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BYND

Konstantin Arnold

CAMPO GRANDE

CAMPO GRANDE

Liege vorm Campo Grande im letzten Rest einer untergehenden Sonne am Rande Europas. Jardim Mário Soares, bestimmt eine Stunde schon. Bisschen verkatert, aber gar so nicht unbequem, die Bank, den Schal und die Handschuhe so als Kissen über die Lehne gelegt. Leute kommen vorbei, manche sehen mich an, denken, was für ein Penner, andere tun so, als wäre ich gar nicht hier und gehen weiter den Weg lang. Gerade ein Blinder im glänzendem blauen Cordanzug, und die zwei eben waren auch nicht schlecht, er schon sehr alt, und sie alt, aber nicht sehr. Beide kamen an mir vorbei, und setzten sich auf die Bänke den Weg runter, wo die exotischeren Bäume sind, aber sie setzten sich nicht auf die gleiche Bank, sondern auf zwei verschiedene, die sich gegenüberstehen. Von der einen kann man geradeaus in die Arschritze der Statue eines fetten Zé Povinhos sehen, der Wasser aus zwei Weinschläuchen in einen Brunnen spritzt. Das Wasser frisch wie ein Fluss. Von der anderen den McDonalds und die Büste von Mário Soares. Mit einem einvernehmlichen Nicken standen sie dann auf, nach einer Weile, fassten sich an, gingen weiter, als ob nichts gewesen wäre, war ja auch nichts, nur zwei, die sich gegenüber auf eine Bank gesetzt hatten und einer in der Sonne, der das sah. Man kommt hier übrigens nur her, wenn man mindestens fünf Jahre in Lissabon lebt, oder gerne kompliziert mit dem Bus fährt und aus umliegenden Dörfern stammt. Wer direkt nach Campo Grande zieht, wenn er nach Lissabon kommt, hat einen absoluten Schuss. Man versteht das hier ohne die Altstadt nicht. Könnte sonst wo sein. Man kanns gar nicht genießen, ohne zu wissen, wie schön Graça ist. Ich bin auch nur hier, weil in einem Informatikgeschäft gerade meinen Laptop operiert wird. Mindestens drei Stunden würde das dauern, mindestens! hatte der Spezialist gesagt, die ich im Park verbringen müsste, nein dürfe. Zeit haben, zu früh dran sein oder zu spät und so Zeit verschenken. In der Sonne liegen und auf meinen Laptop warten, ist ja auch Teil meiner Arbeit, denn wenn ich nicht in der Sonne liegen würde, könnte ich das auch nie schreiben und die Geheimnisse des Lebens, die einem als Zufälle begegnen zu Notwendigkeiten erheben. Außerdem bestehe Hoffnung, hatte er gesagt. Sie werden lachen, aber ich kann jetzt nicht einfach heimgehen und mit einem anderen Computer weitermachen, als ob nichts wäre. Das geht einfach nicht. Die Tasten Z und Y vertauscht, Deutsch schreiben ohne Ü. Abergläubischen Routinen, die Spitzensportlern eigen sind. Ich kann auch nicht einfach per Hand schreiben, das ist nicht das gleiche, auch wenn die Gedanken vom Kopf direkt über den Arm aufs Papier gehen, sie sind nicht simultan. Mit dem Computer kann man fast so schnell denken, wie man schreiben kann und muss nicht warten, bis man was fertig geschrieben hat, um weiter denken zu können. Notizen klar, Briefe gehen auch, auch ein paar Fetzen, aber keine fertigen Sätze. Nun zeigt mir dieses Computerding klar, wie verletzlich, dass alles ist, alles, was man tut, wie fragil. Keine Ahnung, wie das Menschen vor mir geschafft haben, ohne Clouds und Psychiater, kopieren und einfügen, ich fühl mich, wie ein Pianist ohne Klavier. Wie ich die Rechnung bezahlen soll, ist mir auch noch nicht klar. Habe ehrlich überlegt den Rest des Nachmittags einfach schnell über Zebrastreifen zu gehen und mich anfahren zu lassen. Zu viel Zeit zum Denken. So viel, dass mir die Zeit auffiel und der Staub in der Luft, durch den man die kalte Winterluft sehen konnte. Normalerweise würde ich mir die Zeit mit Zwangsgedanken vertreiben, bin aber […]