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BYND

Konstantin Arnold

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

Natürlich kann man nicht einfach erzählen, wie eine Reise war und erwarten, dass jemand was damit anfangen kann, wenn er nicht schon selbst da gewesen ist oder jemanden bei offenem Fenster geliebt hat und mit einem Barmann in Genua oder Nizza darüber redete. Es gibt auf Reisen immer gute Geschichten und lustige, die die Leute mögen und sie wollen auch hören, wie, wir am Ende der Reise in einem Bahnhofslokal in Busto Arsizio festsaßen, weil unsere Flüge gestrichen waren. Die Bar war lang und ging durch den Raum und man konnte sie vom Vorplatz und vom Gleis aus betreten. Reisende und Einwohner kamen hier zusammen. Das war ganz nach meinem Geschmack, auch wie zum Bahnhof hin Bar geschrieben stand. Im Hinterraum waren ein paar Spielautomaten und Billardtische, auf denen wir schliefen und den Rest behält man besser für sich oder schreibt ihn auf oder wartet, bis die Leute selbst dagewesen sind und mehr hören wollen. Man kann auch nicht einfach erzählen, wie wir den Bentley nach drei Flaschen Rosé im Café de La Place über die Hügel von Nizza prügelten und wie schön sie aussah, als wir 280 fuhren und sie, das Meer und Nizza zu ihrer Rechten, schneller, schneller, schneller schrie. Das wurde mir am Ende unserer Reise verdammt klar, als wir im Café des Amis saßen, mit Freunden, wie der Name schon sagt, die sich zeitgemäß darüber echauffierten. Man konnte höchstens noch erzählen, wie wir danach im Grand Hotel du Cap Ferrat festsaßen und die Rechnung nicht zahlen konnten und den Sprit, um den 12 Zylinder zurück nach Mailand bekommen und Franz schrieben, meinem Verleger in Wien, und ihm vorheulten, dass wir hier festsitzen, wie tote Idole und die Drinks noch zahlen müssen und den Sprit. Ich war, wie immer, so blank wie noch nie, vielleicht sogar mehr als immer, aber hätte ich ihn nach was zum Anlegen gefragt oder Geld für die Miete oder eine Lebertransplantation, er hätte gelacht und nichts bezahlt, aber so gab er uns etwas Geld, das sogar noch für ein paar Drinks unterwegs reichte. Franz war vielleicht der einzige Verleger, der das noch verstand. Unsere Reise ging von den Seen über das Land bis ans Meer, kreuz und quer. Ohne zu wissen, an welches. Das musste man so früh im Jahr aber noch nicht. Man fragt sich auf dem Weg von Mailand an die Riviera natürlich, ob es sinnvoll ist, extra für ein paar Negronis noch zwischen Cernobbio und Ravenna zu halten. Aber Angelo arbeitet im Sommer da in der Villa d’Este, nachdem er den Winter in St.Moritz im Kulm gearbeitet hat. In den Bergen leitet er das Grand Restaurant, hier bringt er einem die Drinks und wenn er einem die Drinks gebracht hat, an einem Abend unter Bäumen, mit Blick auf den See und dem Knirschen seiner Schritte im Kies und dem Klang von Eiswürfeln im Glas, das von ihm über den Kies, unter den Bäumen getragen wird, fragt man sich das nicht mehr. Man schwelgt in Erinnerungen und denkt über den Sommer nach, redet mit Angelo über die besten der alten Orte und einige neue, an denen man mit seinem Leben in den Ferien weitermachen möchte. Badeorte & Bergdörfer, Inseln, Paläste. Ans Meer fährt man sicherlich, aber hier am See, zwischen Norden und Süden, meint Angelo, müsste man noch nicht wissen, an welches. Man macht die nötigen Korrespondenzen, studiert die Wetterkarten und Ausstellungsverzeichnisse der Zeitungen, trifft Vorkehrungen, Verabredungen, organisiert Zusammenkünfte, Lunches und los gehts! Ich hatte eine Zeitung dabei, die eine Woche alt war und dachte das Wetter in der Zeitung würde sich noch ändern, aber es änderte sich nicht und Mailand war bei unserer Ankunft so dunkel wie die Nacht und all die Wolken der Welt schienen sich im Becken vor den Alpen zu erheben. Wir holten unseren Bentley und standen im Feierabendverkehr mit all diesen Warnsystemen in Nordatlanitktiefgrau. Der Innenraum dieses Autos sah aus wie der einer Boeing und man saß auch wie First Class, mit Sicherheitshinweisen, die dafür sorgten, dass man sonst nichts mehr zu tun hatte, außer sich beim Fahren Gedanken zu machen. Ich schlug vor, so bis nach Genua zu fahren, weil man beim Bentleyfahren, das Fahren sowieso nicht so mitbekommt und das Wetter dort sicher besser ist. Ich verbrachte jedes Jahr eine Nacht da und das konnte gut die hier sein. Es gibt bessere Städte, um sich die Absätze abzulaufen, aber wenn man jedes Jahr eine Nacht da war, ist die Stadt ein Traum, in dem alles noch so ist, wie es nie war. Die größte Altstadt Europas, Paläste, einen Spalt weit von einander entfernt. Heute wohnt dort kaum einer mehr im Zentrum, was das Zentrum wundervoll macht, mit guten Bars und billigen Restaurants im Freien und unter Fresken. Geschichten von Tausend und einer Nacht und Nutten, Einwanderern, Ratten, aber sie hatte mein Angebot längst gekauft […]

PARIS IV

PARIS IV

Die romantischste Stadt der Welt ist für mich nur eine Notlösung. Meist Mittel zum Zweck. Erst neulich wieder, als ich morgens mit dem Nachtzug aus Wien am Gare de l’Este ankam und bis zu meinem Weiterflug, am Abend, in der Closerie des Lilas durch die Zeitung blätterte. Davor war ich auch immer nur so da, wie ich gerade erst wieder dagewesen bin, auf dem Weg wohin, weil es sich mit dem Flugzeug aus Lissabon nach Paris billiger und mit dem Zug nach Frankfurt bequemer reisen lässt. Paris ist dann nur so im Vorbeifahren und man macht mit seinem Leben weiter, ohne auf den Gedanken zu kommen, sich Eifeltürme anzusehen oder andere tote Dinge. Ich habe den Eifelturm einmal im Vorbeifahren gesehen, obwohl ich den Arc de Triumph, nachts im Vorbeifahren, mit wehender Frankreich-Flagge und den Geschichten Remarques, noch schöner finde. Die Tuilerien haben, kurz vor einer Trennung, auch ihren Charme, erst recht die Orangerie, das Orsay, aber ich will jetzt nicht erzählen, wie toll Paris ist, oder was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer mit meinem Leben weiter zu machen und mir meine Zeitung am Boulevard Saint-Michel zu kaufen. Den Mantelkragen hochgeklappt, den Hut ins Gesicht gezogen, je nach Jahreszeit. Lesen an Orten. Sehen wie Leben dann geht. Tun, wie wir alle tun, die wir uns in Städten als jemand ausgeben, der wir nicht sind, bis wir es vielleicht werden, weil wir lange genug getan haben, als ob. Man kann bei all den Erwartungen, die Paris umspannen, fast nur eine Scheißzeit haben, gerade als Liebespaar, vor allem als Schriftsteller. Es fühlt sich komisch an, Schriftsteller in Paris zu sein, und dazu noch verliebt. Das heißt aber nicht, dass man sich gar keine Notizen machen und gar nicht turteln darf, wenn man abends, zusammen allein, über die Brücken geht. Man trägt dann eben seinen Teil zum Mythos bei, sodass die, die dann vorbeifahren, denken, dass Paris nun mal die Stadt der Liebe ist, obwohl es bessere französische Städte für die Liebe gibt, wie Toulouse, Avignon und Dijon. Wir haben deshalb die meiste Zeit bis zur Weiterreise im Bett verbracht und im Bad, weil man vom Bad aus den Eifelturm sehen konnte und das Pantheon oder das, was wir für das Pantheon hielten (den Invalidendom). Der Eifelturm sticht in den Himmel, der immer grau und manchmal silber ist und selten blau. Darunter stehen die warmen, grünen Bäume auf dem Asphalt und werden um den Regen gebracht, der im Westen vom armorikanischen Massiv aufgehalten wird und im Osten über die Champagne zieht. Dass das so ist, erfuhr ich von einem Mann aus der Nachbarschaft, der öfters die Sauna unseres Hotels benutzt, um sich danach 15 Minuten in ein Eisbad zu setzen. Vor dem Abendessen saß ich da ein paar Minuten mit ihm. Er fragte, was ich hier mache und ich erzählte es ihm und er sagte, dass das Lutetia ein guter Ort dafür wäre und das intellektuellste Hotel der Stadt. Es ist immer noch schön, trotz der typischen Brandschutztüren, die durch die Renovierungen entstehen. Danach aßen wir im Bistro des Hotels mit Blick auf den Boulevard Raspail und die Rue des Sévres, die sich vor uns kreuzten. Das Essen war gut und umsonst und der Kellner Algerier. Weil ich Land und Leute gut kannte, ließ er uns bis nach Ladenschluss sitzen und empfahl uns dann ein noch offenes Café am Boulevard Saint-Germain, nicht weit vom Hotel, gegenüber vom Lipp. Dort versuchte wir meinen Gedanken zu folgen, weil die ständig versuchen, sich in Worte zu fassen. Sie trug ein kurzes Kleid und hatte die Beine verschränkt. Dazu tranken wir Bier. Ich sah auf ihre blauen, hohen Schuhe, in denen sich die Straßenlichter spiegelten und die Lichter der vorbeifahrenden Autos, die meine Gedanken davontrugen und einen Augenblick nur die Schuhe und die Beine zurückließen. Auf dem Heimweg stritten wir trotzdem die Gitterstäbe des Luxembourg entlang, wie Modigliani und Jeanne Hébuterne und ich hätte sie wohl auch gerne an den Haaren heimgezogen, aber das durfte man nicht und auch früher nicht, obwohl man zu Caravaggios Zeiten seinem Kontrahenten noch die Augen ausstechen konnte. Ich ließ sie […]

ALLER TAGE ABEND

ALLER TAGE ABEND

Ich weiß nun wieder, warum ich schreibe, der Playboy hat angefragt, sie hätten gerne eine Story zum Thema Lust, in der ich meine neue Liebe beschreibe, mit Haaren bis zum Arsch und Beinen bis zum Hals und den nötigen Helfersyndromen. Lustig soll die Geschichte werden, selbstironisch über den Dingen schweben, und nicht zu lang, obwohl ich bis zum Hals in ihnen stecke und sich große Gefühle nicht einfach in achthundert Worten abkühlen lassen. Ich kann und will so nicht schreiben, nur mittelmäßige Liebesgeschichten, ohne Liebe, lassen sich so schreiben, von Autoren, wie ich vielleicht einer war, bevor ich einer war und mich verliebte. Ich habe schon viel darüber geschrieben, aber noch nichts, dass so ist, wie es ist. Nur langweilige, epische Breite, unnötige Zeilen, Liebesszenen, in denen sich die Unkenntnis meiner Liebe offenbart. Worte definieren nur einen Teil und einen anderen nicht. Sie können Gefühle nicht fassen, außerdem hat man die schon und muss eigentlich nicht noch darüber schreiben. Nicht mal fragen, nur sagen, man hätte es wohl nicht erwartet und wäre froh, dass sie gekommen ist. Oder man würde überhaupt nichts sagen, sondern einfach miteinander zusammensitzen ohne Fragen und Sagen, wodurch sich Menschen nur trennen. Ich will daher auch nicht dieselben Worte für etwas benutzen, das nun vergangen ist. Worte zählen, bis sie nicht mehr zählen und bis dahin meint man sie vielleicht auch. Es ist dann eigentlich schon gut, wenn man das, was man fühlt, nicht durchs Schreiben zerstört. Wittgenstein, Chomsky und Gott selbst in allen Ehren, aber selbst Gott kann aufhören, wenn er auf eine Realität stößt, die seine Vorstellungskraft übertroffen hat.  Ich lebe in einer glücklichen Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer, wenn man sich bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne deshalb vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Schriftstellers führen, es reicht ein Mensch zu sein, der einen anderen liebt und weiß, was passiert und was nicht passiert und das nicht ernster nimmt und dann schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Es ist vielleicht langweilig, wenn zwei Menschen glücklich sind und man nicht mit oder nicht mehr und will, dass sie es auch nicht mehr sind, ohne lustige Scherze. Wir alle wollen etwas für uns und selten wollen wir das auch für andere. Man will nicht lesen, dass sie Straßen gingen, die keinen besonderen Namen hatten und in Restaurants aßen, die keiner kennt und Dinge taten, die niemanden so sehr interessieren, wie sie. Nicht nur das, aber man hat dass eben eben, was wir alle suchen und kann sich dem widmen, und es, wenn man will, mit in eine Bar nehmen oder ein Tanzlokal oder andere schöne Orte. Gerade weil es dann eine glückliche Zeit ist, muss man darüberschreiben. Die Kunst diktiert dabei alles Menschenmögliche. Helden müssen aber gar nicht immer sterben, wie in den großen Romanen, die man so liest, es gibt gute, große, griechische, von denen ich gehört habe, in denen der Held am Meer bis ans Ende lebt. Alle großen Lieben der Literatur scheitern oder müssen im banalen Hafen der Ehe enden. Die Literatur kanns sichs anscheinend nicht leisten, so unvorhersehbar, wie das Leben, zu sein. Sie ist eine Nachahmung davon und auf Madam Bovary, Lady Chatterley, Murakamis Geliebte, Adam & Eva, Dieter Bohlen, Abaelard und Heloise, Cäsar und Cleopatra reduziert. Sie zeigt kein Leben, sondern die Vorstellung und legitimiert den Mythos des Künstlers als lebensunfähiges Ding. Man muss aber aber gar nicht so lebensunfähig sein, um Kunst und Liebe zu machen, man kann es hinkriegen, vielleicht nicht mit Munch, Mann oder Rilke und all den anderen Beziehungskrüppeln. Kanusgard ist nicht schlecht. Auch ein Krüppel, aber einer, ders wenigstens versucht (hat?). Natürlich war ich auch mal ein Krüppel, aber der von Molière, der am Ende weiterlebt, nicht die von Mozart. Wenn ich jemanden traf, der mir nahe kam und sich die Liebe zeigte, glaubte ich es nicht und tat, was ich immer getan hatte, nachdem ich wen getroffen hatte und mir die Möglichkeit des Bleibens nicht einfiel: Ich ging in die nächste Bar, flog und fuhr weit weg durch die Welt: Florenz, Paris, Wien, München, Mailand, obwohl ich in Lissabon, Rom, Madrid und doch nirgendwo zu Hause war. Es gibt kein Genugsein, nur Weitermüssen. Immer rastlos unterwegs ins Nirgendwohin, nur auf Brücken, die Hier und Dort miteinander verbinden und mir erlauben, zwischen entschiedenen Handlungen und unwiderruflichen Entschlüssen keine Entscheidungen treffen zu müssen. Ich wanderte, Tage, Wochen, Jahre, schlief an Orten, deren Namen ich nicht kannte und mit Frauen, deren Angesicht ich nicht sah und auch nicht sehen wollte. Durch die Länder, Städte und Dörfer, durch die ich kam, kam ich nur, um anzukommen und sie verlassen zu können, ich wusste nicht, wie Bleiben geht, gut ging es mir in der Fremde. Ich war bescheiden aus Hochmut, erbittert gegen die Reichen, ohne Solidarität den Armen gegenüber, nur einmal glücklich als ich in Kunderas Leichtigkeit eine autoritative Bestätigung meiner Instinkte fand. Bis ich eine Frau vor der […]

FIASKO AUF DEM LAND

FIASKO AUF DEM LAND

Jenen Winter verbrachten wir auf der Quinta einer Winzerfamilie im Norden des Landes. Zu ihrem Weingut führte eine staubige Straße und auch andere staubige Straßen, die man aber nur gehen konnte, weil das Gras in der Mitte zu hoch stand. Die Straße, die man fahren konnte, wurde von Olivenbäumen gesäumt und fiel zum Hof hin ab, wie eine Schanze, dahinter kam der Wein und dann Wald, dessen Bäume den Blick zum Horizont versperrten. Der Weinberg war kahl und vorbereitet. Im Süden konnte man die Bergkette der Serra de Estrela sehen und am Abend, wenn sich die Konturen hinter der Adega besser zeigten, bis zur Serra do Buçaco, glaubten wir jedenfalls. Die Landschaft schwang sich dahin wie die See, Reben und Hügelmeer. Das Grün hatte viele Farben, die Birken und Kirschen waren weiß. Am schönsten war der Hof am Abend, wenn das Licht am Himmel Orange war und dann Lila in der Ferne mit den blauen Bergen, die immer blasser wurden. Das Licht der Dörfer ging dann an und man sah in der Dunkelheit, wo noch überall Dörfer sind und Straßen und hatte eine ganz gute Metapher, für die Wege, die unsere Gedanken manchmal nahmen. Manche Straßen endeten in Sackgassen, andere waren dicht befahren, machten Umwege oder wurden gerade gebaut, um den Rest der Dunkelheit zu erkunden. Manche Straßen und Häuser konnte man kaum von den Sternen unterscheiden, der Himmel ging bei Nacht in die Erde über. Am Morgen war die Welt dann kalt und klar und neuer Rauch stieg auf vom Kamin, der so sorglos in der Kälte roch, wie sonst nur Toast und Kaffee und das Duschen von jemandem, der schon lange wach gewesen ist. Heute kann ich sagen, wir mussten einfach aufs Land. Nur das Land und der Wein auf dem Land konnten uns noch helfen. Man muss ihn auf dem Land trinken, es bringt nichts den Wein vom Land in der Stadt zu trinken und auf dem Land mit dem Stadtleben weiterzumachen. Den langen Nächten, den kurzen Tagen, den Weinpreisen verdammt. Irgendwie ist Wein das fehlende Stück einer Seele. Der Wein mehr als das Land, das mag sein, aber was wäre der Wein ohne das Land und umgekehrt. Ich weiß heute, dass wir einfach irgendwo hin mussten, wohin war egal, nur dass es irgendwo war, und nicht in der Stadt, war wichtig. Die Weinbauern im Norden hatten mir in den letzten Jahren schon oft aus der Scheiße geholfen, indem sie mich in richtige Scheiße stellten. Das half mehr, als Bilder von Munch und Gedichte von anderen Beziehungskrüppeln. Das half mehr, als die Straßen der Stadt, in denen man sich früher immer gerne verlor, um wieder zu sich zu finden. Da waren Orte, die wir kannten und Orte, die wir nicht kannte und Orte, an denen wir mit anderen waren, aber nie so wie wir. Daheim in der Fremde und all den anderen Daheims, die für die andere Fremden sind. Ich bin auch schon an dem Orte gewesen, an den wir wollten, nur damals schien mir der Nebel morgens über dem Fluss mit den Booten drauf, keine Geschichte wert. Die Farben zu braun, zu blass. Diesmal war es anders. Wir warten an der Bahnstation irgendeines Dorfes, dessen Namen wir nicht kannten, auf den Bus und ich genoss das Gefühl zwischen den Orten mit ihr an einer Bahnstation zu sein. Auf den Gleisen lag Moos. Manchmal fuhr ein Auto vor, das wie ein Schiff im Hafen anhielt. Sie kam aus einem kleinen Geschäft und hatte Würste mit Gluten und Bier dabei. Die Mittelklasseträumen von Männern mit Hautpflegegewohnheiten, die in der Stadt über ihre Gefühle reden und auf die Ernährung achten, waren nun weit. Die damit verbunden Neurosen auch. Nicht weit von uns stand eine […]

FIX & FERTIG

FIX & FERTIG

Gleich im neuen Jahr musste ich, wie man gerne so sagt, für ein paar Tage nach Oslo. Ich musste es, wie man eigentlich gar nichts muss und es von allen Dingen behauptet, die man lieber muss, anstatt sie wollen zu können. Ich bin also in Oslo gewesen, aber wirklich da war ich nicht. Ich war höchstens da, wie Munchs Melancholiker am Asgarsdstrand gewesen ist. Total abgeschnitten von der Welt, in Gedanken, die ihn vom Leben trennen und sich in Wellen die Küste des Fjords, an den Steinen lang, in die Ferne schwingen. Nur das Munchmuseum und Schaumwein, nach dem Munchmuseum, konnten noch helfen. Aus irgendwelchen Gründen dachte ich, dass man in Oslo aber nicht Trinken und Rauchen kann, oder nur teuer, was das gleiche ist, aber das ist nur in Neuseeland so und auch nur für bestimmte Generationen, die nach 2009 geboren sind. Ich fürchtete trotzdem, dass man nicht Rauchen könnte und dann nur das Denken hätte und was dann die Leute dächten, wenn man in Oslo ist und denkt, ohne rauchen zu können. Es gibt bessere Orte zum Denken,   als den Norden, den Süden, den Sommer, am Strand. Alles schlimme kommt vom Denken, auch das Rauchen. Es ist eine Not, das kann man sich kaum vorstellen. Vielleicht höre ich aber bald damit auf und verbringe meine Zeit nur noch mit Rauchen und den Tieren, die hab ich lieb, die streichle ich, die sprechen so nett zueinander, poppen und fressen sich auf. Ich denke, dass die nicht denken. Nur Menschen denken über Gedanken nach, aber selbst die gedachtetsten, so substanzlos sie sind, brauchen einen Stützpunkt, sonst beginnen sie zu rotieren und sinnlos um sich zu kreisen, denn auch sie ertragen nicht das Nichts ohne Wein. Dieses tägliche weiße Blatt, Morgen für Morgen ein neuer Niemand, wie Sloterdijk schreibt. Picasso hatte das jeden Tag. Munch die ganze Zeit, wenn er sich, trotz Abstinenzbewegung, nicht gleich was hinter die Rinde schüttete. Und ich fürchtete, dass ich nicht Rauchen und nicht Trinken könnte und dann nur das Denken hätte. Ich war so einsam und gleichgültig und nüchtern auf der Welt, dass ich von nichts und niemandem Notiz nahm. Ich schrieb nichts, sah nichts, aß kaum, obwohl ich in tolle Lokale ging und hing wie ein Fisch an jedem Wort, das sie sagte, wenn man ihn aus dem Meer zieht. Ich musste wohl wahnsinnig geworden sein, oder wie man gerne so sagt, wenn man nicht anders kann, verliebt. Normalerweise komme ich, nach so einer Reise, zu Hause an, packe meine Sachen aus, rauche wenig, schlafe viel, trinke nichts, zwinge mich, bis das Denken aufhört und das Schreiben beginnt. Mir fällt dann langsam wieder auf, was mir aufgefallen ist und wie viel das kostete. Das einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, Oslo ist teuer, aber gar nicht so schlimm und kalt und dunkel, wie man […]

CASABLANCA

CASABLANCA

Casablanca, wie das schon klingt. Klingt wie Humphrey Bogart in Schwarzweiß aussieht, wenn er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder an einem Drink zieht und sagt: „Of All The Gin Joints In All The Towns In The World, She Walks Into Mine“. Die Idee da mal hinzuwollen, kam mir aber bevor ich den Film gesehen hatte. Sie kam mir an Flughäfen auf dem Weg wohin, vor einer Abflugtafel, wenn der Flug wieder gestrichen oder verspätet ist und man Casablanca liest, pünktlich und sich fragt, warum eigentlich nicht. Man hätte etwas unerwartetes getan und könnte seinen Freunden davon erzählen. Ich habe meinen Freunden schon oft davon erzählt, ohne je dagewesen zu sein. Manche wussten nicht, wo das ist, nur die, die schon da gewesen sind, wussten es und fragten wieso ich da hin will, da wäre nichts, nur Islam, eine Weltreligion, ohne Wein. Das Ricks gäbe es auch nicht, also es gäbe es schon, aber so, dass es das auch nicht mehr geben müsste. Das könnte nicht mal ich romantisieren. Es wäre Nordafrika, nicht Bagdad, Teheran, Amman, nicht mal Beirut. Ich nahm die Herausforderung an. Menschen und Orte sind überall und führen sich an ihnen auf. Reisen ist auch nicht nur hier und da nicht. Außerdem hatten wirs bisher an jedem Ort geschafft, bis mittags im Bett zu liegen, irgendwas anzugucken, gut zu essen und uns in der Nacht anständig zu besaufen. Wir leben in einer glücklichen Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer man ist sich bewusst, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne vorsichtig zu werden. Man muss deshalb nicht das Leben eines Bogarts führen, es reicht jemand zu sein, der gerne denkt und das, was passiert, nicht ernster nimmt, als das was nicht passiert und es dann schreibt, als ob es gar nie hätte anders sein können. Es ist vielleicht langweilig, wenn zwei glücklich sind und man nicht mit und will, dass sie es auch nicht mehr sind. Menschen wollen es nicht hören, wenn sie es für sich wollen. Man will nicht lesen, dass sie Straßen gingen, die keinen besonderen Namen haben und in Restaurants aßen, die niemand kennt und Dinge taten, die niemanden so sehr interessieren wie sie. Nicht nur das, aber man hat das eben, was wir alle suchen und kann sich dem widmen, und es, wenn man will, mit in eine Bar nehmen oder ein Tanzlokal oder andere schöne Orte in Casablanca. Gerade wenn es eine glückliche Zeit ist, muss man darüberschreiben. Die Reise begann für unsere Verhältnisse gar nicht so verkatert. Casablanca ist von Lissabon auch nicht weit weg, aber die Fahrt vom Flughafen ins Zentrum. Die dauert und man fragt sich, wann endlich die Stadt beginnt und die Gewerbegebiete aufhören, bis man merkt, dass die Stadt ein Gewerbegebiet ist, keine weißen Häusern, kein Hollywood, kein Genesis, Koran, keine Bibel. Unser Hotel lag direkt am Meer, zwischen Mercedes Autohaus und McDonalds. Es war ein neuartiger Bau, aber der Four Seasons Charme schafft es  trotzdem eine Leichtigkeit zu erzeugen, die nur die Lobby eines guten Hotels in einem erzeugen kann. Vor dem Hotel war eine große Promenade, Boulevard de la Corniche, die nachts zur reinsten Meile werden würde, so der Portier. Wir würden schon noch sehen, aber dazu später. Am ersten Tag machten wir nichts, ein bisschen Sauna und Bett, und warteten darauf, dass uns die Seele nachkommt. Wir reisen heute zu schnell, können unseren Werkstoff aber nicht so schnell von einem Ort an den anderen schaffen. Abends zogen wir uns was an, aßen Köfte und spazierten ein bisschen rum. Das Essen war sehr gut, Wein gab es aber nicht. Ich glaube wir tranken Tee und waren früh fertig, wie das eben so ist. Wir liefen hinter den Stadtmauern durch ein paar dunkle Straßen, am Markt vorbei. Von der großen, hellerleuchteten, arabischen, afrikanischen Nacht gab es hier nichts. Aus den dunkelsten Winkeln rief man uns nach. Lag vielleicht an meinem Kamelhaarmantel. Sie sah sowieso sehr Marokkanisch aus […]

RITZ LISBOA

RITZ LISBOA

Letztes Wochenende stand ich im Ritz auf dem Balkon, fünfte Etage, Superior Deluxe Zimmer mit Park und Stadtblick. Ich rauchte und sah über den Park und die Stadt in der Dämmerung und dachte, dass es doch schon irgendwie romantisch wäre, wenn man jetzt hier einfach in die Stadt und den Park und die Dämmerung springt. Der Champagner halbvoll, ein paar Zeilen auf edlem Briefpapier, Schulden, Ideale, eine Frau, die einen dann für immer liebt, Manuskripte, die danach mit Sicherheit verlegt werden. Wie die ganz Großen, dachte ich oder dachte nur, dass ich das denke, was nicht das gleiche ist, aber schlimmer. Ich fragte mich, was an den Ganzen, die das getan haben, das Große gewesen sein soll. Hemingway, Brautigam, Carver, Kleist, Trakl, Celan, Jack London, Majakowski und Zweig. Zweig hatte seine Gründe, Majakowski auch, der Rest schien irgendwie in sich verloren oder war Amerikaner. Rothko malt seine letzten drei Bilder in Schwarz, sagt alles, ballert sich weg, Stille. Alles, was bleibt ist die Stille, die Ausnahme ist, dass es nicht still ist und das ist es, was Rothko sagt, nachdem er alles gesagt hat, mit drei schwarzen Bildern. Alle Erwartungen sind erfüllt, aber die Erlösung folgt nicht und in letzter Instanz fallen wir auf uns zurück. Rothko hat eine andere Sprache als die Sprache erfunden, etwas das man kaum fühlen kann, ohne es auszudrücken zu müssen, und dennoch, was für ein Looser, dachte ich. Unser Ende ist ohnehin vorbestimmt, wir müssen uns doch nicht auch noch selber darum kümmern. Von vielen Künstlern hat man dennoch erst nach ihrem Tod gehört. Manche haben sich dafür inszeniert, obwohl es überhaupt gar keinen Tod bräuchte, wenn man im Leben schon wer gewesen ist. Eric Clapton, Paul McCartney, Leo Cohen, das sind doch Beispiele, die die Kunst ihrer Leben, Lieben & Leidenschaften zu Dauer werden ließen, ohne sich nach einem geglückten Radiosong, gleich die Birne wegzuballern. Es wäre grandios, es wäre für immer, es wäre das einfachste. Sie tun und taten es nicht und wurden zu ihren eigenen Vorbildern, denen dann andere gerecht werden mussten. Natürlich habe auch ich romantische Ideale, denen ich nicht gerecht werden kann, mich aber von Anfang an gegen den konventionellen Karriereweg eines Schriftsteller entschieden und mir meine Seele nicht angelesen. Ich bin kein Krull, auch kein Larbaud, schon gar kein Hemingway, sicher nicht so talentiert wie Roth, aber talentierter als Ripley und eigentlich so wie alle, die wir uns für eine Weile auf der Welt als jemand ausgeben, der wir nicht sind, bis wir es vielleicht werden, weil wir lange genug getan haben als ob. Am Anfang schmückt man sich natürlich gerne mit Äußerlichkeiten, der Ambition Bedeutendes zu tun, ist noch ganz Wirklichkeitswund, bis man erkennt, wie unbedeutend man ist, um im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit darüber hinaus zu kommen. Nun beginnt man zu schaffen. Man glaubt, Frauengeschichten zu brauchen, ein Alkoholproblem und eine Kindheit, die den Anspruch auf ein gutes Leben und dessen Zerstörung erhebt. Dazu die Schwierigkeit menschlicher Beziehung, solide Selbstzweifel als Legitimation des Poeten, der das Leid der Welt für die Welt erfährt und zu Versen formt, damit es die Welt nicht selber ertragen muss. Der Künstler leidet an egoistischem Größenwahn und das soll er auch, aber er obliegt im Gegenzug jener Verpflichtung, ein Gegenmittel gegen die Leere unseres Daseins zu finden, neue Formen des Erlebens, nicht dagegen. Wege, die, bevor darüber geschrieben wurden, nicht existierten und den Lauf der Dinge ändern und dass alles immer nur so kommt, wie es ist. Er soll kein weiteres Klischee schaffen, sondern die Möglichkeit, darüber hinauszukommen, nicht um daran zu scheitern. Der Tod ist ein maßgebender, seiner Aufgabe entgegengesetzter Drang zum maßlosen, scheinbar Ewigem, zum Nichts. Den einen drückt das Leid der Welt zu Grunde, der anderen steigen mit den schönen Dingen auf. Amboss oder Hammer sein? hat Goethe gesagt, aber wer Goethe folgt, kann sich die Kordjacke mit Brandlöchern und Literaturschal gleich im Autorenausstatter kaufen. Wir brauchen keine falschen Dramen mehr, keine Theatralik, Idole von Idioten, Show Off und dass sich der Held im letzten Akt erhängt. Wir brauchen erfundene Geschichten, die wahr sind, mit Happy End, und zwar einem, das noch viel wahrer ist, als jene erzwungen gescheiterte Parkgebühren-Realität, die ihm vielleicht zugrunde gelegen hat […]

IM REIDS

IM REIDS

Für manche ist Madeira nur ein Drink, ein Ort, an den man dann mit 60 mal möchte. Eine Insel auf der Welt, irgendwo im Meer und dann links, wenn man lange genug Richtung Äquator gefahren ist. Voll netter Engländer, die nicht nur Saufen möchten und gerne lovley sagen, ein Vorteil also, mehr nicht. Für die, die schon mal da waren, ist es die Erkenntnis, dass das Paradies doch auf Erden ist. Die Insel ist ein Berg im Meer, vulkanausbruchgeschaffen, ein Garten Eden mit Kolonialbauten, 1862 Meter hoch, 560 Kilometer vor der Küste Marokkos. Madeira ist 741 km² groß, 490 Hektar davon sind Wein, der Rest Blumen, Berg und Bananen. Die Erde ist furchtbar fruchtbar. Auf der Nordseite fällt die Insel mit brutaler Plötzlichkeit ins Meer, auf der Südseite senkt sie sich allmählich und fällt erst im Meer tausend Kilometer bergab. Im Süden verhält sich der Atlantik mittelmeermäßig, rivieraesque, im Norden knallen Tiefdruckgebiete mit voller Kraft auf die Insel. Dadurch hat Madeira zwei Gesichter. Eins ist nass und rau, das andere sonnig und warm. Jurassic Park und Hawaii. Die Wolken sind immer da, aber sie tun nichts und verfangen sich nur, wie eine gut gemeinte Drohung, das beständig schöne Wetter nicht zu vergessen. Menschen leben an Hängen. Alles ist hoch und tief, fällt bergab oder geht bergauf, selten geradeaus, man steht ständig am Hang, hat noch nie so viel Meer gesehen, sieht es von überall, immer wieder überwältigend, es ist von einem einzigartigen, tiefen, Blau. Die Insel wirbt um sich, mit ewigem Frühling, lädt Prominente ein, um den Imagewechsel vom atlantischen Altersheim zum dynamischen Inseleldorado zu vollbringen. Eigentlich muss man in Madeira mit dem Schiff eintreffen. Aber Kreuzfahrtschiffe will man nicht und soweit Segeln, kann nicht jeder. Fliegen ist daher nicht verkehrt. Piloten brauchen eine spezielle Lizenz, um hier landen zu dürfen. Wegen der Winde und der kurzen Landebahn, die zu einem wundervollen Dorfflughafen gehört. Nach dem Landen hat man fast schon ausgecheckt und nach dem Ausschecken sind alle Wege kurz. Der Flughafen ist klein und hat Meerblick, wobei alles auf Madeira Meerblick hat. Man kann draußen auf der Terrasse stehen und den Piloten mit ihren Lizenzen beim Landen zu sehen. Interessiert nach der Landung erst mal keinen, aber später, beim Abflug, wenn du auf der Terrasse stehst und an die Zeit zurückdenkst. Man lässt viel in diesem Ausblick zurück. Es ist nicht so wie anderen Städten, wo man am Flughafen noch nicht da ist. Alles ist sehr grün und sehr blau und sehr schön und das Schönste ist, dass es auf der Insel nichts Höchstes, Größtes und Erstes gibt, das hier schon angepriesen wird. Die Insel kommt fast ohne Attraktionen aus. Es gibt keine Eiffeltürme, Petersdome, Kolosseen, vor denen man anstehen kann. Keine bedeutenden Kunstsammlungen, Top Tens, Must-Sees, nur das Reids, Zimmernummer 501 […]

VIENNA

VIENNA

Wien ist immer eine sehr glückliche Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer, wenn man sich bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne deshalb gleich vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Toreros führen, es reicht ein Mensch zu sein, der einen anderen liebt und weiß, was passiert und nicht passiert und das nicht ernster nimmt und schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Es ist vielleicht langweilig, wenn zwei Menschen glücklich sind und man nicht mit oder nicht mehr und will, dass sie es auch nicht mehr sind. Wir wollen alle etwas für uns und nur selten wollen wir das auch für andere. Man will nicht lesen, dass ein Paar Straßen ging, die keinen großen Namen haben und in Restaurants aß, die keiner kennt und bei Dinge tat, die niemanden so sehr interessieren, wie sie. Nicht nur das, aber man hat dann eben, was wir alle suchen und kann sich dem widmen, und es, wenn man will, mit in eine Bar nehmen oder ein Tanzlokal oder andere schöne Orte einer Welt aus Hotels und Museen. Gerade weil Wien dann eine glückliche Zeit ist, muss man darüberschreiben. Ich will jetzt aber nicht erzählen, wie toll Wien ist und was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer in die Albertina zu gehen und mich danach ins Café Sperl zu setzen, bis die Stunde der Aperitifs schlägt und man ins Gasthaus Grünauer geht. Ich komme zwei Mal im Jahr, seit vielen Jahren. Mein Wien besteht aus Orten, die ich kenne (Sperl, Burgarten, Hotel Bristol) und Orten, die ich nicht kenne (Loosbar) und Orten, die ich kenne (Albertina), aber nie so, wie ich dann bin. Ich kam allein, frisch verliebt, verliebt, etwas weniger verliebt, getrennt, vielleicht doch noch ein bisschen verliebt und schließlich verliebt in die Frau, die ich liebe. Ich kam mit dem Nachtzug aus Florenz, Paris, Zürich, Mailand, obwohl ich in Lissabon, Rom und Madrid und doch nirgendwo zu Hause war. Rastlos unterwegs ins Nirgendwohin. Immer auf Brücken, die Hier und Dort verbinden und mir erlauben, zwischen entschiedenen Handlungen und unwiderruflichen Entschlüssen keine Entscheidungen treffen zu müssen. Durch die Länder, Städte und Dörfer, durch die ich gekommen war, bin ich gekommen, um anzukommen und sie verlassen zu können, ich wusste nicht, wie Bleiben geht, gut ging es mir in der Fremde. Ich war bescheiden aus Hochmut, erbittert gegen die Reichen, ohne Solidarität den Armen gegenüber, nur einmal glücklich als ich in Kunderas Leichtigkeit eine autoritative Bestätigung meiner Instinkte fand. Bis ich eine Frau vor einem Bild traf. Es war Paul Delvauxs Landschaft mit Laternen. Es zeigt eine Frau von hinten, die durch eine Landschaft mit Laternen geht. Irgendwann hören die Wege auf. Die Telefonmasten sind gekappt, die Häuser ohne Dächer, ein toter wird, im Hintergrund, auf einer Trage, durch friedhöfliches Arkadien getragen. Ganz habe ich dieses Bild nie verstanden, bis ich verstanden habe, dass es da nichts weiter zu verstehen gibt. Man muss es fühlen, wie die Farben von Rothko. Ich stand eine halbe Stunde vor diesem Bild und manchmal kam jemand und stellte sich dazu und es war dann ein sehr intimer Moment, so als ob man diesen Moment zusammen im Bett dieses Bildes liegt. Das ist unangenehm. Das Atmen, den Blick im Nacken, den man die Linien lang gucken sieht. Dann kam eine Frau, ich konnte sie spüren und es fühlte sich gar nicht unangenehm an. Ich sah sie an, sah, wie sie das Bild sieht, ohne mich anzusehen. Ihre Augen schienen ganz auf den Farben zu ruhen. Ich sah das Bild gar nicht mehr und sah ihr hinterher. Vor einem blauen Chagall holte ich sie dann ein. Ich sprach sie an und nachdem Museumsbesuch gingen wir was trinken und was essen und dann noch mehr trinken und versuchten, zu erraten, welche Bilder den anderen angesprochen haben. Man kommt sich näher, im platonischen Sinne, der ganz und gar nicht der umgangssprachliche ist. Die Farbe der Leidenschaft ist blau. Nach dem Museumsbesuch geht man eingeharkt durch den Burggarten. Zwischen den denkmalgeschützten Resten der letzten großen Jahrhundertwende. Über Boulevards und Plätze, Kopfsteinpflastergassen, Laufstege des Fin de Siècle auf dem Höhepunkt geistiger Schaffenskraft. Man Sieht das Weiß der Häuser und das Grün der Dächer und das der Statuen, die überall stehen, stolz die Patina schwitzend. Melancholien wie sie sonst vielleicht nur noch die Tuilerien im Herbst in einem erzeugen können. Das nasse Laub, die kahlen Bänke, das Straßenlicht, das auf all das fällt. Freuds Psychoanalyse, Mahlers Theaterrevolutionen, Klimts Bilder. Pausenlose Prostitution, in Sittenrüstungen gequetschte Frauenzimmer, Kaiser, Punker, Reaktionäre. Extreme epischer Dimensionen. Es hatte Gründe, dass Freud, Wittgenstein und Schiele keine Pariser waren. Die Augen sind auf Gefechtsstation. Man trinkt ein Fläschchen, isst Sacherwürstchen mit Kren und spricht über die Bilder, die einen angesprochen haben oder nicht und warum und was man darin gesehen hat. Man kann da sehr gute ein ewiges Ratespiel drauß machen und die Liebe zu Dauer werden lassen. Mit der Frau, die ich damals vor einem Bild traf, wohne ich heute am Meer. Ich habe schon was darüber geschrieben, aber noch nichts, dass so ist, wie es ist. Worte definieren nur einen Teil und einen anderen nicht. Sie können Gefühle nicht fassen, außerdem hat man die schon und muss eigentlich nicht auch noch darüber schreiben. Es reicht, sich vor Bildern zu treffen. Wittgenstein hält dagegen, we alles, was sich sagen lässt, sein kann. Das einzige, was der Liebe dann gefährlich werden kann, sind Gspusis oder Menschen, die versuchen, sie in Worte zu fassen und solange man denen aus dem Weg gehen kann, tut man es besser und die Tage in Wien bleiben glücklich, grenzenlos und frei […]

AVANCEN

AVANCEN

Gestern habe ich versucht Schnaps zu trinken, wie ein Mann, der viel Raucht und versucht an sich zu halten. Es ist besser an sich zu halten, wenn das Glück kaum auszuhalten ist, weil es dann gut tut, wenn man es nicht tut und einen Augenblick so tut wie ein Mann, der nicht über Gefühle sprechen kann und endlich Zeit hat, Platon zu lesen. Nackt und in doppelter Übersetzung. Sie auf Portugiesisch, ich auf Deutsch, in einem schönen, weißen Goldeinband, der leider eine Weile im Keller meines Lebens geschimmelt hat. Die Deutsche Übersetzung ist an manchen Stellen besser, die Portugiesische an einer, die vielleicht die beste von allen ist. Die haben wir dann auch beide unterstrichen, ist aber schwer zu beschreiben, weil Platon das schon beschrieben hat und sowieso alles, was ich gerade schreibe, nicht so schön ist, wie es ist. Ich wohne am Meer, mit der Frau, die ich liebe. Nur das Unglück braucht länger, um sich auszudrücken. Es ist ein kleines, einfaches Haus mit Garten, nicht weit vom Strand, in dem man Ferien im Leben machen kann. Morgens frühstücken wir im Freien, Mittags gehen wir zum Markt oder Schwimmen oder beides, abends ein bisschen Espumante. Draußen ist Teil des Drin. Im Garten steht eine große Pinie, die im Abendlicht Feuer fängt, wenn der Rest vom Himmel brennt. Darunter liegt ein Hund, der manchmal kommt, aber nicht unserer ist. Vielleicht benutzen wir den mal für einen Herbstspaziergang, nachdem wir den vormittag lang im Bett gelesen haben. Das Schlafzimmer ist auch das Arbeitszimmer. Die Stadt keine zwanzig Minuten weit weg. Ich fahre wenn meist montags mit dem Zug, weil das ein Scheißtag ist und Scheißtage gute Tage sind, um die Post zu holen, Notizbücher zu kaufen, Zeitung, Kaffee, Kippen und Wein. Ich mache dann Listen, wie man die Dinge am besten anstellt, zieh mich schick an, bin wirklich in der Stadt, vollkommen vorbereitet und angezogen, wie Leute vom Land. Sie schmiert mir Brot und sagt, ich soll anrufen, wenn ich angekommen bin. Abends steht sie dann schon am Tor und winkt und ich bin froh wieder hier zu sein. Lissabon ist mittlerweile zu voller Menschen, die Karriere machen oder wollen, dass das die Stadt für sie übernimmt, mit vielen hübschen Geschäften, und Verkehr, der am Abend hier kaum vom Rauschen des Meeres zu unterscheiden ist. Alle Straßen führen zum Meer und enden in Gemälden vom Meer, die von Bäumen gesäumt sind. Dazwischen stehen Villen, die man durch alte Mauern in ihren Gärten beobachten kann. Die Idylle zwingt alle Einzelheiten in ihren Rahmen. Der Strand ist nie weit. Er ist keine Autofahrt und auch keine Parkplatzsuche oder Zugfahrt weit weg. Man muss nicht mal einen Schlüssel mitnehmen und sich nach dem Platon lesen nur daran erinnern, dass man am Strand ist, eine Erinnerung weit weg. Am Anfang wohnt man natürlich sehr heftig, hat Geschmack, Aufmerksamkeit und Zeit. Dann gewöhnt man sich normalerweise das Wohnen ab und macht mit seinem Leben weiter und lässt es die Möbel und Gegenstände übernehmen, wenn man welche hat. Sagen jedenfalls die Leute aus der Stadt, die immer was für sich wollen und Kerzen als was romantisches bezeichnen. Wir sagen das nicht, weil das Wohnzimmer auch die Küche ist. Ist nur ein kleines Haus, ist ja auch ein kleine Küche, mit einem Kühlschrank, der keine großen Einkäufe zulässt. Die Tägliche Häuslichkeit durch Flitterwochen ersetzt. In einem kleinen Dorf, nicht weit von Cascais, aber anders, grün mit Quintas und weiten Flächen, auf denen nichts ist und Bäume stehen und Sachen, die nicht gebaut wurden. Die Gegend kommt ganz ohne Tankstellen aus. Wenn die Sonne am Abend weg ist, zieht Nebel auf vom Meer und kommt in unsere Straße. Er hüllt alles ein, die Straße, uns und das Haus mit den Straßenlaternen, die davor wie stille Planeten im Nebel stehen. Man hat dann das Gefühl, die einzigen zwei Menschen auf der Welt zu sein, die noch Wein brauchen, wenn da draußen, in den weiten unserer Milchstraße, kaum noch irgendwas offen hat. Anstatt in die nächste Bar geht man ganz nah am Wasser lang oder zwischen den Häusern. Man geht bis die Straßen einen doch wieder zu einem zurück führen, wenn man sich in ihnen verliert, die Welt abhängt und das Gefühl hat, ganz und gar auf ihr zu sein. Nicht weit von hier gibt es eine kleine Bar mit Balkon, in die man schon gehen kann, wenns nicht ohne geht, aber meistens geht es ohne und wir kochen und trinken und gehen dann. Samstags fahren wir zum Tanzen in die Stadt. Treffen Leute, lassen uns verwickeln, sehen meine Ex oder ihren oder wie uns die Leute sehen. Man vergisst sonst, wer man ist und streitet, betrunken, auf der Heimfahrt, ohne Versicherung. Wir haben uns aber vorgenommen, nicht mehr beim betrunken Fahren, ohne Versicherung, zu streiten […]