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BYND

Konstantin Arnold

WIRKLICH WILD

Jetzt sitze ich in einem Café mit Ausblick, das im Erdgeschoss Schokoladentrüffel an übergewichtige Touristen verkauft und genieße einen frischgeduschten Körper. Neben mir ist ein Tisch mit drei älteren Damen, die der Unterhaltung zu folge nach Queenstown gekommen sind, um ihrer weltgewandten Wintermode jährlich die Möglichkeit zu geben, getragen zu werden. Ich versuche mir die Überwältigung für beheizte Räume und frisches Geschirr nicht anmerken zu lassen und genieße eine kultivierte Herrentoilette auf der sie in gedämpfter Lautstärke die neusten neuseeländischen Hits spielen. Gestern konnten Mario und ich bei einer jungen Deutschen, die wir in der in der Fußgängerzone kennengelernt haben, endlich das Lagefeuer aus den Klamotten waschen. Bis auf den Ausschlag an meinem Hals und fünf Farbfilme, die wir per Einschreiben über die gesamte Südinsel schicken mussten, um bis zur Deadline entwickelt zu werden, ist von den Zeichen der letzten Wochen nicht mehr viel übrig. Ich frage mich wie es Simba`s Handgelenk und seiner Augenentzündung geht. Ich frage mich, ob ich jemals wieder Dosenbier trinken kann und bin überrascht, wie viel Zeit die basalen Dinge des Lebens einnehmen, wenn man mit guten Freunden Wälder ohne Wanderwege betritt. Wo fange ich an und wo höre ich auf? Vielleicht möchte die Kellnerin des Cafés die Klischees bedienen, die diese Art Geschichten bereitzuhalten scheinen. Ja, wir haben Feuer gemacht und das Abend für Abend. Ja, wir waren neben Seehunden die meiste Zeit die Einzigen im Wasser und das Morgen für Morgen. Einmal sind wir wirklich um die nächste Kurve gefahren und haben Wellen gefunden, wie sie in gern gelesenen Surfmagazinen in Hochglanz proklamiert werden. Nur die Massen an aggressiven Sandmücken haben irgendwie nicht zu dieser Bilderbuchfaszination gepasst. Also fuhren wir weiter, um unsere Zelte von nun an so nahe an der Wasserkante zu parken, dass man bei Flut in die Brandung pinkeln konnte. Wir haben hinterfragt, ob wir wirklich wild genug sind, als man zwischen nächtlichen Lagefeuergeschichten und ausreichend Empfang die Geräusche einer Kurzmitteilung vernehmen konnte. Deswegen haben wir die beiden Äxte gekauft; einen alten Baum gefällt, den man eigentlich auch als großen Strauch bezeichnen könnte und das obwohl es auf diesen fiesen Steinstränden genügend Treibholz gab, um unsere pyrotechnische Ader von der Leine zu lassen. Wir waren sieben. Sieben Charaktere, die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass wir in der Nacht unserer Zusammenkunft in Wellington aus jeder Bar geflogen sind, die nichts gegen zeitgemäße Kopfbedeckungen einzuwenden hatte. Auf der Fähre zu Südinsel gab es günstiger Weise keine muskelbepackten Türsteher, auch wenn uns die Frau, die für eintausend Passagiere Rühreier kocht, höflich gebeten hatte, das Boardrestaurant zu verlassen. Bis auf den einen oder anderen Cafébesuch, der dazu diente unsere Süßwasserkanister aufzufüllen und über Mädchen zu reden, waren das die wenigen Berührungspunkte mit gesunder Infrastruktur und Strom aus der Dose. Ansonsten schafften wir es einen ganzen Tag ohne die Zeitverschwendung im Kühlregal zu genießen, weil wir endlich ein paar Fische an der Leine hatten und ein paar genießbare Muscheln von den Felsen pflückten. Vor dem Einschlafen habe ich gebetet, den Rest der Nacht nicht damit verbringen müssen, gehockt zwischen den Büschen ungesundem Stuhlgang nachzutrauern. Das war in einer dieser einsamen Buchten, in denen Nils und Armin eine angefangene Flasche Gin und eine Zeitung aus den 60ern fanden. Einmal sind wir über fünfhundert Kilometer gefahren, damit wir eine Nacht später im Regen und ohne Meerblick aufzuwachen konnten, um durchnässt und reuelos erneut die Küste zu wechseln. Irgendwann haben wir aufgehört Kilometer damit zu verschwenden überkopfhohen Tiefdruckgebieten nachzujagen, weil wir mit dem zufrieden waren, was man zu unserer alleinigen Verfügung aus den Vorzelten beobachten konnte. An die Einsamkeit in neuseeländischen Gewässern konnte man sich gewöhnen. Nur nicht an die Seehunde, die zwischen Seegras und solidem Eastswell ihre Pirouetten drehten. Mario hatte die letzten vier Monate genügend Erfahrungen in einer Strandkneipe sammeln können, um uns in den Dünen mit zwei Orangen und ein paar Kaffeetassen einen Old Fashion zu zaubern, der uns für einige Abende die sonnengebräunte Kehle verbrannte. So ließ sich natürlich dekadent an der Geschichte arbeiten, die wir irgendwann einmal dazu benutzen können, die brünette Barbesucherin davon zu überzeugen, die Mutter unserer Kinder zu werden. Seit zwei Tagen gehen wir nun wieder getrennte Wege. Armin und Simba sind nach Norden gefahren. Jordan muss sicherstellen, dass Nils seinen interkontinentalen Flieger bekommt. Mario und ich sind auf dem Weg in den noch wilderen Süden, auch wenn ich Mutti versprechen musste nicht weiter als bis zu den Caitlins an meinen nichtvorhandenen Surf Skills zu arbeiten, weil dort die Fische einfach zu groß werden. Dem Fotografen haben wir auf der Mattratze unseres Vans einen Lift bis nach Queenstown gegeben, weil er hier mit einer deutschen Backpackerin schlafen möchte, die er vor einigen Wochen auf einem Festival getroffen hatte. Vom Fensterplatz der obersten Etage meines Cafés kann ich touristische Fußgänger beobachten, die damit beschäftigt sind in den Einkaufsstraßen dieser Stadt ihre Zeit […]

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