IM RITZ
Letztes Wochenende stand ich im Ritz auf dem Balkon, fünfte Etage, Superior Deluxe Zimmer mit Park und Stadtblick. Ich rauchte und sah über den Park und die Stadt in der Dämmerung und dachte, dass es doch schon irgendwie romantisch wäre, wenn man jetzt hier einfach in die Stadt und den Park und die Dämmerung springt. Der Champagner halbvoll, ein paar letzte Zeilen auf edlem Briefpapier, Schulden, Ideale, eine Frau, die einen dann vielleicht für immer liebt, Manuskripte, die danach mit Sicherheit verlegt werden. Wie die ganz Großen, dachte ich oder dachte nur, dass ich das denke, was nicht das gleiche ist, aber schlimmer. Ich fragte mich, was an den Ganzen, die das getan haben, das Große gewesen sein soll. Hemingway, Brautigam, Carver, Kleist, Trakl, Celan, Jack London, Majakowski und Zweig. Zweig hatte seine Gründe, Majakowski auch, der Rest schien irgendwie in sich verloren oder war Amerikaner. Absolute Looser, dachte ich. Unser Ende ist ohnehin vorbestimmt, wir müssen uns doch nicht auch noch selber darum kümmern. Von vielen Künstlern hat man dennoch erst nach ihrem Tod gehört. Manche haben sich dafür inszeniert, obwohl es überhaupt gar keinen Tod bräuchte, wenn man im Leben schon wer gewesen ist. Eric Clapton, Paul McCartney, Leo Cohen, das sind doch Beispiele, die die Kunst ihrer Leben, Lieben & Leidenschaften zu Dauer werden ließen, ohne sich nach einem geglückten Radiosong, gleich die Birne wegzuballern. Es wäre grandios, es wäre für immer, es wäre das einfachste. Sie tun und taten es nicht und wurden zu ihren eigenen Vorbildern, denen dann andere gerecht werden mussten. Natürlich habe auch ich romantische Ideale, denen ich nicht gerecht werden kann, mich aber von Anfang an gegen den konventionellen Karriereweg eines Schriftsteller entschieden und mir meine Seele nicht angelesen. Ich bin kein Krull, auch kein Larbaud, schon gar kein Hemingway, sicher nicht so talentiert wie Roth, aber talentierter als Ripley und eigentlich so wie alle, die wir uns für eine Weile auf der Welt als jemand ausgeben, der wir nicht sind, bis wir es vielleicht werden, weil wir lange genug getan haben als ob. Am Anfang schmückt man sich natürlich gerne mit Äußerlichkeiten, der Ambition Bedeutendes zu tun, ist noch ganz Wirklichkeitswund, bis man erkennt, wie unbedeutend man ist, um im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit darüber hinaus zu kommen. Nun beginnt man zu schaffen. Man glaubt, Frauengeschichten zu brauchen, ein Alkoholproblem und eine Kindheit, die den Anspruch auf ein gutes Leben und dessen Zerstörung erhebt. Dazu die Schwierigkeit menschlicher Beziehung, solide Selbstzweifel als Legitimation des Poeten, der das Leid der Welt für die Welt erfährt und zu Versen formt, damit es die Welt nicht selber ertragen muss. Der Künstler leidet an egoistischem Größenwahn und das soll er auch, aber er obliegt im Gegenzug jener Verpflichtung, ein Gegenmittel gegen die Leere unseres Daseins zu finden, neue Formen des Erlebens, nicht dagegen. Wege, die, bevor darüber geschrieben wurden, nicht existierten und den Lauf der Dinge ändern und dass alles immer nur so kommt, wie es ist. Er soll kein weiteres Klischee schaffen, sondern die Möglichkeit, darüber hinauszukommen, nicht um daran zu scheitern. Der Tod ist ein maßgebender, seiner Aufgabe entgegengesetzter Drang zum maßlosen, scheinbar Ewigem, zum Nichts. Den einen drückt das Leid der Welt zu Grunde, der anderen steigen mit den schönen Dingen auf. Amboss oder Hammer sein? hat Goethe gesagt, aber wer Goethe folgt, kann sich die Kordjacke mit Brandlöchern und Literaturschal gleich im Autorenausstatter kaufen. Wir brauchen keine falschen Dramen mehr, keine Theatralik, Idole von Idioten, Show Off und dass sich der Held im letzten Akt erhängt. Wir brauchen erfundene Geschichten, die wahr sind, mit Happy End, und zwar einem, das noch viel wahrer ist, als jene erzwungen gescheiterte Parkgebühren-Realität, die ihm vielleicht zugrunde gelegen hat.