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BYND

Konstantin Arnold

SCHARLATAN

SCHARLATAN

Ich habe schon viele Anfänge gehabt. Sie kommen, wie sie gehen. Man will los schreiben, aber dann passiert wieder was oder man ist in Wien und nichts ist mehr wichtig, außer dass man Geld verdient, um sich Leben und Schreiben zu leisten und diese Creme, die ich mir morgens und abends in den Arsch schmieren muss. Die Creme hat einen schmalen hundepimmelartigen Aufsatz, den man sich einführt. So stehe ich, morgens und abends, egal wie betrunken, egal wie verklemmt, mittellos in der Opernsuite des Bristol-Hotels und kämpfe gegen Hemmungen, Hämorriden, Zeitungen, Verleger, den Ausverkauf, der ganzen verdammten Welt. Zwei Schlafzimmer, drei Bäder, Türen, die durch Schränke gehen und viertausend Euro in Disposition auf meiner Seite. Wenn man arm dran ist und sich dann noch was in den Arsch stecken muss, braucht man Menschen, die dafür bezahlt werden, dass sie nett fragen, wies einem geht. So wie Herr Baur, der Maître, der meint ich sei dünner geworden. Das wären die kürzeren Haare oder der Bart. Egal, ich soll essen und spare so Mahlzeiten. Die Zeitung ist morgens auch immer da. Genau wie die Sehnsucht nach meinen dunklen leidenschaftliche Portugiesen. Uriberisch, Keltisch, Hellenisch, Arabisch. Mit ihrer den Sinn gefangen nehmenden Menschlichkeit. Ich wollte am Flughafen gar nicht von ihnen gehen. Einer Paar saß mit mir in der Bahn, bis zum Karlsplatz, das war schön. Müssen Freunde gewesen sein. Ihre Verbindung hatte nichts von der üblichen Überquerung von Grenzen, Unehrlichkeit und dem herkömmlichen, herrschaftlichen Anspruch den Liebende stellen, um sich zu unterdrücken oder nicht aufzugeben, nur weil es so ist. Mein fernes Vorbild. Wie sie mit Niederlagen und Rückschlägen umgehen, wie sie ihre Klagen leben und unerfüllte Wünsche. Ich weiß noch wie lang sie an diesem Kleid vorbeiging und schwärmte, bis ich es ihr kaufen konnte. Oder wie lang sie mit einem Telefon telefonierte, das aussah, wie aus dem Fenster geworfenes Glas. Sie hatte auch mal eine seltene Hautkrankheit, die ihr Gesicht anschwellen ließ, was sie aber nicht davon abhielt (und mich auch nicht), abends noch mit auf ein Glas zu gehen und zu lachen, auch wenn das weh tat. So viel Leben also, dass man einfach nicht davon kommen lassen kann, ohne es geschrieben zu haben. Der Arzt sagte, normalerweise blieben die Leute heute nicht mehr so lang in solchen Hotels, dass Durchfall samt Folgen in ein und demselben Zimmer bekämpft werden. Er sagte, sie schleppen ihn mit sich rum. Ich sagte, ich würde abwechseln und hätte drei Klos. Die ersten Nächte waren lang, jetzt bin ich auf Kohletabletten und kann langsam wieder Tafelspitz essen. Gestern war ich mit Durchfall sogar bei Vivaldi. Dem Doktor gefiel der auch. Das sowas Menschen machen. Wir waren beide der Meinung, dass OP.8. Nr. 2 Sommer RV315 Ill Pesto natürlich das Beste ist, aber ohne die anderen Lieder gar nichts wäre. Ein ultimativer Moment, der sich dazwischen nicht nur verschwendete. Natürlich wussten wir die genaue Bezeichnung nicht, die mussten wir googeln. Er beschrieben mir das mit einem Bienenschwarm und ich mit Bauchkrämpfen. Er sagte er liebe Vivaldi, nur nicht in G-Moll und ich sagte, ja klar, so als wüsste ich was er meint. Hier wüssten man aber auch wo meine Beschwerden herkommen. Durchfall und der kalte Stein auf den Sitzbänken in der Karlskirche, das vertrage sich nicht mit Tafelspitz und Blauburgunder. Auch wenns nur ein Achtel ist. Aber wir hatten gute Plätze ganz vorn, beheizt. Ich beschrieb ihm den schönen Geruch meines Sitznachbarn, der sich mit der Musik zusammentat. Es war eine Mischung aus Sachen, die noch von Mama gewaschen wurden und Hautcreme. Draußen nach dem Konzert sahen wir uns wieder. Ich sah erst ein schönes großes Mädchen und dann ihn. Sein Name war Mario. Er verhielt sich wie jemand, dessen Vater ein berühmter Opernsänger in Mailand ist und trug auch solche Sachen. Lottriges Zeug mit Motten, dass vor ihm schon andere anhatten, keine Ahnung wie der Geruch da reinkam. Mario war Ende dreißig, Single und stand noch auf Gästelisten. Der ganz normale Berliner. Drogennehmen ohne Selbstverantwortung, bis Papa aus Mailand kommt und den Perserteppich ausrollt auf dem man sich und seinen Selbstmordversuch auskotzen kann. Menschen wie Mario kommen direkt hinter jungen Australiern, die nicht mitbekommen haben, was in Europa los war, die letzten 2000 Jahre und jetzt Jesus entdecken und Menschen mit ihren Aszendenten belästigen. Seine Heimat war Mailand und Wien und seine Heimat konnte nicht Berlin für ihn sein. Er wollte anfangen, wie multikulturell