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BYND

Konstantin Arnold

PARIS IV

PARIS IV

Die romantischste Stadt der Welt ist für mich nur eine Notlösung. Meist Mittel zum Zweck. Erst neulich wieder, als ich morgens mit dem Nachtzug aus Wien am Gare de l’Este ankam und bis zu meinem Weiterflug, am Abend, in der Closerie des Lilas durch die Zeitung blätterte. Davor war ich auch immer nur so da, wie ich gerade erst wieder dagewesen bin, auf dem Weg wohin, weil es sich mit dem Flugzeug aus Lissabon nach Paris billiger und mit dem Zug nach Frankfurt bequemer reisen lässt. Paris ist dann nur so im Vorbeifahren und man macht mit seinem Leben weiter, ohne auf den Gedanken zu kommen, sich Eifeltürme anzusehen oder andere tote Dinge. Ich habe den Eifelturm einmal im Vorbeifahren gesehen, obwohl ich den Arc de Triumph, nachts im Vorbeifahren, mit wehender Frankreich-Flagge und den Geschichten Remarques, noch schöner finde. Die Tuilerien haben, kurz vor einer Trennung, auch ihren Charme, erst recht die Orangerie, das Orsay, aber ich will jetzt nicht erzählen, wie toll Paris ist, oder was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer mit meinem Leben weiter zu machen und mir meine Zeitung am Boulevard Saint-Michel zu kaufen. Den Mantelkragen hochgeklappt, den Hut ins Gesicht gezogen, je nach Jahreszeit. Lesen an Orten. Sehen wie Leben dann geht. Tun, wie wir alle tun, die wir uns in Städten als jemand ausgeben, der wir nicht sind, bis wir es vielleicht werden, weil wir lange genug getan haben, als ob. Man kann bei all den Erwartungen, die Paris umspannen, fast nur eine Scheißzeit haben, gerade als Liebespaar, vor allem als Schriftsteller. Es fühlt sich komisch an, Schriftsteller in Paris zu sein, und dazu noch verliebt. Das heißt aber nicht, dass man sich gar keine Notizen machen und gar nicht turteln darf, wenn man abends, zusammen allein, über die Brücken geht. Man trägt dann eben seinen Teil zum Mythos bei, sodass die, die dann vorbeifahren, denken, dass Paris nun mal die Stadt der Liebe ist, obwohl es bessere französische Städte für die Liebe gibt, wie Toulouse, Avignon und Dijon. Wir haben deshalb die meiste Zeit bis zur Weiterreise im Bett verbracht und im Bad, weil man vom Bad aus den Eifelturm sehen konnte und das Pantheon oder das, was wir für das Pantheon hielten (den Invalidendom). Der Eifelturm sticht in den Himmel, der immer grau und manchmal silber ist und selten blau. Darunter stehen die warmen, grünen Bäume auf dem Asphalt und werden um den Regen gebracht, der im Westen vom armorikanischen Massiv aufgehalten wird und im Osten über die Champagne zieht. Dass das so ist, erfuhr ich von einem Mann aus der Nachbarschaft, der öfters die Sauna unseres Hotels benutzt, um sich danach 15 Minuten in ein Eisbad zu setzen. Vor dem Abendessen saß ich da ein paar Minuten mit ihm. Er fragte, was ich hier mache und ich erzählte es ihm und er sagte, dass das Lutetia ein guter Ort dafür wäre und das intellektuellste Hotel der Stadt. Es ist immer noch schön, trotz der typischen Brandschutztüren, die durch die Renovierungen entstehen. Danach aßen wir im Bistro des Hotels mit Blick auf den Boulevard Raspail und die Rue des Sévres, die sich vor uns kreuzten. Das Essen war gut und umsonst und der Kellner Algerier. Weil ich Land und Leute gut kannte, ließ er uns bis nach Ladenschluss sitzen und empfahl uns dann ein noch offenes Café am Boulevard Saint-Germain, nicht weit vom Hotel, gegenüber vom Lipp. Dort versuchte wir meinen Gedanken zu folgen, weil die ständig versuchen, sich in Worte zu fassen. Sie trug ein kurzes Kleid und hatte die Beine verschränkt. Dazu tranken wir Bier. Ich sah auf ihre blauen, hohen Schuhe, in denen sich die Straßenlichter spiegelten und die Lichter der vorbeifahrenden Autos, die meine Gedanken davontrugen und einen Augenblick nur die Schuhe und die Beine zurückließen. Auf dem Heimweg stritten wir trotzdem die Gitterstäbe des Luxembourg entlang, wie Modigliani und Jeanne Hébuterne und ich hätte sie wohl auch gerne an den Haaren heimgezogen, aber das durfte man nicht und auch früher nicht, obwohl man zu Caravaggios Zeiten seinem Kontrahenten noch die Augen ausstechen konnte. Ich ließ sie […]