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BYND

Konstantin Arnold

DEKADENT

DEKADENT

Es wurde ein sehr romantischer Roadtrip außerhalb der Zeit, in dem man essen konnte, ohne fett zu werden. Hatten wir in einem Hotel lange genug vom Balkon geguckt, fuhren wir weiter, von einer Mahlzeit zur Nächsten, hielten in vielen weißen Städten und ließen uns vom Wind aus Italien langsam nach Frankreich blasen. Sie im weißen Kopftuch, ich in vom Fahrtwind zurückgelegten Haaren. Man drehte sich nach uns um. Bis zu ihrem Ausschlag sah sie aus, wie eins von diesen teuren Weibern, die man hasst und schon immer mal vögeln wollte, und ich wie jemand, der Weiber hat, die er immer vögeln wollte. Waren wir zu beschwipst, um weiterzufahren, kauften wir noch Postkarten für unsere Mütter oder fuhren trotzdem einfach weiter und verließen uns auf die schmalen Straßen einer oft gemalten Landschaft, von denen der alte Italiener sagte, sie würden die Schwächen der Männer wegwaschen und die Traurigkeit der Dinge und bis in die Wirklichkeit unserer Träume führen. Auf der Rückfahrt fuhren wir unser Cabriolet im Regen nach Rom hielten an Raststätten und konnten uns bis auf Bockwurst und Billigflieger nichts mehr leisten. Wir mieteten uns gerade so in eine Jugendherberge, am Flughafen, ein. Der Inhaber war lieb und zitterte. Er gab uns das Eisbärenzimmer. An der Wand hing ein Bild von der Arktis. Das Internetpasswort lag in einer pinken Tonpapierwolke ausgeschnitten neben den Ohropax, Frühstück ab halb fünf, Weißbrot und Tee, zehn Euro extra. Oh, wie ich Rom in diesen Tagen hasste. Rom war so, wie Menschen eben sind, die nicht weit rauschwimmen können, sie werden hektisch. Am Abend gingen wir in eine Imbissbude nebenan, schick machten wir uns trotzdem, ein allerletztes Mal. Beim Essen dachten wir an all die guten Steaks zurück, die wir den Sommer über gegessen hatten und als wir am nächsten Morgen im Taxi saßen, lag vor uns ein langer römischer Stau. Der Taxifahrer sang zusammen mit dem Radio ein Duett von Adriano Celentano & Mina, es hieß Acqua e Sale. Er sang das so, als würde da kein kilometerlanger Stau vor uns im Morgengrauen liegen, sondern das Meer und die Küste. Ich hielt meinen Hut in den Händen und mein Hut sah mich an. Ich hatte ihnen einen Sommer lang getragen. Ich glaube, wir hofften in diesem Moment beide, den Rückflug nicht zu erreichen und wir erreichten ihn wegen des Staus auch nie. Heute denke ich, dass Rom eine ganz gute Lektion gewesen ist, durch die wir am Ende auf dem Boden bleiben konnten. Denn am Ende jenes Sommers waren wir verwöhnt und verdorben. Wir hatten vom luxuriösesten Baum der Erkenntnis gekostet und uns in Fünf-Sterne-Hotels mit einem äußerst prunkvollen Virus majestätischer Gastfreundlichkeit infiziert, dessen Folgen wir ein Leben lang spüren werden. Ansteckend ist dieser […]

RANDVOLL

RANDVOLL

Ich hasse August. Er ist erst einmal schön gewesen, im Jahr als ich geboren wurde und die DDR starb. Ansonsten ist er immer nur heiß. Die Männer tragen Shorts. Die Restaurants machen Urlaub. Nur die gottlosen gähnen einem weit geöffnet entgegen. Maden in der Küche, Mücken im Bett, die Frauen am Strand. Keiner geht mehr auf Arbeit. Auf den Straßen nur Touristen und ich, dumm und deutsch. Wer kann, rettet sich in den September. Am besten schon im nächsten Satz, wenn die ersten schönen Herbstmorgen über die Hügel kommen. Die Sonne müde und geschafft, vom vielen Strahlen und die Tage schleichen sich wieder an, anstatt einfach nur so zu beginnen. Die Luft ist frisch und man kann sich endlich wieder in Jacke vor einer Bar besaufen. Wird Zeit. Die meisten Bars der Stadt funktionieren nicht im Sommer. Ich kenne nur eine, in der Beco das Cruzes, die im Sommer funktioniert. Die ist aber keine Bar mehr, sondern eine Schenke. Ein Trog für alle, die es schon viele Sommer lang nicht mehr aus der Stadt geschafft haben. Schwer zu finden, selbst, wenn man da ist. Über einen selten hässlichen Innenhof muss man ein paar Stufen hinauf, aus dem Eingang kommt schon Rauch. Man ist da. Der Laden sieht aus wie Kuba oder das, was ich mir unter Kuba vorstellte. Erster Stock, viereckig, mit vielen großen Fenstern. Er ist mehr Schenke als Bar und mehr Fenster als Schenke. Alle Fenster sind aufgerissen und haben Balkone. Natürlich Deckenventilatoren, aber welche die klingen, wie festgenagelte Helikopter. Immer am Durchdrehen. Abends, wenn der Wind vom Tejo rüber weht, weil die kalten Luftmassen das so tun, knallen die Balkonfenster gegen die Rahmen und die Männer vorm Fußballfernseher springen auf und schreien die offenen Balkonfenster an, schreien Fodass Caralho oder eh pá estúpido. Bis auf die unkrautgrünen Balkontüren besteht die Schenke aus dunklem Holz. Jeder Tisch hat seinen eigenen Standaschenbecher, über 100 Jahre alt. Rauchen darf man nicht, muss man sogar. Manchmal fallen servierten in die Standaschenbecher und die Standaschenbecher fackeln dann ab. In der Mitte der Galaxie dieses Raumes stehen zwei schöne Billardtische und warten auf Benutzung. Über den Billardtischen hat man kaputte Lampen angebracht. Generell kommt der Laden meiner inneren Welt ziemlich nahe. Am Anfang war die Schenke viel zu inspirierend, ich musste oft heimgehen und sie aufschreiben, bevor ich mich wieder entspannen konnte. Das war nach meinem ersten Besuchen. Ich trat ein und rannte heim, es ging um Leben und Tod […]

TRUBEL

Frankfurt, wie immer. Hätte ich eine Frisur, würde die wahrscheinlich sitzen. Paris, Charles de Gaulle, vom Bus direkt in den Transit. Drinnen heißer als draußen, aber kein Grund, weshalb die Frisur hier nicht sitzen sollte. Keine Klimaanlage zum Ausfallen, kein laues Lüftchen. Nur viel zu wenig Schinken für ein belegtes Brötchen dieser Preisklasse. Selbstverständlich reklamiert. Wie es sich für einen richtigen Terminal Zwei eben gehört. Und in Biarritz? Wind, Regen, die Frisur scheißegal. Außer für einen braun gebrannten Herren im roten Cabriolet, der gerade noch versucht seine gekämmte Ordnung durch den Fahrtwind bis auf den Parkplatz zu retten. Grünes Poloshirt, weiße Haare, gelbe Gauloises. Ein richtiger Regenbogen. Woher ich das weiß? Weil ich ihn gerade nach einer Zigarette gefragt habe. Ich warte auf ein Taxi und er auf einen Golfkumpel aus Genf. Er sieht aus, wie jemand, der mit Urlaub mehr Geld verdient, als andere in Überstunden und redet mit der Leichtigkeit eines kiloschweren Bankkontos über die kleinen Dinge des Lebens. Haus am Luganersee, Segeln mit irgendeiner Schauspielerin, die ich seiner Meinung nach kennen müsste. Gal Gadot? Nein! Dafür kenne ich den Luganersee! Aus den Lebensgeschichten meiner fast 80-jährigen Lektorin, bei der ich mich erst letzte Woche mit einer Packung Pralinen und einer Flasche schlechtem Rotwein blicken ließ, um mal ohne Tastatur Danke zu sagen. Dass die Flasche danach leer war, obwohl des draußen noch viel zu hell war, ist ein anderes Thema. Wieso er sich nicht mit seinen kurzschwänzigen Kumpels in Monaco um die Wette misst, will ich wissen -hier am Atlantik fällt man doch beim Bezahlen schon mit Kreditkarte auf? Ich liebe Biarritz und jemand in Biarritz liebt mich. Kein Wunder! Ich liebe Biarritz auch. An einem Freitagabend trifft man hier die schönsten Frauen der Welt. Erstens, weil ich in Kolumbien oder Venezuela noch nicht war und sie in Norwegen wahrscheinlich zu viele Mützen tragen. Hier ist es heute viel zu heiß für lange Hosen, aber feste Schuhe werden in unbekümmerter Küstennähe zu einem Statement. Die Luft steht zwischen rauchenden Touristen und markanten Augenbrauen in roten Sommerkleidern, die mich nur bedingt auf die Unterhaltung konzentrieren lassen, die wir gerade führen. Jaja, ständige Veränderung kann irgendwann auch zur Gewohnheit werden und ja, es ist voll hier. Auf die Einbahnstraßen hat man Esstische gestellt. Rotweinatmosphäre, die von Antiterrorarchitektur und tonnenschweren Steinquadern beschützt wird. Große Fische vor kleinen Gläsern. Viele von hier, die meisten von woanders. Alle Hauptsache draußen, denn drinnen wird Bier bestellen zur Sauna. Überall Gemenge. Französisches Gelächter in baskischen Straßen voller Tradition und jungem Putz. Eine frivole Ode, aber ich schreibe ja keine Romane. Aber wenigstens noch all die parkenden Motorräder erwähnen (verdammt, ich brauche endlich ein Motorrad). Und vielleicht noch all die Händchen haltenden Traumfrauen mit knallroten Lippen (verdammt, ich brauche endlich eine Traumfrau ohne Händchen oder Träume ohne Lippen). Momente voller Ambiente, die nur darauf warten, gelebt zu werden. Ob unbedingt bis nach Mitternacht kann ich bei dieser Hitze nicht genau sagen. Scheiße ist das heiß! Und der Typ neben mir trägt sogar Levis, Stiefel und Schalenhelm ohne zu schwitzen. Cool und gelassen. Bewundernswert bis auf das Wohlstandspläuzchen. Dann lieber mit gutem Stoffwechsel unter verschwitztem Blickkontakt. Wie gerne würde ich morgen früh in einer Jugendstilvilla mit Balkon und verwildertem Garten aufwachen, der innerhalb seiner Mauern wuchern kann, wie er will. Schon vor neun Zigaretten rauchen und schwarzen Kaffee trinken, weil knallrote Lippen flüstern, man würde ewig leben. Nimmt man […]

FRANZÖSISCHER WAHNSINN

IIrgendwo zwischen deutschen Surfversuchen und internationaler Eleganz. Zwischen fehlender Exotik und buntem Wassersportvergnügen in Bars und über Sandbänken. Im Epizentrum saisonaler Wertarbeit made in Germany done in Frankreich stehen die Zeichen auf Oktober. Genau! Der Oktober in dem sich die flipfloptragende Expeditionsgeneration noch einmal in Sommermode auf die Straßen wagt und die Ausnahme der Regel unverhüteten Sex mit einem der besten 34 unserer Erde sucht. Noch ein letzter Höhepunkt bevor es still wird um Hossegor. Ein letzter Zirkus in dem wir alle unsere Rolle suchen. Sind wir die braungebrannten deutschen mit australischem Akzent? Oder der, den Craig Anderson einmal in Lakey Peak getroffen hatte? Stehen wir geheimnisvoll in einer gut besuchten Bar und versuchen interessant zu wirken oder sollten wir uns damit abfinden, dass die Statistenrollen bereits vergeben sind. Ich bin zum ersten Mal beim Quiksilver Pro in Frankreich. Ich habe zum ersten Mal ein blaues Bändchen und viel zu hohe Ambitionen, was den Kompetenzbereich dieser Eintrittskarte angeht. Eigentlich trifft man die Pros so nur, weil die Toilette in der Comeptitors Area besetzt ist und sie sich nach dem Spülen zu nichtssagenden Post Klo Interviews erbarmen. Eigentlich habe ich keine Erwartungen und keine Ahnung, was ich hier eigentlich tue. Ich will Kelly treffen und kein Foto machen. Ich will das Szenario auf mich wirken lassen und mir das holen, was mir südfranzösischer Alltag vor die Füße wirft. In der Media Area bringen fast alle Surfjournalisten Laptops mit. Alle fotografieren mit unbezahlbaren Fotoerstellungsmaschinen und sehen beschäftigt aus. Ich hingegen muss meinen Farbfilm wechseln, als Kelly Slater unter die Post Heat Dusche geht, die ich vergessen habe zu erwähnen. Ich sage Fanning Hallo und versuche dabei entspannt zu wirken. Ich warte mit Carissa vor der Toilette und fotografiere Malia beim Müsliessen. Ich hoffe, dass John meine analoge Kamera auffällt und gehe davon aus, dass Wilko in spätestens fünf Jahren genauso aussieht, wie sein Teammanager. Der Prozirkus hat mich. Jedenfalls für eine halbe Stunde. Dann muss ich mich hinlegen. Gestern waren wir wieder auf einer der unzähligen Partys, auf denen man Magazincover […]

TACHELES

Ich liege in einem unpersönlichen Hotelzimmer in Dresden. An der Wand hängt ein weißer Fernseher durch den ein Lagerfeuer im Winter und ein Aquarium im Sommer etwas digitale Gemütlichkeit ausstrahlen soll. Das Frühstück ist wie immer zu früh, die Eier zu hart und der beste Aufschnitt vor zehn schon vergriffen. Gestern haben wir überteuerten Whiskey aus schweren Gläsern in der Hotellobby getrunken. Ich habe einen schwarzen Mantel getragen und kam mir bis zum zweiten Glas blöd vor. Mit einer soliden deutschen Erkältung und unbekannter Gesellschaft. In leeren Hotellobbys kann man nach Mitternacht problemlos entscheiden, wer man eigentlich sein möchte. Unbefangen und ehrlich. Weil man morgens schon los muss und sich im Kern der Unterhaltung die Möglichkeit gibt, sich auf das Jetzt zu beschränken. Auch wenn meine Nase läuft, weil ich erst das nächste Mal Meersalznasenspray gegen medizinische Chemie eintauschen werde. Die letzten vier Tage haben wir nur Pizza gegessen. Irgendwo zwischen Süddeutschland und Österreich. Irgendwann zwischen Filmvorführung und zu kurzen Mittagspausen in autobahnnähe. Unterwegs sprechen wir über Flüchtlingspolitik und vorgetäuschte Orgasmen. Das sind Voraussetzungen zum Wohlfühlen. Für den Rest sorgen vorgedruckte Willkommensgrüße und systemgeformte Freundlichkeit. Innsbruck ist schön. Der Vorarlberg auch. Die Klosterzimmer in Bregenz sind zu klein und die Klassenfahrt zum Ferienende gehört in Rosenheim zur Inneneinrichtung. In Berlin habe ich männliche Gewinnspielmode mit Stretch an eine kräftige Besucherin verteilt und in Freiburg entdeckt, wie lustig es ist Kinder auf einer Bühne zu haben. Ich habe den Schlüssel für das Einzelzimmer in München immer noch in der Tasche, aus der ich gerade lebe und musste mir der Professionalität wegen eine zweite Hose […]

ich hatte pausiert. mich jeglicher sportlicher betätigung entsagt. sogar wunderpflaster versucht. das skateboard für eine woche an den nagel gehangen, trotz neuer rampe, trotz energie. viel kohlrabi und quark. das sollte helfen. ich packte mein boardbag leidenschaftlicher als sich romatik vorstellen könnte. genauso, nur schneller packte ich es 13 stunden später aus. und einen snap auf der backhand später wieder ein. da war sie wieder. die rippe. vor mir lagen 14 tage frankreich. von zweisamer einsamkeit unter pinien bis […]