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BYND

Konstantin Arnold

MANCHE

Manche liebe Gardinen, andere pflanzen Rosinen. Manche rauchen zu wenig, andere sterben gesund und ledig. Manche bauen Schubladen am Fließband, andere suchen den Deckel, wie ihn Nadine fand. Manche portraitieren die Mahlzeit, andere haben niemals Zeit. Manche schwitzen im Sitzen, andere rasieren und frieren. Manche reden vom Silber und schwärmen vom Gold. Manche sterben in Schönheit, andere leben in Gewohnheit. Manche siezen den Ehrgeiz, andere kochen nur Meersalz. Manche brauchen die Zeit, andere schlagen sie tot. Manche können vergessen, andere fühlen besessen. Manche dürfen nur gelten, andere würden gern sein. Manche mögen`s von hinten, andere heiraten weiß. Manche treiben in Scheiße, andere trinken vom Geld. Manche könnten jetzt hier sein, andere chatten allein. Manche predigen Rotwein und kotzen vom Schnaps. Manche kennen die Antwort, andere Fragen gar nicht. Manche suchen beständig, andere findens lebendig. Manche lieben das Feuer, andere verriegeln im Safe. Manche haben es nötig, andere bescheiden und löblich. Manche träumen vom Leben, andere erleben den Traum. Manche entscheiden sich glücklich, andere räumen nur auf. Manche geben den Ton an, andere jaulen nur mit. Manche küssen sich höflich, andere vögeln zu dritt. Manche wahren die Regeln, andere frühstücken nackt. Manche kommen unpünktlich, andere findens beknackt. Manche bleiben im Schatten, andere bräunen dahin. Manche können entscheiden, wer eigentlich die anderen sind […]

JUNGBRUNNEN

Direkt neben der Garage ist er. Am Morgen danach wirkt er wie festgewachsen. Als ob nichts gewesen wäre. Diese unschuldige Ausstrahlung wirkt übertrieben und scheinheilig. Es gibt für Spa Pools keine weißen Westen. Sie stellen jugendlichen Exzentrikern eine Arena bereit, in der die Dinge ausgetragen werden, denen in öffentlichen Texten das salonfähige Vokabular ausgeht. Finanziell und aus Westen betrachtet, hat es noch keine der anwesenden Personen über den ersten Quadranten der Tankanzeige geschafft. Dennoch gibt es Muscheln und alkoholische Mixgetränke, die kein deutscher Duden buchstabieren könnte. Wir dürfen erleben, was zweitausend Liter wohl temperiertes Wasser mit jugendlichen Ressentiments anstellen. Es gibt wohlgeformte Häkchen auf dieser vierundzwanzigjährigen Wunschliste, denn weiße Westen kann man waschen. Es gibt Eiswürfel aus dem Hahn und viele Dinge, die das Leben bequemer machen, doch eigentlich erlässlich sind. Das macht mir manchmal Angst, wie künstliche Dekorationsfrüchte. Die Hitze des massiven Kaminofens treibt uns irgendwann auf die Veranda mit dem Geländer, das uns in dieser Nacht sicher um das Anwesen geleitet. Ohne Regieanweisung sitzen wir am darauffolgenden Nachmittag in der Notaufnahme des Distrikts Waikato und passieren Revue. Der Verband um Jordans Fuß ist prophylaktisch. Die Glasscherbe ein Exempel dafür, seine Schritte in Barfuß zukünftig glücklicher zu koordinieren. Wir warten auf den Doktor und das Gefühl, dass es das wert war. Gestern saßen wir im Adamskostüm zwischen ein paar durchreisenden Europäerinnen und heute zwischen angetrunken Maoris mit Schlägereihintergrund. Dieser Ort macht krank. Ich schnorre mir eine Zigarette von einem kleinwagengroßen Maori mit Tätowierungen, die mich draußen im Regen dazu bringen, Google zu fragen, ob man im 21.Jahrhundert skurrile Substanzen in handelsübliche Filterzigaretten einbauen kann. Ich blicke zurück auf die letzten Wochen in diesem Haus am Strand. Ein geschiedener Hausbesitzer, der seinen Drachen noch ein letztes Mal in jugendlichem Fahrtwind aufsteigen lassen möchte, bevor er auf die Fünfzig zugeht und mir die letzten drei Wochenenden den Auftrag erteilte, sein Anwesen mit kultiviertem Partypublikum zu füllen. Eine […]

GEGENWART IST UNENTGELTLICH

Es ist die Nacht bevor es losgeht. Wir haben Brot gebacken und sechzehn Eier gekocht. Salz in Alufolie verpackt und zu viel Knoblauch in den selbstgemachten Humus geschnitten. Wir haben fremde Frauen mit Couch in Wellington angeschrieben und in einer charmanten Kollektivmail unser Vorhaben illustriert. Für die nächsten Tage werde ich höchstens für Mama erreichbar sein. KeinG und kein Guthaben. Ich komme mir deutsch vor, während ich die Schilder prepariere, die für die nächsten Tage den richtungsweisenden Ton angeben. Ich entscheide mich gegen Deodorant und überlege, ob ich wirklich drei Shirts brauche, um endlich ein Mann zu werden. Es ist schwierig den Rucksack zu packen, wenn man nicht weiss, was der Negativfilm meiner Kamera zu erwarten hat. Am Morgen danach ist es fast elf! Wir sind auf dem Weg an die Straße und erwarten durch jugendlichen Optimismus eine Direktverbindnung zu dem Konzert in Wellington. Bis dahin sind es noch zwölf Stunden und fast sechshundert Killometer. Nach knapp dreißig Absagen auf vier Rädern stoppt eine attraktive sechsundreißig Jährige. Sie fährt nach Hamilton und erzählt uns, dass der Kinderwunsch mit zunehmendem Alter nicht abnimmt. Auf der Suche nach dem Vater ihrer Kinder halten wir an einem Kiosk, in dem Zigaretten wohl das gesündeste sind, was neuseeländische Dollar kaufen können. Fünfundzwanzig Killometer später stehen wir wieder an der Straße und ich halte meinen zu großen Daumen in Fahrtrichtung. Wir brauchen für einhundert Killometer fast sechs Stunden und vier verschiedene Fahrer. Das Repertoire reicht von homosexuellen Umweltschutzaktivisten bis hin zu Maoris, die während der Fahrt mehr Whiskey trinken, als ich seit meiner Volljährigkeit kaufen konnte. Dann erreichen wir Taupo. Eine Provinzstadt, die ohne diesen See am Fuße des Schicksaalsbergs keinerlei Daseinsberechtigung hätte. Für drei Stunden stellen wir unser Leben in Frage. Kein Auto hält und wenn nur um uns zu sagen, dass kein Kiwi um diese Zeit noch auf dem Weg in die Hauptstadt ist. Es wird kalt und es wird dunkel. Der Gedanke es noch rechtzeitig zur Destination zu schaffen, die musikalisches Abendprogramm und flüchtige Bekanntschaften verspricht, verliert sich in Realismus. Wir haben noch noch nie in einem Backpackers Hostel genächtigt und sind wohl auf, diese Bilanz bis zur künstlichen Hüfte aufrecht zu erhalten. Es wird noch kälter und es wird noch dunkler. Wir stinken nach Knoblauch und sind in Gedanken beim ersten Gin Tonic  […]

EUSTRESS

Es geht mir gut. Solange ich meinen Ehrgeiz im Zaun halte. Solange ich nicht über die Zeit nachdenke, die ich unüblicher Weise für akademische Zwischenprüfungen aufzubringen habe. Die Liste der Orte, an denen ich mein Gehirn mit theoretischen Elastizitäten von Getreidepreise vertraut machen konnte, kann sich sehen lassen. Auf der Farm sind gerade einunddreißig Frauen mittleren Alters angekommen. Sie tragen kitschige Cowboyhüte und trinken teuren Sekt mit Sprite. Einige versuchen witzig zu sein und Dinge zu tun, die ihnen das getraute Alltagsleben verbietet. Andere sitzen hart arbeitend vor ihren Smartphones und versuchen das Gruppenfoto mit dem Kussmund über unsere launische Internetverbindung hochzuladen. Eine steht im verkleideten Mittelpunkt und genießt die neidischen Huldigungen ihrer ledigen Freundinnen. Die Norm gibt vor, dass sie an ihrem letzten Tag in Freiheit, die Dinge tut, nach denen sie sich für den Rest ihrer Ehe sehnen wird. Ruhe ist eine Rarität, an dem Ort an dem ich lebe. Auf dem Weg in Toms alten Karavan fangen mich ein paar ihrer Amazonen ab. Sie stinken nach Tonic und würden gerne einen fast vierundzwanzig Jährigen küssen bevor sie ihre Mascara kopfüber in die Toilette halten. Das sagt zumindest ihre unästhetische Körpersprache. Ihr überzogener Dialekt hingegen fragt, ob Jordan und ich für eine Flasche Gin den Stripper ersetzen wollen, der wegen Grippe heute leider im Bett bleiben musste. Tradition ist ohne Alkohol anscheinend nicht zu ertragen. Wir lehnen ab. Nicht, weil wir zweimal leben, sondern weil es vier Uhr nachmittags ist und mich noch sechzehn Stunden von einer Prüfung trennen, die noch darauf wartet, gelernt zu werden. Toms alter Karavan hat keinen Tisch, aber einen alten Kühlschrank, der nur darauf wartet benutzt zu werden. Ich baue das Inventar aus, damit meine Fußballerwaden genügend Platz haben und ich mich über meine fehlenden Aufzeichnungen lehnen kann. Ich finde ein altes Buch von Hemingway und ein paar zurückgelassene Kondome. Eine Stunde halte ich durch, dann stelle ich mein Leben in Frage. Es geht mir nicht gut. Weil ich heute keinen Surf hatte und keinen meiner zweiundzwanzig Lebensläufe an den Mann bringen konnte, die ich aus ambitionierter Sicherheit mit mir herumtrage. Wann habe ich mir eigentlich das letzte Mal in aller Herrgotts Ruhe die Schuhe gebunden? Wann habe ich den Schnürsenkel aus Zarautz, der meine vier Dollar Jeans daran hindert gen Boden zu wandern, das letzte Mal aufgeknotet, bevor ich ihn in aller Enge über meine junge Hüfte gestreift habe? Eigentlich übe ich mich gerade in Gelassenheit. Raglan kann helfen! Jordan auch! Jedenfalls hat der noch vierzig Dollar auf seinem Bankkonto, die es ihm erlauben, den Moment zu leben. Ich lebe die Zukunft und meine eigene Erwartungshaltung. Ich sehe mich im eigenen Schaufenster und würde jetzt viel lieber Schreiben. Doch über […]

Zwischen Norm und Zärtlichkeit

PURIST

Es gibt keine Bilder aus der Nacht in Auckland. Nur das eine, auf dem Jordan eine unattraktive Asiatin küsst. Am Morgen zuvor wussten wir noch nichts von unserem Glück. Wir waren Surfen und haben gesund gefrühstückt. Haben die Ziegen gefüttert und waren laufen. Ich habe etwas geschrieben, Jordan hat an seinem Bild gearbeitet. Einer der ersten Sommertage. Gegen vier standen wir frisch geduscht an der Straße und hielten den Finger gen Fahrtrichtung. Es klappt. Ein französischer Bäckersmeister hält an und erzählt uns auf der Fahrt nach Hamilton, dass Croissants eigentlich aus Österreich kommen. Eine Stunde später kaufen wir einen Karton Bier im Angebot und steigen in Louis unförmigen Kleinbus. Ich sitze auf der Hinfahrt auf dem Beifahrersitz und Jordan auf der Ladefläche. Gute Wahl, dass sollte sich später auszahlen. Wir hören Bronski Beat laut genug, um über textliches Defizit hinwegzutäuschen und haben nach einer halben Stunde den ersten Platten. Voller Ambition geben wir dem Ersatzrad eine Daseinsberechtigung und pinkeln an die Leitplanke. Zwei Stunden später schmeißt uns Louis mit einer kurzen Touristeninstruktion aus seinem unförmigen Kleinbus. Sieben Uhr morgens wird er uns wieder mitnehmen. Doch bis dahin haben wir neun Stunden, keinen Schimmer wo wir uns befinden und allabendlich befinden sollten. Somit genau das, was wir wollten. Nachdem […]

GETRIEBEN

Eigentlich wollten wir kurz vor sechs los. Doch kurz vor eins hatte es geklopft. Zehn neuseeländische Argumente und kaltes Bier bringen mich dazu, dem Freitagabend dann doch die Beschäftigung zu bieten, die er verdient. Fast jeder ist ziemlich betrunken. Irgendein Italiener macht den DJ und bringt mich dazu ein paar meiner allmorgendlichen Lieblingslieder nun mit abendlicher Feierlichkeit zu assoziieren. Bis vier fallen drei Gläser und fünf Flaschen Bier auf unseren trendigen Betonboden, die einem am Morgen danach helfen können, Erlebtes zu rekonstruieren. Viele der Partygäste verteilen sich auf das Repertoire an Sofas. Auf dem Weg durch das Szenario nehme ich keine Rücksicht und mache mir den Wohl lautesten Kaffee meines Lebens. Gegen Zehn fahren wir los. Ich und zwei deutsche Backpacker. Sie sind zu Besuch und bringen mich dazu touristische Attraktionen zu bewundern, die ich mir alleine nicht anschauen würde. Die Rede ist von natürlicher Architektur und all dem was zwischen den Orten passiert, an denen man andere um ein Foto bittet, nur um zu sagen been there done that. Bevor es losgeht checke ich noch einmal den Swell, der mich stark an die neuseeländische Version von Hercules erinnert. Die Klippe erlaubt es den Point und Raglans einzigem Beachbreak, punktuell die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ich frage mich, wann ich das letzte Mal zum Horizont anstelle der Brandung geschaut habe. Ohne eine Antwort fahren wir über Straßen, die keine Straßen sind. Wir atmen klare Winterluft und sind fasziniert, wie gut dieses abgefahrene Pink Floyd Album, die Szenerie unterstreicht. Alle 200 Meter kommt ein Ort, an dem man vierzehn Tage Urlaub machen könnte. Die Varietät reicht von missbrauchten Urlaubsmotiven bis hin zu natürlicher Einzigartigkeit. Und das nicht einmal hundert Kilometer südlich des Ortes, an dem ich die meiste Zeit damit verbringe nicht weiter als bis zur ersten Sandbank zu blicken. Zwischen gewaltigen Bergmonumenten erzählt Marcel, wie er vor einigen Wochen Wildschweine mit Maoris jagte und vom Lionsrock. Zwischen unendlichen Hochplateaus erzählt Julia, wie sie eine Packung Kekse nach Neuseeland schmuggelte und vom Ayers Rock. Nach drei Stunden auf denen ich froh war nur Beifahrer zu sein, erreichen wir einen Ort, der nicht unser Ziel war. Wir laufen über schwarzen Sand und zählen die wilden Pferde. Vorbei an einer Farm voller engagierter Wachhunde steigen wir auf einen Berg, um uns Überblick […]

Wer rastet der kostet. schwarzweiße Faszination für $45

VAGABUND WIDER WILLEN

Ich sitze ohne Mütze im Büro des Managers. Es ist ein Bungalow, wie jeder andere auf dem Campus der Waikato University, in denen internationale Studenten in zwanzig verschiedenen Sprachen schnarchen. Unzählige Selbstaufnahmen, zählen unzählige Mobiltelefone, die keinen anderen Zweck erfüllen, als die zurückgelassene Fernbeziehung mit digitalen Informationen zu versorgen. Warum ich im Büro des Managers sitze? Das weiß ich selber nicht. Warum ich somit den Schein erwecke, mein Radius reiche nicht über die Broadbandverbindung des Unigeländes hinaus ist hingegen reine Methodik. Meistens ist es ein gewöhnlicher Morgen in Raglan. Fünfunddreißig Knoten peitschen esstischgroße Palmenblätter gegen das Fenster meiner sechs Quadratmeter großen Gemütlichkeit. Der Regen ist so laut, dass ich den Alarm nicht höre. Mit den ersten Bauarbeiten auf dem benachbarten Grundstück verziehen sich die Wolken, die sich über die Nacht um den Berg angesammelt haben. Es fällt schwer, dass Bett am Morgen mit dem richtigen Bein zu verlassen, da das Wetter schneller wechselt, als die Statusmeldungen flüchtiger Bekanntschaften. Null Personen gefällt, dass es hier morgens meisten zu kalt ist. Deswegen auch die Uggboots für umgerechnete Neuneuroneunundneunzig. Deswegen trennen mich mittlerweile zwei Packungen Sekundenkleber und Billigsolen von neuseeländischem Boden. Auf dem Weg zur einzigen Routine des Tages sehe ich dieses Bild wieder. Es liegt zum Trocknen auf unserem Küchentisch und duelliert sich, was den Geruch von kaltem Acryl angeht, mit der selbstgemachten Knoblauchsuppe letzter Nacht. Es ist das Profil eines Löwen, dass Jordan binnen der vergangen vier Tage versucht auf eine Leinwand zu bringen. Eine Kiwi, zwei Birnen, Leinsamen und Nüsse im Wert einer Versacetasche. Dazu etwas Quark und Haferflocken. Darf ich vorstellen: meine Konstante. Meistens klopft es gegen zehn. Meistens ist es Toni, ein Anfang vierzig jähriger Afrobrite, auf der Suche nach Menschen, die seine Backgammon – Neurose teilen. Er besitzt einen Trödelladen in der Stadt und trägt die Hälfte seines Juwelierangebots am Körper. Wie jeden Morgen sage ich nein, da ich mich diesem Spiel erst hingeben werde, wenn die Altlast einer Party länger als einen halben Tag dauert, um überlebt zu werden. Auch er adelt den Löwen. Ich kann dieses Bild nicht mehr sehen. Es ist unfassbar gut. Die Sprache eines Bildes kennt keine Ländergrenzen. Dazu noch etwas walisische Bescheidenheit und die Bewunderung sitzt. Ich hingegen sitze zu unmoralischen Zeiten vor meinem Tor zur Welt und male in Times New Roman, Bilder, die nur ein Deutscher versteht. Zu ehrgeizig zu glauben, Fotografie könnte die nicht weiter bemerkten Sensationen, die das alltägliche Leben ausmachen, so […]

FLANERIE

Hier bin ich! Dort wo Koreaner Kickflips in Airmax versuchen und Mädchen mit 21 ins sechste Semester kommen, um sich täglich die Frage zu stellen, warum schminken, wenn es Filter gibt? Dieses süßliche Parfüm scheint hier jede zu tragen. Es ist unerträglich, vor allem dann, wenn es sich mit meinen Vorlesungsinhalten aus Ökonomie Eins und Zwei vermischt. Aus ökonomischer Inselperspektive gehören Österreich und Deutschland noch zusammen, Exchange Students müssen sich doppelt versichern und Gastfreundlichkeit gibt es bis zum Tellerrand. Es ist wie erwartet mit genügend Spielraum für das Unerwartete. Ich bleibe länger als Gedacht bei den Patersons, dafür ist das Essen zu gut und die mütterliche Wärme zu angenehm. Sie haben einen Hund und ein Kommunikationsproblem. Nach über dreißig Jahren Ehe sicherlich keine Seltenheit. Mit dem Hund spreche ich Deutsch, weil ich mir sonst dumm vorkomme. Ich schlafe in der ersten Etage eines Einfamilienhauses, welches größer ist, als die Schule, die ich besuchte. Die Blumen sind künstlich, die Bilder an der Wand haben so viel persönlichen Bezug, wie Geburtstagswünsche von Google Mail. Deswegen auch die Katze. Deswegen sind ich und der dänische Badmintontrainer herzlich willkommen. Es herrscht Action in der Sherwood Road! Ich bleibe sechs Tage bevor es mich nach draußen zieht. Mein erstes Auto kostet mich nicht mehr als zwei Friseurbesuche und ich fahre los. Raglan ist der mit Abstand schönste Ort, den meine Ostdeutschen Augen in den letzten 23 Jahren vor die Pupille bekommen haben. Die Ökonomievorlesung ist vierundsechzig Kilometer entfernt und das süßliche Parfüm somit in weiter Ferne. Vor mir liegen zehn Hausbesichtigungen. Das bedeutet auf neuseeländisch zehn Geschichten und zehn Liter Heißgetränke. Ich habe noch 26 Fotos auf meinem Film. Gen Abend werde ich mir wünschen, dass es mehr gewesen wären. Ich treffe Denise, eine Künstlerin mit Meerblick, trinke Kaffee mit Peggy, einer Künstlerin ohne Meerblick. Ich flüchte mich vor Ruth und ihrem abschreckenden Toilettenaufsatz. Jetzt brauche ich einen Kaffee, eine Pause, die zu einer Unterhaltung mit Jeff wird. Ein sechsundsiebzig jähriger Radiomoderator mit den wohl dreckigsten Witzen, die mein englisches Vokabular je übersetzt hat! Plötzlich klingelt mein Handy. Es ist ein Kiwi namens Peter, der aufgrund fehlender Technikkenntnisse und voranschreitenden Alters nicht in der Lage ist, mir die Adresse per SMS zu schicken. Er entschuldigt sich für die Straßen, die zu dem Caravan führen, den er gerne für zehn Dollar pro Nacht vermieten würde. Ich wohne in keinem Wohnwagen, aber ich weiß auch, dass ich mir dieses Szenario anschauen muss. Nach einer Viertelstunde nehme ich seine Entschuldigung an und erkenne, dass jegliche Adressangabe irrelevant gewesen wäre. Es geht abwärts in den Busch. So tief, dass kaum noch Sonnenlicht durch das Dach des Dschungels dringt. Es ist schlammig und völlig sinnlos. Dann sehe ich einen Baum mit einer roten Neunzehn und fahre auf den Hof von Peter und Mahowri. Ich sehe einen 81er Chevrolet Malibu, ein selbstgebasteltes Haus aus Holz und einen Caravan. Voller Freude werde ich empfangen, als wäre ich neben der Wasserleitung die einzige Verbindung zur Außenwelt. Peter führt mich ins Haus. Vorbei an einer Feuerstelle betrete ich einen Raum, in dem Staubputzen unmöglich ist. Am Tisch zum Fenster sitzt eine ältere Frau. Sicherlich ist es seine Frau, sicherlich könnte es aufgrund ihrer körperlichen Distanz auch seine Schwester sein. Ich bin überwältigt und strecke der Frau meine Zahnlücke entgegen. Gerade hat sich mein Horizont geweitet. Peter fragt, ob […]