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BYND

Konstantin Arnold

ALLER TAGE ABEND

ALLER TAGE ABEND

Ich weiß nun wieder, warum ich schreibe, der Playboy hat angefragt, sie hätten gerne eine Story zum Thema Lust, in der ich meine neue Liebe beschreibe, mit Haaren bis zum Arsch und Beinen bis zum Hals und den nötigen Helfersyndromen. Lustig soll die Geschichte werden, selbstironisch über den Dingen schweben, und nicht zu lang, obwohl ich bis zum Hals in ihnen stecke und sich große Gefühle nicht einfach in achthundert Worten abkühlen lassen. Ich kann und will so nicht schreiben, nur mittelmäßige Liebesgeschichten, ohne Liebe, lassen sich so schreiben, von Autoren, wie ich vielleicht einer war, bevor ich einer war und mich verliebte. Ich habe schon viel darüber geschrieben, aber noch nichts, dass so ist, wie es ist. Nur langweilige, epische Breite, unnötige Zeilen, Liebesszenen, in denen sich die Unkenntnis meiner Liebe offenbart. Worte definieren nur einen Teil und einen anderen nicht. Sie können Gefühle nicht fassen, außerdem hat man die schon und muss eigentlich nicht noch darüber schreiben. Nicht mal fragen, nur sagen, man hätte es wohl nicht erwartet und wäre froh, dass sie gekommen ist. Oder man würde überhaupt nichts sagen, sondern einfach miteinander zusammensitzen ohne Fragen und Sagen, wodurch sich Menschen nur trennen. Ich will daher auch nicht dieselben Worte für etwas benutzen, das nun vergangen ist. Worte zählen, bis sie nicht mehr zählen und bis dahin meint man sie vielleicht auch. Es ist dann eigentlich schon gut, wenn man das, was man fühlt, nicht durchs Schreiben zerstört. Wittgenstein, Chomsky und Gott selbst in allen Ehren, aber selbst Gott kann aufhören, wenn er auf eine Realität stößt, die seine Vorstellungskraft übertroffen hat.  Ich lebe in einer glücklichen Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer, wenn man sich bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne deshalb vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Schriftstellers führen, es reicht ein Mensch zu sein, der einen anderen liebt und weiß, was passiert und was nicht passiert und das nicht ernster nimmt und dann schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Es ist vielleicht langweilig, wenn zwei Menschen glücklich sind und man nicht mit oder nicht mehr und will, dass sie es auch nicht mehr sind, ohne lustige Scherze. Wir alle wollen etwas für uns und selten wollen wir das auch für andere. Man will nicht lesen, dass sie Straßen gingen, die keinen besonderen Namen hatten und in Restaurants aßen, die keiner kennt und Dinge taten, die niemanden so sehr interessieren, wie sie. Nicht nur das, aber man hat dass eben eben, was wir alle suchen und kann sich dem widmen, und es, wenn man will, mit in eine Bar nehmen oder ein Tanzlokal oder andere schöne Orte. Gerade weil es dann eine glückliche Zeit ist, muss man darüberschreiben. Die Kunst diktiert dabei alles Menschenmögliche. Helden müssen aber gar nicht immer sterben, wie in den großen Romanen, die man so liest, es gibt gute, große, griechische, von denen ich gehört habe, in denen der Held am Meer bis ans Ende lebt. Alle großen Lieben der Literatur scheitern oder müssen im banalen Hafen der Ehe enden. Die Literatur kanns sichs anscheinend nicht leisten, so unvorhersehbar, wie das Leben, zu sein. Sie ist eine Nachahmung davon und auf Madam Bovary, Lady Chatterley, Murakamis Geliebte, Adam & Eva, Dieter Bohlen, Abaelard und Heloise, Cäsar und Cleopatra reduziert. Sie zeigt kein Leben, sondern die Vorstellung und legitimiert den Mythos des Künstlers als lebensunfähiges Ding. Man muss aber aber gar nicht so lebensunfähig sein, um Kunst und Liebe zu machen, man kann es hinkriegen, vielleicht nicht mit Munch, Mann oder Rilke und all den anderen Beziehungskrüppeln. Kanusgard ist nicht schlecht. Auch ein Krüppel, aber einer, ders wenigstens versucht (hat?). Natürlich war ich auch mal ein Krüppel, aber der von Molière, der am Ende weiterlebt, nicht die von Mozart. Wenn ich jemanden traf, der mir nahe kam und sich die Liebe zeigte, glaubte ich es nicht und tat, was ich immer getan hatte, nachdem ich wen getroffen hatte und mir die Möglichkeit des Bleibens nicht einfiel: Ich ging in die nächste Bar, flog und fuhr weit weg durch die Welt: Florenz, Paris, Wien, München, Mailand, obwohl ich in Lissabon, Rom, Madrid und doch nirgendwo zu Hause war. Es gibt kein Genugsein, nur Weitermüssen. Immer rastlos unterwegs ins Nirgendwohin, nur auf Brücken, die Hier und Dort miteinander verbinden und mir erlauben, zwischen entschiedenen Handlungen und unwiderruflichen Entschlüssen keine Entscheidungen treffen zu müssen. Ich wanderte, Tage, Wochen, Jahre, schlief an Orten, deren Namen ich nicht kannte und mit Frauen, deren Angesicht ich nicht sah und auch nicht sehen wollte. Durch die Länder, Städte und Dörfer, durch die ich kam, kam ich nur, um anzukommen und sie verlassen zu können, ich wusste nicht, wie Bleiben geht, gut ging es mir in der Fremde. Ich war bescheiden aus Hochmut, erbittert gegen die Reichen, ohne Solidarität den Armen gegenüber, nur einmal glücklich als ich in Kunderas Leichtigkeit eine autoritative Bestätigung meiner Instinkte fand. Bis ich eine Frau vor der […]

FIASKO AUF DEM LAND

FIASKO AUF DEM LAND

Die Regentage, letzten Winter, verbrachten wir auf dem Weingut einer Familie im Norden des Landes. Zum Hof führte eine staubige Straße und noch andere Straßen, die man aber nur gehen konnte, weil das Gras in der Mitte zu hoch stand. Die Straße, die man fahren konnte, wurde von Olivenbäumen gesäumt und fiel zum Hof hin ab, wie eine Schanze über Wein und Wald, dessen Bäume den Blick zum Horizont versperrten. Der Weinberg lag da kahl und vorbereitet. Im Süden konnte man die Bergkette der Serra de Estrela sehen und am Abend, wenn sich die Konturen hinter der Adega zeigten, bis zur Serra do Buçaco, glaubten wir jedenfalls. Die Landschaft schwang sich dahin wie die See, Reben und Hügelmeer. Das Grün hatte viele Farben, die Birken und Kirschen waren weiß. Am schönsten war der Hof am Abend, wenn das Licht am Himmel Orange war und dann Lila in der Ferne mit den blauen Bergen, die immer blasser und blauer wurden. Das Licht der Dörfer ging dann an und man sah in der Dunkelheit, wo noch überall Dörfer waren und Straßen und hatte eine gute Metapher, für die Wege, die unsere Gedanken manchmal gingen. Manche Straßen endeten in Sackgassen, andere waren dicht befahren, machten Umwege oder wurden gerade erst gebaut, um die Dunkelheit zu erkunden. Die meisten Häuser standen einzeln da und leuchteten bei Nacht und ließen sich kaum von den Sternen unterscheiden. Der Himmel ging dann in die Erde über und am Morgen war die Welt dann kalt und klar und neuer Rauch stieg auf aus den Kaminen, der so sorglos und hoffnungsvoll in der Kälte roch, wie Toast und Kaffee oder das Duschen von jemandem, der schon lange wach gewesen ist. Heute kann ich sagen: Wir mussten einfach aufs Land. Nur das Land und der Wein auf dem Land konnten uns noch retten. Man muss ihn auf dem Land trinken, es bringt nichts den Wein vom Land in der Stadt zu trinken und auf dem Land mit dem Stadtleben weiterzumachen. Den langen Nächten, den kurzen Tagen, den Weinpreisen verdammt. Irgendwie ist Wein das fehlende Stück einer Seele. Der Wein mehr als das Land, das mag sein, aber was wäre der Wein ohne das Land und umgekehrt. Ich weiß heute, dass wir einfach irgendwo hin mussten, wohin war egal, nur dass es irgendwo war, und nicht in der Stadt, war wichtig. Die Weinbauern im Norden hatten mir in den letzten Jahren schon oft aus der Scheiße geholfen, indem sie mich in richtige Scheiße stellten. Das half mehr, als Bilder von Munch und Gedichte von anderen Beziehungskrüppeln. Das half mehr, als die Straßen der Stadt, in denen man sich früher immer gerne verlor, um wieder zu sich zu finden. Da waren Orte, die wir kannten und Orte, die wir nicht kannte und Orte, an denen wir mit anderen waren, aber nie so wie wir. Daheim in der Fremde und all den anderen Daheims, die für andere Fremden sind. Ich bin auch schon an dem Orte gewesen, an den wir wollten, nur damals schien mir der Nebel morgens über dem Fluss mit den Booten drauf, keine Geschichte wert. Die Farben zu braun, zu blass. Diesmal war es anders. Wir warten an der Bahnstation irgendeines Dorfes, dessen Namen wir nicht kannten, auf den Bus und ich genoss das Gefühl zwischen den Orten mit ihr an einer Bahnstation zu sein. Auf den Gleisen lag Moos. Manchmal fuhr ein Auto vor, das wie ein Schiff im Hafen anhielt. Sie kam aus einem kleinen Geschäft und hatte Würste mit Gluten und Bier dabei. Die Mittelklasseträumen von Männern mit Hautpflegegewohnheiten, die in der Stadt über ihre Gefühle reden und auf die Ernährung achten, waren nun weit. Die damit verbunden Neurosen auch. Nicht weit von uns stand eine […]

RITZ LISBOA

RITZ LISBOA

Letztes Wochenende stand ich im Ritz auf dem Balkon, fünfte Etage, Superior Deluxe Zimmer mit Park und Stadtblick. Ich rauchte und sah über den Park und die Stadt in der Dämmerung und dachte, dass es doch schon irgendwie romantisch wäre, wenn man jetzt hier einfach in die Stadt und den Park und die Dämmerung springt. Der Champagner halbvoll, ein paar Zeilen auf edlem Briefpapier, Schulden, Ideale, eine Frau, die einen dann für immer liebt, Manuskripte, die danach mit Sicherheit verlegt werden. Wie die ganz Großen, dachte ich oder dachte nur, dass ich das denke, was nicht das gleiche ist, aber schlimmer. Ich fragte mich, was an den Ganzen, die das getan haben, das Große gewesen sein soll. Hemingway, Brautigam, Carver, Kleist, Trakl, Celan, Jack London, Majakowski und Zweig. Zweig hatte seine Gründe, Majakowski auch, der Rest schien irgendwie in sich verloren oder war Amerikaner. Rothko malt seine letzten drei Bilder in Schwarz, sagt alles, ballert sich weg, Stille. Alles, was bleibt ist die Stille, die Ausnahme ist, dass es nicht still ist und das ist es, was Rothko sagt, nachdem er alles gesagt hat, mit drei schwarzen Bildern. Alle Erwartungen sind erfüllt, aber die Erlösung folgt nicht und in letzter Instanz fallen wir auf uns zurück. Rothko hat eine andere Sprache als die Sprache erfunden, etwas das man kaum fühlen kann, ohne es auszudrücken zu müssen, und dennoch, was für ein Looser, dachte ich. Unser Ende ist ohnehin vorbestimmt, wir müssen uns doch nicht auch noch selber darum kümmern. Von vielen Künstlern hat man dennoch erst nach ihrem Tod gehört. Manche haben sich dafür inszeniert, obwohl es überhaupt gar keinen Tod bräuchte, wenn man im Leben schon wer gewesen ist. Eric Clapton, Paul McCartney, Leo Cohen, das sind doch Beispiele, die die Kunst ihrer Leben, Lieben & Leidenschaften zu Dauer werden ließen, ohne sich nach einem geglückten Radiosong, gleich die Birne wegzuballern. Es wäre grandios, es wäre für immer, es wäre das einfachste. Sie tun und taten es nicht und wurden zu ihren eigenen Vorbildern, denen dann andere gerecht werden mussten. Natürlich habe auch ich romantische Ideale, denen ich nicht gerecht werden kann, mich aber von Anfang an gegen den konventionellen Karriereweg eines Schriftsteller entschieden und mir meine Seele nicht angelesen. Ich bin kein Krull, auch kein Larbaud, schon gar kein Hemingway, sicher nicht so talentiert wie Roth, aber talentierter als Ripley und eigentlich so wie alle, die wir uns für eine Weile auf der Welt als jemand ausgeben, der wir nicht sind, bis wir es vielleicht werden, weil wir lange genug getan haben als ob. Am Anfang schmückt man sich natürlich gerne mit Äußerlichkeiten, der Ambition Bedeutendes zu tun, ist noch ganz Wirklichkeitswund, bis man erkennt, wie unbedeutend man ist, um im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit darüber hinaus zu kommen. Nun beginnt man zu schaffen. Man glaubt, Frauengeschichten zu brauchen, ein Alkoholproblem und eine Kindheit, die den Anspruch auf ein gutes Leben und dessen Zerstörung erhebt. Dazu die Schwierigkeit menschlicher Beziehung, solide Selbstzweifel als Legitimation des Poeten, der das Leid der Welt für die Welt erfährt und zu Versen formt, damit es die Welt nicht selber ertragen muss. Der Künstler leidet an egoistischem Größenwahn und das soll er auch, aber er obliegt im Gegenzug jener Verpflichtung, ein Gegenmittel gegen die Leere unseres Daseins zu finden, neue Formen des Erlebens, nicht dagegen. Wege, die, bevor darüber geschrieben wurden, nicht existierten und den Lauf der Dinge ändern und dass alles immer nur so kommt, wie es ist. Er soll kein weiteres Klischee schaffen, sondern die Möglichkeit, darüber hinauszukommen, nicht um daran zu scheitern. Der Tod ist ein maßgebender, seiner Aufgabe entgegengesetzter Drang zum maßlosen, scheinbar Ewigem, zum Nichts. Den einen drückt das Leid der Welt zu Grunde, der anderen steigen mit den schönen Dingen auf. Amboss oder Hammer sein? hat Goethe gesagt, aber wer Goethe folgt, kann sich die Kordjacke mit Brandlöchern und Literaturschal gleich im Autorenausstatter kaufen. Wir brauchen keine falschen Dramen mehr, keine Theatralik, Idole von Idioten, Show Off und dass sich der Held im letzten Akt erhängt. Wir brauchen erfundene Geschichten, die wahr sind, mit Happy End, und zwar einem, das noch viel wahrer ist, als jene erzwungen gescheiterte Parkgebühren-Realität, die ihm vielleicht zugrunde gelegen hat […]

IM REIDS

IM REIDS

Für manche ist Madeira nur ein Drink, ein Ort, an den man dann mit 60 mal möchte. Eine Insel auf der Welt, irgendwo im Meer und dann links, wenn man lange genug Richtung Äquator gefahren ist. Voll netter Engländer, die nicht nur Saufen möchten und gerne lovley sagen, ein Vorteil also, mehr nicht. Für die, die schon mal da waren, ist es die Erkenntnis, dass das Paradies doch auf Erden ist. Die Insel ist ein Berg im Meer, vulkanausbruchgeschaffen, ein Garten Eden mit Kolonialbauten, 1862 Meter hoch, 560 Kilometer vor der Küste Marokkos. Madeira ist 741 km² groß, 490 Hektar davon sind Wein, der Rest Blumen, Berg und Bananen. Die Erde ist furchtbar fruchtbar. Auf der Nordseite fällt die Insel mit brutaler Plötzlichkeit ins Meer, auf der Südseite senkt sie sich allmählich und fällt erst im Meer tausend Kilometer bergab. Im Süden verhält sich der Atlantik mittelmeermäßig, rivieraesque, im Norden knallen Tiefdruckgebiete mit voller Kraft auf die Insel. Dadurch hat Madeira zwei Gesichter. Eins ist nass und rau, das andere sonnig und warm. Jurassic Park und Hawaii. Die Wolken sind immer da, aber sie tun nichts und verfangen sich nur, wie eine gut gemeinte Drohung, das beständig schöne Wetter nicht zu vergessen. Menschen leben an Hängen. Alles ist hoch und tief, fällt bergab oder geht bergauf, selten geradeaus, man steht ständig am Hang, hat noch nie so viel Meer gesehen, sieht es von überall, immer wieder überwältigend, es ist von einem einzigartigen, tiefen, Blau. Die Insel wirbt um sich, mit ewigem Frühling, lädt Prominente ein, um den Imagewechsel vom atlantischen Altersheim zum dynamischen Inseleldorado zu vollbringen. Eigentlich muss man in Madeira mit dem Schiff eintreffen. Aber Kreuzfahrtschiffe will man nicht und soweit Segeln, kann nicht jeder. Fliegen ist daher nicht verkehrt. Piloten brauchen eine spezielle Lizenz, um hier landen zu dürfen. Wegen der Winde und der kurzen Landebahn, die zu einem wundervollen Dorfflughafen gehört. Nach dem Landen hat man fast schon ausgecheckt und nach dem Ausschecken sind alle Wege kurz. Der Flughafen ist klein und hat Meerblick, wobei alles auf Madeira Meerblick hat. Man kann draußen auf der Terrasse stehen und den Piloten mit ihren Lizenzen beim Landen zu sehen. Interessiert nach der Landung erst mal keinen, aber später, beim Abflug, wenn du auf der Terrasse stehst und an die Zeit zurückdenkst. Man lässt viel in diesem Ausblick zurück. Es ist nicht so wie anderen Städten, wo man am Flughafen noch nicht da ist. Alles ist sehr grün und sehr blau und sehr schön und das Schönste ist, dass es auf der Insel nichts Höchstes, Größtes und Erstes gibt, das hier schon angepriesen wird. Die Insel kommt fast ohne Attraktionen aus. Es gibt keine Eiffeltürme, Petersdome, Kolosseen, vor denen man anstehen kann. Keine bedeutenden Kunstsammlungen, Top Tens, Must-Sees, nur das Reids, Zimmernummer 501 […]

AVANCEN

AVANCEN

Gestern habe ich versucht Schnaps zu trinken, wie ein Mann, der viel Raucht und versucht an sich zu halten. Es ist besser an sich zu halten, wenn das Glück kaum auszuhalten ist, weil es dann gut tut, wenn man es nicht tut und einen Augenblick so tut wie ein Mann, der nicht über Gefühle sprechen kann und endlich Zeit hat, Platon zu lesen. Nackt und in doppelter Übersetzung. Sie auf Portugiesisch, ich auf Deutsch, in einem schönen, weißen Goldeinband, der leider eine Weile im Keller meines Lebens geschimmelt hat. Die Deutsche Übersetzung ist an manchen Stellen besser, die Portugiesische an einer, die vielleicht die beste von allen ist. Die haben wir dann auch beide unterstrichen, ist aber schwer zu beschreiben, weil Platon das schon beschrieben hat und sowieso alles, was ich gerade schreibe, nicht so schön ist, wie es ist. Ich wohne am Meer, mit der Frau, die ich liebe. Nur das Unglück braucht länger, um sich auszudrücken. Es ist ein kleines, einfaches Haus mit Garten, nicht weit vom Strand, in dem man Ferien im Leben machen kann. Morgens frühstücken wir im Freien, Mittags gehen wir zum Markt oder Schwimmen oder beides, abends ein bisschen Espumante. Draußen ist Teil des Drin. Im Garten steht eine große Pinie, die im Abendlicht Feuer fängt, wenn der Rest vom Himmel brennt. Darunter liegt ein Hund, der manchmal kommt, aber nicht unserer ist. Vielleicht benutzen wir den mal für einen Herbstspaziergang, nachdem wir den vormittag lang im Bett gelesen haben. Das Schlafzimmer ist auch das Arbeitszimmer. Die Stadt keine zwanzig Minuten weit weg. Ich fahre wenn meist montags mit dem Zug, weil das ein Scheißtag ist und Scheißtage gute Tage sind, um die Post zu holen, Notizbücher zu kaufen, Zeitung, Kaffee, Kippen und Wein. Ich mache dann Listen, wie man die Dinge am besten anstellt, zieh mich schick an, bin wirklich in der Stadt, vollkommen vorbereitet und angezogen, wie Leute vom Land. Sie schmiert mir Brot und sagt, ich soll anrufen, wenn ich angekommen bin. Abends steht sie dann schon am Tor und winkt und ich bin froh wieder hier zu sein. Lissabon ist mittlerweile zu voller Menschen, die Karriere machen oder wollen, dass das die Stadt für sie übernimmt, mit vielen hübschen Geschäften, und Verkehr, der am Abend hier kaum vom Rauschen des Meeres zu unterscheiden ist. Alle Straßen führen zum Meer und enden in Gemälden vom Meer, die von Bäumen gesäumt sind. Dazwischen stehen Villen, die man durch alte Mauern in ihren Gärten beobachten kann. Die Idylle zwingt alle Einzelheiten in ihren Rahmen. Der Strand ist nie weit. Er ist keine Autofahrt und auch keine Parkplatzsuche oder Zugfahrt weit weg. Man muss nicht mal einen Schlüssel mitnehmen und sich nach dem Platon lesen nur daran erinnern, dass man am Strand ist, eine Erinnerung weit weg. Am Anfang wohnt man natürlich sehr heftig, hat Geschmack, Aufmerksamkeit und Zeit. Dann gewöhnt man sich normalerweise das Wohnen ab und macht mit seinem Leben weiter und lässt es die Möbel und Gegenstände übernehmen, wenn man welche hat. Sagen jedenfalls die Leute aus der Stadt, die immer was für sich wollen und Kerzen als was romantisches bezeichnen. Wir sagen das nicht, weil das Wohnzimmer auch die Küche ist. Ist nur ein kleines Haus, ist ja auch ein kleine Küche, mit einem Kühlschrank, der keine großen Einkäufe zulässt. Die Tägliche Häuslichkeit durch Flitterwochen ersetzt. In einem kleinen Dorf, nicht weit von Cascais, aber anders, grün mit Quintas und weiten Flächen, auf denen nichts ist und Bäume stehen und Sachen, die nicht gebaut wurden. Die Gegend kommt ganz ohne Tankstellen aus. Wenn die Sonne am Abend weg ist, zieht Nebel auf vom Meer und kommt in unsere Straße. Er hüllt alles ein, die Straße, uns und das Haus mit den Straßenlaternen, die davor wie stille Planeten im Nebel stehen. Man hat dann das Gefühl, die einzigen zwei Menschen auf der Welt zu sein, die noch Wein brauchen, wenn da draußen, in den weiten unserer Milchstraße, kaum noch irgendwas offen hat. Anstatt in die nächste Bar geht man ganz nah am Wasser lang oder zwischen den Häusern. Man geht bis die Straßen einen doch wieder zu einem zurück führen, wenn man sich in ihnen verliert, die Welt abhängt und das Gefühl hat, ganz und gar auf ihr zu sein. Nicht weit von hier gibt es eine kleine Bar mit Balkon, in die man schon gehen kann, wenns nicht ohne geht, aber meistens geht es ohne und wir kochen und trinken und gehen dann. Samstags fahren wir zum Tanzen in die Stadt. Treffen Leute, lassen uns verwickeln, sehen meine Ex oder ihren oder wie uns die Leute sehen. Man vergisst sonst, wer man ist und streitet, betrunken, auf der Heimfahrt, ohne Versicherung. Wir haben uns aber vorgenommen, nicht mehr beim betrunken Fahren, ohne Versicherung, zu streiten […]

BLANC DE BLANCS

BLANC DE BLANCS

Und dann waren da diese Sommernächte am Praça das Flores mit einer kalten Flasche Schaumwein, die man sich gerade noch leisten konnte, wenn sie einer von deinen Freunden bezahlte oder einer von denen, die vorbeikamen und das werden wollten. Es lag dort immer irgendwas in der Luft, ich weiß nicht was, es kam von den Bäumen oder lag in den Brunnen und machte die Frauen verrückt und dich dann auch und du konntest dich bis zum Ende der Nacht nicht entscheiden und gingst besser alleine heim, weil es dir nichts mehr gab und du auch nicht mehr so reden konntest. Auf dem Heimweg kamst du an den Rosenverkäufern vorbei, die dir auch keine anboten und du kamst dir albern vor, weil du es gern gehabt hättest, wenn sie wenigstens gefragt hätten. So war es, als erwarteten sie nicht einmal, dass man welche brauchen könnte, weil mans mit niemandem mehr trieb, nicht mal mit sich, seit der Trennung und den Tagen in Rom und vielleicht gerade deshalb anfing, sich selber zu lieben, egal ob es andere taten oder nicht. Nachdem man miteinander fertig war, war alles immer nur schlimmer und die eine fehlte dir dann mehr als alle anderen, obwohl es vielleicht gar keinen Grund dafür gab, außer der Einsamkeit, die von den Frauen ausging und ihren Szenen. Ich hatte versucht, die Einsamkeit zu töten, aber man kann die die Einsamkeit nicht töten, sondern macht sie nur schlimmer, außer mit Frauen, die Szenen machen, durch die man die Einsamkeit dann wieder zu schätzen weiß. Ich habe nichts gegen Szenen, aber sie lohnen sich nur solange man nicht ganz unglücklich ist. Das ist wie Fächern gegen die Hitze. Ab einem gewissen Grad wischt man sich den Schweiß auch nicht ab mehr, sondern sitzt mit geschlossenen Augen an die Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt, klitschnass und resigniert. Es ist nur dann schlimm, solang man sich dagegen wehrt und es ist dann zwar alles noch ein Unglück, aber es ist nur ein Unglück, bis nichts mehr um einen besteht, weil es nichts mehr gibt, mit dem man es in Vergleich setzen könnte. Die Erschöpfung beginnt. Der Aufstieg. Zur Sonne Ikarus, zur Sonne und im Morgengrauen, wenn in den Schlafzimmern der Stadt die ersten enttäuschten Leiber voneinander lassen, kam man über den Rossio, an all den toten Träumern vorbei, die in den Schlangen der Fastfood-Restaurants standen, weil sie sie nichts zum Vergessen gefunden hatten und den Trieb der Nacht am Ende mit einem anderen stillen konnten. Der junge Tag haucht seinen Atem vom Land durch die Straßen der Stadt und es war noch Weite darin, Flüsse, Kühle, Hoffen und Land. Ein Versprechen, dass so ein Morgen nur selten über den Tag halten kann. Immerhin hattest du dich, für den nächsten Tag, mit einer Deutschen zum Schwimmen verabredet, die aber nie kam, weil man sich auf Verabredungen, ohne Telefonnummer, überhaupt gar nicht mehr verlassen kann. Aber so hattest du wenigstens die Freude und die Hoffnung auf den nächsten Tag und dann den Ozean, für dich. Du hattest dich an niemanden verschwendet und geschlafen und gehoffen und nichts anderes erwartete, aber Wissen ist nie das selbe, wie nichts anderes Erwarten. So fährt man eben wieder alleine zum Strand, ohne Geld und Arbeit, ohne bei vierzig Grad auf Aktualisieren zu klicken, ohne die ganzen schwanzlosen Verleger, Zeitungen und Sommerferien, in denen jetzt sowieso alle sind, die von den Zeitungen und alle Freunde, die sagten, dass jetzt ein für alle Mal Sommer ist, auch für mich und es überhaupt gar keinen interessiert, was ich da schrieb. Sie hatten ja Recht, aber sie hatten leicht reden, sie hatten Geld und Ferien und fuhren Mercedes und konnten sich ihr Mittag leisten, ohne schlechtes Gewissen. Sie hatten aber trotzdem Recht, es war Sommer, es musste jetzt Sommer sein, ein für alle Mal und es war eh alles fertig, aus und vorbei, für den Moment. Tief in dir drin, gleich neben dem schlechten Gewissen, war ein anderes, starkes, auf dich zukommendes Gefühl, als ob gleich irgendwas passiert, man sich stößt oder weg fährt oder realisiert, dass etwas wiedergefunden wurde, dass nie verloren gegangen ist und man endlich vergessen hat, was das ist. Vielleicht war das der Glaube an ein […]

DAS ELEND

DAS ELEND

Am anderen Ende des Rossio, vom Schiff aus gesehen, gleich rechts neben der Inquisition und links vom McDonalds, vor dem Hutladen und zwischen den beiden Ginjinha-Kneipen, die es tatsächlich noch gibt auf dem Platz, von dem die kleine Gasse mit dem Buchladen zum Martim Moniz führt, diesem Dreckloch, und eine andere in die fast vergangene Vergangenheit des Restauradores, also gar nicht weit von der ausgebrannten Kirche, sitzt Tag aus, Tag ein, ob Ostern oder Silvester oder Senegal im Final, sieben Tage die Woche, ein Haufen Schwarzer mit Strohhüten, afrikanisch, rauchend, reglos wie Pilze, zufrieden ohne Licht, im Schatten einer Pinie, an die kühle Mauer gelehnt. Das lässt sich nicht leichter sagen, und auch nicht politisch korrekt. Jorge, mein Kumpel, der Schuhputzer, meint, die verkaufen da irgendwas, was wüsste er aber nicht und er wüsste, nach fünfzig Jahren auf dem Rossio, sonst was alle verkaufen. Es herrscht Verheißung und Schwermut auf Stufen, die keine Tribünen sind. Hoffen, dass irgendwas passiert. Alle aus der Enge ihrer Wohnung vertrieben, definitiv ums sichs von einer guten Geschichten besorgen zu lassen. Einmal am Tag gibts hier Essen, was aber noch kein Grund ist, den ganzen hier zu sein und so zu schwitzen. Ab einem gewissen Moment am Tag, wischt man sich den Schweiß nicht mehr ab, sondern sitzt mit geschlossenen Augen an die Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt, und resigniert. Es ist schlimm, solang man sich dagegen wehrt. Manchmal kommt einer mit einem Rollkoffer Sachen vorbei und alle stürzen sich drauf. Sie folgen ihm dann in die verwinkeltsten Gassen, die sich, wie gesagt nicht beschreiben lassen, ohne das man sich dabei verliert. Die meisten Penner haben dann neue, gebrauchte, geklaute Sachen an, oder was es eben gab und kommen stolz wie aus einer Zauberkugel. Sie liegen dann mit neuen Sachen im Schatten und vor ihnen rennt die Welt vorbei, ohne was abzugeben. Sie müssen nun warten, warten dass die Sachen wieder dreckig genug werden, wie nach einem Haarschnitt. Sie warten und hoffen, hoffen, dass der Tag die Zeit rumkriegt, mit einem Telefon am Ohr und Perlen in der Hand, wie eine Meeresfrucht an der Touristenbrandung, das ist noch besser als Pilze. Diese Leute sind die Wächter einer Welt, den letzten Sackgassen, die es noch gibt, denn hinter den Pennern und Afrikanern und Afrikanern, die Penner sind, erstreckt sich eine Welt aus Müll, Drogen und Dreck, die sich nicht renovieren lässt. Genau hier wohne ich. Der Campo Sant’Ana ist ein hoher Hügel, der zwischen der Almirante Reis und der Avenida liegt. Er ragt wie der Bug eines großen Schiffes in die Unterstadt hinein, als wäre er, auf dem Weg zum Fluss, aufs Trockene gelaufen. Seitdem wird er belagert, wie eine Burg, in dessen Gassengewirr sich das Ungeziefer vor den Blicken verkriecht, das Elend, Victor Hugo, die Aussätzigen und Abhängigen, die Gescheiterten und Krüppel, die uns im Vorbeigehen mit ihren Existenzen erschüttern. Es ist eine Haufen aus Häusern, hinter denen sich das Scheitern verbirgt, das Leid, die Miserablen und ich. Sie sammeln sich wie vor der ersten Welle im Hafen und am Rossio ist dann wieder alles schön, wie weit draußen auf dem Meer. Man kann so schon zum Rassisten werden, aber es gibt genug asoziale Portugiesen hier, die einen daran hindern, fürchterliche Franzosen und Leute, die sich Schriftsteller nennen und den ganzen Tag in den Cafés saufen, während ich hier sitze und verzweifle und erst dann Saufen gehe. Man tritt aus diesem Viertel wie aus einem Vorhang auf den Rossio. Hinter dem Vorhang sind Gassen, die außer mir sonst niemand geht, der nicht eine Art Ort sucht, den man mit vierzehn zum Kiffen gebraucht hat. Es wird geschissen, gepisst, gewixt, gefickt, Crack geraucht und der Müll nicht getrennt. Am schlimmsten ist das an heißen Tagen. Dann vertrocknet die Pisse noch bevor sie den Hang runter gelaufen ist und liegt in der Luft, zusammen mit der Scheiße, die auch in der Sonne trocknet und dem Müll, den nie jemand trennt. An nicht so heißen Tagen ist die Straße ein steiler, schluchtartiger Abfluss. Sie fängt schön an und wird dann sehr schlimm. Das Schlimme staut sich unten wie das Blut in den Füßen älterer Frauen. Amalia Rodriguez wurde hier geboren. Für jemand, der von irgendwo kommt, ist das alles natürlich nur irgendsoeine Straße, bis die Straße dann zu der Straße wird, in der man wohnt. Es ist anders in so einer Straße zu wohnen, als durch sie zu gehen. Man ist davon überzeugt, dass es die Einzige Straße ist. Ich glaube, Verlieben funktioniert so […]

KARACHO

KARACHO

Es ist gar nicht so, wie ich dachte, dass es dann ist. Ich dachte, dass man dann wie durch Glas guckt, wenn man wieder kommt, nach einer Zeit, eine große, gescheiterte Liebe später. Ich dachte, dass manche tot und einige weg und alles anders ist. Isabel aus dem Fadokeller in der Nervenklinik, Afonso an der Verwendung seiner noch nie gewechselten Bifanasoße gestorben, der Bauch von Jorge geplatzt, Carlos vom Zeitungskiosk am Rossio nicht mehr am bestaugestattetesten Zeitungskiosk der Stadt, sondern in Spanien, wie er immer gern sagte, Spanien, das war immer sein Traum, obwohl ich ihm sagte, dass die Dinge nie so sind, wie man denkt, ich wäre in Spanien gewesen. Ich dachte, dass Clement, mein Lieblingsrestaurantbesitzer in der Rua Canastras, einer tollen, dunklen Straße unterhalb der Sé, nun ganz offiziell ein Alkoholiker wäre, aber er ist es nicht und hat eine nette Kellnerin eingestellt, die ihm ein paar Tage die Woche das Trinken an der Theke mit uns abnimmt. Es ist ein absolutes Privileg, Restaurantbesitzer, in der Zeit, zu erleben, kurz bevor ihnen jemand sagt, dass es so nicht weitergehen kann, wenn es noch eine Weile weiter gehen soll. Die wenigstens Restaurantbesitzer überleben diese Zeit, weil sie sonst nicht wissen, für was, aber wenn sie die überleben, und man das auch erlebt, und Freitag war und man einen Tisch bekam, bei Clement, in der zweiten Schicht, direkt an der Theke, mit ein paar Freunden, oder wer auch immer gerade da war und nach ein paar Gläsern einer wurde, wusstest du, dass es das alles Wert ist und vielleicht sogar wieder gut werden würde und dass die Panalva-Jungs in Graça doch nicht dicht gemacht haben, sondern nur im Urlaub sind, wie Clement sagt. Nur Caesar, den Kellner in der Churrasqueira, oben am Sapadores, den hätte es erwischt, der wäre wirklich in Ruhestand gegangen, aber ich habe schon viele Ruhestände von vielen Kellnern überlebt. Man kommt, früher oder später, darüber hinweg. Ich wusste ja, dass eine Krise mit ihr, eine Krise mit der Stadt bedeutet. Ich war deshalb eine Zeit lang weg gewesen. Rom, Neapel, München, vor allem Rom. Ich hatte, wie soll ich sagen, ohne jetzt wie ein Wixer zu klingen, in sieben Jahren Lissabon, einen gewissen Lebensentwurf realisiert. Am Anfang wollte ich nur nicht in Deutschland sein, bis ich nur noch in Portugal sein wollte und wurde, wer ich bin oder eben wurde, weil ich sieben Jahre so getan habe als ob. Das klingt selbstzufrieden und das ist es auch und ich glaube ich habe mich an dieser Zufriedenheit gelangweilt. Morgens aß ich Bifanas mit Jorge, meinem Schuhputzer, bei Afonso, drinnen, an der Theke. Carlos vom Zeitungskiosk kam manchmal auch vorbei und brachte mir Zeitung & Zigaretten mit. Danach arbeitete ich im Benard, einem sehr historischen Café, wenn ich danach noch arbeiten konnte oder lies mir die Post bringen. Arbeit ist zum Arbeiten zu kommen, der Rest ist nur Schreiben. Abends traf ich Frauen, die ich auf der Straße kennengelernt hatte und aß bei Clement, grüßte Fadosängern, redete und redete, obwohl wir uns schon lange verabschiedete hatten (sehr portugiesisch). Da war eigentlich nur eine Angst, neben all den anderen und der, den Rest dieser Geschichte durchs Schreiben zu versauen, weil ich sie schreiben musste, ohne all die anderen Geschichten, die ich schon geschrieben hatte: Die, das Lissabon stirbt, und all die Menschen hinter den Fassaden, die wirklich Stadt sind und so wenig Miete zahlen, dass es Tascas überhaupt noch gibt. Dass Losverkäufer, Schuhputzer, Gehsteigleger, berühmten Liebespaaren und Männer ohne Instagram, bald nur noch Denkmäler sind, Fassaden, eine Erinnerung daran, die ganz schön anzusehen ist. Nur die Messerschleifer auf ihren Fahrräder konnten von mir aus sterben, nachdem mich meiner einmal fast umgebracht hatte, weil ich ihm keine fünfzig Euro für die zwei Messer geben wollte, die er mir scharf gemacht hatte. Erst heute früh wurde ich wieder wachgemacht von einem, der die Leute aus der Nachbarschaft fragte, ob sie Geld für die Beerdigung des toten Parkplatzeinweisers haben und es dann selber einsteckt. So gehen sie halt dahin, die Alten und Geschichten, die langen Sommertage im Herbst, der Charme von Denkmälern, Dachziegeln, Versprechen, die Klarheit der Kontur und der Weichheit des Ganzen, das Auseinandergehören der Töne im Licht, all die Erinnerung an all die Zeiten, die wir hatten und doch nur halten konnten, bis sie vergingen, wie jeder schöner Tag. Ich träumte davon oft und hoffte, dass die doch, bis zu meiner Wiederkehr, jeden Tag jemand sieht. Aller Anfang ist schwer, bis man aufhört, anzufangen, und mit Schreiben beginnt, aus Sehnsucht sich in Worte zu fassen, Zitate, Bilder, Fado, Schlägereien. Man sucht nach Worten, die es möglich machen, zusammen zu sein, wie man eben ist […]

EXIL

EXIL

Montagabend im März, am Rande Europas. Der Himmel wird langsam nachtblau, das Kastell gold und unter der Markise des Cafés ist noch Licht. Ricardo vom Café Nicola stellt langsam die Stühle rein, Jorge, der Schuhputzer hat genug und geht sich betrinken. Frauen in Bügelfaltenhosen müssen heim oder eilen zwischen den angestrahlten Gegenständen der Stadt irgendwohin, ganz fest davon überzeugt, schön wie noch ungelesene Zeitung, und der Klang ihrer Stiefeln läuft ihnen nach. Vor mir ihre Schlagzeilen, ein Glas Roter, Zigaretten und dahinter der Platz Dom Pedros, noch einen letzten Augenblick in der Sonne, jemand schüttet Spülwasser aus, dann schaltet sich die Straßenbeleuchtung ein und die Wege könnten nicht besser sein. Das Leben kommt einem sehr kurz und sehr lang vor. Frieden in Portugal. Alles wie immer. Ricardo kommt und fragt, wies so geht und ich meine ganz gut, nur dass heute mal kein Streit mit der Angetrauen eigentlich nicht gut sein kann darf, und dass ich im Leben nie gedacht hätte, mal in einer Zeitung vor einem Café von Inflation und Krieg zu lesen und das in Europa wieder Menschen sterben. Ricardo ist ein fürchterlich netter Kerl, der aber Zeitungen nicht ausstehen kann, schon gar keine Wochenzeitungen und schon gar keine Deutschen, die doch sowieso die schlimmsten wären, ohne Korrespondenzen, voll mit Ahnungen und Prophezeiung, Gerüchten und Geschwätz oder allein die Hinweise darauf. Ich lese daher eine Tageszeitung, lese von Inflation und Krieg und lese, dass in Europa wieder Menschen sterben. Ich dachte, ich würde nur in Büchern lesen, wie man damals in Zeitungen darüber gelesen hatte. Als Stilmittel eines vergangenen Jahrhunderts. Man entflieht der Geschichte Europas bis an dessen äußerem Rand, in ein kleines, fast aus der Zeit fallendes Küstenstätchen, nur Meer und Unendlichkeit im Blick, aber sie kommt hinterdrein, setzt sich mit an Cafétische, findet einfach statt und erinnert an sich selbst, obwohl man gut ohne schlechte Nachrichten auskommen könnte. Man weiß bei tausend Toten nicht, was ein einziger ist. Ich sehe einem vorbeifahrenden Taxi nach, als würde ich meinen Gedanken nachsehen. Ricardo steht daneben und versucht ihm zu folgen, sieht mit und denkt nach. Er denkt, immer bevor er spricht und ist sehr nett in der Art, wie er denkt und einem die Drinks bringt, aber eigentlich sprechen wir nie sehr lange. Er fängt zwar immer an zu reden und landet schließlich auch irgendwo, aber es ist eher das Vergnügen, zu entdecken, was der andere von dieser oder jener Sache hält, vom Stierkampf oder vom Fado, von Russen, Ukraine und ob wir mit unserer Meinung übereinstimmten. Wenn dem so ist, lächelt er dann immer, wenn er an meinem Tisch vorbeikommt und füllt nach, so, als ob unsere Übereinstimmung von nun an unser kleines Geheimnis wäre, um das nur wir beide wissen. Ricardo stammt noch aus einer Zeit, in der Männer noch Hüte trugen und Lissabon das Küssen auf den Straßen nicht konnte und man den Frauen auf ihrem Weg nicht nachpfiff, sondern von schon von weitem anfing zu pfeifen, weil es sich nicht schickte, eine Dame auf dem Rossio anzuhalten. Weißt du, sagt er nach einer Weile, es gab in Lissabon schon mal so eine Zeit, ebenso irre, nur ganz anders. Damals, als es stockfinster wurde über Europa und ein ganzer Kontinent zu brennen begann. Die große Flucht begann in den 1930er Jahren, erst aus rassisch, ökonomischen Gründen, später folgt eine zweite große Welle, die sich aus politischen Gegnern und einer kulturellen Elite zusammensetzt. Tausende kamen, Juden, Intellektuelle, Schriftsteller und Juden, die Intellektuelle und Schriftsteller gewesen sind. Menschen mit den nötigen finanziellen Mitteln, die durch Berufsverbote und Lebensgefahr ihre Existenzen verließen. Sie versammeln sich hier schräg gegenüber, in der Pastelaria Suíça, einem schöne Café, bis das Röhrenlicht kam und die Eile, die Lissabon über Expresszüge mit dem Rest Europas verband. Heute ein Hotel wie vieles Schöne. Es war ein legendärer Ort, nahe des Bahnhofs, der in Anspielung auf den Pariser Bahnhof Montparnasse, den Spitznamen Bomparnasse erhielt. Bom bedeutet gut und parnass sind Beine. Lissabon war in den 30ern ein Dorf, es döste trotz seiner 600000 Einwohner provinziell vor sich hin. Plötzlich kamen all diese Flüchtlinge und brachten die Freude mit, am Leben zu sein und saßen in den Kaffees bei Sahnetörtchen. Auf einmal wandelte sich die Stadt zur Metropole, voller fremder Sprachen und Hoffnung, Umarmungen ernster Männer, internationaler Lärm, Leuchtreklame und Frauen in den Cafés. Die sorgten für Aufsehen. Sie trugen hochgesteckte Frisuren ohne Hut, kurze Röcke, rauchten in aller Öffentlichkeit und kamen allein. Der portugiesische Schriftsteller Alves Redol fand das nicht schlecht und schrieb: Auf Verlangen der Ausländer, die aus Ländern ohne Sonne kommen und sich wieder für das Leben erwärmen wollen […]

AM FENSTER II

AM FENSTER II

Es war einmal ein ganz normaler Tag und eine ganz normale Nacht, die weder ihre erste noch meine letzte zu sein schien. Wir hatten noch nicht gestritten (bedauerlich, dass mit das auffällt)  und in meinem Kopf waren die Gedanken noch nicht dabei, schon nach neuen Problemen zu suchen. Die Uhren tickten nicht irgendeiner Rückkehr oder irgendeinem Abschied entgegen. Gerade das macht das Dilemma epikureischer Geister ja aus, gerade dann in vollen Zügen zu leben. Ich hatte auch keine großen finanziellen Sorgen, war also nicht mehr als sonst, mehr als sonst, auf meine Honorare angewiesen, noch hatte ich viel zu schaffen,  außer das, nicht mal mal eine Grippe oder was man sonst dann eigentlich immer so bekommt. Ich war tatsächlich angekommen, hatte wieder ein Jahr der Wirklichkeit hinterhergeschrieben, und gewonnen. Jetzt nur noch Paris, aber erst in ein paar Wochen und dann gabs schon Gans, bevor sich das endlose Rad des Wollens und der Zeit wieder in Bewegung setzt: Bamberg, Mosel, München, Eiger Nordwand, St. Moritz, Mailand und dann Rudern gehen mit Basken. Bis es aber soweit war, musste man nicht mehr tun, als in Lissabon sein und glücklich, wenn man wollte, aber in Lissabon sein, war dann eigentlich immer genug. Reisen ist einfach nichts dagegen. Die Kairos, Wiens, Zürichs und Roms, kaum der Rede wert, verglichen mit den tastenden Schritten im Dunkeln auf dem Weg vom gemeinsamen Bett ins gemeinsame Bad, wenn man nachts Durst hat. Nach einem ganz normalen Tag, der für uns alles andere als normal war und absolut noch überhaupt gar nichts von seiner Nacht verriet, die, so dachte ich, niemals auf solche Tage folgen konnte. Sie, also jene Portugiesin mit der ich seit fünf oder sechs Jahre zusammen war (Freundin ist mir zu konnotiert, Lover zu kitsch, ihr Name zu persönlich, meine Frau zu besitzergreifend, Zeit für was neues, ich weiß, weiß nur noch nicht was) entschied nach dem Mittagessen mit mir in die Unterstadt zu kommen. Sie begann auf dem Weg dorthin sogar über meine Witze zu lachen. Ich dachte, mein Gerede hänge ihr lange zum Hals raus. Ich konnte meine Geschichten vor ihr ja selbst kaum noch hören. Verändern ließ sie mich die trotzdem aber nie und korrigierte, wie verrückt, wenn ich ein Auto für die Pointe blau oder einen Franzosen italienisch werden ließ. Meiner Meinung nach, und der von Ferdinand von Schirach, musste nicht immer alles wahr sein, was man so sagt, aber es musste wahrhaftig sein. Dann durfte man die Wahrheit töten. Natürlich wäre es einfacher, sich einfach jemand neues zu suchen, der all die Geschichten noch nicht kennt, als sie ständig vor ihr und sich und all den anderen, neu zu erfinden müssen. Mit einem bestimmten Maß an Hass oder einem, mit dem man auch was anfangen kann. Deswegen reden viele Paare gar nicht mehr, bis sich jemand zu ihnen setzt über den sie dann reden können und sich erinnern, an gemeinsame Jugendtage und Ficken am Strand mit Hass auf Kreta. Andere Paare, die ich kannte waren da aber noch schlimmer, weil sie sich nur mit sich beschäftigten, obwohl sie mit anderen unter Leuten waren. Ich glaube, ich war schon ein paar Tage in der Stadt und ging nach dem Mittagessen wie immer, wenn ich zuhause war und das glaubte, in ein Café, um an Nachmittagen unter Aufsicht zu arbeiten und nicht zu sehr zuhause zu sein, wo man sich gehen ließ und vielleicht onanierte. Ich hielt im-Café-arbeiten für ein Klischee, aber im Sommer, wenn es heiß war und im Winter, wenn kalt, ließ ich mich von meinen Vorurteilen nicht von dieser Bequemlichkeit abhalten. Im Sommer saß ich in der Confeitaria und im Winter, wenn der Regen kam und die Terrassen unter den Markisen schlossen, hinten, im Café Benard. Da ging außer mir sonst nie jemand hin, höchstens die Chefin, um Kaffee zu bringen und zu sehen, ob ich auch arbeite. Man konnte dort gut arbeiten, so allein, den Saal im Blick und von den Bildern Estêvão Soares’ umgeben, der hier früher auch immer war und mit denen bezahlte. Auf dem Heimweg konnte man dann sehr gut denken oder nicht denken, was das gleich ist und gucken und sich seinen Heimweg lang wie ein ganz normaler Mensch fühlen, der gearbeitet hat, anstatt sich vor der Realität in seine Bücher zu flüchten. Vom Benard aus gings aber nur noch bergab und man kam nah an den Schaufenstern der Geschäfte vorbei und konnte in die Buchläden sehen und sah sein Buch und dass vielleicht doch nicht alles umsonst gewesen war, was man gerade wieder getan hatte. Die Auslagen der Juweliere versuchte man zu ignorieren. Sie präsentierten sich sorglos und triumphierend, wie alle toten Dinge, und man versuchte an Schmuck zu denken, nicht an Eheringe oder den Typen, der hinten im Benard immer die Abrechnung macht. Diese Heimwege im Winter durch Chiado an Nachmittagen gehören, neben Hühnchen Essen in Sapadores nach dem Sport, zu den glücklichsten Stunden, vor allem um diese Jahreszeit. Lissabon ist deshalb nicht gleich die schönste Stadt der Welt, muss es auch gar nicht, aber es scheint es eben dadurch zu sein. Man steht in der Apotheke, weil man vielleicht doch krank wird und sieht draußen die Laternen, gelb und alt werden vor den Kirchen, so wie in Rom, als hänge drinnen Caravaggio und die gelben Laternen würden den vor Sachen wie Nasensprays und Weihnachtsshopping beschützen[…]