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BYND

Konstantin Arnold

DAHEIM II

DAHEIM II

Es begann im Zug, Boardrestaurant, 21. Jahrhundert, auf dem Weg von Tirano nach Mailand. Der Kellner fragte, ob ich gestresst bin, weil ich zweimal zweimal Honig bestelle und ihm das nicht durchs ganze Abteil nachrufen will. Warum man Bestellungen nicht einfach in Ruhe hier am Tisch aufnehmen kann, wollte ich wissen, aber er sagte, nein, das wäre es nicht. Die Sonne küsst in der Morgenröte gerade die Berge und es ist wunderbar und die schönste Strecke, wie die von Cannes bis San Remo. Zugreisen schaffen Abstand zwischen den Dingen. Sie trennen eine Zeit von der anderen und tragen Ort und ihre Ereignisse weit genug von einander weg. Ich sah raus, mit einer Zeitung von gestern über den Knien. Die Fahrt ging mittlerweile am Comer See vorbei oder am Luganer, aber ich glaube, dass es die andere Seite des Comer Sees gewesen ist. Ich schrieb ein paar Briefe und einen an meine Freundin und ich glaube, der wars, was der Kellner meinte. Ich hasse, zu erzählen, wie etwas war, das einen dann  trennt, weil der eine vom einen und der andere vom anderen redet, wenn er vom gleichen spricht. Man wünscht sich dann besser nichts erlebt zu haben, aber will es bei einem Wiedersehen natürlich erzwingen, aber das geht nicht und man wird wütend, weil man nicht weiß warum und warum es nicht geht. Man befindet sich also in der beschissenen Situation davon erzählen zu müssen. Jorge meint, dass das doch ein Talent wäre. Für mich ist es Gift. Mir fiel bei den Briefen an meine Freundin immer auf, dass ich immer was weglasse, so als würde ich etwas von mir weglassen und so schreiben, dass sie weiß, was das war. Es ist die einzig vernünftige Art, die Dinge zu tun, weil sie wie Dampfschiffe und Nachtzüge enorme romantische Zusammenkünfte zuließen. Man konnte den Kleinkram hinter sich lassen und schreiben, dass man jetzt da ist oder dort und nicht mehr hier. Man musste nicht sagen, dass man zwischendrin auch noch woanders gewesen ist. Ich schrieb, wie die letzten Wochen waren, Anrufen konnte und wollte ich nicht, weil ich kein Telefon hatte, und das, was ich hatte, zwischen Bergen nicht funktioniert. Es funktioniert in der Schweiz nie und ein Stück in Italien, und hinten im Café Benard und ich versuche das vorher natürlich immer abzuwenden, freue mich dann aber tief in mir drin. Manche Sachen lassen sich einfach nicht sagen, vor allem nicht weit weg am Telefon, also schreibt man sie besser, schreibt, was so war und was eben nicht war und nur was wird, wenn man es sagt, anstatt zu schweigen, wo es schwer ist, ein Mann zu sein. Alles andere hätte zur Folge, dass man zynisch würde und nichts von dem meint, was man sagt, obwohl man erfolgreicher ist mit Menschen, wenn man die Dinge für sich behält. Nicht, dass es eine Wahrheit wäre, alles zu sagen, was man denkt, es ist Zwang. Man redet von Zuständen der totalen Übertreibung im Augenblick. Der Liebende ist vielleicht der einzige Mensch, der die Dinge nicht so sieht, wie sie sind, aber man sagt Briefen ja nach, dass sie für ein endgültigeres Erleben stünden. Meistens kommen die jedoch erst nach den Ereignissen an. Das zeigt, mit welchen Kräften man ringt. Daher die Flecken. Der Kellner kam und brachte nur einmal Honig und ich hatte doch extra zweimal gesagt. Abends aß ich im Grand Hotel. Das Restaurant sah aus, wie eine Trattoria, die man ins Hotel gebaut hat. Braune Tische, auf denen grüne Servietten und Kerzen in silbernen Ständern waren. Die Wände voller Leuten, die hier schon gegessen haben. Gegenüber aß ein älteres Pärchen und hinter mir eine Blonde mit gespritzten Lippen, die gerade erst reingekommen war. Ich hasse alleine Essen und da die auch alleine aßen und das bestimmt hassten und mir egal war, was ich von mir dachte, weil ich nicht mehr so gerne dachte, wie ich rauch, fragte ich, ob wir nicht zusammen rücken wollen und miteinander essen, ohne gleich miteinander schlafen zu müssen […]