Menü

BYND

Konstantin Arnold

PROMINENT II

Es dauert nicht lange, um sich wieder an die Dinge zu gewöhnen, die wir auf den letzten zehntausend Kilometern so angepriesen haben. Eine eigene Toilette mit reinlichem Wohlfühlfaktor, ein Einzelbett ohne Mario und die modische Bereicherung von unbenutzter Wechselwäsche. Wegen unseres akademischen Hintergrunds haben wir aufgehört Früchte zu tragen und die Arbeit zwischen den Weintrauben hinter uns gelassen, um uns von der ersten Bezahlung ein direktes Rückfährticket in das normale Leben zu leisten. Auf dem Schiff haben wir nach starkem Kaffee mit Rührei morgendliche Seeluft geatmet und entschieden, dass Glück kein Zufall mehr sein kann. Es ist Freiheit an Möglichkeiten, die man sich am Vorabend sorgsam zu Recht legt und mit dem Verbindet, was einem das Leben aufmerksamer Weise vor die bewanderten Füße wirft. Eine Einstellung im Umgang mit den Hausaufgaben, die die Gegenwart für uns bereitzuhalten scheint und idealer Weise nur im Rückblick ein Sechser im Lotto. Ohne die Ablenkung, die das einfache Leben zu bieten hat, kann man folglich so weit in sich gehen, bis einem schlecht wird. Zurück in Raglan habe ich neben mütterlichem Urvertrauen noch vierzig Dollar. Die Hälfte davon wollen wir in etwas frisches Gemüse investieren und uns mit der anderen das Bier und Benzin nach Auckland teilen. Eigentlich könnte es eine dieser Nächte sein, in denen man aufgeregt schon nach dem Abendbrot einschlafen möchte, weil man gut erholt auf Wellen treffen will, die das Tiefdruckgebiet des Sommers ab morgen an Neuseelands Westküste schießt. Ist es aber nicht! Und das obwohl wir erst seit einigen Tagen einen ruhenden Motor und gastfreundliches Familienprogramm genießen können. Weil wir mehr vom Leben wollen, als eine gut getaktete Internetverbindung, kaufen wir einen Karton Double Brown im Kühlregal und warten bis Simba seinen Chef davon überzeugt hat, eine halbe Stunde früher den Löffel hinzulegen. Trotzdem ist es spät, als wir uns zusammengequetscht in einem weißen Subaru mit Allrad wieder finden. Auf dem Weg in eine Stadt, die die wenigstens von uns bereits nüchtern bewundern konnten. Mittlerweile ist es fast elf und ein Großteil der Anwesenden, muss in weniger als neun Stunden wieder unausgeschlafene Brötchen verdienen. Einer muss fahren. Das Dosenbier aus dem Kühlregal ist so eisig, dass man es eigentlich nur mit einer Waffel genießen kann und die meisten unserer Witze brauchen für Außenstehende eine deutsche Bedienungsanleitung. Trotzdem lachen wir von Herzen, wenn wir daran denken, dass wir wie verpickelte Groupies durch neuseeländische Nacht heizen, um für türöffnende dreißig Dollar einem lustigen Australier beim Plattendrehen zuzuschauen. Paul Fischer ist ein Musterbeispiel für den Wahnwitz der Berühmtheit und plattendrehender Beweis dafür, dass man mit einigen schlechten Fernsehsendungen selbst den rothaarigen Informatiker von Nebenan zu einer Unterhosen- werbenden Sex Ikone machen könnte. Natürlich sind wir neidisch, weil wir neun Dollar für ein kleines Bier bezahlen und Paul gerade dabei ist eines seiner freien Corona über das Mischpult zu schütten. Vor der Bühne ist es eng, und ich wünsche mir auch eine dieser schlechten Fernsehsendungen, sofern ich dadurch etwas mehr Beinfreiheit genießen kann und uns die Türsteher nicht vor Ende der Show zum Ausgang bitten. Letzten Endes sind unsere untersagten Kopfbedeckungen daran schuld, dass wir den Club noch vor drei verlassen müssen. Auf dem Heimweg sitze ich auf dem Beifahrersitz und habe das Gefühl, dass sich das Kapitel Neuseeland dem Ende neigt. Ich war ein deutscher Student in Hamilton, ein Fremder in Raglan und ein einheimischer Surfbrettverkäufer an der Ostküste. Ich war ein Tourist auf der Südinsel und betrunken in Auckland. Ich habe alles gelebt, so fühlt es sich jedenfalls an. Ich frage mich, ob ich bis auf den Haarschnitt anders geworden bin und gehe in betrunkener Sorgsamkeit die Bekanntschaften durch, von denen ich denke, dass sie ein Leben lang halten werden. Eine davon bittet […]

TICKET

Dieses Mal fliege ich gegen die Sonne meiner mitteleuropäischen Zukunft entgegen. Nicht aus Angst, man könnte mich in Singapur dafür dran kriegen, dass ich mit dreiundzwanzig einmal in den Pool gepinkelt habe, von dem Touristen bis heute einen fotowürdigen Ausblick genießen können. Mich reizen amerikanische Zollbeamte und das unbändige Angebot mittelamerikanischer Erwartungslosigkeit. Bis auf kurze Hosen und benutzte Luft aus Ventilatoren denke ich über Spielsachen nach, die mir in den Transitzonen zwischen Aukland – Tahiti – Los Angeles – Panama City – Lissabon und Frankfurt […]

GASTARBEITER

Willkommen zwischen den uninteressanten Zeilen des Erwachsenwerdens. In Zeiten, in denen man die Guillotine von Routine fürchtet und vor dem Einschlafen weiß, was der nächste Tag zu bringen hat. Jeder Berg hat sein Tal und ich kann meine Füße nur deswegen still halten, weil wir so lange auf einer Gebirgskette gewandert sind. Nach dem Feierabend beginnt für mich die eigentliche Arbeit. Ich muss mich mit meinem produktiven Tatendrang auseinandersetzen und versuchen, die Sternstunden nachzuholen, die ich in den letzten acht Stunden verpassen musste, weil ich Pinot Noir und Riesling in ein paar Kanister pflücken musste. Nach jedem vollen Eimer stelle ich mein Leben in Frage und versuche mir zu erklären, wie wir eigentlich hier gelandet sind. An meinem ersten Tag, habe ich heimlich so viele Trauben gegessen, dass ich den Rest meines Feierabends auf der noblen Toilette des Winzers verbringen musste. Verdammt war mir schlecht! Ob wegen der Weintrauben oder der Vorstellung, diese Art von unspektakulärer Tätigkeit für die nächsten fünf Wochen betreiben zu müssen, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. An meinem zweiten Tag habe ich meinen Traubenkonsum auf ein paar Hände voll reduziert. Diesmal habe ich Chardonnay aus den Eimern gegessen und konnte nach Feierabend meinen ungesunden Tatendrang damit zügeln, dass ich all meine Klamotten in die Wäschetrommel eines Waschsalons geworfen habe, um die nächsten eineinhalb Stunden in Unterhose ein paar Gartenmagazine durchzublättern. Ich habe mich selbst überlistet und genieße fehlende Alternative. Meistens sitzen wir nach Feierabend für eine halbe Stunde auf der Stoßstange unseres Autos und wissen nicht, ob wir weinen oder lachen sollen. Ich werde meinen Master in San Sebastian machen. Ich werde diesen Moderationsjob für diese Outdoor Filmtour machen, sobald ich meine Abschlussarbeit zu den Akten gelegt habe. Ich denke mir, dass wir keine Wahl hatten. Dass zu diesem Zeitpunkt, unter diesen Bedingungen, die einzige küstennahe Alternative darin bestanden hätte, in Christchurch ein paar zerfallenen Häusern beim Aufbauen zu helfen. Jetzt sitzen wir an unserem Campingtisch inmitten einer idyllischen Ebene, um die eine bergige Postkartenkulisse geklebt wurde und kontaktieren den einundvierzigsten der sechsundachtzig ansässigen Weingüter. Wir treffen uns mit Nicky, telefonieren mit Chris und versuchen Jerome zu finden. Wir bekommen die Emailadresse von Gerry und werden von Kathi weitergeleitet, bevor wir eine Nachricht auf der Mailbox von Peter hinterlassen. Wir können Hendrik nicht finden und erfahren von Grant, dass Cromwell der küstenfernste Ort ist, den eine neuseeländische Landkarte zu verzeichnen hat. Das ist Meersalz in die Wunde, wenn man bedenkt, dass ich die letzten neun Monate nicht weiter als einen romantischen Spaziergang vom Meer entfernt, verbracht habe. Das sind also die harten Zeiten, von denen realistische Erwachsene reden, wenn man ihnen mit zu viel Lebensmut entgegentritt. Wir brauchen Arbeit, um Geld zu verdienen und nicht um unserer freizeitlichen Errungenschaften wieder schätzen zu wissen. Hier in Cromwell gibt es ein kleines Schwimmbad. Wir denken darüber nach eine Clubkarte zu kaufen, um etwas Routine in das Leben auf vier Rädern zu bringen. Es gibt eine urige Kneipe, in der man neben etwas Perspektivlosigkeit auf ein paar echauffierte Anwohner treffen kann, die wir nach eintausend Meter Kraul nur ungerne kennenlernen möchten. An der Theke sitzen ein paar dreckige Farmer, die uns mit abschätzenden, betrunkenen Blicken in ihrem Lebensmittelpunkt willkommen heißen. Hier gibt es mehr Barhocker, als es Einwohner zum Benutzen gibt und wir entscheiden zu stehen. Wir bestellen zwei kleine Bier bei der argentinischen Bedienung, die in völliger Charmeresistenz etwas Exotik in unseren Bestellprozess bringt und freuen uns, dass die Jukebox ein paar Lieder spielt, die wir mitsingen können. Das nimmt den Druck aus der Unterhaltung, zu der man in manchen Kneipen verpflichtet zu sein scheint und wir nicken kontrolliert zu died in your arms tonight. Deswegen haben sie das Pferderennen im Fernsehen lautlos laufen. Den einzigen Fernseher, den ich je besaß, hatte mir zu deutschen Zeiten meine Mutter gekauft. Jedoch nur für zeitweiligen Liebeskummer und mit der Bitte, ihn nach Besserung kassengerecht zurückzugeben. Die einzige Unterhaltung führen wir mit einem glatzköpfigen Maori, der uns ohne Worte darauf hin weißt, dass ihm Marios Tätowierungen gefallen. Weil wir uns im Moment nicht mehr leisten wollen, steigen wir kurz nach acht in unser mobiles Zuhause. Irgendwo zwischen […]

STEROIDE

Es regnet in Strömen. Auf dem Boot werden sie uns morgen erzählen, dass es 35mm per Quadratmeter gewesen sind. Von den urzeitlichen Anblicken, die man auf Google Bilder findet, ist kaum etwas zu erkennen. Wir wollen in Millford den Freund eines Freundes treffen, bei dem wir für heute Nacht unseren Van parken können. Es ist ein später Samstagnachmittag und wir hoffen auf etwas Nachtleben, bei dem man zufälliger Weise auf ein paar einsame Bootbesitzerinnen treffen könnte, weil wir uns neben kühlem Lager keine Touristenexpedition leisten können. Wer hatte eigentlich die Idee, ein kleines Dörfchen in die Mitte des Nirgendwos zu bauen, um dann zu hoffen, dass es genügend Verrückte gibt, die über zwei Stunden durch prähistorisches Grün heizen, um in den Fjorden ein paar Walen bei Baden zu zusehen? Im Fjordland ist alles auf Steroiden. Man schießt einen 35mm Film auf fünfhundert Metern ans Limit, weil es nach jeder Kurve noch größer, noch wilder und noch urzeitlicher aussieht. Als wir am Ende der Einbahnstraße ankommen finden wir eine Tankstelle, einen unfassbar großen Parkplatz und unfreundliches Barpersonal. Wie sollen wir hier den Freund eines Freundes finden? In meiner Generation hat mir niemand erklärt, wie ich mit jemandem Kontakt aufnehme ohne mein Handy zu benutzen. Traditionelle Verabredungen und Münztelefone können helfen. Wir spielen eine Runde Billard in einer Bar, in der jeder Besucher erst einmal nach dem WLan Passwort fragt, bevor er ein Bier bestellt. Wir parken unseren Van etwas außerhalb der Tankstellensiedlung auf einem Parkplatz, der neben uns, heute Nacht nur von einem jungen Pärchen zum Schlafen benutzt wird. Ich glaube es sind Deutsche, denn sie reden wenig und verbringen die meiste Zeit des Abends in ihrem Kleinwagen, der von innen mehr beschlägt, als Oscar prämierte Titanicverfilmungen. Die Nacht zwischen den Gletschern ist so dunkel, dass man eigentlich auch mit offenen Augen schlafen könnte. Wir braten frisches Gemüse mit etwas Hosoisauce an, trinken zwei Falschen Bier und schwören uns nie wieder ohne Zigaretten an vergessenen Plätzen anzukommen. Gegen sechs Uhr wache ich das erste Mal auf und versuche meine Hände zu finden. Es ist immer noch dunkler, als ich es von Blocksiedlungen mit Rollladen gewöhnt bin. Ich glaube wir werden gegen Mittag […]

KILOMETER

Heute ist es noch hell, als ich zwischen den Felsen nach etwas Feuerholz suche. Wir sind an der Bucht aus Dear Suburbia angekommen und trauen uns nicht ins Wasser. Deswegen haben wir uns ein paar langweilige Wasserfälle angesehen und dabei erkannt, wie beschränkt unser Interesse abseits sandiger Straßen und guter Wellen ist. Mario hat gerade einen Vogel fotografiert, den wir für einen Pinguin halten, weil wir südlicher nicht sein könnten. Die letzten Tage hat ein Cyclone aus dem Südpazifik so viel arktische Luft in die Caitlins getrieben, dass wir uns bei deutschen Temperaturen etwas heimisch fühlen konnten. Dazu noch etwas Nachbarschaftsstreit mit einem campenden Grundschullehrer Mitte fünfzig, der davon ausgegangen ist, dass er den Platz an der Feuerstelle für sich beanspruchen könnte. Jetzt hat er sein gelbes Iglozelt ein paar Hügel weiter geparkt, um in aller Ruhe übers Wochenende eine paar Klassenarbeiten in der Wildnis zu korrigieren. Nach den letzten Tagen ist unser Beitrag zur Produktivität auf das Trocknen unserer Neoprenanzüge beschränkt. Nach den letzten Tagen fällt das Nichtstun schwer. Wir mussten fünf Farbfilmen hinterherfahren, die wir per Kurier über die komplette Südinsel geschickt haben, um bis zur Deadline der dritten Wachsausgabe entwickelt vor uns zu liegen. Vielleicht war es auch an der Zeit Queenstown zu verlassen, bevor wir erkennen, dass wir zu viel unseres bescheidenen Budgets in gesellschaftliches Abendprogramm investiert haben. In Dunedin angekommen besuche ich binnen sechsunddreißig Stunden mehr Internetcafés, als ein Computerspieler im Turniermodus. Wir selektieren Fotos in Universitätsbibliotheken. Kaufen der Megabyte wegen den siebten Latte Macchiato im dritten Starbucks Café und spielen mit dem Gedanken, die letzten Zeilen des Wildnissartikels in einem McDonalds Restaurant auf digitales Papier zu bringen. Ich beginne die Straße zu hassen. Ich möchte Duschen und endlich irgendwo hingehören. Ich habe kaum noch Geld und die zu großen Seelöwen satt, die in den Gewässern um Dunedins Buchten zu Hause sind. Mein Körper ist geschwächt von Wochen auf der Straße, tagelanger Surfsessions und Stunden in südneuseeländischem Nachtleben. Kurz bevor sich die Öffnungszeiten dem Ende neigen, ist er abgeschickt. Der Text, den wir die letzten Wochen mit Inhalt gefüllt haben. Wir schauen auf das Resultat und erkennen, dass es das wert war. Wir fühlen uns lebendig und kaufen eine Schachtel rote Malboros. Eigentlich müssten wir in den nächsten Tagen anfangen, nach der Schaffarm Ausschau zu halten, die mir nach ein paar Wochen Freiluftarbeit dabei helfen sollte, meinen Flieger nach Zentralamerika zu buchen. Eigentlich sollten wir uns südlich der Caitlins auch endlich ins Wasser trauen, um an deutschen Stammtischen von Seelöwen und großen Fischen erzählen zu können. Aber eigentlich gibt es keinen Chef im Urlaub. Vielleicht sitze ich einfach mal in der Sonnen und schaue unseren Neoprenanzügen beim Trocknen zu bis es dunkel genug ist, ein Feuer zu machen. Heute Abend gibt es Linsen und etwas Broccoli. Das aber nur, weil wir uns die letzten Nächte Rumpsteak geleistet hatten. Nach dem Abendbrot werden wir am Lagefeuer mit einem französischen Zahnarzt und einer Holländerin, die vor ein paar Jahren mit ihrer Tanzgruppe die HipHop Weltmeisterschaft gewonnen hat, eine Flasche Vodka trinken. Den Schnaps hatte eine campende Alkoholikerin Anfang Fünfzig mit ans Feuer gebracht, die beruflich versucht Fotografien ihrer Mahlzeiten unter die Leute zu bringen. Sie war es auch, die das Lagefeuerambiente mit ihren Lautsprechern in ein Livekonzert von den Dire Straits verwandelt hatte. Mit jedem Glas mehr gehen wir davon aus, dass das Benzingeld noch reichen sollte, bis wir durch eine Fjordlandschaft zu diesem Skatepark kommen, den irgendein […]

ARBEITSLOS

Gerade haben wir unsere vom Skaten durchgeschwitzten Klamotten in den Waschsalon gebracht, der sich ein paar hundert Meter die Straße hinauf befindet. Mit Trocknen dauert es eine knappe Stunde, die wir unter keinen Umständen in diesem Laden totschlagen können. Ein spärliches Aufgebot an durchschnittlichen Waschmaschinen und Trocknern auf vielleicht zwölf Quadratmetern. Die Wände sind schon einige Male Überstrichen worden und die Qualität der Gartenmagazine nähert sich langsam, aber sicher dem Unlesbaren. Das Licht ist so grell, dass wir entscheiden den Schongang vor dem reinlichen Etablissement zu verbringen und unsere Arbeitssuche fortzusetzen. Wir sind in Oamaru. Nicht, weil es hier neben dieser Minirampe in der ersten Etage eines Surfshops irgendetwas Tolles zu erleben gibt. Es ist ein kleines Städtchen an der Ostküste ohne wirkliche Daseinsberechtigung. Ein paar Antiquitätenläden reihen sich in der Mitte des Ortes aneinander und verkaufen verstaubte Einzigartigkeit in Form von Schmuck, Altherrenbekleidung und Büchern mit abgedrehten Titeln. Die Architektur der Häuser würfelt aus allen Teilen der Erde etwas zusammen und die Pinguinkolonie am Ende des Hafenpiers bildet das Highlight der Stadt. Dieses Örtchen existiert abseits des Touristensonars und das macht es irgendwie aus. Wir fühlen es, obwohl wir den Grund dafür noch nicht gefunden haben. Es gibt eine Brauerei, in die man hier abends Ausgeht, wenn man Menschen treffen möchte, die man noch nicht kennt. Gegen Nachmittag hat uns Jeremy eingeladen, zusammen ein paar Bier trinken zu gehen. Leon, der in Neuseeland das Rip Curl Marketing bestimmt, wäre auch dabei, sagt Jeremy. Ihm gehört der Surfshop, dessen erste Etage eine Minirampe im Jugendstil schmückt, die wir unseres Erachtens in den letzten Tage fast völlig auseinander genommen haben. Jeremy kennt hier eine Menge Leute und hilft uns Arbeit zu finden, um endliche diesen Flieger nach Zentralamerika bezahlen zu können. Gestern haben wir einen sonnigen Tag ohne Wellen damit verbracht, fremde Farmen zu besuchen in der Hoffnung irgendein Milchbauer wäre beschränkt genug, zwei pubertierenden Deutschen auf Durchreise einige Wochen Arbeit zu versprechen. Das war natürlich nicht erfolgreich, aber aufregender als die endlose Suche im Überfluss des Internets. Unzählige Möglichkeiten können nämlich manchmal krank machen, weswegen wir nur das nötigste in den Plastikkisten verstauen, die wir im Moment unseren Kleiderschrank nennen. Mario meinte, dass er noch knappe Hundert auf seinem neuseeländischen Bankkonto zur Verfügung hätte. Ich bin fast blank, nachdem ich unsere letzte Filmentwicklung bezahlt habe. Dennoch setzen wir alles auf eine Karte und nehmen Jeremys Einladung an. Man weiß ja nie, wen man in einem küstennahen Brauhaus treffen könnte. Vielleicht einen Milchbauern mit Bedarf an weltmännischen Arbeitskräften oder die schöne Kanadierin, von der in Oamaru alle erzählen. Wahrscheinlich ist die Theke nur voll mit Arbeitssuchenden, die es sich leisten können schon kurz nach vier ein paar kühle Blonde zu kippen. Als es dunkel wird haben wir die Bescheidenheit des Kennenlernens hinter uns gelassen und Leon erzählt uns, wie er bei einem Bells Beach Pro vergangener Tage ausversehen in das Hotelzimmer einer nackten Alana Blanchard gestolpert ist. Oder wie Meister Medina versucht hat, die Musik auf Leons Ipod herunterzuziehen um sein Heat Warm Up musikalisch zu bereichern. Es ist lustig und wir lachen viel von Herzen. Der Mann, dem die Brauerei gehört, lässt zur Erleichterung ein paar Runden springen. Jeremy erzählt mir, dass Oamaru im letzten Jahrhundert die damals weltgrößte Wurstindustrie beherbergte und drauf und dran war größer als das heutige Los Angeles zu werden. Irgendwann war das […]

WIRKLICH WILD

Jetzt sitze ich in einem Café mit Ausblick, das im Erdgeschoss Schokoladentrüffel an übergewichtige Touristen verkauft und genieße einen frischgeduschten Körper. Neben mir ist ein Tisch mit drei älteren Damen, die der Unterhaltung zu folge nach Queenstown gekommen sind, um ihrer weltgewandten Wintermode jährlich die Möglichkeit zu geben, getragen zu werden. Ich versuche mir die Überwältigung für beheizte Räume und frisches Geschirr nicht anmerken zu lassen und genieße eine kultivierte Herrentoilette auf der sie in gedämpfter Lautstärke die neusten neuseeländischen Hits spielen. Gestern konnten Mario und ich bei einer jungen Deutschen, die wir in der in der Fußgängerzone kennengelernt haben, endlich das Lagefeuer aus den Klamotten waschen. Bis auf den Ausschlag an meinem Hals und fünf Farbfilme, die wir per Einschreiben über die gesamte Südinsel schicken mussten, um bis zur Deadline entwickelt zu werden, ist von den Zeichen der letzten Wochen nicht mehr viel übrig. Ich frage mich wie es Simba`s Handgelenk und seiner Augenentzündung geht. Ich frage mich, ob ich jemals wieder Dosenbier trinken kann und bin überrascht, wie viel Zeit die basalen Dinge des Lebens einnehmen, wenn man mit guten Freunden Wälder ohne Wanderwege betritt. Wo fange ich an und wo höre ich auf? Vielleicht möchte die Kellnerin des Cafés die Klischees bedienen, die diese Art Geschichten bereitzuhalten scheinen. Ja, wir haben Feuer gemacht und das Abend für Abend. Ja, wir waren neben Seehunden die meiste Zeit die Einzigen im Wasser und das Morgen für Morgen. Einmal sind wir wirklich um die nächste Kurve gefahren und haben Wellen gefunden, wie sie in gern gelesenen Surfmagazinen in Hochglanz proklamiert werden. Nur die Massen an aggressiven Sandmücken haben irgendwie nicht zu dieser Bilderbuchfaszination gepasst. Also fuhren wir weiter, um unsere Zelte von nun an so nahe an der Wasserkante zu parken, dass man bei Flut in die Brandung pinkeln konnte. Wir haben hinterfragt, ob wir wirklich wild genug sind, als man zwischen nächtlichen Lagefeuergeschichten und ausreichend Empfang die Geräusche einer Kurzmitteilung vernehmen konnte. Deswegen haben wir die beiden Äxte gekauft; einen alten Baum gefällt, den man eigentlich auch als großen Strauch bezeichnen könnte und das obwohl es auf diesen fiesen Steinstränden genügend Treibholz gab, um unsere pyrotechnische Ader von der Leine zu lassen. Wir waren sieben. Sieben Charaktere, die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass wir in der Nacht unserer Zusammenkunft in Wellington aus jeder Bar geflogen sind, die nichts gegen zeitgemäße Kopfbedeckungen einzuwenden hatte. Auf der Fähre zu Südinsel gab es günstiger Weise keine muskelbepackten Türsteher, auch wenn uns die Frau, die für eintausend Passagiere Rühreier kocht, höflich gebeten hatte, das Boardrestaurant zu verlassen. Bis auf den einen oder anderen Cafébesuch, der dazu diente unsere Süßwasserkanister aufzufüllen und über Mädchen zu reden, waren das die wenigen Berührungspunkte mit gesunder Infrastruktur und Strom aus der Dose. Ansonsten schafften wir es einen ganzen Tag ohne die Zeitverschwendung im Kühlregal zu genießen, weil wir endlich ein paar Fische an der Leine hatten und ein paar genießbare Muscheln von den Felsen pflückten. Vor dem Einschlafen habe ich gebetet, den Rest der Nacht nicht damit verbringen müssen, gehockt zwischen den Büschen ungesundem Stuhlgang nachzutrauern. Das war in einer dieser einsamen Buchten, in denen Nils und Armin eine angefangene Flasche Gin und eine Zeitung aus den 60ern fanden. Einmal sind wir über fünfhundert Kilometer gefahren, damit wir eine Nacht später im Regen und ohne Meerblick aufzuwachen konnten, um durchnässt und reuelos erneut die Küste zu wechseln. Irgendwann haben wir aufgehört Kilometer damit zu verschwenden überkopfhohen Tiefdruckgebieten nachzujagen, weil wir mit dem zufrieden waren, was man zu unserer alleinigen Verfügung aus den Vorzelten beobachten konnte. An die Einsamkeit in neuseeländischen Gewässern konnte man sich gewöhnen. Nur nicht an die Seehunde, die zwischen Seegras und solidem Eastswell ihre Pirouetten drehten. Mario hatte die letzten vier Monate genügend Erfahrungen in einer Strandkneipe sammeln können, um uns in den Dünen mit zwei Orangen und ein paar Kaffeetassen einen Old Fashion zu zaubern, der uns für einige Abende die sonnengebräunte Kehle verbrannte. So ließ sich natürlich dekadent an der Geschichte arbeiten, die wir irgendwann einmal dazu benutzen können, die brünette Barbesucherin davon zu überzeugen, die Mutter unserer Kinder zu werden. Seit zwei Tagen gehen wir nun wieder getrennte Wege. Armin und Simba sind nach Norden gefahren. Jordan muss sicherstellen, dass Nils seinen interkontinentalen Flieger bekommt. Mario und ich sind auf dem Weg in den noch wilderen Süden, auch wenn ich Mutti versprechen musste nicht weiter als bis zu den Caitlins an meinen nichtvorhandenen Surf Skills zu arbeiten, weil dort die Fische einfach zu groß werden. Dem Fotografen haben wir auf der Mattratze unseres Vans einen Lift bis nach Queenstown gegeben, weil er hier mit einer deutschen Backpackerin schlafen möchte, die er vor einigen Wochen auf einem Festival getroffen hatte. Vom Fensterplatz der obersten Etage meines Cafés kann ich touristische Fußgänger beobachten, die damit beschäftigt sind in den Einkaufsstraßen dieser Stadt ihre Zeit […]

Holiday Adjustment von Wirklich Wild

Au Revoir 

Wir sitzen in diesem sonnendurchfluteten Esszimmer. Es ist acht Uhr morgens, glaube ich, und sie bietet mir einen Instant Kaffee an. Es läuft Musik, damit die Pausen zwischen den Gesprächen erträglicher werden. Sie fragte, was mich zu solch einer polarisierenden Aussage getrieben hat? Dann beginne ich vom Wollen zu erzählen, von fesselnder Freiheit und kultivierter Verliebtheit. Von verspielter Konstanz abseits kurzlebiger Freude. Von maßloser Erfahrung und gerahmtem Gefühl. Interessiert und desillusioniert sitzt Sie da, als ich mir eine Zigarette anmachte. Ich bin morgens bemerkenswert aufnahmebereit, lediglich meine Gegenüber scheint diese Affinität nicht mit mir zu teilen. Wir sprechen über alles, außer über die letzte Nacht, das jedoch auf eine erwachsene Art und Weise. Wir werden uns nicht wiedersehen, denn mein Zug geht hab elf. Sie ist bezaubernd auf eine nicht bezaubernde Weise. Ihre definitionsbedürftige Art schiebe ich auf ihre Herkunft. Ich verbrenne mir die Zunge und versuche dabei entspannt zu wirken. Sie ist einunddreißig und hat scheinbar noch nie ein Fenster […]