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BYND

Konstantin Arnold

KILOMETER

Heute ist es noch hell, als ich zwischen den Felsen nach etwas Feuerholz suche. Wir sind an der Bucht aus Dear Suburbia angekommen und trauen uns nicht ins Wasser. Deswegen haben wir uns ein paar langweilige Wasserfälle angesehen und dabei erkannt, wie beschränkt unser Interesse abseits sandiger Straßen und guter Wellen ist. Mario hat gerade einen Vogel fotografiert, den wir für einen Pinguin halten, weil wir südlicher nicht sein könnten. Die letzten Tage hat ein Cyclone aus dem Südpazifik so viel arktische Luft in die Caitlins getrieben, dass wir uns bei deutschen Temperaturen etwas heimisch fühlen konnten. Dazu noch etwas Nachbarschaftsstreit mit einem campenden Grundschullehrer Mitte fünfzig, der davon ausgegangen ist, dass er den Platz an der Feuerstelle für sich beanspruchen könnte. Jetzt hat er sein gelbes Iglozelt ein paar Hügel weiter geparkt, um in aller Ruhe übers Wochenende eine paar Klassenarbeiten in der Wildnis zu korrigieren. Nach den letzten Tagen ist unser Beitrag zur Produktivität auf das Trocknen unserer Neoprenanzüge beschränkt. Nach den letzten Tagen fällt das Nichtstun schwer. Wir mussten fünf Farbfilmen hinterherfahren, die wir per Kurier über die komplette Südinsel geschickt haben, um bis zur Deadline der dritten Wachsausgabe entwickelt vor uns zu liegen. Vielleicht war es auch an der Zeit Queenstown zu verlassen, bevor wir erkennen, dass wir zu viel unseres bescheidenen Budgets in gesellschaftliches Abendprogramm investiert haben. In Dunedin angekommen besuche ich binnen sechsunddreißig Stunden mehr Internetcafés, als ein Computerspieler im Turniermodus. Wir selektieren Fotos in Universitätsbibliotheken. Kaufen der Megabyte wegen den siebten Latte Macchiato im dritten Starbucks Café und spielen mit dem Gedanken, die letzten Zeilen des Wildnissartikels in einem McDonalds Restaurant auf digitales Papier zu bringen. Ich beginne die Straße zu hassen. Ich möchte Duschen und endlich irgendwo hingehören. Ich habe kaum noch Geld und die zu großen Seelöwen satt, die in den Gewässern um Dunedins Buchten zu Hause sind. Mein Körper ist geschwächt von Wochen auf der Straße, tagelanger Surfsessions und Stunden in südneuseeländischem Nachtleben. Kurz bevor sich die Öffnungszeiten dem Ende neigen, ist er abgeschickt. Der Text, den wir die letzten Wochen mit Inhalt gefüllt haben. Wir schauen auf das Resultat und erkennen, dass es das wert war. Wir fühlen uns lebendig und kaufen eine Schachtel rote Malboros. Eigentlich müssten wir in den nächsten Tagen anfangen, nach der Schaffarm Ausschau zu halten, die mir nach ein paar Wochen Freiluftarbeit dabei helfen sollte, meinen Flieger nach Zentralamerika zu buchen. Eigentlich sollten wir uns südlich der Caitlins auch endlich ins Wasser trauen, um an deutschen Stammtischen von Seelöwen und großen Fischen erzählen zu können. Aber eigentlich gibt es keinen Chef im Urlaub. Vielleicht sitze ich einfach mal in der Sonnen und schaue unseren Neoprenanzügen beim Trocknen zu bis es dunkel genug ist, ein Feuer zu machen. Heute Abend gibt es Linsen und etwas Broccoli. Das aber nur, weil wir uns die letzten Nächte Rumpsteak geleistet hatten. Nach dem Abendbrot werden wir am Lagefeuer mit einem französischen Zahnarzt und einer Holländerin, die vor ein paar Jahren mit ihrer Tanzgruppe die HipHop Weltmeisterschaft gewonnen hat, eine Flasche Vodka trinken. Den Schnaps hatte eine campende Alkoholikerin Anfang Fünfzig mit ans Feuer gebracht, die beruflich versucht Fotografien ihrer Mahlzeiten unter die Leute zu bringen. Sie war es auch, die das Lagefeuerambiente mit ihren Lautsprechern in ein Livekonzert von den Dire Straits verwandelt hatte. Mit jedem Glas mehr gehen wir davon aus, dass das Benzingeld noch reichen sollte, bis wir durch eine Fjordlandschaft zu diesem Skatepark kommen, den irgendein […]

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