Menü

BYND

Konstantin Arnold

ELDORADO

Für zweitausendzweihundert zeitverschiebende Dollar ist es möglich in Los Angeles anzukommen, bevor man in Auckland losgeflogen ist und das, obwohl man dazwischen ein paar Stunden in Tahiti geschwitzt hat. Ich durchlebe die Königsklasse der Jetlags und das, obwohl ich die letzten Wochen versucht habe vor zehn im Bett zu liegen, um schneller zu erleben, was sich in diesen Zeilen wiederfindet. Schlaf beschleunigt und ist dennoch die größte Zeitverschwendung, die ich neben Rechtschreibung bis hierher notieren konnte. Trotzdem können wir nicht anders, nachdem uns der Taxifahrer zu der Adresse gefahren hat, die ich ein paar Stunden zuvor auf mein durchtrainiertes Handgelenk geschrieben hatte. Gegen Nachmittag wachen wir auf, weil in Neuseeland gerade morgen ist und meine deutschen Freunde gerade in den Freitagabend feiern. In einem Poolhouse in Venice, dass von den Ururenkeln Albert Einsteins in sicherer Entfernung zu dem Wahnsinn, der sich an der wohl berühmtesten Strandpromenade unseres Bekanntenkreises abspielt, geräumig ausgebaut wurde. Ich auf einer soliden Hartkernmattratze und Jordan auf dieser chinesischen Designer Couch. Dieses Haus transportiert Idealvorstellung und persönliche Kunst, wie ich sie bisher nur aus überteuerten Möbelmagazinen kannte. An der Wand über dem Bett hängt eine Schaufensterpuppe mit Glühlampenhalsband und auf dem Nachttisch steht ein indonesischer Holzpenis. Nach dem Zähneputzen besorgen wir uns Orientierung und erweitern unseren vierundzwanzigjährigen Horizont auf ein paar geliehen BMX unterwegs durch Venice, während mein Bauch immer noch damit beschäftigt ist, die Extraportionen an Flugzeugmahlzeiten zu verdauen. Wir halten in jeder Bar in der man bescheidenen Blickkontakt mit ansehnlichen Kalifornierinnen genießen kann und sind nach dem zweiten Bier fertig fürs Bett. Auf dem Nachhauseweg erzählt mir Bailey von einer Party am Freitag für die wir am nächsten Tag, gut erholt, eine große Kiste Carlsberg kaufen, um auf den Surf anzustoßen, der um Venice Beach nicht wirklich erwähnenswert ist. Seit vier sitzen wir jetzt frisch geduscht in der Sonne und versuchen unsere Erwartungshaltung mit ein paar lässigen Sprüchen im Zaum zu halten. Doch eigentlich wird für Jordan und mich ein Kindheitstraum wahr. Drei Nächte Los Angeles, keine Orientierung und das Potential eines millionenstarken Eldorados. Wir fühlen die ganze Welt in unseren Adern und verschwenden keinen Gedanken an Panama. Wir verfassen Systemnachrichten an fremde Frauen und tindern bis uns die Likes ausgehen. Als es dunkel genug ist, um angetrunken auf ein paar BMX durch L.A. zu radeln, schnappen wir unsere letzten beiden Carlsberg und versuchen diese Bar zu finden, von der uns das Mädchen mit der Ledermütze erzählt hatte. Der Eintritt ist frei und Jordan bezahlt die ersten Runden Whiskey Cola, weil er kurz vor unserem Abflug noch eines seiner kunstvollen Gemälde an zu wohlhabende Leute verkaufen konnte. Es ist dunkel und rauchig, obwohl keiner eine Zigarette hält. Es kommt Musik, die ich mitsingen kann und die Tanzfläche wirkt einladend, aber nicht auffordernd. Diese Bar ist die Liebe meines Lebens, obwohl uns Holy und ihre ältere Freundin davon überzeugen, dass es sich auf der Dachterrasse von Marc Antoine auch gut feiern lässt. Eine halbe Stunde später führen wir also reife Unterhaltungen über Mode und ihre medialen Vertriebsmöglichkeiten, mit Marc Antoine und seinen aus Paris eingeflogenen Freunden. Irgendwo Downtown. Es ist fast zwölf und wir sehen den Spaß, den wir in dieser Bar haben könnten, an unserem rastlosen Auge vorbeiziehen. Uns bleibt eine Stunde, um dem Kunststudenten, der uns per Anhalter mitnimmt, zu erklären, wo wir eigentlich hinwollen. Mittlerweile ist vor der Bar eine Anakonda an Schlange und wir sind froh darüber, dass wir unsere Stempel noch nicht völlig weggeschwitzt haben. Jordan verliert sich in der Gegenwart einer überschminkten Asiatin. Ich rauche drei Zigaretten mit einem eleganten Mädchen mit Hut. Wir sitzen auf dem Bürgersteig und sie übergibt sich. Ich glaube sie ist ein Model und ich steige blind in das Taxi, das sie glücklicherweise mit ihrer Kreditkarte bezahlt. Ich habe mich aus dem Fenster gelehnt und ein paar provokante Behauptungen aufgestellt, die sie beeindruckt haben. Weil ihre Mitbewohnerin jedoch am Morgen ein anstrengendes Shooting hat, sitze ich einige Kalendersprüche später vor ihrer Tür und versuche ohne Telefon und Taxi über meine Aussichtslosigkeit zu lachen. Es ist drei Uhr morgens und Jordan hat die Schlüssel zu der Haustür, die ich heute Nacht nicht mehr finden werde. Ich bin irgendwo in Los Angeles und lasse mich nach einer Meile Fußmarsch von einem afroamerikanischen Pärchen bis nach Venice mitnehmen. Sie fragen mich nach Geld für Benzin und Zigaretten. Bis auf übertriebene Vorahnung habe ich nichts zu bieten. Vielleicht die Erfahrung in einem urbanen Dschungel verbindliche Verabredungen ohne Mobiltelefon zu treffen. Sarah fühlt sich so schlecht für das Verhalten ihrer Mitbewohnerin, dass wir seit diesem Morgen eine zweiundzwanzigstündige Beziehung führen. Wir frühstücken Omelette bei ihrer Mutter in Malibu, besuchen einen kleinstadtgroßen Flohmarkt in Ventura und versuchen irgendwo zwischen Santa Monica und zeitgemäßer Reiseführung etwas Schlaf nachzuholen. Los Angeles bringt mich an die Endstation meiner Aufnahmefähigkeit. Ich sehe mehr Autos als es Menschen zum Benutzen gibt und bin überrascht wie charmant und besonnen Sarah reagiert, als ein oberkörperfreier Verkehrsteilnehmer auf das Heck ihres Volkswagens knallt. Mitten auf dem Parkplatz einer Fastfoodkette. Inmitten von heißhungrigen Amerikanern, die den Bestellprozess mit der Leidenschaft einer Nationalhymnen in das Drive In Mikrophon jubeln. Hand aufs Herz, denn diese Stadt ist voller […]

Schreibe einen Kommentar