KARACHO
Es ist gar nicht so, wie ich dachte, dass es dann ist. Ich dachte, dass man dann wie durch Glas guckt, wenn man wieder kommt, nach einer Zeit, eine große, gescheiterte Liebe später. Ich dachte, dass manche tot und einige weg und alles anders ist. Isabel aus dem Fadokeller in der Nervenklinik, Afonso an der Verwendung seiner noch nie gewechselten Bifanasoße gestorben, der Bauch von Jorge geplatzt, Carlos vom Zeitungskiosk am Rossio nicht mehr am bestaugestattetesten Zeitungskiosk der Stadt, sondern in Spanien, wie er immer gern sagte, Spanien, das war immer sein Traum, obwohl ich ihm sagte, dass die Dinge nie so sind, wie man denkt, ich wäre in Spanien gewesen. Ich dachte, dass Clement, mein Lieblingsrestaurantbesitzer in der Rua Canastras, einer tollen, dunklen Straße unterhalb der Sé, nun ganz offiziell ein Alkoholiker wäre, aber er ist es nicht und hat eine nette Kellnerin eingestellt, die ihm ein paar Tage die Woche das Trinken an der Theke mit uns abnimmt. Es ist ein absolutes Privileg, Restaurantbesitzer, in der Zeit, zu erleben, kurz bevor ihnen jemand sagt, dass es so nicht weitergehen kann, wenn es noch eine Weile weiter gehen soll. Die wenigstens Restaurantbesitzer überleben diese Zeit, weil sie sonst nicht wissen, für was, aber wenn sie die überleben, und man das auch erlebt, und Freitag war und man einen Tisch bekam, bei Clement, in der zweiten Schicht, direkt an der Theke, mit ein paar Freunden, oder wer auch immer gerade da war und nach ein paar Gläsern einer wurde, wusstest du, dass es das alles Wert ist und vielleicht sogar wieder gut werden würde und dass die Panalva-Jungs in Graça doch nicht dicht gemacht haben, sondern nur im Urlaub sind, wie Clement sagt. Nur Caesar, den Kellner in der Churrasqueira, oben am Sapadores, den hätte es erwischt, der wäre wirklich in Ruhestand gegangen, aber ich habe schon viele Ruhestände von vielen Kellnern überlebt. Man kommt, früher oder später, darüber hinweg. Ich wusste ja, dass eine Krise mit ihr, eine Krise mit der Stadt bedeutet. Ich war deshalb eine Zeit lang weg gewesen. Rom, Neapel, München, vor allem Rom. Ich hatte, wie soll ich sagen, ohne jetzt wie ein Wixer zu klingen, in sieben Jahren Lissabon, einen gewissen Lebensentwurf realisiert. Am Anfang wollte ich nur nicht in Deutschland sein, bis ich nur noch in Portugal sein wollte und wurde, wer ich bin oder eben wurde, weil ich sieben Jahre so getan habe als ob. Das klingt selbstzufrieden und das ist es auch und ich glaube ich habe mich an dieser Zufriedenheit gelangweilt. Morgens aß ich Bifanas mit Jorge, meinem Schuhputzer, bei Afonso, drinnen, an der Theke. Carlos vom Zeitungskiosk kam manchmal auch vorbei und brachte mir Zeitung & Zigaretten mit. Danach arbeitete ich im Benard, einem sehr historischen Café, wenn ich danach noch arbeiten konnte oder lies mir die Post bringen. Arbeit ist zum Arbeiten zu kommen, der Rest ist nur Schreiben. Abends traf ich Frauen, die ich auf der Straße kennengelernt hatte und aß bei Clement, grüßte Fadosängern, redete und redete, obwohl wir uns schon lange verabschiedete hatten (sehr portugiesisch). Da war eigentlich nur eine Angst, neben all den anderen und der, den Rest dieser Geschichte durchs Schreiben zu versauen, weil ich sie schreiben musste, ohne all die anderen Geschichten, die ich schon geschrieben hatte: Die, das Lissabon stirbt, und all die Menschen hinter den Fassaden, die wirklich Stadt sind und so wenig Miete zahlen, dass es Tascas überhaupt noch gibt. Dass Losverkäufer, Schuhputzer, Gehsteigleger, berühmten Liebespaaren und Männer ohne Instagram, bald nur noch Denkmäler sind, Fassaden, eine Erinnerung daran, die ganz schön anzusehen ist. Nur die Messerschleifer auf ihren Fahrräder konnten von mir aus sterben, nachdem mich meiner einmal fast umgebracht hatte, weil ich ihm keine fünfzig Euro für die zwei Messer geben wollte, die er mir scharf gemacht hatte. Erst heute früh wurde ich wieder wachgemacht von einem, der die Leute aus der Nachbarschaft fragte, ob sie Geld für die Beerdigung des toten Parkplatzeinweisers haben und es dann selber einsteckt. So gehen sie halt dahin, die Alten und Geschichten, die langen Sommertage im Herbst, der Charme von Denkmälern, Dachziegeln, Versprechen, die Klarheit der Kontur und der Weichheit des Ganzen, das Auseinandergehören der Töne im Licht, all die Erinnerung an all die Zeiten, die wir hatten und doch nur halten konnten, bis sie vergingen, wie jeder schöner Tag. Ich träumte davon oft und hoffte, dass die doch, bis zu meiner Wiederkehr, jeden Tag jemand sieht. Aller Anfang ist schwer, bis man aufhört, anzufangen, und mit Schreiben beginnt, aus Sehnsucht sich in Worte zu fassen, Zitate, Bilder, Fado, Schlägereien. Man sucht nach Worten, die es möglich machen, zusammen zu sein, wie man eben ist […]