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BYND

Konstantin Arnold

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT III

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT III

Wir bekamen ein Zimmer im Savoia, mit Blick auf den Platz und den Bahnhof Genova Principe, den Kolumbus, weiß und hoch, wie immer, neben den Maulbeerbäumen und der Poste Italiane auf der anderen Seite. Ich stand auf dem Balkon und sah über die Stadt. Der Verkehr erschloss sich unter mir und machte sich wichtig. Erinnerungen und Erwartungen stiegen in mir auf, aber ich konnte mittlerweile gut mit den Krankheiten des Reisens umgehen, in dem ich mich erinnerte und erkannte, was wirklich wichtig gewesen ist und zu Erinnerungen wird. Nichts von dem war hier. Ich rede nicht von Sex, der ist nicht wichtig, sondern nur Dinge, die dazu geführt haben. Ihre Gegenwart nahm das alles ein, den Blick und die Stadt und den Abend, der sich schon über allem ausbreitete. Wir hatten daher nur Zeit uns frisch zu machen und gingen, sicher geworden durch Lobby, Lift und schwere, goldene Schlüssel, die Via Balbi runter, an den Leuchtschriften und Illy-Schildern vorbei und dann rechts. Es war schön und angenehm, am Anfang einer langen Reise, durch oft beschriebenes zu gehen. Man hatte die Erinnerung an den Ort und den Ort und das Gefühl vor allem Anfang zu stehen. Da war nichts von der Schwere, nur die Erinnerung daran und zukünftige Pläne und die Erkenntnis, was unwichtig ist und nicht und nur so im Gehen notiert. Man musste sich nicht weiter darum kümmern, man hatte es verstanden und brauchte es nicht noch besser schreiben, weil es schon gut war, wie es war und vielleicht sogar besser, als wenn es noch besser gewesen wäre. Für die Wahrheit blättert man ohnehin nicht in Büchern, sondern fährt mit der Metro oder sieht sich die Fleischer an, vor allem die Fleischer. Alles, was blutet, stimmt. Heilige bluten, Stiere, und Frauen. Beim erzählte ich ihr von den Seen im Norden des Landes. Seit Menschen reisen sind sie von dieser Region begeistert. 196 vor Christus erobern Römer Como und das südliche Tessin. Ein halbes Jahrtausend später kommen Alemannen von Norden her, werden aber von den Römern aufgehalten. Gott sei Dank. Dazwischen Langobarden, 1496 der Treueeid, 1530 werden Locarno und das Maggiatal eidgenössisch. Nirgendwo knallt das Mediterrane so gewalttätig auf das Alpine. Nirgendwo ist ein Küstenort so sehr in den Bergen. Gletscher und Eis, die unter der sündhaft, schönen Sonne des gleichen Südens liegen. Man fährt durch einen Tunnel und ist im gleichen Land zwei verschiedener Nationen. Vorbei die grünen Wiesenteppiche der Schweiz, die Postkartenkulissen, der Buttermilchfrieden. Jedes Dorf hatte seinen Brunnen und seine Post und sein Gasthaus zur Post. Die Kirchtürme stehen hoch und hohl im Tal, wie Antennen zu Gott. An den Straßen nun weltmännische Dorftypen, die ihr Moped an einer Bushaltestelle testen und einer Monica Bellucci hinterherrufen. Ein Wirt im Lokall, der die erste Zeile von Verdis La Traviata pfeift. Die Landschaft wird von Zypressen beherrscht und von Säulen gehalten. Alles ist grün, blau und weiß, und so dass man eigentlich nicht rauchen muss. Es soll für die Bewohner des Sees keine Erlösung geben, kein Paradies, weil sie hier schon da leben durften. Die Seen sind so tief, wie die Berge hoch. Gesehen hat das noch keiner, aber fühlen kann man das schon. Sie sind ganz weich und flach und ähneln Meeren, neben stillsteilem Fels. Altgediente römische Legionäre verbrachten hier ihren Lebensabend. Flaubert hielt die Region für den sinnlichsten Ort der Welt, sogar der Orient Express hielt damals in Stresa. Hier schafften Künstler, unter Palmen und voll Pasta, endlich mal nichts zu tun. Nirgends wurde sich in der Literatur schöner vorm Krieg versteckt. Die Dörfer schön, die Gipfel weiß, die Sehnsüchte der Menschen spiegeln sich in den Wellen wieder, die manchmal blau und meistens grün sind. Die Welt könnte untergehen und man würde das hier erst ein paar Tage später mitbekommen, durch die unaufgeregte Information eines Concierge. Man sagt, dass, die Götter hier in den Wolken wohnen und im Regen die Frauen befruchten und Stendhahl schrieb, wer zufällig ein Herz und ein Hemd besitzt, verkaufe es um am Lago di Como zu leben […]

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT II

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT II

Omar Chayyām, der Dichterprophet Persiens sagte mal, dass mehr Leute auf der Welt fähig sind, Bücher zu schreiben, Heere zu führen und Kaiserreiche zu reagieren, als ein Hotel zu leiten. Ein Hotel ist ja immer erst ein Haus, in dem man eigentlich nicht zuhause ist. Die Zimmer gehören mehr denen, die es aufräumen, den Eingang bewacht ein Portier, der Nachtisch ist eine Pflicht den Kellnern gegenüber. Aber es gibt Hotels, in denen man richtig leben kann, wie in seinem Leben, sogar sterben könnte man da. Die schönsten sehen aus wie Vanilleeis mit einem Dach drauf. Die Lobby ist Marmorweiß, die Kellner tragen Manschettenknöpfe und verteilen Häppchen. Die Bar ist aus Holz und hat Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen kann oder einfach nichts sagt und stumm stützt und durch den Raum hinaus aufs Meer sieht. Zwischen klassischen Häusern und neureichen Scheißhäusern, in die Leute gehen, um reich zu sein, liegt ein himmelweiter Unterschied in Form einer Wahrheit, die jeder selbst entschlüsseln muss, in dem er herausfindet, welche Wahrheit überhaupt gemeint ist. Sie ist auf jeden Fall nicht mit Geld gleichzusetzen, außer für Leute, die den Wert von etwas nicht kennen, oder nur kennen, wenn sie wissen, was etwas wiegt, welches Maß es misst oder wie viel es kostet. Ich persönlich interessiere mich nicht für Geld, denn ich habe keins. Ich lebe in Lissabon, Rom, Wien, Paris und doch nirgendwo, schreibe Geschichte, die alle toll finden und keiner verlegen will, und versuche mich von meinen Leidenschaften zu ernähren. Meine Postadresse in Rom ist das Hassler, in Lissabon ein altehrwürdiges Café. Grand Hotels sind wunderbare Orte, die aus der Zeit fallen und dem Ort, an dem sie stehen. Sie leuchten wie weiße Botschaften der Zivilisation an den Küsten und stehen in Städten wie Diplomatien, die man benutzen und anfassen und einsauen darf. Sie dampfen wie große Schiffe in den Bergen, die durch die Zeit fahren und transportieren die Gegenwart einer längst vergangenen Zeit, damit es die Welt von gestern, auch morgen noch geben darf. Dadurch entsteht eine Verbindung zwischen den Zeiten. Nicht, dass sie einem so näher kämen, sondern weil dadurch eine scheinbar große Sehnsucht überbrückt wird. Das ist gut für Menschen, in denen es von Natur aus laut ist. Ein Vaterland für alle, die sich zwischen den Zeiten gefangen fühlen und keinem Vaterland zugehörig. Der Portier ist Pole, der Bellboy Russe, der Kellner aus der Slowakei, der Barmann Italiener, die Hausdame Portugiesin, der Direktor Österreicher und kaiserlich, selbst wenn er Befehle empfängt. Alle samt aus der Enge ihrer patriotischen Gefühle vertrieben und der Selbstverständlichkeit ihrer Heimat entrissen, für die sowieso keiner was kann, da die Welt nicht, wie angenommen, aus einem einzigen Ort besteht, sondern Millionen Orten, die sich alle für die einzigen halten. Ich verstehe, dass einige das nicht verstehen, aber ich verstehe auch, dass wir immer was für uns wollen und selten wollen wir das für andere. Kaum einer will heute von guten Zeiten lesen, geschweige denn von den besseren, wenn er nicht selbst eine erlebt. Am nächsten Tag waren wir am Meer verabredet, was sehr schön war. Man konnte schwimmen und war bereit für die nächste Flasche. Wir fuhren nach Saint-Paul-de-Vence, tranken vier davon im Café de la Place und spielten Petanque. Der Regen hatte sich verzogen und der Platz unter den Bäumen war leer. Nichts von dem hier erinnerte an die Schwarzweißbilder, die ich ihr davon gezeigt hatte und die Geschichte, dass ich bei meinem ersten Mal drei Tage brauchte, bis man mich mitspielen ließ. Ihr waren die Schwarzweißbilder der Bardots und de Gaulles egal und sie spielte ganz zauberhaft, einfach, elegant, unbeeindruckt und provinziell, wie in einem französischen Roman, bevor er veröffentlicht ist. Ich konnte ihr kaum widerstehen, in diesem langen Kleid, den Ballerinas und der Strickjacke, die sie sich drüber gezogen hatte und hasste sie noch mehr. Sie sagte, ihr ginge es genauso, wie ich da so im Anzug stehe, mit Kippe und auf die Bälle ziele und mich so sicher bewege, im Terrain und all diese Dinge kenne. Ich werde nie vergessen, wie sie auf mich zu rannte, um ihren letzten Wurf zu machen und ich dann noch einen Ball hatte, um das Spiel zu entscheiden und das Spiel entschied gegen einen Straßenkehrer und einen Abgeordneten aus Antibes. Nachdem Spiel prügelten wir den Bentley über die Hügel von Nizza. Ich war etwas angeschossen, aber so, dass ich alles noch unter Kontrolle hatte, wie immer, wenn man trinkt, fährt und das denkt. Hier oben konnte man von den Alpen der Provence bis zum Meer sehen. Die Temperaturen waren niedrig. Ich gab Gas und sah mir ihr Gesicht im Rückspiegel beim Gasgeben an. Ihr Blick provozierte, wie sie da so saß und lächelte, seelenruhig, in ihrem Kleid, den Schal über die Schultern gelegt, wie eine falsche Katholikin und mich fragte, ob da nicht noch mehr geht. Ich gab ihr mehr und sie schrie und wollte noch mehr als mehr, aber nach noch mehr käme der Tot. Im Zweifelsfall verheerend, interessiert aber eigentlich keinen, solang man weiterlebt. Man muss bis an die Schwelle, nur nicht darüber hinaus. Beim Petanque hatte ichs ihrs gezeigt, aber das ist Murmelnspielen eben. Liebe ist dann das Gefühl, noch nie schnell genug mit ihr gefahren zu sein. Das man weiß, wo diese Schwelle ist, und nicht die Kontrolle verliert, und denkt, dass die Typen, die sie vor mit hatte noch schneller gefahren sind und sieht, wie sie um die Kurven durch den Bentley fliegt, ist diese Schwelle. Wir fuhren dann noch ein bisschen über die Dörfer, suchten eine Bar, die noch offen hat, kauften Zigaretten und sprachen mit den Einheimischen. Die Reifen des Bentley qualmten und ein netter Kerl, der früher mal Messerwerfer war, lud uns ein. Auf dem Heimweg sagte ein Freund, dass das so nicht geht und ich fragte, was? So schnell zu fahren und damit davonzukommen und zu denken, den Menschen mit seiner bloßen Anwesenheit schon etwas zu geben. Es ist unerhört und unmöglich und es ist dadurch begehrenswert […]

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

Natürlich kann man nicht einfach erzählen, wie eine Reise war und erwarten, dass jemand was damit anfangen kann, wenn er nicht schon selbst da gewesen ist oder Lust hat an einer Hotelbar, in Genua, mit dem Barmann darüber zu reden. Es gibt auf Reisen immer gute Geschichten und lustige, die die Leute mögen und sie wollen diese Geschichten auch hören, wie man in einem Bahnhofslokal, in Busto Arsizio, festsaß und kein Zug mehr ging. Die Bar war lang und ging durch den Raum und man konnte sie vom Vorplatz und vom Gleis aus betreten. Reisende und Einwohner kamen hier zusammen. Männer an Theken, billige Reginella, mit Liebe gemacht, Kaffee, der exakt 22 Sekunden lief. Schon mein Geschmack, auch wie zum Bahnhof hin Bar geschrieben steht. Ich trank Averna mit einer, die die Männer an der Theke Valentina nannten. Im Hinterraum standen ein paar Spielautomaten und Billardtische, auf denen wir schliefen, den Rest behält man für sich oder schreibt ihn auf oder wartet, bis die Leute selbst dagewesen sind und mehr hören wollen oder sich verlieben und wissen, was es heißt, wenn man sagt, dass man nicht viel getrieben hat bis dahin. Ich kann so nicht erzählen, nur mittelmäßige Liebesgeschichten, ohne Liebe, lassen sich so erzählen, von Autoren, wie ich einer war, bevor ich einer wurde und mich verliebte. Man kann nicht nur erzählen, wie man sich liebte und den Bentley nach drei Flaschen Rosé im Café de La Place über die Hügel von Nizza jagte und wie schön sie aussah, als sie, bei 240, das Meer und Nizza zu ihrer Rechten, schneller! schneller! schneller! schrie. Das wurde mir am Ende sehr klar, als wir im Café des Amis saßen, mit Freunden, wie der Name schon sagt, die sich zeitgenössisch darüber echauffierten. Man konnte denen höchstens vom Hotel du Cap Ferrat erzählen, weil man dort festsaß und die Rechnung nicht zahlen konnten und den Sprit, um den Achtzylinder zurück nach zu Mailand zu bekommen und Franz in Wien schrieb, einem Verleger, dem ich vorheulte, dass wir hier festsitzen, wie tote Idole und die Drinks zahlen müssten und den Sprit. Hätte ich ihn nach was anderem gefragt, nach was zum Anlegen, Geld für Miete oder eine Lebertransplantation, er hätte nichts bezahlt, aber so gab er uns etwas Geld, das sogar noch für neue Drinks unterwegs reichte. Franz war vielleicht der einzige Verleger, der das heute noch verstand. Unsere Reise ging von den Seen über das Land bis ans Meer, kreuz und quer. Ohne zu wissen, an welches. Das musste man so früh im Jahr aber noch nicht. Man fragt sich auf dem Weg von Mailand an die Riviera natürlich, ob es sinnvoll ist, extra für ein paar Negronis noch zwischen Cernobbio und Ravenna zu halten. Aber Angelo arbeitet im Sommer da in der Villa d’Este, nachdem er den Winter in St.Moritz im Kulm gearbeitet hat. In den Bergen leitet er das Grand Restaurant, hier bringt er einem die Drinks und wenn er einem die Drinks gebracht hat, an einem Abend unter Bäumen, mit Blick auf den See und dem Knirschen seiner Schritte im Kies und dem Klang von Eiswürfeln im Glas, das von ihm über den Kies, unter den Bäumen getragen wird, fragt man sich das nicht mehr. Man schwelgt in Erinnerungen und denkt über den Sommer nach, redet mit Angelo über die besten der alten Orte und einige neue, an denen man mit seinem Leben weitermachen würde. Badeorte & Bergdörfer, Inseln, Hotel Paläste. Ans Meer fährt man sicherlich, aber hier am See, zwischen Norden und Süden, meint Angelo, müsste man noch nicht wissen, an welches. Man macht die nötigen Korrespondenzen, studiert Wetterkarten und Ausstellungsverzeichnisse der Zeitungen, trifft Vorkehrungen und Verabredungen, organisiert Zusammenkünfte, Lunches mit Leuten, die man kennt und lässt sie vom Lago di Como aus lieb Grüßen. Ich hatte eine Zeitung dabei, die eine Woche alt war und dachte das Wetter aus der Zeitung würde sich noch ändern, aber es änderte sich nicht und Mailand war bei unserer Ankunft so dunkel wie die bei Nacht und all die Wolken der Welt schienen sich im Becken vor den Alpen zu verfangen. Wir holten unseren Bentley und standen im Feierabendverkehr mit all diesen Warnsystemen in Nordatlanitktiefgrau. Der Innenraum dieses Autos sah aus wie der einer Boeing und man saß auch wie First Class, mit Sicherheitshinweisen, die dafür sorgten, dass man sonst nichts mehr zu tun musste, außer sich beim Fahren Gedanken zu machen. Ich schlug vor, so bis nach Genua zu fahren, weil man beim Bentleyfahren, das Fahren sowieso nicht so mitbekommt und das Wetter dort besser ist. Ich verbrachte jedes Jahr eine Nacht da und das konnte gut die hier sein. Natürlich gibt es bessere Städte, um sich die Absätze abzulaufen, aber wenn man jedes Jahr eine Nacht da ist, war die Stadt ein Traum, in dem alles so ist, wie es sonst nie nirgendwo war. Die größte Altstadt Europas, Paläste, einen Spalt weit von einander entfernt. Heute wohnt dort kaum einer mehr im Zentrum, was das Zentrum wundervoll macht, mit guten Bars und billigen Restaurants im Freien und unter Fresken. Geschichten von Tausend und einer Nacht und Nutten, Einwanderern, Ratten, aber sie hatte mein Angebot längst gekauft […]

ÜBER DEN FLUSS UND DIE WÄLDER II

ÜBER DEN FLUSS UND DIE WÄLDER II

Sie hatte Hoffnung. Ich hatte keine, ich hatte die aufgegeben und nahm nicht mal die Kamera mit. Wir fuhren vom Campingplatz ja nur zehn Minuten weiter, durch einen Tunnel, es musste ein Wunder her, aber als wir aus diesem Tunnel kamen, waren wir, wie soll ich sagen, im gleichen Land einer gan anderen Nation. Es war der Garten Eden. Das Grün hatte tausend Farben, die Zypressen beherrschten den Blick, links die Olivenbäume, rechts der Wein, in den Wäldern standen Trüffel und Pilze. Niemand, der zeltet. Wir fuhren von der Straße ab und dann eine, die gar keine war, mit unserem Auto aber gut ging. Wir fuhren, bis man nicht mehr Fahren konnte und dann liefen wir. Sie in einem schönen Sommerkleid, mit mittellangen Armen und einem Hut, den wir in Triest gekauft hatten. Es passt alles ganz wunderbar zur Landschaft. Ich? Es ist egal, was ich trug. Wir liefen oben am Meer lang, bis wir das Ende der Landzunge erreichten und sich eine schöne Bucht vor uns auftat, zu der ein paar Stufen aus Stein führten. Unten lag ein einsamer Strand aus Kies, ein paar Leute Schwammen, der Rest schlief. Wir schwammen und schliefen auch und hörten im Schlaf wie der Strand leer wurde und Leute über den Kies gingen. Ihre Stimmen drangen in unsere Träume. Als wir aufwachten war es schon spät, spät für Leute und Strand, für mich aber die richtige Zeit. Es war ja immer noch warm. Die Sonne kam gerade erst um die Ecke und strahlte flache über den Strand. Es ist besonderes am Abend am Strand zu sein, wenn er leer wird und sich die Erwartungen legen. Die Adria ist dann blau und still und salzig und ohne Wind. Wie Öl. Auf dem Rückweg aßen wir in einem kleinen, einfachen Lokal, auch auf Plastikstühlen, aber anders. Über uns hing der Wein, den wir tranken, Refosco nannten die den. Das Lokal wurde von einem netten schweigsamen Herren geführt, aber ich hatte nichts mehr gegen das Schweigen. Ich war in ihrer Gegenwart auch oft nur still. Keine Ahnung, was sie dann an mir fand. Als ich vorhin am Strand aufgewacht war und sie sah und sah, wie sie da lag am Strand, neben mir, und schlief in einem letzten Rest Sonne, mit der Adria davor und einem Buch von Triest daneben, in einem Kleid, dass sie von ihrer Mutter hatte, konnte man ja nur Schweigen. Man fragt sich, wieso man überhaupt je gezweifelt hat, wenn jetzt alles so ist und versteht, dass alle Tage und Nächte, auch die mit anderen, nötig waren. Ich dachte daran, wie wir eine Post gesucht hatten, um den Brief abzuschicken und sie anrief und mir gratulierte und ich nicht wusste, ob sie ihn bekommen hatte und still war, zum ersten mal und still war, als sie mich nochmal treffen wollte und ich ihr sagte, dass es jetzt nun vorbei sei und sie nochmal fragte, ob ich mir sicher wäre und ich sagte, ja. Natürlich möchte man der, die man lange geliebt hat, helfen, aber mit dem, was man tun müsste, würde man sich aufgeben. Wir haben stets die Möglichkeit. Das Leben hat nur ein Ziel und es ist meistens dieselbe Geschichten. Sie ist hart, rücksichtslos und schmerzt, aber solange sie schmerzt, weiß man, dass man lebt. Alles andere ist Existieren und tun, als ob es Veränderungen nicht gäbe. Es ist jene Arbeit, für die alle anderen Arbeiten nur Vorarbeiten sind und sie hatte mich in diesen Moment geführt und man bräuchte deshalb nie wieder Angst haben, vor dem was kommt oder nicht. Der nette, schweigsame Herr kam und stellte Teller hin. Wir aßen Tintenfische mit Tinte, Miesmuscheln mit Brot und Salat, nachts im Konvent sahen wir Fernsehen, wie alle hier. Gleich am Morgen beschlossen wir den Konvent zu verlassen. Beim auschecken meinte sie, sie hätte Anthony Hopkins einchecken gesehen, aber das war unmöglich. Wir verließen den Campingplatz ohne Groll, immer hin hatte der uns erst auf die Suche geschickt, und mieteten uns im Kempinski in Piran ein, um näher an unserer Bucht zu sein und im Kempinski. Das war ein gutes Hotel, mit Marijan, einem Concierge, den ich gar nicht mehr romantisieren brauchte. Er sagte, Piran wäre ein Ferienort an der slowenischen Adriaküste, bekannt für seinen langen Pier und seine venezianische Architektur und das im Freien Essen. Er nannte uns auf anhieb zwei geile Lokale, von denen sich unsere Welt aufspannte. Das eine war ein gutes, einfaches zum Essen, das andere ein gutes, einfaches zum Trinken danach. Ich habe selten einen Concierge erlebt, der so ins Schwarze trifft oder so ehrlich ist, denn die meisten werden von Restaurants bezahlt oder haben keine Ahnung vom Menschen verstehen. Nur einmal probierten wir ein anderes Lokal, auf einem schönen Platz, mit Brunnen und Fensterläden, von dem uns Marijan abriet, nur um zu sehen, dass er Recht hat, wenn er sagt, dass Muscheln mit Käse Verbrechen sind. Von hier an war der Wein nie weit und wir fuhren noch oft zu unserer Bucht bis man nicht mehr fahren konnte und liefen dann. Wir gingen die gleichen Wege und ich erzählte ihr Platons Geschichte von den Kugelmenschen oder die von der Welle und dem Felsen im Meer. Eines Abends war ein Paar am Strand, das stritt und ich war froh, nicht mehr das Paar zu sein. Wir fummelten an uns rum und schwammen. Sie war ganz toll im Wasser. Es schien ihr natürlicher Lebensraum zu sein, wie der jeder Portugiesin. Wir waren sorglos, wie die Kinder Napoli’s, neckten uns und schwammen voneinander weg, als wären wir 14 und an einer Bushalte. Aus irgendeinem Grund wollten wir uns nach dem Schwimmen immer mit Olivenöl einreiben. Auf dem Rückweg blühte und brummte dann alles, war ganz erschöpft vom Sommer und der Zeit, so wie wir und unsere Bucht lag lautlos und ruhig in der Ferne. Wenn sie nicht weiter laufen konnte, setzte sie sich einfach hin. Die Straße führte an einigen glücklichen Häusern vorbei, die Luft war warm, eine Umarmung der Welt. Alles glühte noch vom Tag und die Farben kehrten in ihre Dinge zurück. Die Bucht von Triest lag in der Ferne, wie Sterne über dunkelblauem Blau und ganz am Ende, so glaubte man, Miramare zu sehen. Ein Gedanke daran, wie alles begann und man fühlte sich wie die Landschaft ist […]

TAGE AUSSERHALB DER ZEIT

TAGE AUSSERHALB DER ZEIT

Diese Geschichte beginnt an einer Bahnstation. Ein Zug stöhnt und ein Zugschreier schreit. Rauch steigt auf, der die ersten Zeilen verhüllt und die Anzeige: Von Venedig nach Wien mit dem Zug. Allein wie das klingt. Besser klingt das nur, wenn man Vienna und Venezia sagt, ohne Zug, weil das alliterarischer ist. Denn die Realität dieser Vorstellung ist ein völlig überfüllter Bahnhof Venezia Mestre, 35 Grad und ein Zug der ÖBB, der seit einer Stunde hier sein soll. Mal am Gleis vier, mal dort, mal gar nicht mehr, je nachdem wo die meisten aufgeregten Wiener in dreiviertellangen Hosen und Kurzarmhemden stehen. Sie fragen, ob ich nicht auch nach Wien müsste und warum ich dann noch so ruhig aussehe und so dick angezogen wäre (Mantel, Anzug, Zuschicket in der Brusttasche) und warum der Zug schon wieder nicht auf der Abfahrttafel angeschrieben steht. Ich antworte, dass wir eben noch nicht in Wien sind und 35 Grad zwar heiß, aber noch kein Grund für dreiviertellange Hosen. Sie fragen, was mich überhaupt nach Wien führt, na Wien und ein bisschen der Weg dorthin, was man denn sonst für einen Grund brauche? Er sah mich mit misstrauischen Nachbarschaftsaugen an und versuchte das zu entschlüsseln, aber er hatte nichts von jener Begeisterung, die Abfahrttafeln, mit Zeiten und Zügen, die über Grenzen gehen, in einem auslösen können. Für mich lesen die sich wie Depeschen zwischen den Hauptstädten: Budapest, London, Ljubljana, Prag, Berlin, ein Gefühl am Gleis. Ich warte sehr gerne. Das konnte der Wiener einfach nicht verstehen und ich verstand das einfach nicht, aber uns rettet die Durchsage, der Zug wäre in einer Stunde hier. Hätten wir doch besser ein Flugzeug genommen, schimpfte er. Wenigstens etwas, in dem wir uns einig waren. Für ihn war das jetzt gerade genug, um noch eine Stunde wütend am Gleis zu stehen bis der Zug endlich dran steht. Ich fuhr nach Venedig, rauchte, sah mir den Canal Grand an und fuhr wieder zurück. Eine zweistundenlange Stunde später kam er auch. Man hat nun schon einen ganzen Vormittag am Bahnsteig verbracht und muss nun, für den gefühlten Rest seines Lebens, sitzen. Der Zug von Venedig nach Wien ist kein Nachtzug. Erst ist genau so lang, aber er fährt am Tag, ohne die Liegeplätze. Er ist überfüllt mit wütenden Menschen, die gewartet haben, ohne Venedig zu sehen, es ist heiß, das Internet kaputt, die Getränke warm und mein Platz unter der Anzeige, die mir unentwegt vor Augen führt, dass es bis Wien noch neun Stunden sind. Ein Wiener kommt und bringt sein Gepäck in Sicherheit, weil ihm ungeheuer ist, dass ich drei Hemdknöpfe offen habe, vorher Mantel trug und nun unter seinen Dingen sitze. So wird man natürlich nervös. Ich weiß nicht, wies ihnen geht. Züge unterteilen mein Leben in Kapitel. Sie unterteilen Tage und Zeiten und fahren sie weit voneinander weg. Sie trennen die bei Parmesanbauern, von denen in Genua und San Remo und nun hoffentlich die außerhalb der Zeit in der Toskana. Keine Ahnung, ob die eine gute Idee waren. Diese Geschichte fängt deshalb da an, wo eine andere aufhört, die noch nicht ganz fertig ist. Die Wiener, die Anzeige, das wirft alles Fragen auf. Mein Herz schlägt, schreit raus! Der Schaffner beruhigt mich, sagt, ich könne hier nicht raus, mein Kopf versuchts auch. Er verlangt nach guten Gründen, um jetzt hier einfach auszusteigen und alles hinzuwerfen: Diese Zuggeschichte, das Honorar, meine Miete. Bis kurz vor Udine halte ich das aus, schiebs auf den Schlafmangel, den Wein, die generelle Melancholie eines jeden Abschieds, Reisegerede, die Schwebe, bevor etwas endet und was neues beginnt. Ich redete mir ein, dass es feige wäre, jetzt zur ihr zu fahren, nur weil man sie vermisst und das Vermissen, irgendwann sicher schon vergeht. Nächster Halt war Portogruaro, dann Udine, die letzte Stadt vor der Grenze. Villach, Klagenfurt, Wien, kein Weg in die Zeit zurück. Das Internet immer noch kaputt und nur ein Buch von Faulkner dabei, Udine kommt näher. Man will einfach nicht, dass die Geschichte hier jetzt vorbei ist, und eine andere anfängt, denkt, denkt nach, hört auf, nach zu denken, und auf sein Herz, schnappt sein Zeug, zeigt dem einen Wiener den Vogel, steigt aus, steht da, irgendwo, sieht seinen Zug tatsächlich weiter nach Wien fahren, lacht, bis einem das Lachen vergeht, weil die Dicke am Schalter sagt, dass es heute kein Ticket mehr gibt […]

EUROPA

EUROPA

Mir kam neulich so eine Idee. Ich saß beim Frühstück im Royal Hotel San Remo, relativ angeschossen, weil ich die Nacht zuvor mit einem älteren Amerikaner durch die Gassen gezogen bin (man kann in San Remo also noch durch die Gassen ziehen). Draußen gewitterte es, wie Sau, die Welt schien unterzugehen, aber die Leute drinnen, aus aller Herren Ländern, verhielten sich, als würde sie das nicht tun. Die Welt da draußen ertrank, aber das Ballett der Kellner ging drinnen einfach weiter, wie immer, als ob nichts wäre, war ja auch nichts, aber egal was da draußen passierte, es musste ja weitergehen, wie es immer irgendwie weiter gegangen ist. In der Ecke, an den Fenstern, spielte sogar jemand Klavier. Ein Lied, das überhaupt nicht passte. Schon gar nicht um die Zeit. Es hätte was von Erik Satie sein müssen. Ein Kellner kam und fragte, ob ich noch Saft will. Gutes, altes Schauspiel Europa. Das Royal Hotel San Remo ist ein 150 Jahres altes Hotel, Blumenkästen, Balkone, Markisen. Es ist schneeweiß, wie viele 150 Jahre alten Hotels an dieser Küste und es ist in Familienbesitz, wie wenige. Man könnte jetzt natürlich gleich wieder loslegen, aber es ist zu einfach und falsch ein Grand Hotel als etwas Dekadentes zu bezeichnen, weil man nicht weiß, was Grand Hotels sind und was Dekadenz bedeutet. Es gibt auf der Welt viele luxuriöse Häuser, die sich unterscheiden, genauso wie es viele Möglichkeiten gibt, dieses Wort für sich auszulegen. Nur eines muss jeder Interpretationsgrundlage gemein sein, bei allen Vorurteilen und Varianten, dass Dekadenz dem Untergang geweiht ist. Sie ist das Ende von etwas. Immer. Weltuntergangsstimmung. Ein Mittel gegen die Leere unseres Daseins, durch die wir, im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, im Rausch hinausgekommen sind. Das Fin de Siècle, das Ende des Römischen Reiches und anderer Reiche und irgendwann auch wir, in dieser aufgegeilten Welt kurz vor dem Höhepunkt. Wir bauen zwar keine tausendjährigen Gebäude mehr, die mit der Zeit schöner werden, aber das haben Demokratien so an sich. Wir feiern auch keine Orgien mehr, auf denen Champagner in Bächen fließt, wie auf Thomas Coutures Les Romains de la décadence, jeden falls nicht ungestraft. Unsere Dekadenz ist anders. Sie besteht aus Dingen, die man kaufen kann und Dekoration, die auf etwas macht, das sie nicht ist. Bücherregaltapete, Werbeplakate, Moralismus, Eier aus Bodentierhaltung, Orangensaft ohne Vitamine, Warteschleifen, Telefonieren generell, oder das, was heute noch von Telefonieren übrig geblieben ist: Menschen, die hoch und runterladen, online kaufen, Oktoberfeste feiern, ohne je geerntet zu haben, kaum noch Antiquitätenläden, nur noch mehr Läden, in denen man Telefone kaufen kann, kurze Hose und Döner. Wir sind eine Einweggeneration, die gern was Besichtigen oder Demonstrieren geht, wenn der Tag lang ist, sich aber lieber fünf Paar Billigschuhe kauft, anstatt eins, das gut ist und lange hält. Weil das eben teuer ist und alles, was teuer ist, für Reiche ist, aber dass alle Reichen so sind, ist leicht gesagt und nicht ganz fertig gedacht, nicht alle sind Waffenhändler. Manche haben gelernt, auch mit sehr viel, glücklich sein zu können. Ich bin schon oft an diesem Hotel vorbeigefahren, immer mit dem Zug, auf meinem Weg von Genua nach Nizza oder umgekehrt. Es ist eine schöne Strecke, vielleicht die Schönste, ganz nah am Wasser lang, durch zwei Länder. Man bekommt die Grenze gar nicht mit, außer, dass in Ventimiglia Polizisten einsteigen, die durch den Zug schauen und in Menton wieder gehen. Es ist angenehm und irgendwie noch richtig Europa und es ist ganz selbstverständlich. Ich liebe diese Freizügigkeit und benutze sie sehr. Die Hälfte des Jahres lebe ich in Hotels, die andere Hälfte in Lissabon und Rom und manchmal in Wien. Ich sitze in den Cafés, trage Zugbilletts in der Brusttasche und versuche, egal wo, mit meinem Leben weiter zu machen. Wenn ich bis Weihnachten nicht in in der Closerie des Lilas in Paris saß, im Sommer ums Cap d’Antibes schwamm, einmal im Jahr nicht hier Ventimiglia auf den Zug nach Genua wartete, eine Zeitung im Café Sperl las, bei Tito in San Sebastian aß, meine Freundin in Mailand traf, mit ihr durch den Retiro ging oder am Lago di Como darüber nachdachte, Schluss zu machen, ging bei mir gar nichts. Meine Adresse in Rom und Wien ist ein Hotel, in Lissabon eine altehrwürdige Pastelaria. Mich betreffen Europäische Wetterkarten.Nirgends ist das Meer so Blau wie hier, das weiß so weiß, Europa so sehr Europa. Die Alpen fallen direkt ins Meer. Man fährt an all diesen Erinnerungen vorbei, den eigenen und den von anderen. An Orten zwischen den Orten, an Sestri Levantes Landzunge und seinen Buchten, dieser Insel vor Ventigmilia, wo wir immer auf den Zug gewartet hatten und ihr nagelneuer Rollkoffer einmal von einem Auto überfahren wurde und ich nie Farbfilme hatte und die beiden Fotogeschäfte immer zu gewesen sind, weil wir immer Mittags da waren und in dem kleinen Café am […]

ÜBER DIE DÖRFER

ÜBER DIE DÖRFER

Mein Freund Filippo, ein Parmesanbauer, den alle im Dorf nur Pippo nannten, hat ein kerngesundes Milchgesicht mit blonden Haaren. Wir hatten uns ein Jahr nicht gesehen, aber das schien unverändert. Ich kam mit dem Nachmittagszug aus Mailand nach Fidenza. Das gleiche Bahnhofslokal, die gleichen Leute, genauso ein Regentag und doch alles anders, sehr vertraut und sehr fremd und schrecklich gleichzeitig. Vielleicht waren es auch andere Leute, aber sie saßen vor den gleichen Drinks und sahen genauso aus, wie vor einem Jahr und und so, als hätten sie mit dem Weitertrinken auf mich gewartet. Das tut gut, bei aller Vergänglichkeit, die uns umgibt. Ich wartete auf Pippo und fragte mich, was besser ist: Dinge erleben oder lieber nicht, sich auf sie zu freuen oder nun daran erinnert zu werden. Man hat diesen Ort und seine Erinnerung daran, aber nach einer Trennung konzentriert sich alles in einem schwarzen Loch. Man erinnert sich an Sachen, wie das WD40, das man damals an einer Tanke kaufte und daran, dass man es auch zusammen geschafft hatte, unglücklich zu werden. Man lenkt sich besser ab und fragt sich, wo Pippo wieder bleibt, bis man ihn in seinem schwarzen Jeep heranrasen sieht. Er fuhr, als wäre er auf Gleisen. Wir umarmten uns herzlich und er fragte gleich, ob ich an die Bar will, heute wäre sonst nichts mehr zu tun, außerdem sähe ich niedergeschlagen aus. Ich sagte, dass ich das lieber nach einem Tag Feldarbeit tun würde, als jetzt, so, in dem Aufzug. Er nickte und sagte, klar, komm erst mal an und leg diese Sachen ab. Ich stieg in den Jeep und sah beim Fahren auf die Felder, um mich abzulenken. Diesmal von der Tatsache, dass wir fast zweihundert fuhren. Das Gras stand genauso hoch wie beim letzten Mal, als ich glücklich war und verliebt. Die Liebe ist auch immer noch da, nur das Glück, das ist weg. Ich sah die Mohnblumen impressionistisch im Gras an mir vorbeiziehen und Pippo meinte, schau, mein Käse, der wird aus Blumen gemacht. Ich mochte Mohnblumen, weil sie da waren, wo sie waren und nirgendwo anders sein konnten, ohne zu vergehen. Pippo sah eigentlich überhaupt nicht italienisch aus, bis auf den kleinen Pastabauch. Seine Augen waren Meerblau und wenn wir an einem Feld vorbeifuhren, das nicht seins war, heften sie sich an das Gras der Felder, als wäre es der Hintern einer vorbeigehenden Frau. Das besondere an seinem Käse war, dass er alles, vom Gras zur Milch bis zum Käse, selber machte. In den nächsten Tagen würde ich alle Stufen durchlaufen. Er war ein interessanter Kerl, unvorhersehbar und schwer einzuordnen und manchmal ein bisschen wirr, wie es sonst Bergmenschen eigen ist. Er hatte diese Art beim Trinken immer einen Moment zu haben, in dem man dachte, dass es eigentlich gleich alles vorbei ist. Er redete dann sehr langsam und wurde ruhig und kam erst nach einer ganzen Weile wieder, so als hätte er nur lange ausgeholt. Er hatte immer Durst und nie Hunger, zumindest sagte er, dass er nie welchen hätte, bis das Essen kam und er es mit größtem Genuss verschlang. Ich kannte keinen Menschen, der so vom Essen sprechen konnte, wie er, und es war schön zu hören, wie er von vergangenen Essen sprach oder künftigen oder was er eben aß. Man könnte jetzt fragen, ob es nichts wichtigeres gäbe, aber was wäre dann überhaupt noch wichtig? Gerade, wenn man etwas wichtiges macht, einen politischen Deal oder ein romantisches Abendessen, ist es doch wichtig, welche Weine man trinkt und was man dazu isst. Das macht den Charme der Menschen doch aus: Churchill, der sich ohne seine Romeo y Julieta nie mit Stalin getroffen hätte, Kennedy, der vor dem Telefonat mit Chruschtschow einen bestimmten Bordeaux trank oder Richard Gere, der niemanden ausziehen würde, mit dem er nicht vorher im Lotus gefahren ist. So ist Auto fahren mit Pippo auch. Man lebt nicht nur für den Moment, man überlebt ihn und rast zwischen den Momenten umher, die schönen, glatten Straßen lang bis ins Ziel. Er brachte mich in mein Gästequartier und hier war man nun, allein! Die Sonne schien, bis zum Abendessen manchmal durch die Wolken in mein Zimmer, sonst passierte nichts. Es ist immer schwer, wenn man aus der Stadt aufs Land kommt. Man kriegt erst mal Panik, will irgendwas tun, muss doch irgendwas tun, wenigstens Mails schreiben, Sporttreiben, Aufräumen, einen Café to Go trinken, mit dem Stadtleben auf dem Land weitermachen, aber man kann nichts machen, außer nichts, bis einem die Seele nachkommt. Es wird dann sehr laut in einem, wenn um einen plötzlich alles still ist. Willkommen in der Emilia Romagna. Wie immer im Mai, wenn ich Freunden erzählte, dass ich nun erst mal wieder in Emilia Romagna bin, kann keiner was damit anfangen. Dabei kommt ein Großteil von dem, was wir für Italien halten, hier her. Ich habe eine Leidenschaft für Orte, die zwischen den Orten liegen und ohne Eifeltürme und Kolossen auskommen. Das Land zieht mich irgendwie an, es spricht zu mir. Die weiten Felder, das Licht, die langen, einspurigen Straßen, die die kleinen Dörfer miteinander verbinden […]

ROM III

ROM III

 

Rom ist warm und sonnig und wie immer anders im Frühling, weil man nach so einer Zeit immer ein anderer ist. Orte ändern sich doch nicht so wie wir und das Wetter unserer Gefühle im April. Man braucht dann seine Rayban und einen Regenschirm zur gleichen Zeit. Die Rayban, um seine Tränen zu verstecken und den Regenschirm gegen die Sonne. Man glaubt, wenn man bei Regen das Haus verlässt nicht daran, dass es je wieder anders werden könnte, weiß aber, dass es immer anders geworden ist und reagiert. Es sind nur bierschaumweiche Wolken, die da hinter immergrünen Pinien am glockenklaren Himmel hängen. Die Luft ist sanft und dämpft den Aufprall unter den Dingen, Staub und Steinen, die am Ende eines warmen Tages doch noch nicht Staub geworden sind. Blaulichtsirenen zertrennen die Durchsichtigkeit der Atmosphäre. Ein römischer Sommerabend, einer der ersten, und so, dass einem das Erste und der Abend und der Sommer auffällt, oben über Rom. Wenn dann noch der richtige Straßenmusiker spielt, steht man plötzlich über den Dingen, anstatt unter ihnen zu leiden. Ich wohne auf dem Aventino, einem der historischen Hügel Roms, in einer gelben Villa mit langer Einfahrt, die man auf die Villa zugehen kann, wenn man sie nicht fährt. Zur Haustür führt eine Treppe, die man von zwei Seiten gehen kann, wenn man will, mit der Begründung, das man nur einmal ist.  Von den Metallstühlen im Kies sieht man, wie sich sonst alles verhält. Um die Villa ist viel Grün und viel Ruhe und am Abend kann man die Ruhe laut werden hören und riechen, wie das Grüne langsam kalt wird. Angelo, mein braver, fetter Kirchendiener ist der Dirigent dieser Ruhe. Er nimmt mir den Schlüssel ab und schließt auf, wenn ich spät nachts oder früh morgens aus der Messe komme, die ich manchmal nach der Bar besuche, wenn es schon so spät ist, dass es auch früh werden kann. Der Schlüssel ist so groß wie ein Revolver, der ausgewachsene Penis eines unaufgeregten Afrikaners. Ich liebe den allmorgendlichen Lobgesang der Benediktiner. Er ist morgens gerade das, was die Eile früher am morgen für mich war, ein Ritual. Das habe ich schon oft geschrieben, wie das Licht durch die Fenster fällt und sich mit dem Gesang der Mönche vermischt, aber weinen muss man jedes Mal trotzdem. Man fühlt sich danach leer, ohne Verlassen worden zu sein. Der pinke Morgenhimmel ist fast blau und im Park vor der San Sabina noch kein Schwein mit Hund, der scheißt. Auffällig, wie dunkel der Teer dann neben der Backsteinkirche ist. Die Straßenlaternen schalten sich aus und der Tag geht an und die Ampeln funktionieren für noch niemanden. Man steht mitten auf der Kreuzung und sieht sich das Umschalten an, als wäre man der einzige Mensch auf der Welt, der das sieht, mit einem Buch von Tschechow in der Tasche und Penny Loafers an, den Mantel einfach über den Schlafanzug drübergelegt, fertig. Ich stand gestern morgen schon hier, in voller Montur mit einem fürchterlichen Buch von Carver in der Tasche und einem letzten Bier. Die ersten Cafés öffneten gerade in denen noch die letzten Besoffenen gewesen sind, die ihre Nacht auch irgendwie rumgebracht haben. Die ersten Tage war da vor allem das Gefühl, ihr das zeigen zu müssen, den protestantischen Friedhof, die Bar am Gianicolo, die Villa Pamphili, die besten der alten Orte und einige neue. Es war schön, an all diese Orte zu kommen, weil alles noch so war, wie es ist, wenn um einen sonst alles andere vergeht. Mohnblumen  blühen zwischen Ruinen. Die meisten Leute, die man so kennt leben noch, auch wenn die einen in Rom nicht so auffangen, wie wenn man nach Lissabon kommt. Ihnen fehlt die Demut der Portugiesen, ein Atlantik und die Kolonien Lateinamerikas, das Römische ist da irgendwie amerikanisch. Wenn ich abends bei Perilli bin, fällt mir das auf. Das ist ein solides Lokal, einfach, wie man gern sagt den Aventino nicht ganz bis zum Friedhof runter, rechts. Angelo hatte das empfohlen und Angelo hatte recht. Es ist ein einfacher quadratischer Raum mit weißen Tischen und Holzvertäfelung bis zum Bauchnabelpiercing und darüber eine schöne, leicht gestreifte Tapete, wie bei Tulio mit Gemälden drüber gehangen. Die Römer führen sich hier auf, um ihre Mängel zu testen, bevor man die auf den Markt in bessere Lokale bringt. Die Artischocken und die Puntarelle sind fantastisch auch wenn die langsam out of season sind, wie Angelo sagt. Uns verbindet sonst eigentlich nichts. Er ist Roma Fan, ich kann mit Fußball nichts anfangen. Er glaubt an Gott, die Sintflut und Arche Noah. Ich höchstens, dass der, wenn überhaupt schon in uns ist, oder wenigstens in Epikur und Marc Aurel war. Angelo hat sich früher mit Leuten wie mir angelegt, er ist Christ. Ich hatte eine Fußballvater und war auf einer christlichen Privatschulen, die einem das austreiben. Manchmal, wenn er mir den Schlüssel gibt, behutsam, als wäre es ein Revolver oder ein Penis, sprachen wir uns kurz. Er sagte, wies bei AS Roma steht und ich wie die Puntarelle waren. Es war eben das, was wir tun konnten, um uns zu arrangieren, immer  hin bin ich für den Rest meines Lebens gekommen. Es ist nicht so, dass ich für immer in Rom bleiben werde, nur so, dass ich mit diesem Gedanken kommen wollte, um zu sehen, wie es ist und das nichts so ist, wie man denkt […]

TAGEBUCH EINER TRENNUNG II

TAGEBUCH EINER TRENNUNG II

Ich ging oft auf diesen Friedhof und mit ins Farnese und auch an anderen Tagen in die Sant’Andrea della Valle. Manchmal gingen wir danach auch zu Buccone, einer sehr hohen Enoteca, nicht weit vom Popolo. Meine Rechnung ist aufgegangen. Seit drei Wochen bin ich jetzt schon hier. Ich bin in Rom gekommen, um nicht in Lissabon zu sein und geblieben, bis es nicht mehr nur darum ging, nicht mehr nur in Lissabon zu sein, sondern in Rom und die Schuld ein für alle Mal tot ist. Ich bin geblieben und nicht mehr weggegangen, habe das Scheitern gefeiert und nicht weiter gewusst. Abends blicke ich von der Gymterrasse des Hotel Hassler über die Spagna weg auf Rom und habe das Gefühl gescheitert, aber glücklich zu sein und das ist eigentlich kein Zustand meines Lebens. Ich sehe die Stufen runter, die Via dei Condotti lang, über die Kuppeln und tausend Touristen und denke, hier bleibe ich, hier weiß ich nichts und hier feiere das Scheitern, von hier bringt mich nichts mehr weg. Ich hatte vergessen, dass es außer meiner leidvollen Welt der Liebe auch eine andere Welt, mit Liebe, ohne Leid gibt. Ich hatte vergessen, was es heißt, ein Mensch zu sein, der denkt und fühlt, ohne zu denken, was er denken und fühlen sollte. Ich hatte vergessen, dass es auch noch andere Menschen gibt und Städte, die etwas von uns haben und uns zu uns führen, einer Form unserer selbst, die uns vielleicht mehr entspricht. Ist im Umgang mit jedem, doch immer ein etwas anderer und wer weiß dann schon noch wer er ist, wenn er in sich schaut und nicht um sich sieht, oben über die Spagna von der Gymterrasse des Hotel Hassler aus? Ich war größenwahnsinnig geworden, ein Hochstapler wie Felix Krull, talentierter als Ripley, gesünder als Thomas Bernhard und doch so wie alle, die wir uns in Städten als jemand ausgeben, der wir nicht sind, bis wir es werden, weil wir einfach lange genug so getan haben als ob. Ich schrieb meinem besten Freund einen Brief, schrieb, dass er doch gerade in der gleichen Scheiße sitzt und nach Rom kommen soll, mit dem Zug von München über Bologna, aber vor allem nach Rom, wenn er sonst niemanden liebt. Es wäre für uns doch das Beste irgendwo zu sitzen, zu trinken und zu hören, wie der andere über die Welt herzieht. Außerdem würde ich ihm gerne meinen neuen, alten Freund vorstellen. Ich hätte Giorgio schon viel von ihm erzählt. Zwei Gedanken dürften aber nicht gedacht werden, wenn er kommt: Was kommt danach und wie funktioniert das ganze Finanzielle. Ich würde um Vorabhonorare betteln, er um Filme. Vielleicht waren es genau genommen auch drei Gedanken, aber Rom war so schön, dass ich nicht weiter über Hämorriden und Flecken nachdachte. Ich musste ja in Rom bleiben und unbedingt im Hassler wohnen, ich war ja größenwahnsinnig geworden. Der Plan war im Hassler zu wohnen, bis wir nicht mehr im dort wohnen konnte, und dann eine Italienerin kennenzulernen, also eine Bleibe zu finden oder eine kulturelle Einrichtung (lieber nicht), große einflussreiche Leute aus La Grande Bellezza, Kirchenväter, Monseigneurs, die sich junge Autoren halten, Kardinäle, Mäzene, Leute, die Schnitzlers Traumnovelle nachmachen und die Dolce Vita leben, die sich, so sagt man, in diesen moralischen Zeiten, in die privaten Palazzi zurückgezogen hat, hinter zugezogene Gardinen großer, mysteriöser Fenster. Das Schöne am Hassler war, dass egal ist, wer man ist und was war, seitdem man das letzte mal hier gewesen ist. Es ist ein Familienhotel in fünfter Generation. Der Vater der Direktorin soll ein sehr eleganter Mann gewesen sein, der in drei Sprachen Lippen lesen konnte. Es steht ganz unauffällig da an der Treppe und reiht sich ein, anstatt sich anzubiedern wie wenige Gebäude, die ihren Wert für sich behalten. Ich schrieb ihm das alles in einem Brief, weil es die einzige Art ist, mit Freunden zu kommunizieren, wenn man unbedingt mit einander kommunizieren muss und in verschiedenen Städten traurig ist. Es ist eines dieser letzten sinnlosen Überbleibsel einer untergehenden Welt aus Briefbeschwerern, Telegrammen, Depeschen, Gepäckträger, Abendzeitungen, Manschettenknöpfen und Nachtzügen, die wie Dampfschiffe noch enorme romantische Zusammenkünfte an all den Orten zuließen, an denen das Spiel der Verführung in subtiler, undurchsichtiger und geschickter Weise über die Bühne geht. An denselben Orten, mit denselben Leuten, die auch an all den anderen Orte sind. Man hält es aus, sich ihnen nicht gleich mitzuteilen und teilt auch nicht mit, wenn man sich in einem Brief mitgeteilt hat, der (in Italien) oft erst lange nach den Ereignissen eintrifft. Er hatte jetzt meine Adresse: Hotel Hassler Roma, Piazza della Trinità dei Monti. Eine Woche später kam er. In der Lobby des Hassler lief gerade Aqua e Sale und es pulverisierte mein zerbrochenes Herz. Er fragte, was los ist und ich sagte, das ist das Lied, dass ich mit ihr einmal morgens im Taxi hörten, als wir unseren Rückflug aus Rom nach Lissabon verpassten. Wir waren schon in Sichtweite des Flughafens, aber der Taxifahrer meinte, das bringe bei dem Verkehr alles nichts und drehte voll auf und das ist nur einer dieser Momente, die es nun nicht mehr gibt, wenn man den Menschen nicht mehr hat, mit dem man ihn teilt. Zusammen könnte man mit den Momenten unter der Brücke leben. Die Frage, wie allein damit umgehen? Die Zukunft wirft Fragen auf, aber die Vergangenheit ist in meinen Augen schwerer zu ertragen, da ich Zukünfte für Erfindungen halte und es schwerer finde, mit einer Vergangenheit umzugehen, ohne sie zu erfinden, zu prahlen oder daran zu Grunde zu gehen. Was wird Teil von uns, was nicht? Welcher Teil ist für wen ersichtlich, wenn nichts und niemand mehr da ist, der die anderen daran erinnert? Er sagte, solche Gedanken durften einfach auch nicht gedacht werden, genauso wie der, dass sie mit schwarzen Modiglianiaugen Männer fickt, die ihre Vergangenheiten erfinden und Reichtümer, und vom wahren Roms und wahren Lissabons sprechen und den vielen Lieben, die ihnen zuteil geworden sind. Menschen kommen und gehen, aber vor allem gehen sie, wenn ihre Zeit vergangen ist und sich herausstellt, dass sie doch nicht jene waren, für die man sie hielt. Was wird Teil von einem und was nicht, welcher Teil ist für wen ersichtlich, wenn nichts und niemand mehr da ist, der uns erinnert? Frauen, die man hatte und eine, die man liebte, weil man sie nie gehabt hat. Alle schönen Momente konzentrieren sich dann im Kollaps eines Ereignishorizonts, der ein schwarzes Loch zurücklässt, das aussieht wie Pierre Soulages Bild eines zehnten Novembers. Schwarz und drübergemalt, an manchen stellen völlig undurchsichtig, mit ein paar hellen Ecken, in einem goldenen Rahmen, wenn gegenüber eine farbenfrohe Komposition von Bran van Velde hängt […]

TAGEBUCH EINER TRENNUNG I

TAGEBUCH EINER TRENNUNG I

Es geht damit los, dass man sich fragt wies nun weitergeht. Man kann das in Rom, nach einer Trennung, aber nicht schon wissen, das geht einfach nicht, das geht nur danach, ich weiß gerade nur nicht, wann das ist und ob es überhaupt ein Danach geben wird. Ich bin nach Rom gekommen, weil ich aus Lissabon flüchten musste. Die Stadt ist nicht Rom. Sie kann schon gar nicht Rom sein, wenn man dort lebt. Man denkt, man könnte das, was man in Rom macht, auch gut in Lissabon machen, es ist die perfekte Stadt dafür, hügelig, melancholisch, nicht weit vom Meer, aber es geht nicht, alles erinnert mich an sie. Für die einen ist es London oder New York; für mich Lissabon. Und Rom, und das war ja das Problem. Rom war immer das Argument, wenn es darum ging, wie unser Leben in Zukunft auszusehen hat, und mit wie vielen Kindern. Es gibt außer Rom kaum Orte, an der wir noch keinen Matisse gesehen haben oder uns bei offenen Fenstern liebten und bis spät in die Nacht auf Plätzen diskutierten. Wenn wir bis Weihnachten nicht in in der Closerie des Lilas waren, im Sommer ums Cap d’Antibes schwammen, in Ventimiglia auf den Zug aus Cannes nach Genua warteten, Zeitungen im Café Sperl lasen, bei Tito in San Sebastian aßen, uns in Mailand trafen, durch den Retiro gingen oder am Lago di Como darüber nachdachten, Schluss zu machen, weil ich nach Rom ziehen wollte, ging bei uns gar nichts. Es zwängen sich Fragen aus der Zukunft auf, die die Gegenwart betreffen, dem einen mehr, dem anderen weniger, mit dreißig oder sechzig, je nach dem wie gut man die mit dreißig beantwortet hat. Das machte sie traurig und weil es sie traurig machte, dachte ich nicht weiter an Rom, und ich glaube, diese Nichtdenken und diese Traurigkeit waren’s und ihr Weinen, dieses Weinen hält einen immer davon ab. Es tötet von innen die Liebe und man beginnt gleichgültig zu werden und denkt an Rom. Vorher versucht man natürlich noch ein guter Mensch zu werden, wird krank durch und durch, unduldsam, unerträglich, ehrlich, ein Idealist, zwanghaft, wie keiner, bis man der andauernden Selbstbeobachtung erliegt. Lissabon blieb dabei die Hauptstadt unseres Vergehens. Natürlich war Valentinstage, als ich in Rom ankam. Ich konnte die Zeichen aber nicht länger ignorieren, schon gar nicht die Flecken. Ich konnte mich und sie nicht mehr sehen, genauso wie das ungelebte Leben meiner Liebe als Preis einer Größe, wie ich sie verstand. Ich begann das Leben wieder als viele Lieben zu sehen und sah mit Sorge ein wachsendes Interesse daran, mich als Mensch in der Welt zu sehen, zu verstehen, wer ich bin in der Welt, als der, der ich jetzt bin, in einer Welt wie jetzt und ob dieser jemand und diese Welt wirklich nur durch sie zustande gekommen sind, wie sie gern sagt. Stellt man sich alles nur so vor, so wie alle Dingen, die man denkt? Ich hatte versucht zu lieben, heißt mich mich zu ändern, aber es geht nicht, es ist nichts für mich, wenn es heißt mit einer Frau im Bett zu liegen, ohne leidenschaftlich zu sein, vielleicht zu wissen, was morgen kommt. Irgendetwas ändert sich in mir, und man wusste es morgens immer, wenn man sowieso das Gegenteil von allem dachte, was man denkt und sich den Tag über beweist, dass alles dann doch nicht so ist, sobald sich die große Ablenkung in Betrieb gesetzt hat und die Relationen einrasten. Der Fehler liegt deshalb nicht in der Liebe, er liegt bei uns, in dem wir sie als gescheitert bezeichnen, wenn sie nicht im Doppelgrab endet, die Tragödie ist vorbestimmt. Wir wollen sie ständig bis in alle Ewigkeit retten, indem wir sie töten und künstlich in die Länge ziehen, aber Ewigkeit hat nichts mit Länge zu tun, sondern mit der Höhe und Tiefe eines Gefühls, und dem, was der Alte sagte, als ich ihn vor dem Grab seiner Frau auf dem Cimitero Acattolico in Rom traf. Er sagte, er hätte seine Frau nie so glücklich gesehen, wie in ihrem ersten Sommer in Rom. Er dachte da noch, egal, wie lange der dauert, der reicht, dieser eine Sommer, der ist für immer, aber nichts ist für immer, nur Rom und der Fernet-Branca bei Farnese, der ihm hätte heute auch wieder wie immer geschmeckt. Er wäre keiner von denen, die sagen, Rom hätte sich geändert. Trastevere ist immer noch die gleiche Scheiße, aber der Gianicolo das Beste. Er kann früher gar nicht besser gewesen sein. Wir schieben Veränderungen nur gerne den Städten zu, aber sie ändern sich nicht so, wie wir. Es sei daher ein Irrtum, das man bestimmte Zeiten für besser hält, die man gar nicht selbst erleben durfte und meint, dass eine Stadt, nicht mehr so ist, wie sie vielleicht nie war, nur weil man Rom einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt gesehen hat und von einer Stadt zu verlangt, dass sie sich bis zu seinem nächsten Besuch nicht verändert. Rom hätte es vor uns gegeben und Rom wird nach uns sein. Das Läden schließen, Preise steigen, gab es schon immer. Die Zeit ist egal. Sie wiederhole sich und vergeht in Zyklen, weil der Mensch ihr Vergehen so besser erträgt. Die kulturelle Ausformung dieser Zyklen nennt man Mode und deren melancholische Wiederaufnahme Nostalgie. Es geht darum, die Dinge durch ihre ständige Wiederholung auf eine Essenz zu destillieren, die tröstet, weil es immer so ist, wenn sonst alles um einen herum vergeht. Die Frage zu welcher Zeit eine Stadt am besten ist, ist dann hinfällig. Madrid im Mai, Wien im Dezember, Paris um 1900, Berlin besser nie und Rom eigentlich immer, vor allem nach einer Trennung, nur nicht im August. Seiner Meinung nach hätte ich mich besser am Ende eines Sommers getrennt und Rom im Herbst besucht. Es ist die besinnlichste Jahreszeit, reicher und schöner als alle anderen, für jene, die mehr Bedeutung und reife Tiefe als Glanz und Jugend suchen. Die Touristen sind dann gar nicht so wie Leute, die immer neue Orte brauchen, die das Reisen für sie übernehmen. Man hätte die Erinnerung des Sommers und ahnt das Vergehen. Geschaffen für Genießer der Melancholie, Liebende vor dem Aus, Banker am Rande des Ruins und Dichter, die zwischen den Zeilen nach richtigen Worten suchen […]