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BYND

Konstantin Arnold

FLANERIE

Hier bin ich! Dort wo Koreaner Kickflips in Airmax versuchen und Mädchen mit 21 ins sechste Semester kommen, um sich täglich die Frage zu stellen, warum schminken, wenn es Filter gibt? Dieses süßliche Parfüm scheint hier jede zu tragen. Es ist unerträglich, vor allem dann, wenn es sich mit meinen Vorlesungsinhalten aus Ökonomie Eins und Zwei vermischt. Aus ökonomischer Inselperspektive gehören Österreich und Deutschland noch zusammen, Exchange Students müssen sich doppelt versichern und Gastfreundlichkeit gibt es bis zum Tellerrand. Es ist wie erwartet mit genügend Spielraum für das Unerwartete. Ich bleibe länger als Gedacht bei den Patersons, dafür ist das Essen zu gut und die mütterliche Wärme zu angenehm. Sie haben einen Hund und ein Kommunikationsproblem. Nach über dreißig Jahren Ehe sicherlich keine Seltenheit. Mit dem Hund spreche ich Deutsch, weil ich mir sonst dumm vorkomme. Ich schlafe in der ersten Etage eines Einfamilienhauses, welches größer ist, als die Schule, die ich besuchte. Die Blumen sind künstlich, die Bilder an der Wand haben so viel persönlichen Bezug, wie Geburtstagswünsche von Google Mail. Deswegen auch die Katze. Deswegen sind ich und der dänische Badmintontrainer herzlich willkommen. Es herrscht Action in der Sherwood Road! Ich bleibe sechs Tage bevor es mich nach draußen zieht. Mein erstes Auto kostet mich nicht mehr als zwei Friseurbesuche und ich fahre los. Raglan ist der mit Abstand schönste Ort, den meine Ostdeutschen Augen in den letzten 23 Jahren vor die Pupille bekommen haben. Die Ökonomievorlesung ist vierundsechzig Kilometer entfernt und das süßliche Parfüm somit in weiter Ferne. Vor mir liegen zehn Hausbesichtigungen. Das bedeutet auf neuseeländisch zehn Geschichten und zehn Liter Heißgetränke. Ich habe noch 26 Fotos auf meinem Film. Gen Abend werde ich mir wünschen, dass es mehr gewesen wären. Ich treffe Denise, eine Künstlerin mit Meerblick, trinke Kaffee mit Peggy, einer Künstlerin ohne Meerblick. Ich flüchte mich vor Ruth und ihrem abschreckenden Toilettenaufsatz. Jetzt brauche ich einen Kaffee, eine Pause, die zu einer Unterhaltung mit Jeff wird. Ein sechsundsiebzig jähriger Radiomoderator mit den wohl dreckigsten Witzen, die mein englisches Vokabular je übersetzt hat! Plötzlich klingelt mein Handy. Es ist ein Kiwi namens Peter, der aufgrund fehlender Technikkenntnisse und voranschreitenden Alters nicht in der Lage ist, mir die Adresse per SMS zu schicken. Er entschuldigt sich für die Straßen, die zu dem Caravan führen, den er gerne für zehn Dollar pro Nacht vermieten würde. Ich wohne in keinem Wohnwagen, aber ich weiß auch, dass ich mir dieses Szenario anschauen muss. Nach einer Viertelstunde nehme ich seine Entschuldigung an und erkenne, dass jegliche Adressangabe irrelevant gewesen wäre. Es geht abwärts in den Busch. So tief, dass kaum noch Sonnenlicht durch das Dach des Dschungels dringt. Es ist schlammig und völlig sinnlos. Dann sehe ich einen Baum mit einer roten Neunzehn und fahre auf den Hof von Peter und Mahowri. Ich sehe einen 81er Chevrolet Malibu, ein selbstgebasteltes Haus aus Holz und einen Caravan. Voller Freude werde ich empfangen, als wäre ich neben der Wasserleitung die einzige Verbindung zur Außenwelt. Peter führt mich ins Haus. Vorbei an einer Feuerstelle betrete ich einen Raum, in dem Staubputzen unmöglich ist. Am Tisch zum Fenster sitzt eine ältere Frau. Sicherlich ist es seine Frau, sicherlich könnte es aufgrund ihrer körperlichen Distanz auch seine Schwester sein. Ich bin überwältigt und strecke der Frau meine Zahnlücke entgegen. Gerade hat sich mein Horizont geweitet. Peter fragt, ob […]

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