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BYND

Konstantin Arnold

EIGER NORDWAND

EIGER NORDWAND

Und wieder nicht geschafft. Der Winter ist vorbei und ich bin in den Bergen gewesen und nicht Ski gefahren. Es sollte ein romantischer Skitrip werden, aber bis in Gstaad genug Schnee lag, hatten wir uns getrennt. Dann wäre es fast ein Sauftrip geworden, mit Freunden, in den Dolomiten, weil man in der Schweiz nicht so saufen kann, aber schlussendlich habe ich mich für das einzig vernünftige entschieden, die Eiger Nordwand. Ich schrieb einem guten Freund, der das genauso sieht. Er schrieb auch gleich zurück und schrieb, ich renne bei ihm da offene Türen ein. Er hätte gerade Jon Krakauers Eiger Dreams fertig und wollte bald mit Heinrich Harrer anfangen. Mein Freund ist sicherlich der einzige auf der Welt, bei dem man damit offene Türen einrennt. Wir kennen uns gut und er wunderte sich nicht über mein Interesse an den Dingen. Er schrieb nur, dass ich nicht einfach so auf einen Berg gehen könne, wie ich so sonst ins Kloster gehe oder in ein altes Hotel oder nach Athen fliege. Ich hätte doch bestimmt wieder nur Sachen zum Apéro dabei. Das soll jetzt aber keine Geschichte über das Bergsteigen werden. Es fasziniert mich nur als Metapher fürs Leben, die Liebe und Leidenschaft von Menschen, die es schaffen, ihrem Schicksal zu trotzen, in dem sie nächtelang auf einem kreditkartengroßen Felsvorsprung ausharren, 1500 Meter über dem Meer. Ich glaube nämlich überhaupt nicht an ein blindes Schicksal, dem man unterworfen ist, sondern einen bestimmten Umgang, der es überhaupt erst formt und schafft. Die Art eines Menschen ist folglich sein Schicksal und wie er es zu deuten vermag, seine Wesenslage. Das ist nicht von mir, das hat irgendein Athener gesagt, der in Harrers Die Weiße Spinne zitiert wird. Er gehört zu den Erstbesteigern der Eiger Nordwand, die sich von den Nazis hofieren ließen. Die vom Eiger ausgehende Kraft führt ihn ein Jahr später zum Nanga Parbat, wo er im Hafen von Karatschie verhaftet und im britischen Gefangenenlager in Nord-Indien interniert wird. Ein paar Mal gelingt ihm der Ausbruch und ein einmal die Flucht. Bei Nacht geht es tausend Kilometer locker über den Himalaya bis nach Tibet. Hier bleibt er sieben Jahre, Brad Pitt, es klingelt! Harrer arbeitete mit der SS, der CIA und war Freund des Dalai Lama. Ich habe viel über ihn gelesen, auch von Messner, Bonatti, ein paar anderen, aber vor allem Harrer, Menschen, die in der Drohung der Berge eine Lockung sehen, eine Leidenschaft zum Element. Menschen, die man nicht an ihren Überzeugungen bewerten sollte, sondern anhand ihrer Zweifel. Die Geschichte des Eigers ist seitjeher Gegenstand literarischer Fiktion. Allein beim Googlen habe ich über dreißig literarische Werke gefunden. Josef Viktor Widmann beschreibt 1892 mit der Held des Eiger die einzig folgerichtige Verbindung zwischen Berg und Liebe. Es wurde viel geschrieben, aber doch nichts, das so gut ist, wie die Berge und die Liebe selbst, weil sie oft in Extremen erzählt werden, Klischees, Rekorden, Gefahren, Vergleichen, allem also, das sie für uns an ihren Rändern sichtbarer macht. In einer Zeit der Superlative bestechen Berge durch ihre Einfachheit und Stille. Sie stehen da ohne Vergleichbares, das es mit Gerde nur zu uns auf die Erde holt. Hohe Berge sind wie erste Küsse, Frühlingstage und Frauenportraits von Tadeusz Styka. Sie sind immer so, wie immer, schon lange bevor wir mit unseren Dieselfahrzeugen und Lieferdiensten kamen. Für jemanden, der die Essenz der Dinge liebt und die Wiener Ringstraße, ist das ein Segen. Sie sind hoch und tief, lebensfeindlich und ununternehmbar. Aus Staub und Steinen, die noch nicht Staub geworden sind, Millionen Jahre alt, einfach so, während uns Menschen nichts bleibt, als ein mit Gefühlen vollgestopfter Augenblick, den wir uns mit Gewicht und Zeit erklärt. Wichtige Entscheidungen sollten meiner Meinung nach im Angesicht von 1000m hohen Felswänden getroffen werden. Die Stille ist dann sehr laut, sodass unserer Innerstes zum Tragen kommt und wie alle Dinge im Angesicht dieser natürlichen Gewalt, zu einer unbedeutenden Angelegenheit verkommt. Für uns gab es keinen besondern Grund. Wir hatten keine Fragen. Wir wollten uns einfach mit einem Drink vor die Nordwand auf die Terrasse des Hotel Bellevue setzen, die Wand angucken und versuchen, ihren Anblick mit der uns zur Verfügung stehenden Würde nicht zu zerstören. Wir kannten die kompletten Routen jeder Expedition, wir konnten uns die Wand hoch denken. Kannten die Wandabschnitte, wie die Rote Fluh, den Hinterstoisser Quergang, das Erstes & Zweites Eisfeld, Begriffe wie Bügeleisen, Todesbiwak, Götterquergang, Rampe, Mittelgrat und Weiße Spinne waren für uns ganz normal. Heißt, wir wurden Freaks. Für uns ist der Eiger irgendwie der einzige Berg, den es gibt, weil er wirklich hoch ist. Es gibt andere Berge, die höher sind, aber man spürt die Höhe nicht. Wenn man fällt, fällt man 1500 Meter. Es ist nicht wie auf anderen Bergen, wo man schon 5400 Meter hoch ist und die Höhe nicht sieht. Everest schön und gut, wenn man 8400 Meter fallen könnte. Aber Zuhause bei mir in Lissabon gibt es Straßen, die steiler sind […]