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BYND

Konstantin Arnold

NEULICH BEIM WEINHÄNDLER

Neulich beim Weinhändler

Wenn man sich gerade an den Winter gewöhnt, das späte Licht, die kalte Luft, den Mantel, den Regen, wenn man gar nicht mehr daran denkt, dass es je anderes gewesen ist und nie wieder wird, kommt der Sommer plötzlich, wie eine Trennung. Die Tage, an denen Treppenstufen zu Plätzen wurden, weil dort etwas Sonne hinfiel sind vorbei, gezählt, gesessen. Es strahlt dann überall, und die Tage werden länger. Man weiß immer schon, dass etwas vorbei ist, bevor es so ist. Es ist ein feiner Staub, der sich über alles legt, wie die Reste eines Traums. Frühling! Drinnen nackt schlafen und draußen Jacke tragen. Wenn ich nach einem Streit dann so schön weltenverloren durch die Straßen gehe und viele Portugiesen um mich habe, die mich zu einem besseren Menschen machen und denke, sie ist der blödeste Mensch der Welt und auf Deutsch vor mich hinfluche und jemanden treffe, den ich kenne, denke ich das nicht mehr. Mir wird dann schnell klar, was ich habe und dass es nicht selbstverständlich ist, egal wie oft man es haben kann, und dass es mit anderen ganz und gar nie so ist. Sie haben ihre Ansichten und lachen über andere Witze und wollen lieber Bestelltes essen und nicht mehr durch die Straßen gehen, nachdem die Geschäfte schließen. Aber vor allem versuchen sie es und werfen einem ihre Blicke nach, die interessant und selbstbewusst und verspielt daherkommen sollen, und wie ein verschluckter Schrei nach Liebe klingen. Ich fand diese Frauen immer toll, bis ich merkte, dass sie nie sehr lange hielten. Wer wirklich was ist, muss es nicht sein. Sie macht natürlich das, was jede Frau macht, aber sie macht es anders. Sie macht es auf eine Art, die Menschen anzieht, von denen es wenig gibt. Man hat immer die Wahl sich zwischen dem einen und dem anderen zu entscheiden. Das eine ist leichter als das andere, aber das eine führt ins Nichts. Alles hat damit zu tun oder mit dem Ausbleiben davon. Wenn sich Leute eine reinhauen und Beton ans Bein binden, um sich im Tejo zu versenken, hat es damit zu tun. Wenn ich mich für das eine entschied und nach einer langen Nacht dafür schämte und heimlich heulte und dann rausging, und nicht wusste wohin, war die Stadt für mich da, vor allem die Rua João do Outeiro, wo Zé da Mouraria ist. Sie schenkte mir ein Café in der Sonne oder eine schöne Bank und einen netten alten Menschen, der darauf sitzt und sagt: für einen Verrückten bist du eigentlich normal, rede mit ihr. Wir konnten manchmal tagelang kein Wort miteinander reden, aber ohne Reden verstanden wir uns prächtig. Das ist ein typischer Satz, ich weiß, aber ich wollte ihn schon immer mal schreiben. Ich wollte ihn damals schon schreiben, als ich noch Italienerinnen traf und Frauen aus Brasilien, die kein Wort Englisch konnten und der Satz noch weniger stimmte, mit dem Zusatz, dass ich versuchte, ihnen zu erklären, mir bitte ihre Zungen zu zeigen. Am besten lernt man die Sprache eines Landes durch eine Frau. Aber das ist nie so, wie es sich anhört, und nie so sehr so, wie jetzt, und es ist auch jetzt nicht ganz so, denn […]