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BYND

Konstantin Arnold

IM REIDS

IM REIDS

Für manche ist Madeira nur ein Drink, ein Ort, an den man dann mit 60 mal möchte. Eine Insel auf der Welt, irgendwo im Meer und dann links, wenn man lange genug Richtung Äquator gefahren ist. Voll netter Engländer, die nicht nur Saufen möchten und gerne lovley sagen, ein Vorteil also, mehr nicht. Für die, die schon mal da waren, ist es die Erkenntnis, dass das Paradies doch auf Erden ist. Die Insel ist ein Berg im Meer, vulkanausbruchgeschaffen, ein Garten Eden mit Kolonialbauten, 1862 Meter hoch, 560 Kilometer vor der Küste Marokkos. Madeira ist 741 km² groß, 490 Hektar davon sind Wein, der Rest Blumen, Berg und Bananen. Die Erde ist furchtbar fruchtbar. Auf der Nordseite fällt die Insel mit brutaler Plötzlichkeit ins Meer, auf der Südseite senkt sie sich allmählich und fällt erst im Meer tausend Kilometer bergab. Im Süden verhält sich der Atlantik mittelmeermäßig, rivieraesque, im Norden knallen Tiefdruckgebiete mit voller Kraft auf die Insel. Dadurch hat Madeira zwei Gesichter. Eins ist nass und rau, das andere sonnig und warm. Jurassic Park und Hawaii. Die Wolken sind immer da, aber sie tun nichts und verfangen sich nur, wie eine gut gemeinte Drohung, das beständig schöne Wetter nicht zu vergessen. Menschen leben an Hängen. Alles ist hoch und tief, fällt bergab oder geht bergauf, selten geradeaus, man steht ständig am Hang, hat noch nie so viel Meer gesehen, sieht es von überall, immer wieder überwältigend, es ist von einem einzigartigen, tiefen, Blau. Die Insel wirbt um sich, mit ewigem Frühling, lädt Prominente ein, um den Imagewechsel vom atlantischen Altersheim zum dynamischen Inseleldorado zu vollbringen. Eigentlich muss man in Madeira mit dem Schiff eintreffen. Aber Kreuzfahrtschiffe will man nicht und soweit Segeln, kann nicht jeder. Fliegen ist daher nicht verkehrt. Piloten brauchen eine spezielle Lizenz, um hier landen zu dürfen. Wegen der Winde und der kurzen Landebahn, die zu einem wundervollen Dorfflughafen gehört. Nach dem Landen hat man fast schon ausgecheckt und nach dem Ausschecken sind alle Wege kurz. Der Flughafen ist klein und hat Meerblick, wobei alles auf Madeira Meerblick hat. Man kann draußen auf der Terrasse stehen und den Piloten mit ihren Lizenzen beim Landen zu sehen. Interessiert nach der Landung erst mal keinen, aber später, beim Abflug, wenn du auf der Terrasse stehst und an die Zeit zurückdenkst. Man lässt viel in diesem Ausblick zurück. Es ist nicht so wie anderen Städten, wo man am Flughafen noch nicht da ist. Alles ist sehr grün und sehr blau und sehr schön und das Schönste ist, dass es auf der Insel nichts Höchstes, Größtes und Erstes gibt, das hier schon angepriesen wird. Die Insel kommt fast ohne Attraktionen aus. Es gibt keine Eiffeltürme, Petersdome, Kolosseen, vor denen man anstehen kann. Keine bedeutenden Kunstsammlungen, Top Tens, Must-Sees, nur das Reids, Zimmernummer 501 […]

VIENNA

VIENNA

Wien ist immer eine sehr glückliche Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer, wenn man sich bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne deshalb gleich vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Toreros führen, es reicht ein Mensch zu sein, der einen anderen liebt und weiß, was passiert und nicht passiert und das nicht ernster nimmt und schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Es ist vielleicht langweilig, wenn zwei Menschen glücklich sind und man nicht mit oder nicht mehr und will, dass sie es auch nicht mehr sind. Wir wollen alle etwas für uns und nur selten wollen wir das auch für andere. Man will nicht lesen, dass ein Paar Straßen ging, die keinen großen Namen haben und in Restaurants aß, die keiner kennt und bei Dinge tat, die niemanden so sehr interessieren, wie sie. Nicht nur das, aber man hat dann eben, was wir alle suchen und kann sich dem widmen, und es, wenn man will, mit in eine Bar nehmen oder ein Tanzlokal oder andere schöne Orte einer Welt aus Hotels und Museen. Gerade weil Wien dann eine glückliche Zeit ist, muss man darüberschreiben. Ich will jetzt aber nicht erzählen, wie toll Wien ist und was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer in die Albertina zu gehen und mich danach ins Café Sperl zu setzen, bis die Stunde der Aperitifs schlägt und man ins Gasthaus Grünauer geht. Ich komme zwei Mal im Jahr, seit vielen Jahren. Mein Wien besteht aus Orten, die ich kenne (Sperl, Burgarten, Hotel Bristol) und Orten, die ich nicht kenne (Loosbar) und Orten, die ich kenne (Albertina), aber nie so, wie ich dann bin. Ich kam allein, frisch verliebt, verliebt, etwas weniger verliebt, getrennt, vielleicht doch noch ein bisschen verliebt und schließlich verliebt in die Frau, die ich liebe. Ich kam mit dem Nachtzug aus Florenz, Paris, Zürich, Mailand, obwohl ich in Lissabon, Rom und Madrid und doch nirgendwo zu Hause war. Rastlos unterwegs ins Nirgendwohin. Immer auf Brücken, die Hier und Dort verbinden und mir erlauben, zwischen entschiedenen Handlungen und unwiderruflichen Entschlüssen keine Entscheidungen treffen zu müssen. Durch die Länder, Städte und Dörfer, durch die ich gekommen war, bin ich gekommen, um anzukommen und sie verlassen zu können, ich wusste nicht, wie Bleiben geht, gut ging es mir in der Fremde. Ich war bescheiden aus Hochmut, erbittert gegen die Reichen, ohne Solidarität den Armen gegenüber, nur einmal glücklich als ich in Kunderas Leichtigkeit eine autoritative Bestätigung meiner Instinkte fand. Bis ich eine Frau vor einem Bild traf. Es war Paul Delvauxs Landschaft mit Laternen. Es zeigt eine Frau von hinten, die durch eine Landschaft mit Laternen geht. Irgendwann hören die Wege auf. Die Telefonmasten sind gekappt, die Häuser ohne Dächer, ein toter wird, im Hintergrund, auf einer Trage, durch friedhöfliches Arkadien getragen. Ganz habe ich dieses Bild nie verstanden, bis ich verstanden habe, dass es da nichts weiter zu verstehen gibt. Man muss es fühlen, wie die Farben von Rothko. Ich stand eine halbe Stunde vor diesem Bild und manchmal kam jemand und stellte sich dazu und es war dann ein sehr intimer Moment, so als ob man diesen Moment zusammen im Bett dieses Bildes liegt. Das ist unangenehm. Das Atmen, den Blick im Nacken, den man die Linien lang gucken sieht. Dann kam eine Frau, ich konnte sie spüren und es fühlte sich gar nicht unangenehm an. Ich sah sie an, sah, wie sie das Bild sieht, ohne mich anzusehen. Ihre Augen schienen ganz auf den Farben zu ruhen. Ich sah das Bild gar nicht mehr und sah ihr hinterher. Vor einem blauen Chagall holte ich sie dann ein. Ich sprach sie an und nachdem Museumsbesuch gingen wir was trinken und was essen und dann noch mehr trinken und versuchten, zu erraten, welche Bilder den anderen angesprochen haben. Man kommt sich näher, im platonischen Sinne, der ganz und gar nicht der umgangssprachliche ist. Die Farbe der Leidenschaft ist blau. Nach dem Museumsbesuch geht man eingeharkt durch den Burggarten. Zwischen den denkmalgeschützten Resten der letzten großen Jahrhundertwende. Über Boulevards und Plätze, Kopfsteinpflastergassen, Laufstege des Fin de Siècle auf dem Höhepunkt geistiger Schaffenskraft. Man Sieht das Weiß der Häuser und das Grün der Dächer und das der Statuen, die überall stehen, stolz die Patina schwitzend. Melancholien wie sie sonst vielleicht nur noch die Tuilerien im Herbst in einem erzeugen können. Das nasse Laub, die kahlen Bänke, das Straßenlicht, das auf all das fällt. Freuds Psychoanalyse, Mahlers Theaterrevolutionen, Klimts Bilder. Pausenlose Prostitution, in Sittenrüstungen gequetschte Frauenzimmer, Kaiser, Punker, Reaktionäre. Extreme epischer Dimensionen. Es hatte Gründe, dass Freud, Wittgenstein und Schiele keine Pariser waren. Die Augen sind auf Gefechtsstation. Man trinkt ein Fläschchen, isst Sacherwürstchen mit Kren und spricht über die Bilder, die einen angesprochen haben oder nicht und warum und was man darin gesehen hat. Man kann da sehr gute ein ewiges Ratespiel drauß machen und die Liebe zu Dauer werden lassen. Mit der Frau, die ich damals vor einem Bild traf, wohne ich heute am Meer. Ich habe schon was darüber geschrieben, aber noch nichts, dass so ist, wie es ist. Worte definieren nur einen Teil und einen anderen nicht. Sie können Gefühle nicht fassen, außerdem hat man die schon und muss eigentlich nicht auch noch darüber schreiben. Es reicht, sich vor Bildern zu treffen. Wittgenstein hält dagegen, we alles, was sich sagen lässt, sein kann. Das einzige, was der Liebe dann gefährlich werden kann, sind Gspusis oder Menschen, die versuchen, sie in Worte zu fassen und solange man denen aus dem Weg gehen kann, tut man es besser und die Tage in Wien bleiben glücklich, grenzenlos und frei […]

ERFAHRUNG

ERFAHRUNG

Paris war unsere letzte Runde. Mit Paris ging alles los. Alles, was wir nun zur Erinnerungen erklären und sagen, so, ja so muss diese Zeit gewesen sein, unvergesslich und prägend. Eine Zeit, die es vielleicht schon nicht mehr gibt, bis man es nochmal schafft und sie ist: Immer die gleiche, schöne Geschichte. Boy meets Girl, they Fall in Love. And then? Wird vom Hotel, das Schöne für uns übernommen. Die Plätze und Meere auf die man so sieht. Ideen, die man voneinander hatte. Das hat nichts mit Paris zu tun, wir machen das ständig, mindestens zwei Mal im Jahr oder wir haben es immer gemacht, an die Vergangenheit muss man sich wohl gewöhnen. Für die einen ist es London, New York, für uns Lissabon, Wien, Mailand, Antibes, Madrid, San Sebastián. Wenn wir bis Weihnachten nicht in in der Closerie des Lilas waren, im Sommer ums Cap d’Antibes schwammen, in Ventimiglia auf den Zug aus Cannes nach Genua warteten, Zeitungen im Café Sperl lasen, bei Tito in San Sebastian aßen, uns in Mailand trafen, durch den Retiro gingen oder am Lago di Como darüber nachdachten, Schluss zu machen, ging bei uns gar nichts. Aber keine Panik. Ich werde jetzt nicht erzählen, wie toll Paris ist oder was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer mir eine Zeitung am Boulevard Saint-Michel kaufen und mich irgendwo hinsetzen. Lesen an bestimmten Orten. Verstehen wie das Leben so ist. Den Mantelkragen hochgeklappt, den Hut tief zwischen den Schultern. Niemanden interessiert, dass man im Regen auf dem Place de la Contrescarpe geküsst hat, auch nicht im Dampf, der durch die Metroschächte aufsteigt, während sich das Straßenlicht auf den nassen Bürgersteigen spiegelt und die Caféterassen schließen. Es muss aber kalt sein, wie diesmal, saumäßig, so kurz vor Weihnachten. Dann sind die Leute weg und die Bäume in den Tuilerien kahl. Der Himmel ist Rauch und der Eifelturm hört irgendwann einfach auf und Paris ist eine gute Stadt, um traurig zu sein. In Lissabon geht das nicht einfach. Jedenfalls nicht alltags, auf diesen heißen, hellen Plätzen des Lebens. Für viele ist das nur ein Namen auf einem Straßenschild, an dem sie mal vorbeigefahren sind. Für mich ist es ein vergangenes Leben, von denen ich gerade wie durch Glas getrennt bin. Alles erinnert mich an sie, alles andere auch. Wer will bitte Sonnenschein über Weihnachten ertragen, wenn der Winter in Paris schon ein Leben lang geht und man im dichten Morgennebel auf Reiter hofft, die aus dem Bois du Boulogne kommen und den Frühling bringen aus großen französischen Romanen. Ich verstehe daher nicht, warum mich Leute ständig nach der besten Zeit fragen. Rom Ende Oktober, Wien danach, San Sebastian im Frühling und, wenn die Hotels offen sind, Antibes. Paris am besten vor 1920. Sie haben irgendeine Stadt mal irgendwann zu einem Zeitpunkt gesehen und maßen sich an zu verlangen, dass sie sich, bis zu ihrem nächsten Besuch nicht verändert. Die Zeit ist egal. Sie wiederholt sich und vergeht in Zyklen, weil der Mensch ihr Vergehen so besser erträgt. Die kulturelle Ausformung dieser Zyklen nennt man Mode und deren melancholische Wiederaufnahme Nostalgie. Dabei geht es darum, die Dinge durch ihre ständige Wiederholung auf eine Essenz zu destillieren, die Trost spendet, weil etwas seit 1700 schon so ist und sich diesen Gebäuden entsprechend anzuziehen, ohne ihre Anmut mit der einem zur Verfügung stehenden Würde zu zerstören. Nichts ist für immer. Nur der Reispudding, wie Jorge mein Schuhputzer sagt, in der Casa Chineza, einem alten Lissabonner Lokal, das jetzt ein neues französisches Hotel ist, hat wie immer geschmeckt. Aber immerhin, noch niemand rennt hier, wie in Paris, muss nicht dauernd irgendwo hin. Die Stadt siegt über die Architektur des Augenblicks, die Unruhe des Großstadtlebens durch seitliche Pinselstriche, den flüchtigen Charakter einer Situation, die aus der Einmaligkeit eines Zugtickets besteht, dass man in der Brusttasche seines Jackets stecken hat. Lissabon, die Stadt des Lichts, der Sieben Hügel, die Weiße, jaja wies in Europa hunderte gibt, aber es gibt nur eine Hauptstadt des Vergehens.  Es ist daher falsch eine Stadt für seine Veränderung verantwortlich zu machen, Städte verändern sich nicht so wie Reisende. Das Läden schließen, Preise steigen, gabs schon immer, Geschäfte für Fremde noch viel öfter und wie die Literatur nicht von Vorkriegspreisen schwärmt, Elektrizität, Zügen, Erfindungen und Veränderungen, die jede Generation für sich in Anspruch nimmt. Paris ist ein Beispiel. Alle Städte mit Ausnahme von Paris haben das Recht sich zu verändern. Ich will daher für diejenigen schreiben, die Städte suchen, in denen man nicht nur glücklich sein muss und würde sie im Winter besuchen. Es ist die besinnlichste Jahreszeit, reicher und schöner als alle anderen, wenigstens für jene, die mehr Bedeutung und reife Tiefe als Glanz und Jugend suchen. Es ist der ideale Hintergrund für kleine Katastrophen, Rückschläge, Anrufe, die alles verändern. Geschaffen für Genießer der Melancholie, Liebende kurz vor dem Aus, Banker am Rande des Ruins, Dichter, die zwischen den Zeilen nach den Worten suchen, Liebe, die endet und wieder beginnt. Die meisten wollen alle immer überall unbedingt eine gute Zeit haben und deswegen ist sie meistens schlecht. Klar, hier und da sieht man wen, ders geschafft hat, meistens kurzärmlige Besucher, die zufrieden in einem Stück Sonne sitzen und schlechte essen, aber wer aus London oder New York kommt, hat es schwer irgendwo anders unglücklich zu werden. Ich habe daher gelernt, dass man sich verdammt schlecht fühlen kann und plötzlich gut und umgedreht und dass es so eigentlich egal ist, wie man sich fühlt. Man kann in Paris sein und versuchen glücklich zu werden. Aber gleich nach dem Erreichen von was folgt das Bewusstsein für die Nichtigkeit aller irdischen Dinge und man rettet sich vor dem Dilemma in die Nächte und entschädigt sich durch Sex. Wir waren Weihnachten immer kurz davor Schluss zu machen, aber Weihnachten hinderte uns daran. Das Jahr ist vorbei und etwas stirbt in uns. Der Frühling schafft uns dann wieder neu. Orte, und die Erinnerung daran […]

MACHO

MACHO

Es ist jetzt lange hell und dunkel unter den Bäumen in den Straßen der Stadt. Sanfte Sommerluft kräuselt die Juninächte. Alles grün oder so, dass es einem, nach einer langen, kahlen Zeit wieder auffällt, bis auch dieser Sommer einfach nur noch selbstverständlich ist, und heiß; drei mal Duschen und zwei Mal Scheißen am Tag. Gerade ist er noch die Erinnerung an den Winter und den Sommer davor und Schaumwein nach langen Tagen, der einem den Mund wäscht. Stimmung, die nie lange hält, so wie Sommerregen und Schatten in Wohnungen, die man beschreibt. An den kühlen Morgen heißer Tage, mit dem Geruch von Regen, fühlt es sich ausnahmsweise richtig an, was man tut. Die Welt hat sich beruhigt und nichts getan über Nacht, was zeigt wie schön doch Nichts ist. Lissabon erholt sich von vier bis acht in der Früh, versichert sich seiner Wahrheit und vergisst alles, was es vorher getan hat. Aufwachen, schwitzen, Blick auf die Stadt. Batikhimmel, Greccowolken, die sich aber verziehen. Zu den Bergen über die Ebene hin zum Dunst. Alle Fenster sperrangelweit offen. Mit einer Zutraulichkeit zur Straße hin, wie man sie sonst nur aus Städten wie Neapel kennt. Man will dann nicht mehr von diesen Tagen als Morgens noch ein bisschen Zeit, Arbeiten und Abends ein bisschen von dem Wein, der einem das Arbeiten am nächsten Tag wieder gestattet. Manchmal hat man nach zwei Flaschen immer noch keine Lösungen gefunden, aber dann gibt es auch nichts zu schreiben, außer das der Abend kam, spät im Sommer, soweit südlich, und man die Dinge von heute Morgen vielleicht noch zu ende denkt. Man ist dann einen Augenblick so glücklich, dass einem die Wandmalereien in den Metros auffallen. Sie sind immer da, aber meistens nicht. Die Lichter und Leute leuchten unten in den Cafés, ganz ohne Angst, und man will alle Leute, überall, gleichzeitig sein. Außer uns. Denn Streit legt sich mal wieder wie ein grauer Schleier über die Tage und dämpfte jede Freude. Selbst in den Augenblicken, in denen man vergisst. Der Regen klopft mit weichen Fingern an die Fenster, als wolle er herein. Nass und grau wehen die Fäden im Wind vor den gelben Lichthöfen der Laternen. Trostlos und ohne Form, trauriger als Weinen. Nach einer Weile will man trotzdem wissen, was ihre Arbeit macht und was sie von diesen oder jenen Plänen hält. Man will allein gelassen werden, aber nicht allein sein. Ich kann erst richtig allein sein, seitdem ihr mit ihr bin. Früher ging das nicht, da rief ich immer irgendeine Frau an oder einen irgendeinen Mann an, sobald man allein war. Allein sein oder allein zusammen sein ist dann nicht schlimmer oder besser als alles anderes auch. Am liebsten würde ich einer dieser schicken jungen Männer in blauen Anzügen sein, die nach der Arbeit minimalistische Rucksäcke tragen und elektrische Zigaretten rauchen, wer weiß wie viele. Sie haben Frauen, die ich auch haben will und führen Leben, die ich nicht führen kann, da wo Lissabon ist, wie Madrid. Sie sitzen nach der Arbeit auf ein Bier zusammen, oder fünf, kann also spät werden, wenn sie niemandem haben, dem sie das erklären müssten. Manchmal versuche ich das nachzumachen und arbeite in einem Café, da wo Lissabon noch ist wie es nie war. Vor allem, wenns zu Hause heiß ist und man mit einer Schnellfeuerwaffe in das Gebrüll seiner Nachbarn und das Gebell der Hunde schießen will. Morgens der Rasenmäher im Park, abends Techno, dazwischen Streiten, weiß nicht, was schlimmer ist. Wenn man ihnen das sagt, sagen sie ich soll zurück in mein Heimatland, vai a tua terra caralho, sagen sie dann. Ich hielt Arbeiten in Cafés zwar für ein Klischee, wollte mich von diesem Vorurteil aber nicht davon abhalten lassen. In der Confeitaria kann man gut arbeiten, weil die oben absperren und mich in Ruhe lassen, ohne das schlechte Gewissen, das sie daheim in mir auslöst. Außerdem kommen keine Hunde rein, die Weiber an der Leine zerren und es gibt AC. Man versucht sich unter fremden Blicken aufrecht zu halten. Manchmal kommen schöne Frauen rein, aber man kann sie vergessen, wie damals, als eine Frau noch nicht alle Frauen war und musste nicht mehr wissen, wie Spucke riecht, die auf ihrer Haut trocknet. Außerdem alte Leute und Paare, die alt sind und andere Partner vorher hatten. Sie sitzen nachkriegsschweigend vor sich und ihren Kuchen und haben keine Kraft mehr, sich zu erklären. Sie wollen keine Schmerzen und jemanden mit dem man Kreuzfahrten machen kann. Meistens redetet sie und er sagt nichts, ohne zu denken, was sie dann fühlt. Er gähnt uns sie fragt, ob sie denn nicht aufregend genug ist? Er sitzt da und starrt sie an, wartet auf eine Regung, fragt, ob sie schon nach der Rechnung gefragt und wenn ja, solle sie doch lieber vorgehen oder eben nicht. Sie sprechen über organisatorisches, das man auch nicht organisieren muss und sie fragt, obs ihm denn gefällt, hier, in Lissabon. Natürlich gefällts ihm, sagt er. Wieso solls ihm denn auch nicht gefallen (verflucht). Gut, wie lange sie dann nun schon hier sind und obs ihm geschmeckt hat und er noch was will oder sie besser gehen sollen? Vielleicht soll sie doch besser mal vorgehen, vielleicht aber auch nicht. Ach, sie hätten ja Zeit, die vergeht und seit einiger Zeit, hätte sie starke Magenprobleme und könne nichts mehr trinken. Jedenfalls keinen Wein mehr, nur manchmal nippt sie an seinem Schnaps. Er zahlt und sie hält ihm die Jacke, und er humpelt an ihrer Seite in die Ferne davon. Nach all dem und nachdem man all das geschrieben hat, obwohl man was ganz anderes schreiben und die dazwischen kamen, macht man sich auf den Heimweg und kann sich dann einen Heimweg lang wie ein ganz normaler Mensch fühlen, der gearbeitet hat, während der Rest schon hoffnungsvoll aus den Häusern kommt, weil der Tag, den man sich verdient und bis zur Neige auskostet, sein Versprechen auf Zeit bis zum Abend gehalten hat. Lissabons große Stunde. Oben auf den Hügeln hell, unten in den Tälern Nacht. Zumindest unter den Bäumen in den neuen Straßen der Stadt. Abgeschlossenheit, Muse. Was will man mehr? Irgendwo ein Buch lesen? Einen Moment ohne Denken, die Bewegung der Dinge vielleicht? Ein bisschen Zäsur? Überstandene Katastrophen? Und hat jemand den Wind gesehen? Die Abende sind lang und die Nächte warm und so sind die Leute dann auch. Mit frisch gewaschenen Sommersachen durch die der Fischrauch weht. Ein Kommen und Gehen, einen Sehnen. Traumwandeln in der Stadt. Eine mit Problemen jonglierende Atmosphäre. Als wäre das Leben leicht. Es ist schön, nicht leicht, sonst wäre es nicht so schön, denn man riecht den Fischrauch irgendwann bis in die Träume, die man von Sommerkleidern im Vorbeigehen hat. Ein unstillbarer Durst ist in den Leuten, ein Loch aus Musik und der Wunsch sich zu vergessen, zu befruchten, zu ertrinken. Santos ist nun schon ein paar Wochen her, aber die Kinder rennen doch noch, Erwachsene hauen sich weg. Schön mit den Familien im Süden, weil die Eltern bis in die Puppen draußen bleiben und die Zeit rumbringen, dürfen die Kinder das auch. Alle Lachen, niemand muss heim. So lernt man von klein auf die Kunst am Geselligsein und seine Zeit damit zu verbringen, sie zu verbringen, damit sie vergeht. Man tötet im Sommer im Süden die Nacht, denn drinnen wartet die Hitze und jemand mit dem man schlafen muss. Man kommt eigentlich nur zum Schlafen, wenn man todmüde ist oder ein bisschen betrunken. Im Süden kommt das in den besten Familien vor, aber wenn meine Freundin nicht mehr meine Freundin wäre, ist meine Nicht auch ganz schnell nicht mehr meine Nichte und meine Familie nicht mehr die Familie und man steht alleine da und kann nicht mehr stundenlang zusammen Sardinen essen, weil es einem was zu tun gibt und man nicht einfach nur essen kann und trinkt, genauso wie mit Caracois. So wollte ich eigentlich anfangen und mit dieser Stimmung fertig werden bevor die Hitze kommt und mir die Zeilen zerschlägt und Senhor Alfredo und alle, die Lissabon sind, Urlaub von Lissabon machen und zurück zur der Erde gehen, aus der sie kommen, wie man in Portugal sagt. Ich wollte von all den schönen Orten erzählen, an denen wir tanzten, nachdem ich im Jahr zu vor ganz alleine da war und Pfirsiche aß und Menschen beobachtete, vor allem Ricardo, den Kellner, der solche Feste braucht, um endlich ein Mädchen kennenzulernen. Es sollte erst langweilig werden und dann richtig schön. Einzigartig beim Schreiben und nicht wie bei anderen Dingen. Menschen beobachten ist, abgesehen von Krieg, die älteste Belustigung der Welt. Aber seitdem die Hitze da ist, heiß und hell, kann man nur noch ans Meer oder bleibt drinnen sitzen, weil draußen alles so heiß und hell ist, das einem schwarz wird. Man wird lethargisch, wodurch das eine lethargische Geschichte werden kann, obwohl ich alles, wirklich alles versucht habe, das zu vermeiden […]

MITTELMEERMANN

MITTELMEERMANN

Nur noch eine Hecke sein, die an einer Straße wächst. Und erst dahinter die Welt. Ohne zu wissen, was man nicht weiß und was man damit wieder gemeint hat. Leben und Sterben mit ganzem Körper und mit ganzer Seele Zeugnis ablegen, welch Schauspiel dessen Großartigkeit nur mit der Stille nach einer langen Party gleichzusetzen ist. Mir hätte in dieser Stunde, an diesem Ort, in Lissabon, in dieser Phase meines Lebens vielleicht nichts Lieberes geschehen können, als nachts wach zu liegen, zeitlos und still wie Luft, nach einem, unserer vielen Streits, und sie sagt: Boa Noite, morgen versuchen wir es erneut. Ich dachte, dass es so eigentlich immer sein müsste. Vielleicht fühlte ich mich nie wieder so lebendig und so allein. Es wird Zeit, dass ich schreibe, damit wir hier weiterkommen. Alles begann mit meinem Zusammenbruch am Rossio, wie im Film, nur dass es im Buch gewesen ist. Ich konnte mich aber geradeso halten, an einer schönen Straßenlaterne, vor der Bahnstation, zwischen all den Leuten. Lissabon lag im Rauch, es war abends, nachtblau, der Himmel laternenhell. Ich war wieder durch die Gassen gelaufen, hatte in die Fenster gesehen, um zu sehen, was Leben ist und wie das geht. Ich kenne nur meins und das Ideal, das ich von anderen habe. Am Praça São Paulo sah man es besonders mit den kahlen Bäumen, die aussahen, als würden sie nie wieder grün werden, den Bars voller Puppen und Kumpels, die Fleischer gut gelaunt, weil sie den Platz hatten mit Bäumen und eine Frau und Wein, der für die nötige Abwechslung sorgt. Menschen kauften Geschenke ein. Ich hatte kein Geld für solche Sachen, weil wir das zum Erleben brauchten, aber irgendwie brauchte man doch schöne Sachen, um die Dinge zu erleben; in schönen Sachen, schöne Dinge erleben, im Leinenanzug den Nil runter, mit Parfüm, so nen Zeug. Ich sah in Schaufenster, Anwaltskanzleien und Blumengeschäfte ganz anderer Viertel, die für ganz andere Menschen mit ganz anderen Leben ganz normal sind. Ich ging an Orte zwischen den Orten, wo die Gewohnheit der einen auf das Interesse der anderen knallt und doch alles gleich ist. Das Leben der anderen schien immer schöner und leichter, weil man die nicht selbst sein musste und ich dachte, wenn die meins von außen sehen, denken die das bestimmt auch. Nach meinem Zusammenbruch ging ich erst mal zu Jorge, meinem Freund, dem Schuhputzer, weil der gleich am Rossio ist. Ich erzählte ihm, was los war und er freute sich, einen Grund zum Trinken zu haben, sagte ich müsste aber zahlen, wie Leute, die dich um eine Sache bitten und so tun, als täten sie dir damit einen Gefallen, aber ich war froh, dass Jorge da war und keine sentimentalen Fragen stellte und meinte, dass man mit einem Glas Roten noch alles heilen könnte. Er sagte Silvester ginge er zum Feuerwerk, am Terreiro do Paço. Ob ich auch komme? Wenn es regnet, geht er aber nicht. Ich sagte Jorge, ich hatte gerade die Symptome eines Herzinfarkts, Schweiß, Schwindel, Schwarz und dann die Straßenlaterne. Wahrscheinlich bin ich Silvester tot. Ja, Ja, sagte Jorge, du denkst nur was Leute denken, die denken, dass jemand tot auf dem Boden liegt und um sein Leben röchelt, wenn er gerade nicht drangeht oder aufmacht. Hast du vorher irgendwas anders gemacht? Nicht wirklich, wir haben gestritten, ich hatte zum Mittag, um vier, ein halbes Kilo grüne Bohnen, mich bis sechs Uhr frühs in Alfama rumgetrieben und war gerade erst Fasten mit Herzcheck, allem drum und dran. Vielleicht ist das die verspätete Angst aus Algerien, sagte Jorge, was ein Dreckloch, oder zu viel Schreiben oder Schreiben generell, und immer wieder dieses Beziehungsdrama seit Wochen, Monaten, Jahren! Du brichst lieber dein Herz, als ihrs. Na und die Scheiße von Telefonen immer alles, überall Regeln zu können. Es gibt Gedanken, die einem die Kehle abschnüren, Gefühle, die uns den […]

NICHTS UND NIEMAND

NICHTS UND NIEMAND

In Algerien wohnen im Frühling die Götter, schreibt Albert Camus 1936. Er schreibt von der Sonne am Abend und vom Wind, den Dörfern und Geschichten, die man sich dort erzählt, den Menschen Algiers. Sie kommen aus den Bergen der Kabylei, dem großen Süden, den unendlichen Weiten der Wüste, und vom Meer, aus Städten mit Namen wie Tamanrasset oder Djanet oder noch weiter aus Mali. Der Großteil dies Landes liegt hinter den Bergen unter dem Gewicht der Zeit, das auf ihm lastet und dem Staub und den Steinen, die noch nicht Staub geworden sind. Guy de Maupassant hat in Allouma da besser drübergeschrieben. Nomadenleben, eine sich bewegende Landschaft, ganz tief drin. Camus schreibt von Oasen und Sehnsüchten, die sich dort hin flüchten, einem Meer, das nur schlürft und schluckt. Er schreibt von einem Licht, das so hell wäre, dass es schon wieder Schwarz ist. Ruinen, die zur Natur übergehen und eins werden mit der Erde, die sie, wie allen fallenden Dingen, wieder in sich aufnimmt. Die römischen Ruinen Algeriens sind besser als die Römischen oder Griechischen. Sie sind nicht abgesperrt. Kindern können dort ihre ersten Zigaretten rauchen oder Küsse küssen und müssen dafür nicht an Bushaltestellen gehen, so wie wir. Die romantische Liebe haben die Mauren, im 15. Jahrhundert, aus Spanien nach Nordafrika gebracht. Nur Küssen tut in Algerien heute keiner. Es gibt auch keine Wüsten mehr, keine Inseln, nur das Bedürfnis danach ist noch spürbar. Es gibt auch kein Algerien mehr, so wie Camus das kannte. Ich wusste nichts über dieses Land und niemand, den ich kannte, war je da und dieses Nichts und dieser Niemand sind gewesen, das mich so anzog. Menschen gehen dafür in die Wüste. Auf der Algerischen Botschaft konnte man auch nicht glauben, dass ich da hinwill. Algier, was wollen sie da? Die Menschen werden misstrauisch, und ich auch, man will nicht, dass jemand kommt, geschweige denn das irgendwer geht. Aber es ist Zauber in arabischen Ländern zu sein, sagte ich, gerade im Herbst. Laubbäume ohne Laub, Moscheen, ein Muezzin, der mit seiner Stimme den klaren Tag durchtrennt. Alhamdulillah, das genügte, ich bekam mein Visum. Puh. Arabien ist immer aufregend, gerade, wenn es Afrika ist und man allein und die Polizei schon mit im Flugzeug, weil die Algerier Gründe haben, sich zu rächen. An Griechen, Karthagern, Römern, Vandalen, Arabern, Berbern, spanische Mauren, Osmanen, lebt aber keiner mehr. Nur die 160 Jahre französische Kolonialherrschaft sind noch nicht verjährt. Besser Macron kommt, bringt Segen, macht Eingeständnisse, öffnet ein paar Archive, braucht Gas aus der Wüste, 1500km weit entfernt, Paris läge näher. Alicante ist 350 Kilometer entfernt. Was das Meer für einen Unterschied machen kann. Mare nostrum, menschenleeres Blau, nach wie vor das Schicksalsmeer. Die Sanftheit Algiers wäre beinahe Italienisch, schreibt Camus. Ich war gerade in Rom und das Einzige, was diese Länder verbindet ist Marcello Mastroianni, der die Hauptrolle in Der Fremde spielt. Italien strömt über vor Erinnerung und Museen, scharfen kulturellen Spuren, in Algier sind die Museen zu oder stehen leer. Constantine ist vielleicht einen entfernten Vergleich mit Toledo wert, ohne Tradition wäre Spanien ja nur eine Steinwüste, mit Bäumen, aber nicht so schönen Steinen. Die Langeweile Toledos ist feiner, aber weil das Meer dort so weit ist, fehlt den Menschen irgendetwas. Dafür gibt es Klöster und Kulturen, Bauwerke, Landschaften, in die sich der Mensch retten kann. In Algerien amputiert man der Welt gerade das, was ihre Dauer bewirkt und einen Anblick ausmacht und das Herz füllt. Die Überlieferung. Man will sich nicht erinnern, keine Vergangenheit mehr, nur das Meer und die Wüste, die eine letzte Würde verleiht. Es gibt keinen Lehren mehr, nur Märtyrer, die dieses Land zusammenhalten und ein Gefühl von Freiheit durch Feindbilder schaffen. Einen Käfig, in dem man fliegen kann. Denkmal drauf, fertig. Zur Einweihung werden Blumen gestreut [….]

CLARO

CLARO

Es war Donnerstag und Ende Mai und man kam dann gut hin. Dass Donnerstag war und Ende Mai ist wichtig und nicht nur irgend so ein Einstieg, denn samstags, und im Juni kam man da schon nicht mehr hin. Die Straße über die Serra wurde gesperrt und von dem schönen Blick über die Bucht blieb kein Boot übrig. Nur Hügel im Vorbeifahren, die schmale Straße, vorm Ozean links. Die weißen wunderschönen Dörfer mit ihren weißen unschuldigen Kirchen, umgeben von kargen Farben, die langsam in der Sonne trockenen. Das Grüne wird erst gold und dann tot. Unschuld ist die einzige Farbe, die nicht in der Sonne trocknet. Man fährt durch das Hügelmeer und dann das richtige und einen Nadelwald, der an Salzwasser grenzt, wie immer und immer wieder neu. Es wäre vielleicht alles gar nicht so, wenn man nicht nur daran vorbeifahren würde. Das Schöne daran ist das Vorbeifahren. Diese Flucht. Aber sie macht auch fickrig und irre, wenn man nichts mit dem Schönen anstellen kann und es immer einfach so vorbeiziehen lässt. An manchen Stellen sieht das Schöne aus wie Portofino, die Karibik, aber verflucht, warum zur Hölle braucht man immer andere, fernere Orte, um den zu beschreiben, an dem man jetzt ist. Vielleicht liegt das an der Ferne und dem Banalen, das da nicht hinkommt. Den schlafenden Booten, gleichwinklig draußen am Horizont. Das Meer ist da sehr blau. Nachts leuchten dort die Sterne, rufen, als versuchen sie ihre Geheimnisse zu offenbaren oder unseres zu begreifen. Wir begreifen sie selber ja nicht. Mag sein, dass wir alle Werke eines Willens sind, der durch unser Fühlen verbunden ist. Es ist der gemeinsame Kern unseres Seins. Ein Fühlen lang schlagen zwei Herzen in der Einheit des Alls. Doch ein Gedanke reißt uns von uns. Er grenzt ein Stück des Gefühls ein, wie Worte, die das Gefühl teilen, in richtig und falschteilen, obwohl es aus dem Einen ist. Er vereinfacht es so, dass es sich sagen lässt und macht es weniger wahr und komplex und nicht mehr mit allem zusammenhängend. Manchmal sind die Gedanken frei und luftig wie Wind auf dem Land. Manchmal drehen sie sich um sich wie schwarze Vögel, die über einem kreisen, der an einem inneren Irrgarten stirbt. Wir können sie nicht unterdrücken. Wir können sie nur benennen und verstehen und in uns aufheben lernen. Versuchen, dass sie nicht auf Abwege geraten und Fantasien erzeugen und Ziele anstreben, die nie zu erreichen sind. Die Stadt bringt sie hervor. Man denkt Gedachtes und drückt Ausgedrücktes aus. Muss schnell fahren für ein bisschen Wind. Lässt sich zu Alltäglichkeiten und Ausschweifungen hinreißen. Streift aus idealistischen Trieben und ungestillten Sehnsüchten zwischen wunden Seelen umher, präsentiere Unterdrückung im Korsett. Sommer ist in der Stadt nur was zum Anziehen und der Geruch von Chlor, das in der Sonne trocknet. Geschwollene Pulsadern. Halbweltdamen, die sich auf ihre Selbstsucht zurückziehen. Im Hintergrund keucht ihre Gier nach Gewinn und eine Gleichgültigkeit, die daraus entsteht. Man kann sich umsonst nur auf eine Bank setzen und hoffen, dass sich die Kultur konzentriert. Auf dem Land ist das anders. Man sitzt auf Plastikstühlen bankrotter Eisteemarken, die gelb in der Sonne leuchten und guckt wie die Wäsche trocknet. Bezahlt irgendwann. Unten drunter ist Kies oder Sand und dann barfuß im Meer. Man wird schöner und schaut sich ständig im Rückspiegel an. Denkt als Gefühl. Die Welt gehört wieder einem und kostet nichts. Donnerstags und bis Ende Mai. Es ist ein schöner Morgen, der nach dem Mittag beginnt. Gestern war es so spät, dass es schon wieder früh gewesen ist. Wir hatten am Miradouro São Pedro de Alcântara einiges klargestellt. Wer wir sind und wie und was Beziehung für uns überhaupt ist und was nicht und dass nicht alles damit zu tun hat. Wir hatten getrunken und uns damit abgefunden und auf der Straße […]

DASEIN (Teil 01)

DASEIN (Teil 01)

Wenn man es nur schreiben könnte, wie es sich leben ließe. Ohne Absätze und Übergänge, die sich gegen das Leben versündigen, so wie es sich bietet und wie wir es lieben. Aufeinmal. Ohne Grund. An all den Zufällen vorbei, die wir im Nachhinein zu Notwendigkeiten erklären. Mit plötzlicher Brutalität. So wie ein Hirsch im Herbst auf Straßen springt, wenn man gerade einen hohen Berg runterrollt, um sich vom Helikopterfliegen zu erholen, und Pavarottis Radiostimme die Zeit zu Raum werden lässt, auf den dann der Hirsch knallt. Nehmen wir mal an. Viele verschiedene Orte, die erst durch uns miteinander in Verbindung treten. Am besten ist man an all diesen Orten, als ob man gar nicht an ihnen gewesen wäre, macht einfach weiter, wie zuvor, was immer auch gewesen ist. So meistert man die Orte, weil man da ist, wo man ist und keine Straßen geht und an Straßen denkt, die man nicht gegangen ist. Es kommt dann gar nicht mehr darauf an, wie viele Orte man gesehen hat, sondern wie viel man in jedem dieser Orte sehen konnte. Von einigen dieser Orte möchte ich erzählen, ohne jemanden mit unserer Liebesgeschichte zu belästigen. Die Liebe hat nur eine Geschichte und es ist immer die gleiche, und die könnte man überall verbringen, auch an Tankstellen, ist ja glücklich genug, hat all die schon Orte in sich. Alles, was über dieses große Glück hinausgeht, ist so spürbar wie Wolken, Leistungssteigerung im Spitzensport. Fast verschwendet. Man ist im Himmel, gefangen im Grenzenlosen, höher geht’s gar nicht, außer man fährt bergauf, dann nimmt man den Himmel eben mit oder lernt auch, mit viel sehr glücklich sein zu können. Gelingt das, ohne ein Arschloch werden zu müssen, schafft man ein Kunstwerk des Lebens, einen Überschwang, der kaum auszuhalten ist. Danach kommt nur noch All. Kann man dann mehr von solchen Zeiten erwarten, als dass sie irgendwann vorbeigehen oder wir sie ruinieren? Worte sind vielleicht nicht genug. Sie fassen nicht alles und jeden, aber nichts limitiert so sehr wie die Möglichkeit zu allem, denn alles ist die konstante Ablenkung vom Nichts. Und im Nichts beginnt unsere Reise. Ein bisschen außerhalb der Zeit. In einer Villa auf einer Insel mit 4000 verschiedenen Pflanzenarten, die irgendein Hedonist mitten in den See geflanzt hat, um im Dickicht zu veranstalten. Die Villa ist jetzt ein kleines Hotel und die Pflanzenarten sind durstig und unvergleichlich und sehen nicht aus wie Hawaii oder Tahiti, weil es nichts gibt, was so ist. Die Natur zieht einen auf, ganz ohne Sitten und Manieren. Hier ist es am allermeisten so. Man ist dem Augenblick ergeben, spürt einen Aufenthalt lang, wie alles ist, das ganze Leben und kann dann traurig werden, etwas trauriger als sonst, aber richtiger, und schöner […]

 

LAKAI

Endlich einen Flug verpasst. Endlich meinen Mietwagen zu spät abgegeben und endlich mal einen Gegenstand von persönlichem Wert ohne jegliche Spur verloren. Ich weiß, dass mein Seniorentelefon mit Sicherheit zwischen den Felsen vor Nazaré liegt und sich portugiesische Pornodarstellerinnen den Hintereingang für eine erfolgreiche Karriere bleichen lassen. Ich weiß, dass ich eigentlich für Felipe Toledo gekommen bin und seit der Geburt seines Sohnes bezahlten Urlaub und sonnige 28 Grad auf der Dachterrasse eines überteuerten Hotels genießen muss. Ohne zu wissen, wo wir anfangen sollen, kann ich mit Sicherheit sagen, wo es aufgehört hat. Irgendwann kurz nach Mitternacht auf der Aftershowparty anlässlich eines verfrühten Weltmeistertitels ohne den Weltmeister. Dafür mit einem schlafenden Conner Coffin und dem aus allen Ecken des Landes importierten Maximum weiblicher Promotion-Führsorge. Natürlich bin ich auf das Zwinkern einer dunkelblonden Promoterin a. D. hineingefallen und musste im Nachhinein beobachten, wie sie mit jemand anderem genau den Gin Tonic trinkt, den ich Gott sei Dank nicht selbst bezahlen musste. Die Macht der Armbändchen ist ungebrochen. Sie entscheidet auf solchen Veranstaltungen über Oberflächlichkeit und Inhalt. Ehrfurcht und Missachtung. Belegte Brötchen oder portugiesische Rinderroulade in Rotweinsoße. Sie unterteilt Menschen in Klassen und gibt Leuten mit kleinen Pimmeln die Möglichkeit vom Balkon des VIP Zeltes auf die normalen Strandbesucher zu aschen. Ein Surfcontest wie jeder andere. Außer, dass Kelly Slater Bart trägt und es sich für John Florence endlich ausgezahlt hat, jeden Abend 19.45 Uhr im Bett zu liegen. Die brasilianische Surfers Producerin, mit der wir uns in Jeffreys Bay durch die leer stehenden Strandhäuser des frühen Ausscheidens gefeiert haben, ist auch wieder da. Deswegen sitze ich gerade mit der WSL Chefetage in einem Shuttle Bus zu einer Filmpremiere, nach der es angeblich auch Abendbrot geben soll. Deswegen führe ich kurz vor dem Viertelfinale temperamentvolle Streitgespräche im diskreten Dunstkreis des kompletten Jeep Leader Boards. Ohne brasilianische Beziehungsprobleme ist es schon schwer genug im Athletenbereich so zu tun, als würde man abgekühlt und gelassen genau hier hin gehören. Jetzt bloß nicht auffallen. Mit Diktiergerät, Notizbuch und einem silbernen Koffer voller Kameras aus den 80’ern überhaupt kein Problem. Genauso wenig wie auf einer Mercedes Benz Media Party ein funktionierendes Feuerzeug zu finden. Jedenfalls, wenn es um die Vorstellung eines neuen Big Wave Films geht und die meisten Anwesenden in der Lage sind, für eine ganze Zigarettenlänge die Luft anzuhalten. Oder für  […]

 

WALACHEI

Ich habe mich in meiner Heimatstadt für einige Wochen ohne Reisepläne aus dem Haus getraut und Bilder gedruckt, die jeder normale Mensch auf Instagram veröffentlicht hätte. Ich hatte Zeit für eine richtige Frisur und Fragen, auf die man ab Mitte 20 richtige Antworten fordert. Natürlich ist fehlende Verfügbarkeit auf eine unnahbare Weise anziehend und dekadent. Genauso wie kreative Langeweile, oder was man sich eben darunter vorstellt, wenn man für einige Tage mal nicht aus gepackten Koffern leben kann. Deshalb habe ich ziemlich oft auf Aktualisieren geklickt und bin von einer Klippe in einen gemütlichen Bergsee gesprungen. Auch, wenn hier Routine fehlt, um länger als nur kurz aus voller Gewohnheit schöpfen zu können. Zwar ist es immer noch unfassbar, dass ich Kelly Slaters Halbfinal-Jersey in einer Situation anhatte, für die mir das salonfähige Vokabular fehlt, aber eigentlich gibt es gegenwärtig rein gar nichts zu erzählen. Ich will immer noch ein Motorrad und bin bereit 15 Euro zu zahlen, wenn man mich und meine pferdestehelende Pfarrerstochter nach der Abendschule ohne Helm anhält. Mittlerweile sind unwesentliche Ortswechsel abenteuerlicher als mitgeteilte Interkontinentalverbindungen geworden. Zumindest, wenn man in Dorfe oder Stadt noch eine alte Flamme sitzen hat. Oder aufhört zu glaube, dass sich zu Tode langweilende Stewardessen in den Hotels ihrer Ankunft wirklich extensiv in den Schichtwechsel feiern. Zumindest, wenn die dienstleistende Airline Emirates heißt. Denn Aufdringlichkeit kann helfen die eigene Gesellschaft wieder richtig schätzen zu lernen. Etwas Demut auch. Ob nach durchzechten Nächten oder atemberaubenden Tuchfühlungen ist jedem selbst überlassen. Genauso wie die aufoktroyierte Pflicht nach Integrität und ihrer zeitgemäßen Rechtschreibung. Immerhin ist Exzess die Droge unserer Zeit und Selbstzensur ihr veröffentlichter Begleiter. Deswegen geht es hier einfach um die Sache an sich! Und meiner Mutter darum nach einigen Caipirinha endlich etwas gesunden Rock’n’Roll zu tanzen. An Tagen […]