klo konnte ich dann Segelboote sehen. Ich sah ihre beleuchteten Spitzen vom Weg zum Klo aus. Das konnte ich nicht einfach so ungeschrieben stehen lassen und mich in den Schlaf onanieren, als ob da keine Segelboote wären und Frauen, mit denen man das tun möchte. Seitdem sitz ich hier, kein Plan wie späts ist, sieht aber spät aus, weil auf dem Laptop schon Nachtmodus ist und der schaltet sich spät ein, hat der Inder gesagt, der mir das installiert hat. Ist der gleiche Inder, den man beim Wasserkaufen auch fragen kann, woher man weiß, dass man mit der Richtigen zusammen ist? Er sagt dann, 4,50€ und dass man aufhört, die zu suchen, die es nicht gibt, außer man arbeitet als sowas wie ich und muss Sachen fragen, wie was wäre wenn und was überhaupt schön ist, für den Fall der Fälle, das was der Fall ist. Er finde, wir benutzen dieses Wort zu allgemeingültig. Picassos Guernica ist auch nicht schön. Wir setzen Kunst und Dekoration gleich, schön und hübsch, aber das ist es nicht, es ist Milch und Blut und etwas, dass eine Kraft hat oder eine Angst bewahrt, die auch zwischen Menschen ist, über die man gerne sagt, dass sie aber ein schönes Paar sind. Vier Jahre Leidenschaft geschafft. Strafe des Himmels. Da hast dus, dein Wasser, meinte er und dass ich mich nicht immer so haben soll. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Ja, sage ich, schon wieder. Um ehrlich zu sein, glaube ich aber, das ist kein Ende. Ein Ende wäre blank. Ein weißes Blatt Papier. Es gäbe nichts mehr zu sagen, dass man schreiben müsste. Mir nicht. Ihr nicht. Egal. Es wäre die Aufgabe von allem und vielleicht eine Antwort auf die Frage, ob ich psychisch krank bin oder allein einfach vollkommener. Das mit dem Vollkommenen habe ich aus irgendeinem Film. Ich weiß nicht mehr, aus welchem, aber ich erinnere mich an die Szene und eine Zeit, in der die Jacarandas blühten und die Bäume sehr grün waren und man das Gefühl hatte, für immer in dieser Wohnung gewesen zu sein. Das macht es schlimm und schön und man denkt, was man so denkt, wenn man sich denkt, dass man sich denken könnte, wohin man nun zieht und wann und wen man dann vögelt. Die Bäume rauschen im Wind und die Kerzen brennen und man will zerbrechen, zerbricht aber nicht. Ich wäre gerne ein Junggeselle geblieben, der an Sonntagen manchmal weint, wenn sie sich anfühlen wie eine ausgeräumte Wohnung.  Die Menschen behindern mich, wenn sie mir was bedeuten. Sie halten mich von mir fern. Besser sind die, die mir nichts bedeuten, nur die bedeuten mir dann viel. Zu viel, weil man sich verliebt, mit allem, was in einem ist und pulsiert und fordert und leben will. Wie kann sowas passieren? Man kommt nicht davon. Heilige gehen deshalb in den Wald, wenn sie die Menschen zu sehr lieben. Nur noch Rilke […]