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BYND

Konstantin Arnold

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT II

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT II

Omar Chayyām, der Dichterprophet Persiens sagte mal, dass mehr Leute auf der Welt fähig sind, Bücher zu schreiben, Heere zu führen und Kaiserreiche zu reagieren, als ein Hotel zu leiten. Ein Hotel ist ja immer erst ein Haus, in dem man eigentlich nicht zuhause ist. Die Zimmer gehören mehr denen, die es aufräumen, den Eingang bewacht ein Portier, der Nachtisch ist eine Pflicht den Kellnern gegenüber. Aber es gibt Hotels, in denen man richtig leben kann, wie in seinem Leben, sogar sterben könnte man da. Die schönsten sehen aus wie Vanilleeis mit einem Dach drauf. Die Lobby ist Marmorweiß, die Kellner tragen Manschettenknöpfe und verteilen Häppchen. Die Bar ist aus Holz und hat Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen kann oder einfach nichts sagt und stumm stützt und durch den Raum hinaus aufs Meer sieht. Zwischen klassischen Häusern und neureichen Scheißhäusern, in die Leute gehen, um reich zu sein, liegt ein himmelweiter Unterschied in Form einer Wahrheit, die jeder selbst entschlüsseln muss, in dem er herausfindet, welche Wahrheit überhaupt gemeint ist. Sie ist auf jeden Fall nicht mit Geld gleichzusetzen, außer für Leute, die den Wert von etwas nicht kennen, oder nur kennen, wenn sie wissen, was etwas wiegt, welches Maß es misst oder wie viel es kostet. Ich persönlich interessiere mich nicht für Geld, denn ich habe keins. Ich lebe in Lissabon, Rom, Wien, Paris und doch nirgendwo, schreibe Geschichte, die alle toll finden und keiner verlegen will, und versuche mich von meinen Leidenschaften zu ernähren. Meine Postadresse in Rom ist das Hassler, in Lissabon ein altehrwürdiges Café. Grand Hotels sind wunderbare Orte, die aus der Zeit fallen und dem Ort, an dem sie stehen. Sie leuchten wie weiße Botschaften der Zivilisation an den Küsten und stehen in Städten wie Diplomatien, die man benutzen und anfassen und einsauen darf. Sie dampfen wie große Schiffe in den Bergen, die durch die Zeit fahren und transportieren die Gegenwart einer längst vergangenen Zeit, damit es die Welt von gestern, auch morgen noch geben darf. Dadurch entsteht eine Verbindung zwischen den Zeiten. Nicht, dass sie einem so näher kämen, sondern weil dadurch eine scheinbar große Sehnsucht überbrückt wird. Das ist gut für Menschen, in denen es von Natur aus laut ist. Ein Vaterland für alle, die sich zwischen den Zeiten gefangen fühlen und keinem Vaterland zugehörig. Der Portier ist Pole, der Bellboy Russe, der Kellner aus der Slowakei, der Barmann Italiener, die Hausdame Portugiesin, der Direktor Österreicher und kaiserlich, selbst wenn er Befehle empfängt. Alle samt aus der Enge ihrer patriotischen Gefühle vertrieben und der Selbstverständlichkeit ihrer Heimat entrissen, für die sowieso keiner was kann, da die Welt nicht, wie angenommen, aus einem einzigen Ort besteht, sondern Millionen Orten, die sich alle für die einzigen halten. Ich verstehe, dass einige das nicht verstehen, aber ich verstehe auch, dass wir immer was für uns wollen und selten wollen wir das für andere. Kaum einer will heute von guten Zeiten lesen, geschweige denn von den besseren, wenn er nicht selbst eine erlebt. Am nächsten Tag waren wir am Meer verabredet, was sehr schön war. Man konnte schwimmen und war bereit für die nächste Flasche. Wir fuhren nach Saint-Paul-de-Vence, tranken vier davon im Café de la Place und spielten Petanque. Der Regen hatte sich verzogen und der Platz unter den Bäumen war leer. Nichts von dem hier erinnerte an die Schwarzweißbilder, die ich ihr davon gezeigt hatte und die Geschichte, dass ich bei meinem ersten Mal drei Tage brauchte, bis man mich mitspielen ließ. Ihr waren die Schwarzweißbilder der Bardots und de Gaulles egal und sie spielte ganz zauberhaft, einfach, elegant, unbeeindruckt und provinziell, wie in einem französischen Roman, bevor er veröffentlicht ist. Ich konnte ihr kaum widerstehen, in diesem langen Kleid, den Ballerinas und der Strickjacke, die sie sich drüber gezogen hatte und hasste sie noch mehr. Sie sagte, ihr ginge es genauso, wie ich da so im Anzug stehe, mit Kippe und auf die Bälle ziele und mich so sicher bewege, im Terrain und all diese Dinge kenne. Ich werde nie vergessen, wie sie auf mich zu rannte, um ihren letzten Wurf zu machen und ich dann noch einen Ball hatte, um das Spiel zu entscheiden und das Spiel entschied gegen einen Straßenkehrer und einen Abgeordneten aus Antibes. Nachdem Spiel prügelten wir den Bentley über die Hügel von Nizza. Ich war etwas angeschossen, aber so, dass ich alles noch unter Kontrolle hatte, wie immer, wenn man trinkt, fährt und das denkt. Hier oben konnte man von den Alpen der Provence bis zum Meer sehen. Die Temperaturen waren niedrig. Ich gab Gas und sah mir ihr Gesicht im Rückspiegel beim Gasgeben an. Ihr Blick provozierte, wie sie da so saß und lächelte, seelenruhig, in ihrem Kleid, den Schal über die Schultern gelegt, wie eine falsche Katholikin und mich fragte, ob da nicht noch mehr geht. Ich gab ihr mehr und sie schrie und wollte noch mehr als mehr, aber nach noch mehr käme der Tot. Im Zweifelsfall verheerend, interessiert aber eigentlich keinen, solang man weiterlebt. Man muss bis an die Schwelle, nur nicht darüber hinaus. Beim Petanque hatte ichs ihrs gezeigt, aber das ist Murmelnspielen eben. Liebe ist dann das Gefühl, noch nie schnell genug mit ihr gefahren zu sein. Das man weiß, wo diese Schwelle ist, und nicht die Kontrolle verliert, und denkt, dass die Typen, die sie vor mit hatte noch schneller gefahren sind und sieht, wie sie um die Kurven durch den Bentley fliegt, ist diese Schwelle. Wir fuhren dann noch ein bisschen über die Dörfer, suchten eine Bar, die noch offen hat, kauften Zigaretten und sprachen mit den Einheimischen. Die Reifen des Bentley qualmten und ein netter Kerl, der früher mal Messerwerfer war, lud uns ein. Auf dem Heimweg sagte ein Freund, dass das so nicht geht und ich fragte, was? So schnell zu fahren und damit davonzukommen und zu denken, den Menschen mit seiner bloßen Anwesenheit schon etwas zu geben. Es ist unerhört und unmöglich und es ist dadurch begehrenswert […]

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

Natürlich kann man nicht einfach erzählen, wie eine Reise war und erwarten, dass jemand was damit anfangen kann, wenn er nicht schon selbst da gewesen ist oder Lust hat an einer Hotelbar, in Genua, mit dem Barmann darüber zu reden. Es gibt auf Reisen immer gute Geschichten und lustige, die die Leute mögen und sie wollen diese Geschichten auch hören, wie man in einem Bahnhofslokal, in Busto Arsizio, festsaß und kein Zug mehr ging. Die Bar war lang und ging durch den Raum und man konnte sie vom Vorplatz und vom Gleis aus betreten. Reisende und Einwohner kamen hier zusammen. Männer an Theken, billige Reginella, mit Liebe gemacht, Kaffee, der exakt 22 Sekunden lief. Schon mein Geschmack, auch wie zum Bahnhof hin Bar geschrieben steht. Ich trank Averna mit einer, die die Männer an der Theke Valentina nannten. Im Hinterraum standen ein paar Spielautomaten und Billardtische, auf denen wir schliefen, den Rest behält man für sich oder schreibt ihn auf oder wartet, bis die Leute selbst dagewesen sind und mehr hören wollen oder sich verlieben und wissen, was es heißt, wenn man sagt, dass man nicht viel getrieben hat bis dahin. Ich kann so nicht erzählen, nur mittelmäßige Liebesgeschichten, ohne Liebe, lassen sich so erzählen, von Autoren, wie ich einer war, bevor ich einer wurde und mich verliebte. Man kann nicht nur erzählen, wie man sich liebte und den Bentley nach drei Flaschen Rosé im Café de La Place über die Hügel von Nizza jagte und wie schön sie aussah, als sie, bei 240, das Meer und Nizza zu ihrer Rechten, schneller! schneller! schneller! schrie. Das wurde mir am Ende sehr klar, als wir im Café des Amis saßen, mit Freunden, wie der Name schon sagt, die sich zeitgenössisch darüber echauffierten. Man konnte denen höchstens vom Hotel du Cap Ferrat erzählen, weil man dort festsaß und die Rechnung nicht zahlen konnten und den Sprit, um den Achtzylinder zurück nach zu Mailand zu bekommen und Franz in Wien schrieb, einem Verleger, dem ich vorheulte, dass wir hier festsitzen, wie tote Idole und die Drinks zahlen müssten und den Sprit. Hätte ich ihn nach was anderem gefragt, nach was zum Anlegen, Geld für Miete oder eine Lebertransplantation, er hätte nichts bezahlt, aber so gab er uns etwas Geld, das sogar noch für neue Drinks unterwegs reichte. Franz war vielleicht der einzige Verleger, der das heute noch verstand. Unsere Reise ging von den Seen über das Land bis ans Meer, kreuz und quer. Ohne zu wissen, an welches. Das musste man so früh im Jahr aber noch nicht. Man fragt sich auf dem Weg von Mailand an die Riviera natürlich, ob es sinnvoll ist, extra für ein paar Negronis noch zwischen Cernobbio und Ravenna zu halten. Aber Angelo arbeitet im Sommer da in der Villa d’Este, nachdem er den Winter in St.Moritz im Kulm gearbeitet hat. In den Bergen leitet er das Grand Restaurant, hier bringt er einem die Drinks und wenn er einem die Drinks gebracht hat, an einem Abend unter Bäumen, mit Blick auf den See und dem Knirschen seiner Schritte im Kies und dem Klang von Eiswürfeln im Glas, das von ihm über den Kies, unter den Bäumen getragen wird, fragt man sich das nicht mehr. Man schwelgt in Erinnerungen und denkt über den Sommer nach, redet mit Angelo über die besten der alten Orte und einige neue, an denen man mit seinem Leben weitermachen würde. Badeorte & Bergdörfer, Inseln, Hotel Paläste. Ans Meer fährt man sicherlich, aber hier am See, zwischen Norden und Süden, meint Angelo, müsste man noch nicht wissen, an welches. Man macht die nötigen Korrespondenzen, studiert Wetterkarten und Ausstellungsverzeichnisse der Zeitungen, trifft Vorkehrungen und Verabredungen, organisiert Zusammenkünfte, Lunches mit Leuten, die man kennt und lässt sie vom Lago di Como aus lieb Grüßen. Ich hatte eine Zeitung dabei, die eine Woche alt war und dachte das Wetter aus der Zeitung würde sich noch ändern, aber es änderte sich nicht und Mailand war bei unserer Ankunft so dunkel wie die bei Nacht und all die Wolken der Welt schienen sich im Becken vor den Alpen zu verfangen. Wir holten unseren Bentley und standen im Feierabendverkehr mit all diesen Warnsystemen in Nordatlanitktiefgrau. Der Innenraum dieses Autos sah aus wie der einer Boeing und man saß auch wie First Class, mit Sicherheitshinweisen, die dafür sorgten, dass man sonst nichts mehr zu tun musste, außer sich beim Fahren Gedanken zu machen. Ich schlug vor, so bis nach Genua zu fahren, weil man beim Bentleyfahren, das Fahren sowieso nicht so mitbekommt und das Wetter dort besser ist. Ich verbrachte jedes Jahr eine Nacht da und das konnte gut die hier sein. Natürlich gibt es bessere Städte, um sich die Absätze abzulaufen, aber wenn man jedes Jahr eine Nacht da ist, war die Stadt ein Traum, in dem alles so ist, wie es sonst nie nirgendwo war. Die größte Altstadt Europas, Paläste, einen Spalt weit von einander entfernt. Heute wohnt dort kaum einer mehr im Zentrum, was das Zentrum wundervoll macht, mit guten Bars und billigen Restaurants im Freien und unter Fresken. Geschichten von Tausend und einer Nacht und Nutten, Einwanderern, Ratten, aber sie hatte mein Angebot längst gekauft […]

PARIS IV

PARIS IV

Die romantischste Stadt der Welt ist für mich nur eine Notlösung. Meist Mittel zum Zweck. Erst neulich wieder, als ich morgens mit dem Nachtzug aus Wien am Gare de l’Este ankam und bis zu meinem Weiterflug, am Abend, in der Closerie des Lilas durch die Zeitung blätterte. Davor war ich auch immer nur so da, wie ich gerade erst wieder dagewesen bin, auf dem Weg wohin, weil es sich mit dem Flugzeug aus Lissabon nach Paris billiger und mit dem Zug nach Frankfurt bequemer reisen lässt. Paris ist dann nur so im Vorbeifahren und man macht mit seinem Leben weiter, ohne auf den Gedanken zu kommen, sich Eifeltürme anzusehen oder andere tote Dinge. Ich habe den Eifelturm einmal im Vorbeifahren gesehen, obwohl ich den Arc de Triumph, nachts im Vorbeifahren, mit wehender Frankreich-Flagge und den Geschichten Remarques, noch schöner finde. Die Tuilerien haben, kurz vor einer Trennung, auch ihren Charme, erst recht die Orangerie, das Orsay, aber ich will jetzt nicht erzählen, wie toll Paris ist, oder was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer mit meinem Leben weiter zu machen und mir meine Zeitung am Boulevard Saint-Michel zu kaufen. Den Mantelkragen hochgeklappt, den Hut ins Gesicht gezogen, je nach Jahreszeit. Lesen an Orten. Sehen wie Leben dann geht. Tun, wie wir alle tun, die wir uns in Städten als jemand ausgeben, der wir nicht sind, bis wir es vielleicht werden, weil wir lange genug getan haben, als ob. Man kann bei all den Erwartungen, die Paris umspannen, fast nur eine Scheißzeit haben, gerade als Liebespaar, vor allem als Schriftsteller. Es fühlt sich komisch an, Schriftsteller in Paris zu sein, und dazu noch verliebt. Das heißt aber nicht, dass man sich gar keine Notizen machen und gar nicht turteln darf, wenn man abends, zusammen allein, über die Brücken geht. Man trägt dann eben seinen Teil zum Mythos bei, sodass die, die dann vorbeifahren, denken, dass Paris nun mal die Stadt der Liebe ist, obwohl es bessere französische Städte für die Liebe gibt, wie Toulouse, Avignon und Dijon. Wir haben deshalb die meiste Zeit bis zur Weiterreise im Bett verbracht und im Bad, weil man vom Bad aus den Eifelturm sehen konnte und das Pantheon oder das, was wir für das Pantheon hielten (den Invalidendom). Der Eifelturm sticht in den Himmel, der immer grau und manchmal silber ist und selten blau. Darunter stehen die warmen, grünen Bäume auf dem Asphalt und werden um den Regen gebracht, der im Westen vom armorikanischen Massiv aufgehalten wird und im Osten über die Champagne zieht. Dass das so ist, erfuhr ich von einem Mann aus der Nachbarschaft, der öfters die Sauna unseres Hotels benutzt, um sich danach 15 Minuten in ein Eisbad zu setzen. Vor dem Abendessen saß ich da ein paar Minuten mit ihm. Er fragte, was ich hier mache und ich erzählte es ihm und er sagte, dass das Lutetia ein guter Ort dafür wäre und das intellektuellste Hotel der Stadt. Es ist immer noch schön, trotz der typischen Brandschutztüren, die durch die Renovierungen entstehen. Danach aßen wir im Bistro des Hotels mit Blick auf den Boulevard Raspail und die Rue des Sévres, die sich vor uns kreuzten. Das Essen war gut und umsonst und der Kellner Algerier. Weil ich Land und Leute gut kannte, ließ er uns bis nach Ladenschluss sitzen und empfahl uns dann ein noch offenes Café am Boulevard Saint-Germain, nicht weit vom Hotel, gegenüber vom Lipp. Dort versuchte wir meinen Gedanken zu folgen, weil die ständig versuchen, sich in Worte zu fassen. Sie trug ein kurzes Kleid und hatte die Beine verschränkt. Dazu tranken wir Bier. Ich sah auf ihre blauen, hohen Schuhe, in denen sich die Straßenlichter spiegelten und die Lichter der vorbeifahrenden Autos, die meine Gedanken davontrugen und einen Augenblick nur die Schuhe und die Beine zurückließen. Auf dem Heimweg stritten wir trotzdem die Gitterstäbe des Luxembourg entlang, wie Modigliani und Jeanne Hébuterne und ich hätte sie wohl auch gerne an den Haaren heimgezogen, aber das durfte man nicht und auch früher nicht, obwohl man zu Caravaggios Zeiten seinem Kontrahenten noch die Augen ausstechen konnte. Ich ließ sie […]

ERFAHRUNG

ERFAHRUNG

Paris war unsere letzte Runde. Mit Paris ging alles los. Alles, was wir nun zur Erinnerungen erklären und sagen, so, ja so muss diese Zeit gewesen sein, unvergesslich und prägend. Eine Zeit, die es vielleicht schon nicht mehr gibt, bis man es nochmal schafft und sie ist: Immer die gleiche, schöne Geschichte. Boy meets Girl, they Fall in Love. And then? Wird vom Hotel, das Schöne für uns übernommen. Die Plätze und Meere auf die man so sieht. Ideen, die man voneinander hatte. Das hat nichts mit Paris zu tun, wir machen das ständig, mindestens zwei Mal im Jahr oder wir haben es immer gemacht, an die Vergangenheit muss man sich wohl gewöhnen. Für die einen ist es London, New York, für uns Lissabon, Wien, Mailand, Antibes, Madrid, San Sebastián. Wenn wir bis Weihnachten nicht in in der Closerie des Lilas waren, im Sommer ums Cap d’Antibes schwammen, in Ventimiglia auf den Zug aus Cannes nach Genua warteten, Zeitungen im Café Sperl lasen, bei Tito in San Sebastian aßen, uns in Mailand trafen, durch den Retiro gingen oder am Lago di Como darüber nachdachten, Schluss zu machen, ging bei uns gar nichts. Aber keine Panik. Ich werde jetzt nicht erzählen, wie toll Paris ist oder was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer mir eine Zeitung am Boulevard Saint-Michel kaufen und mich irgendwo hinsetzen. Lesen an bestimmten Orten. Verstehen wie das Leben so ist. Den Mantelkragen hochgeklappt, den Hut tief zwischen den Schultern. Niemanden interessiert, dass man im Regen auf dem Place de la Contrescarpe geküsst hat, auch nicht im Dampf, der durch die Metroschächte aufsteigt, während sich das Straßenlicht auf den nassen Bürgersteigen spiegelt und die Caféterassen schließen. Es muss aber kalt sein, wie diesmal, saumäßig, so kurz vor Weihnachten. Dann sind die Leute weg und die Bäume in den Tuilerien kahl. Der Himmel ist Rauch und der Eifelturm hört irgendwann einfach auf und Paris ist eine gute Stadt, um traurig zu sein. In Lissabon geht das nicht einfach. Jedenfalls nicht alltags, auf diesen heißen, hellen Plätzen des Lebens. Für viele ist das nur ein Namen auf einem Straßenschild, an dem sie mal vorbeigefahren sind. Für mich ist es ein vergangenes Leben, von denen ich gerade wie durch Glas getrennt bin. Alles erinnert mich an sie, alles andere auch. Wer will bitte Sonnenschein über Weihnachten ertragen, wenn der Winter in Paris schon ein Leben lang geht und man im dichten Morgennebel auf Reiter hofft, die aus dem Bois du Boulogne kommen und den Frühling bringen aus großen französischen Romanen. Ich verstehe daher nicht, warum mich Leute ständig nach der besten Zeit fragen. Rom Ende Oktober, Wien danach, San Sebastian im Frühling und, wenn die Hotels offen sind, Antibes. Paris am besten vor 1920. Sie haben irgendeine Stadt mal irgendwann zu einem Zeitpunkt gesehen und maßen sich an zu verlangen, dass sie sich, bis zu ihrem nächsten Besuch nicht verändert. Die Zeit ist egal. Sie wiederholt sich und vergeht in Zyklen, weil der Mensch ihr Vergehen so besser erträgt. Die kulturelle Ausformung dieser Zyklen nennt man Mode und deren melancholische Wiederaufnahme Nostalgie. Dabei geht es darum, die Dinge durch ihre ständige Wiederholung auf eine Essenz zu destillieren, die Trost spendet, weil etwas seit 1700 schon so ist und sich diesen Gebäuden entsprechend anzuziehen, ohne ihre Anmut mit der einem zur Verfügung stehenden Würde zu zerstören. Nichts ist für immer. Nur der Reispudding, wie Jorge mein Schuhputzer sagt, in der Casa Chineza, einem alten Lissabonner Lokal, das jetzt ein neues französisches Hotel ist, hat wie immer geschmeckt. Aber immerhin, noch niemand rennt hier, wie in Paris, muss nicht dauernd irgendwo hin. Die Stadt siegt über die Architektur des Augenblicks, die Unruhe des Großstadtlebens durch seitliche Pinselstriche, den flüchtigen Charakter einer Situation, die aus der Einmaligkeit eines Zugtickets besteht, dass man in der Brusttasche seines Jackets stecken hat. Lissabon, die Stadt des Lichts, der Sieben Hügel, die Weiße, jaja wies in Europa hunderte gibt, aber es gibt nur eine Hauptstadt des Vergehens.  Es ist daher falsch eine Stadt für seine Veränderung verantwortlich zu machen, Städte verändern sich nicht so wie Reisende. Das Läden schließen, Preise steigen, gabs schon immer, Geschäfte für Fremde noch viel öfter und wie die Literatur nicht von Vorkriegspreisen schwärmt, Elektrizität, Zügen, Erfindungen und Veränderungen, die jede Generation für sich in Anspruch nimmt. Paris ist ein Beispiel. Alle Städte mit Ausnahme von Paris haben das Recht sich zu verändern. Ich will daher für diejenigen schreiben, die Städte suchen, in denen man nicht nur glücklich sein muss und würde sie im Winter besuchen. Es ist die besinnlichste Jahreszeit, reicher und schöner als alle anderen, wenigstens für jene, die mehr Bedeutung und reife Tiefe als Glanz und Jugend suchen. Es ist der ideale Hintergrund für kleine Katastrophen, Rückschläge, Anrufe, die alles verändern. Geschaffen für Genießer der Melancholie, Liebende kurz vor dem Aus, Banker am Rande des Ruins, Dichter, die zwischen den Zeilen nach den Worten suchen, Liebe, die endet und wieder beginnt. Die meisten wollen alle immer überall unbedingt eine gute Zeit haben und deswegen ist sie meistens schlecht. Klar, hier und da sieht man wen, ders geschafft hat, meistens kurzärmlige Besucher, die zufrieden in einem Stück Sonne sitzen und schlechte essen, aber wer aus London oder New York kommt, hat es schwer irgendwo anders unglücklich zu werden. Ich habe daher gelernt, dass man sich verdammt schlecht fühlen kann und plötzlich gut und umgedreht und dass es so eigentlich egal ist, wie man sich fühlt. Man kann in Paris sein und versuchen glücklich zu werden. Aber gleich nach dem Erreichen von was folgt das Bewusstsein für die Nichtigkeit aller irdischen Dinge und man rettet sich vor dem Dilemma in die Nächte und entschädigt sich durch Sex. Wir waren Weihnachten immer kurz davor Schluss zu machen, aber Weihnachten hinderte uns daran. Das Jahr ist vorbei und etwas stirbt in uns. Der Frühling schafft uns dann wieder neu. Orte, und die Erinnerung daran […]

TO LOOSE

TO LOOSE

Es ging damit los, dass sie mir nicht helfen wollte, obwohl ich ihr immer helfe, wenn sie zu lange packt und wir los müssen und der Müll raus muss und die Blumen gegossen werden, der Abwasch und was mit dem Zeug im Kühlschrank passiert, wenn der Müll schon draußen ist. Alltag einer Liebe, die auf Reisen gemacht wird, also glauben sie nicht, dass jede die Persönlichkeit eines Menschen aus seinen Beziehungen entlässt. Ob sie die Geschwindigkeit ihres Gangs im Flughafen mit Absicht verlangsamt, wenn sie mein Ticket hat, will ich nicht sagen, nur dass sie mir wieder sagt, dass ich doch vorgerannt bin. Dadurch sind wir eher alleine nach Toulouse geflogen, als miteinander, wie immer, außer dass es mittags war und wir nicht so müde, wie sonst. Sie saß am Gate und schaute aufs Handy und ich in die Luft. Irgendwann nahm ich ein Buch raus und sie hörte auf, aufs Handy zu schauen und ich glaube, sie schaute so, also ob ich immer ins Buch schauen würde. Im Flugzeug nickte ich dann ein, träumte von Trennung, daran mit einer anderen zu sein, der Frau eines anderen, mit der alles anderes wäre und nichts so aufregend wir mit ihr. Ich träumte von Kraft, aber gegen die Liebe verlieren die Besten und kann sie nicht am Spieltisch testen. Aber ich will nicht schon wieder damit anfangen, es ist immer irgendwas anderes und das ist immer das gleiche. Ich kanns selbst nicht mehr hören. Also, sprechen wir über Toulouse. Toulouse ist erst mal eine sehr römisch Stadt, planmäßig pastell und backsteinfarben, Ahornbäume am Fluss, deren Blätter über die Mauern hängen, Hauptstadt Okzitaniens. Die Stadt liegt am Ufer der Garonne, zwischen Mittelmeer und Atlantik und weit von Paris entfernt. Sie ist die viertgrößte Stadt Frankreichs, aber wen interessierts. Wir kennen die Stadt vom Vorbeifahren. Ein Ort zwischen den Orten, der mehr als nur einen Halt letzten Herbst verdient. Wir waren gerade auf dem Weg von Biarritz in die Provence und hielten zum Lunch. Es war eine Welt, die wir nicht kannten, und Dörfer mit Burgen drauf. Ich stellte mir Toulouse an diesem Nachmittag schön vor, junge Leute, und eine Liebe, von der man sich nach einem Wochenende verabschieden muss. Wie soll man eine Stadt sonst erfahren, aber Toulouse kennen selbst viele Franzosen nicht und niemand, den wir danach gefragt haben, war je da. Der Plan war eine Weile hier zu sein und dann auf einen Berg zu klettern, den wir damals im Vorbeifahren gesehen hatten, weil man, wenn man von Biarritz in die Provence fährt, die ganze Zeit an den Pyrenäen vorbeifährt und sich fragt, wie man die schreibt. Als wir ankamen, waren gerade Mitte Juni, La Fête de la Musique in der Stadt. Wir wohnten in einem fürchterlichen Hotel, nicht weit vom Place St. Geroges, in dem sie die Drinks auf der Dachterrasse in Plastikbechern ausschenkten, weil das die Badeordnung so will. Drinnen roch es nach Deodorant, das über Schweiß gesprüht wurde, der im Teppich steckt. Die Farben der Inneneinrichtung waren krebserregend. Keine Ahnung, wie wir hier landeten. Ich brachte meine Sachen aufs Zimmer und ging sofort raus und wartete auf einem runden Platz auf sie. Ich hatte mein Telefon im Hotel gelassen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, sich zu verpassen. Es war nachmittag, oder früher Abend in Frankreich. Mein Hemd war drei Knöpfe weit offen, hätten auch vier sein können, aber ohne das Gefühl des sanften Verzichts. Die Luft war sanft und warm und die Leute hatten Hoffnung und saßen bei ihren Drinks an den Tischen und vollbrachten das große Wunder zu leben. Es sah ganz danach aus, als hatte der Morgen sein Versprechen auf Zeit über den Tag lang halten können. Die Bedienung kam und wollte das man gleich zahlt und sagte auf English, what do you want. Die Franzosen haben ein Misstrauen ihren eigenen Leuten gegenüber und ihre Etikette ist über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus. Nach den ersten zwei Gläsern freute ich mich ein bisschen auf sie und den Moment, in dem sie um diese Ecke kommt. Das lag aber eher am Moment, und ich wollte mir den nicht nehmen lassen, auch nicht von ihr. Ich hatte an so vielen Hotelbars genauso auf sie gewartet, vom Barmann dieses oder jenes erfahren, bis sie im Kleid die Treppen runterkam und ich ihr verzieh. Wenn das Kleid nicht so schön war, näherte man sich mit organisatorischem an […]

UNZUMUTBARES

UNZUMUTBARES

Bin geschafft, aber kanns kaum erwarten, und der Baggerfahrer vor unserem Haus baggert ja auch. Senhor Alfredo schleppt seinen schweren Körper schon seit neun wieder durch die Tendinha, auch wenn der selbst daran Schuld ist, am Körper und dass er so spät immer noch eine letzte Flasche aufmacht. Ich könnte einfach morgen damit anfangen, ausgeschlafen, ohne Baggerfahrer und Alfredo, gleich an der Riviera, aber unsere fängt meistens sowieso schon zu Hause in Lissabon an. Ich bringe den Müll raus, sie sucht sich ihre Outfits zusammen. Ich gieße die Blumen, sie sucht sich die Outfits zusammen. Ich räume auf, sie sucht immer noch. Klare Rollenverteilung. Es ist dann meistens weit nach Mitternacht und unser Flug nur noch wenige Stunden entfernt. An Schlaf ist nicht zu denken, denn sie sucht dann immer noch. Wir haben das so oft gemacht, dass es mich gar nicht mehr aufregt. Außerdem habe ich das mit meinem Psychologen besprochen. Er hat mich darauf eingestellt und wir laufen seitdem wie ein Uhrwerk. Er meinte, ich solle solange mit einem Buch in ein Café gehen, auf dem Weg zum Flughafen, oder schon mal eine Einleitung schreiben, die wie immer damit beginnt, dass der Flug so früh war und wir so spät gewesen sind. Ich flog nur mit Anzug, zwei Hemden, einer Badehose, ohne Computer, mein Telefon benutzte ich eh nicht. Ich flog, wie man nach dem Aufwachen vielleicht an den Strand geht. Mit einem fast fertig gelesenen Buch von Pio Baroja, der über die gute alte Zeit schreibt, als das Meer noch nicht industrialisiert war und die Küsten nicht so kultiviert. Er behauptet nicht, dass Meer sei damals besser gewesen, aber weniger befahren, nicht so friedlich, vielleicht etwas romantischer und gefährlicher, wohl aber jünger und nicht ganz so verglichen. Betrand Russels Warum ich kein Christ bin kam auch mit, obwohl das nicht passt und Worte wie Transgression, also die Eroberung der Dinge, die kein Sex sind, ein zu schweres Thema für einen so leichte Gegend ist. Sie bekam den meisten Platz in unserem Koffer. Ich schrieb meiner Mutter, dass ich jetzt eine Zeit lang nicht da bin, wo ich sonst bin und sie schrieb zurück, noch weniger als sonst? Ich antwortete ja. Wo gehts denn hin? Hotel du Cap, Antibes. Was, bist du nicht pleite? Ja, sagte ich, aber die Mahlzeiten sind umsonst, inklusive der Drinks, wir fliegen zum Sparen hin. Keine Ahnung, warum ich das schrieb. Aber ich hatte sonst nichts zu schreiben, außer dieser Geschichte, die jetzt erst einmal gelebt werden musste und mich hoffentlich davon abhielt, die alten immer weiter zu umschreiben, bis sie endgültig versaut sind. Nachdem sie mich in der Bar abgeholt hatte und wir endlich im Taxi saßen und nichts mehr schiefgehen konnte und sie ihren Pass erst nicht dabei hatte, und dann doch und ihr Telefon, und ihre Outfits, fragte ich, ob mich mein Psychologe von der Liebe geheilt hätte? Wir streiten ja gar nicht mehr. Ich hatte ihm gesagt, er solle mich ganz machen, aber doch nicht ganz. Sie sagte, nein, keine Sorge, ich hätte nur gelernt Dinge für mich zu behalten und zu unterscheiden, wann man etwas sagt und was und vor allem wie. Wir hätten aus unseren Streits gelernt und wären es allen Orten schuldig, die wir schon verschwendet haben. Ich sagte, große Gefühle gäbe es doch nicht umsonst und wir brauchen uns gerade aufgrund der Neurosen. Doch, gibt es, so ist die Liebe und wie schön das Leben ohne Neurosen dann ist. Der Rest wäre fürs Tagebuch meiner papierenen Klagemauer. Sie sagte das sehr schön und klar und wie noch nie. Frauen wissen immer schon, was wir uns erarbeiten müssen. Sie haben es in sich. Bei mir wäre da eine Art alte Schuld, bei ihr eine Form des Vergehens. Vor uns vielleicht eine enge, höhere, angenehme Verbindung, wie Bruder und Schwester, die gerne miteinander ins Bett gingen. Die Meisten meinen, sich mit ihrem Partner so gut zu fühlen, sie wären wie Häfen für sie im Ansturm des Alltags. Wie kann die Liebe der Hafen sein und der Alltag ein Sturm, ohne weiße Boote vor Anker? Und warum muss man sich immer gut fühlen? Es gibt andere gute Gefühle, die viel besser sind. Wie wenn man genauso schnell fällt, wie man auch angezogen wurde und seine Tage in einem Parabelflug beginnt.  Auf der anderen Seite konnte so ein Streit auch noch kommen. Man hält ihn immer für unmöglich, bis es so weit ist. Vor allem auf dem Weg an die Riviera läuft man auf viele leere Tore zu, es ist Halbfinale, eins eins, kurz vor Schluss. Man kanns nur verkacken oder erkältet sich so, dass man nicht rauchen kann, bekommt Hemmungen, Hunger, Hämorriden, Durchfall, oder mit seinen Erwartungen zu tun. Liebende sind wie Panther. Sie kratzen nur zu gern, wenn sie gestreichelt werden wollen […]

DAVONKOMMEN III

DAVONKOMMEN III

So ein Elektroauto ist schon toll, aber esfährt sich nicht wie ein Auto, sondern ein Bügeleisen mit dem man auch fliegen kann. Man fährt 200 und bekommt nichts davon mit. Er zwingt einen zu Pausen an wahllosen Orten, was manchmal schön ist, aber meistens schlimm. In Frankreich ist das mit dem Laden schon besser, außerdem versprühen die Parfüm in Parkhäusern und spielen klassische Musik. Ich könnte einen Thriller über die Verwicklungen beim Laden eines Elektroautos schreiben, wie man ans Auto kommt und sieht, dass nichts geladen hat, und dann der Stecker klemmt oder keinen Empfang ist, um den Ladevorgang zu starten, oder tausend verschiedene Anbieter und Apps und dann das Parkticket bezahlen, obwohl man gar nicht geladen hat. Für mich, ohne Smartphone, ist Elektroautofahren sowieso unmöglich. Ich glaubte, es würde traumhaft und zwinge zu poetischen Pausen, in denen man Lesen kann oder sonst was, aber meistens ist man dafür zu wütend. Nur einmal klappte es, kurz vor Toulouse. Jede Ladestation sollte mittags kurz vor Toulouse sein. Man liegt im Gras und liest und sieht die Pyrenäen, deren Gipfel im Nebel schweben. Davor eine Ebene und dahinter ist Spanien und hinter einem lädt der Audi 350kW pro Stunde. Leider war Toulouse für uns nur was zum Vorbeifahren, eine Welt die wir nicht kannten und ein paar Dörfer mit Burgen drauf. Dafür konnte der Audi aber nichts. Ich stelle mir Toulouse jedenfalls schön vor, viele junge Leute und eine ausweglose Liebe, die man an einem Wochenende kennengelernt hat. Keine katholische Schwere, wie in der Provence. Patrick meinte, dass die Franzosen gar nicht so offen sind, wie alle denken, deswegen fallen Frauen in den Städten, die sichs rausnehmen, so auf. Er meinte auch, dass Toulouse sehr schön ist, aber die Provence schöner, so schön, dass man gar keine Frauen mehr braucht. Sogar die Penner wären nett, auch wenn man ihnen kein Geld gegeben hat.  Als wir in der Provence ankamen, wurde es gerade Abend. Es war warm in Europa. Die Abenddämmerung legte sich über den Mount Ventoux in der Ferne wie eine Flasche ausgeschüttetes Rosé. Man versteht warum van Gogh, Cézanne, Daudet, Mistral und Zola kamen, und wieso man das Licht besser malt, als es zu beschreiben. Wir fuhren lange gerade Straßen und an Häusern mit alten Aufschriften vorbei und bogen rechts in die lange gerade Einfahrt des Chateau Montcaud. Wir fuhren lange gerade Straßen und an Häusern mit alten Aufschriften vorbei und bogen nach rechts in die lange gerade Einfahrt des Chateau Montcaud. Wir hörten das Zirpen der Zikaden, ein anderes Auto in der Ferne und dann den Kies unter den Rädern. Wir rochen den kühlen Geruch der Olivenbäume und sahen den Brunnen, vor dem Chateau, in dem die Zeit stillsteht und Moos drüber wächst. Alles war kalksteinfarben und Pastell, der Besitzer sagte die Fensterläden wären olivenkernsteinfarben und das Schloss von einem Seidenfabrikanten erbaut. Wir aßen gemeinsam zu Abend und die Weine schmeckten, wie das Land aussah. Es waren sehr herzliche Leute, die einmal alles verloren hatten und sich hier alles wiederaufbauten. Wir erzählten von den Bergen Kastiliens und wie unbetreten sie sind, während die im Baskenland rund und grün wären. Hier sind die Berge oben ohne, kahl und ausgeblichen. Der Besitzer sprach von den Cevennen, so als ob man die kennen muss. Er erzählte von einem italienischen Poeten, der im 14. Jahrhundert den Mount Ventoux zum ersten Mal bestieg. Meine Freundin sagte, dass sie als Kind auch eine Raupe hatte und wie viele Kilometer am Ende so ein Kokon ist und der Eigentümer sagte, er weiß, aber die Schmetterlinge werden gekocht. Ich fragte, ob alles, was man hier tun kann, Weintrinken und Glücklichsein ist, Glücklichsein und Weintrinken und Schmetterlinge kochen. Der Eigentümer lachte und sagte, es gebe Momente, in denen man die Schönheit sieht, wie man sie noch nie gesehen hat und manchmal sieht man sie nicht. Die Düfte der Garigue dämpfen den Aufprall der Dinge untereinander. Was die Garigue ist, will ich wissen? Eine immergrüne mediterrane Strauchheidenformation, die als Degradationsstufe der Macchie verstanden werden kann. Ah, was auch immer das ist, unser Streit war vergessen. Wenn man sich wegen nichts in die Haare gekriegt hat, gibt es auch nichts zu besprechen. Nachts hatten wir uns wieder lieb und hörten danach die Seidenraupen auf den Maulbeerbäumen fressen […]

DAVONKOMMEN II

DAVONKOMMEN II

Manchmal trägt der Nordwind die Traurigkeit her und manchmal fegt er den Himmel blank. Das schlechte Wetter ist hier aber nichts Schlimmes. San Sebastián ist ein Winterort, schwimmen im kalten Meer. Ein Seebad, wie Biarritz, wo man Baden kultiviert hat, nachdem man das Meer lange genug nicht zum Schwimmen benutzte. Jetzt gibt es auf der ganzen Welt keinen besseren Ort, um sich eine Badehose zu kaufen. Während San Sebastián den aristokratischen Glanz der englischen Königin verdankt, wurden in Biarritz Promenaden gebaut als Eugène ihren Ehemann Napoleon III davon überzeugte, eine Sommerresidenz im Süden Frankreichs zu errichten. Biarritz wurde zum Ferienziel der Pariser, hier sollte die Welt genesen. Wenn man aus San Sebastián dorthin fährt, weiß man am Anfang nie wo lang, weil man aus den Bergen kommt und sich fragt, wo Osten ist und es ist auch egal bis man an der Küste ist. Das Stück zwischen Hendaye und Saint Jean de Luz ist weltbekannt. Es ist das, von dem ich ihr am Igueldo erzählte, aber ihr wars egal, sie schlief, dachte oder fummelte sich an den Haaren. Es war schade, dass sie den Ausblick nicht sah, weil es schön war, zu sehen, wenn sie so etwas Schönes sah. Wenn sie so traurig und vorwurfsvoll dasaß, wie eine Statue von Maillol in den Tuilerien, versuchte ich das zu ignorieren. Sie war trotz allem ein schönes Tier, mit einem Lebensraum auf dem Beifahrersitzt und der Unordnung voller Sachen und Taschen, die sie schuf. Keine Ahnung, wie jemand so beifahren konnte. Ich dachte für mich, dass das eine sehr schöne Straße war, die nahe am Wasser vorbeigeht, und von den Leuten Corniche Basque genannt wird. Für mich ist das die Straße auf der Jakes Barnes mit Bill am Ende der Fiesta mit offenem Verdeck fährt. Man erkennt sie an den Wäldern und Wiesen und dem sich ins sehr blaue Meer räkelnde Land. Das Buch verbindet mein altes und neues Leben und Peter Viertel, der es verfilmt und nach den Dreharbeiten zu Fiesta sein Surfbrett hierlässt, aus dem die europäische Surfkultur erwächst. Bald zwei Jahrzehnte war Biarritz für mich nicht mehr als ein breiter Strand zum Surfen gehen. Schildmütze an. Bier trinken. Fertig. Jetzt waren wir auf dem Weg und ich jemand anderes und kam an vielen Orten vorbei, an denen ich schon geschlafen hatte. Campingplätze, Kreisverkehre, eine Picknickstelle im Wald. Wie alle Surfer fuhr ich damals mein Dieselfahrzeug durch Europa, schiss in die Büsche, ließ mir die Haare wachsen, brachte meinen Restmüll und meine Geschlechtskrankheiten mit und dachte ich bin aber sowas von cooler. Jetzt wohne ich im Hotel du Palais. Das hatte ich früher schon vom Meer ausgesehen. Jetzt sehe ich das Meer vom Hotel. Es ist ein wundervolles Gebäude, groß und rot und alt, ich glaube das älteste, da Biarritz erst um Eugènes Sommerresidenz entstand. Vorher war das nur eine Düne. Jetzt stehen hier Chateaus und Schlösser in tausend verschiedenen Stilen. Der lange Teer der Einfahrt steht dem Hotel prächtig und dann steht da Patrick, der uns den Audi abnimmt. Er ist dieser Mensch, der einen Ort ausmacht. Drinnen ist dann alles sehr Hyatt-mäßig, renoviert und ohne Zeit, mit ständig wechselnden Mitarbeitern. Der Concierge gab einem das Gefühl immer was Besseres zu tun zu haben. Aber jedes Mal, wenn ich Patrick den Schlüssel gab, war es, als würde es auf der Welt sonst keinem geben, dem er das Auto parkt. Er sah mich mit seinen weichen Buttleraugen an und fragte, wies geht und ob wir schon im Hinterland waren. Von ihm weiß ich alles, was ich über diesen Teil Frankreichs weiß und andere und dass Anne Desclos in Wahrheit die Geschichte der O geschrieben hat und eine Frau war und dass sie und Georg Sand die Befriedigung der Frau literarisch legitimierten. 1792 wurde die Guillotine zum ersten Mal an Schafen ausprobiert und Oscar Wilde machte die bittere Erfahrung, jemanden in der Seine ertrinken zu sehen und ihn retten zu wollen. Er fürchtete, man könnte denken, er würde sich aufspielen und ließ ihn ertrinken. Ich fragte ihn warum Franzosen alles mit Soße fressen und warum ihre Küche überhaupt so bekannt ist? Er sagte, dass hätte mit dem Hof Ludwigs zutun, der Diplomaten aus aller Herren Länder zu seinen Banketten einlud und so die Mode der Gänge einführte. Ich gestand schon, dass es den Franzosen gelang, aus den einfachen Zutaten des Alltags, etwas leidenschaftliches, besonderes zu machen, aber ich hatte noch die Weinernte in Portugal unter den Nägeln und ließ mir vom Sommelier hier gar nichts erzählen. Ich erzählte Patrick von Biarritz und wie es früher für mich war und er meinte, dass es nicht leicht ist, einen Ort wieder für sich zu entdecken, wenn man ihn schon lange kennt. Wir sollten in die Berge fahren, nicht weit von hier. Das würde uns beruhigen und wir müssten uns nicht mehr so auf dem Balkon aufführen, vor den Augen der ganzen Stadt […]

RIVIERA

RIVIERA

Es ist ein Stück vom Himmel gefallen. Liegt an der französischen Riviera als Kap im Meer. Wellen schlagen dagegen und Wege führen drum rum und ein weißes Haus steht im Grünem, das von tiefem Blau umrahmt wird, wie ein wertvolles Gemälde. Ich hoffe, wenn man stirbt, kommt man hier hin und darf seine Gefühle mitbringen. Manche können sich das im Leben schon leisten. Nirgends ist ein Hotel so Hotel, das Leben so Leben, weiß so weiß und Liebe so einfach gemacht. Das Westenweiße macht was mit einem. Man trägt helle Anzüge und raucht leichte Zigaretten und auch nicht viel. Morgens kann man das Trocknen der Pinien riechen und abends hört man den Vogel, der die Dämmerungen in warmen Ländern besingt. Gesehen hat den keiner, aber es reicht zu wissen, dass so der Süden klingt. So nah am Wasser sind selbst schlechte Zeiten besser als die guten. Weit weg von der Welt und doch jener Teil, der sie lebenswert macht. Regen durch weiße Fensterläden betrachtet. Heute ein stürmisches tristes Meer, Palmen, die dann halt wehen, na und? Wir sehen das nackt durch Gardinen, ein Blick aufs Leben vom Bett und vom Bad ausgesehen. Blaue Jeans und braune Haut. Keine Ahnung, ob die Welt uns so sehen kann, wenn die Gardinen wehen. Schöne Orte sind sehr schön im Regen. Sie sind wie Menschen, die auch mal weinen. Ein falscher Gedanke (das kann ein Moment sein, der nicht ist wie tausend andere Momente) und ihr durchleuchtender Blick, die Kraft meiner Empfindung, keine Ahnung, wie sie das aushält, ich glaube, sie liebt mich, wirklich, bedingungslos, auch wenn ich mir das schwer vorstellen kann. Einen kleinen unsicheren Jungen, der sich hinter breiter Brust an seinen Obsessionen vorbeischreibt und aus der wunderbaren Unvollkommenheit des Lebens in seine Texte rettet. Oder hier her. Auf dem Hinflug sah ich eine Stadt unter mir. Tausend Lichter und Straßen, die irgendwo hinführen, blinken, leuchten, wollen, sich verbinden, vielleicht Paris. So, sagte ich zu ihr, stelle ich mir ein Gehirn vor. Ich schaute nochmal raus und sagte, meins nur mit mehr Schleifen und Kreisverkehren. Dann wurde das Wetter schlecht und ich musste das Wetter noch für sie ändern und es ändert sich auch. Wie versprochen. Einen Platz im letzten vollen Lokal bekommen wir auch noch und den französischen Weinpreis bezahlen wir nicht. Die spinnen wohl, und denken der Traum einer Frau ist, der Traum eines Mannes zu sein. Man muss den Traum schon erfüllen. Es reicht ihr nicht Mrs. Irgendwer zu sein. Sie will auch nicht, dass man ein Foto davon macht und ihr Feuer gibt, wenn sie selbst eins dabeihat. Ich halte die Tür des Taxis auf und sie geht auf der anderen Seite rein und wenn sie eine Tasche trägt, will sie die selbst tragen, was ja okay ist, bis ein anderer fragt, ob man helfen kann. Wir haben jetzt den Deal, dass ich die Tasche in der Öffentlichkeit nehme, damit ich nicht wie ein Idiot dastehen muss. Wir kommen an Frauen vorbei, die gucken und sie weißt mich später darauf hin, dass meine Ärmel nicht gleichlang aus dem Jackett geguckt haben. Das soll so sein, fahre ich aus mir heraus und zweifle in mir drin. Selbst Frederic, dem Hoteldirektor hat das gefallen und er ist die junge, schwule Form von Gott. Wir haben ihn das letzte Mal in Istanbul getroffen. Erinnern konnte er sich nicht, was nicht schlimm ist, denn […]

PARIS

PARIS

Die romantischste Stadt der Welt ist für uns eine Notlösung. Nur Mittel zum Zweck. Erst Neulich, weil wir unseren Flug in Rom verpassten und der nächste zwölf Stunden Aufenthalt in Charles de Gaulle hatte und jetzt wieder, weil wir in Lissabon leben und nach Deutschland mussten und die Deutschen denken, dass Portugal von Mutanten regiert wird. Also konnten wir nicht direkt fliegen, sondern nur bis Paris, um dann wie internationale Haftbefehle heimlich mit dem Zug einzureisen. Das erste Mal Paris war eigentlich ganz schön. Jardin du Luxembourg, früh am Morgen, metallischer Regenhimmel, typisch Paris. Beim zweiten Mal war es genauso nur noch mit Wind und all den Erwartungen, die wir beim ersten Mal nicht hatten, weil ich beim ersten Mal dachte, dass es sowieso scheiße wird, sobald ich meine angelesene Phantasie von der Stadt mit ihrer Realität vergleiche. Aber so war es nicht und diesmal konnten wir mit unseren angefangenen Erinnerungen weitermachen. Oder eben nicht. Man kann bei all den Erwartungen, die Paris aufspannen fast nur eine Scheißzeit haben, gerade als Liebespaar, und vor allem als Autor. Es fühlt sich komisch an, Autor in Paris zu sein, und dazu noch Verliebter. Ich könnte das nie länger als ein paar Tage durchhalten. Da wären zum einen die Frauen, die viel zu direkt sind. Der französische Weg ist ein direkter Weg zu den Ursprüngen der Menschheit zurück. Zum anderen die Weinpreise, die für einen Schriftsteller so wichtig sind, wie der Ölpreis für Schwerlasttanker im arabischen Golf. Mal schnell vierzig Euro für die Flasche und da hat man noch keinen Espresso für fünf Euro getrunken. Und keine Zweite. In Lissabon ist das nicht so, aber Paris muss gar nicht schlecht sein, damit Lissabon gut ist. Lissabon ist heute nur so viel mehr Paris als Paris, der Liter für vier Euro, Hallo? Wir haben das gleich im ersten Bistro miteinander diskutiert. Meine Freundin meint, das wäre schon immer so gewesen, ich sage, nein das wäre nicht so. Die Ländlichkeit wurde aus den Gassen vertrieben und aus den Gassen hat man Laufstege gemacht, mit Verkehrsschildern dran und voll mit parkenden Autos. Es ist eine ausgestopfte Kultur, die höchstens Amerikaner und Chinesen noch für die alte Welt halten, ohne Schatten, voller Schaufenstern. Ich sehe mich in diesen Schaufenstern vorrübergehen und sehe nicht gut aus. Die Stadt steht mir nicht, sie rennt an mir vorbei, ihr Parfüm weht durch Arkaden und wird von Karikaturen umhergetragen. Alle eilen irgendwo hin, nur wohin? Sie eilen in den Tod und man fühlt sich, wie man sich in einer hellen, teuren Boutique fühlt, wenn man sehr alte Klamotten trägt und stinkt und noch nicht sterben will. Paris ist eine hektische Stadt, oder mir fällt erst hier auf, wie schön langsam Lissabon ist. Wir haben halt nur nicht solche Terrassen, solche Markisen. Sie leuchten auf den Bürgersteigen wie Galaxien, Zeremonien der Zivilisation, die Bravour der Geselligkeit. Es gibt nichts Schöneres für eine Hausecke auf der Welt, als ein Pariser Eckcafé zu werden. Ein Wiener Eckcafé ginge auch, aber die Cafés in Wien finden drinnen statt, in Paris sind sie draußen. Selbst die hässlichsten sind schön. Kosmisch gemütlich, vor allem bei Nacht. So voller Leben. Normal erwachsene Männer mit normal erwachsenen Frauen, die sich in jenem Rhythmus wiegen, der die Welt bewegt. Vor einer Flasche Wein. Diese Cafés sind die Bühnen der Boulevards, auf denen das ewige Schauspiel der Menschheit aufgeführt wird. Der Wert, den dabei alles Geistreiche in Paris, ach in ganz Frankreich, einnimmt ist phänomenal. Eine Gesellschaft, die das mit dem Rauchen noch versteht, denn sie rauchen nicht wie die Deutschen, die das nicht verstehen, und sie sitzen auch nicht so im Café oder fahren mit dem Zug, sie tun das alles lebendiger, geistreicher. In den Parks wachsen Kastanien, über die man im Herbst laufen kann. Im Sommer sind die kopfhoch geschnitten. Menschen sitzen da und haben was zu klären haben. Französisch ist eine gute Sprache, um Dinge zu klären und wir wollten sowieso seit Tagen mal reden. Ich hatte mir nach einem Streit zwei Seiten notiert, aber nie den richtigen Moment gefunden, so wie man ihn unter den Kastanien findet oder den Markisen der Closerie des Lilas, oder […]