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BYND

Konstantin Arnold

DAHEIM II

DAHEIM II

Es begann im Zug, Boardrestaurant, 21. Jahrhundert, auf dem Weg von Tirano nach Mailand. Der Kellner fragte, ob ich gestresst bin, weil ich zweimal zweimal Honig bestelle und ihm das nicht durchs ganze Abteil nachrufen will. Warum man Bestellungen nicht einfach in Ruhe hier am Tisch aufnehmen kann, wollte ich wissen, aber er sagte, nein, das wäre es nicht. Die Sonne küsst in der Morgenröte gerade die Berge und es ist wunderbar und die schönste Strecke, wie die von Cannes bis San Remo. Zugreisen schaffen Abstand zwischen den Dingen. Sie trennen eine Zeit von der anderen und tragen Ort und ihre Ereignisse weit genug von einander weg. Ich sah raus, mit einer Zeitung von gestern über den Knien. Die Fahrt ging mittlerweile am Comer See vorbei oder am Luganer, aber ich glaube, dass es die andere Seite des Comer Sees gewesen ist. Ich schrieb ein paar Briefe und einen an meine Freundin und ich glaube, der wars, was der Kellner meinte. Ich hasse, zu erzählen, wie etwas war, das einen dann  trennt, weil der eine vom einen und der andere vom anderen redet, wenn er vom gleichen spricht. Man wünscht sich dann besser nichts erlebt zu haben, aber will es bei einem Wiedersehen natürlich erzwingen, aber das geht nicht und man wird wütend, weil man nicht weiß warum und warum es nicht geht. Man befindet sich also in der beschissenen Situation davon erzählen zu müssen. Jorge meint, dass das doch ein Talent wäre. Für mich ist es Gift. Mir fiel bei den Briefen an meine Freundin immer auf, dass ich immer was weglasse, so als würde ich etwas von mir weglassen und so schreiben, dass sie weiß, was das war. Es ist die einzig vernünftige Art, die Dinge zu tun, weil sie wie Dampfschiffe und Nachtzüge enorme romantische Zusammenkünfte zuließen. Man konnte den Kleinkram hinter sich lassen und schreiben, dass man jetzt da ist oder dort und nicht mehr hier. Man musste nicht sagen, dass man zwischendrin auch noch woanders gewesen ist. Ich schrieb, wie die letzten Wochen waren, Anrufen konnte und wollte ich nicht, weil ich kein Telefon hatte, und das, was ich hatte, zwischen Bergen nicht funktioniert. Es funktioniert in der Schweiz nie und ein Stück in Italien, und hinten im Café Benard und ich versuche das vorher natürlich immer abzuwenden, freue mich dann aber tief in mir drin. Manche Sachen lassen sich einfach nicht sagen, vor allem nicht weit weg am Telefon, also schreibt man sie besser, schreibt, was so war und was eben nicht war und nur was wird, wenn man es sagt, anstatt zu schweigen, wo es schwer ist, ein Mann zu sein. Alles andere hätte zur Folge, dass man zynisch würde und nichts von dem meint, was man sagt, obwohl man erfolgreicher ist mit Menschen, wenn man die Dinge für sich behält. Nicht, dass es eine Wahrheit wäre, alles zu sagen, was man denkt, es ist Zwang. Man redet von Zuständen der totalen Übertreibung im Augenblick. Der Liebende ist vielleicht der einzige Mensch, der die Dinge nicht so sieht, wie sie sind, aber man sagt Briefen ja nach, dass sie für ein endgültigeres Erleben stünden. Meistens kommen die jedoch erst nach den Ereignissen an. Das zeigt, mit welchen Kräften man ringt. Daher die Flecken. Der Kellner kam und brachte nur einmal Honig und ich hatte doch extra zweimal gesagt. Abends aß ich im Grand Hotel. Das Restaurant sah aus, wie eine Trattoria, die man ins Hotel gebaut hat. Braune Tische, auf denen grüne Servietten und Kerzen in silbernen Ständern waren. Die Wände voller Leuten, die hier schon gegessen haben. Gegenüber aß ein älteres Pärchen und hinter mir eine Blonde mit gespritzten Lippen, die gerade erst reingekommen war. Ich hasse alleine Essen und da die auch alleine aßen und das bestimmt hassten und mir egal war, was ich von mir dachte, weil ich nicht mehr so gerne dachte, wie ich rauch, fragte ich, ob wir nicht zusammen rücken wollen und miteinander essen, ohne gleich miteinander schlafen zu müssen […]

EPIGONE II

EPIGONE II

Man fragt sich im Zug natürlich, ob das Sinn macht, für ein paar Negronis aus Klosters nach Mailand zu fahren, aber wenn man die Seen sieht, und die Inseln, auf denen wir mal Sommer verbrachten, denkt man das nicht mehr. Man sagt, die wären so tief, wie die Berge hoch sind. Gesehen hat das keiner, aber fühlen kann mans schon im Vorbeifahren. Sie sind ganz weich, neben steilstillem Fels. Abends ohne Angst, und morgens wie Meere einer ersten sonnigen Umarmung. Die Welt in Berge und Täler geteilt. Seit Menschen reisen sind sie von dieser Region begeistert. Altgediente römische Legionäre verbrachten hier ihren Lebensabend. Flaubert hielt die Inseln für den sinnlichsten Ort der Welt, sogar der Orient Express hielt damals in Stresa. Hier schafften Künstler, unter Palmen und voll Pasta, endlich einmal nichts zu schaffen. Remarque hatte irgendwo ein Haus, das mit allen Fenster zum See sah. Die Dörfer sind schön, die Gipfel weiß, und die Sehnsüchte der Menschen spiegeln sich in den Wellen wider, die manchmal blau und meistens grün sind. Man sagt, die Toten leben hier noch in den Wolken weiter und befruchten als Regen die Frauen und Stendhahl schrieb, wer zufällig ein Herz und ein Hemd besitzt, verkaufe es um am Lago Maggiore oder in Como zu leben. Wir fuhren durch Lugano und über über den Luganer See und kamen an seinem unteren Ende zum stehen. Man behielt uns für ein paar Stunden im Zug, bis man sagte, dass der nicht weiter gehe, wegen eines Unwetters wäre ein Baum auf die Gleisen geklatscht. Hunderte Menschen standen am Bahnhof, und wussten nicht weiter. Die Gesichter waren verzweifelt. Menschen mussten irgendwo hin. Ich nur Negronis trinken. Umso länger das hier dauert, desto besser wurden die. Ich setzte mich neben einen alten Mann mit Zigarre, Stil und Grandezza, der nicht sonderlich gestresst aussah und aussah, als würde er sich auch lieber mit Problemen rumschlagen, die es nicht gibt. Manchmal sagte der Mann irgendwas und fluchte, wenn denn ein Taxi kam und die Menschen wie wilde Tiere drum liefen. Ich sagte Si, Si. Er bot mir eine Zigarre an und so saßen wir da, tiefenentspannt, eine Weile, schweigend, in gleichfarbigen Anzügen mit Hut, zwischen all den schreienden Leuten. Rauchen ist tödlich, ich weiß, aber ohne das Rauchen wäre ich an diesem Tag nicht mehr nach Mailand gekommen. Denn nach der Zigarre sagte er, kommen sie, fahren sie mit mir. Ich fragte wie? Er sagte, sein Chauffeur wäre jeden Augenblick da. Er hätte nur darauf warten müssen, bis der von Mailand aus hier ist. Wir kamen am frühen Abend nach Mailand. Die Stadt war zerstört. Überall lagen Bäume rum auf Autos und Gleisen. Ich nahm mir ein Zimmer im Mandarin hinter der Scala, auch wenn das ein raumschiffmäßiges Hotel ist, und nicht mein Fall. Aber kein anderes ist so nah dran. Man musste nur noch aus der Tür, rechts an der Skala und links am Leonardo vorbei und die Galeria bis runter. Dann ist es da, gleich rechts, eine kleine Bar, vielleicht der beste Ort auf der Welt, um nach so einem Tag zu sitzen und in einer italienischen Zeitung zu blättern, deren Nachrichten man nicht versteht. Trotz des hektischen Treibens regiert ein Gleichgewicht, das von der Bar ausstrahlt, die seit 1915 gleichgeblieben ist. Getischlert von Eugenio Quarti, geschmiedet von Alessandro Mazzucotelli und gemalt von Angelo d’Andrea, hat sie nichts von ihrer Schönheit verloren, im Gegenteil, alle wirklich schönen Dinge werden schöner mit der Zeit. Die Scapigliatura Bewegung hat sich hier getroffen, aber ich habe keine Ahnung mehr, was das ist. Es ist eine einfache, simple Bar, die um die Kurve geht. Im Hintergrund zeigt ein Spiegel auf den Platz zurück vor den Duomo und das Rot der Campariflaschen hinter weißen Kellnerwesten sorgt für den nötigen Sex. Zwischen dem 13. und 15. August 1943, genau 80 Jahre vor meinem Geburtstag, wurden die Galleria und das Camparino bei verheerenden Luftangriffen der Alliierten bombardiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bar von Guglielmo Miani übernommen, einem Schneider aus Apulien, der 1922 nach Mailand gezogen war. Das Camparino ist ein Ort, an dem ein einfacher Aperitif, die Teilnahme an dieser Legende bedeuten kann […]

WETTERLEUCHTEN

WETTERLEUCHTEN

Es gibt da etwas, dass dir nur Leute zufügen können. Etwas, dass dich reinzieht, ohne, dass du etwas anderes dagegen tun könntest. Du kannst immer und überall in sowas reingeraten und alles am Ende nicht so gewollt haben. Du kannst versuchen, es zu erklären, dich darüber aufregen, verrückt werden, flennen, wenn das dein Männerbild zulässt, aber du kannst nichts dagegen tun, denn das hieße sich dem Leben verwehren, wie es sich bietet. So sind die Schwerkräfte des Lebens nun mal, Naturgesetze menschlicher Umlaufbahnen, die in Form von Anziehungen und Abstoßungen um dich kreisen, solange du lebst und so lange Leben Mitleben heißt und du noch kein dummes, gefühlskaltes Arschloch geworden bist, also ein glücklicher Mensch. Unter liebenden Lebensumständen heißt das, in meinem Fall, dass alles, was man nun tun kann, falsch ist oder gegen dich verwendet wird. Spricht man es aus, dreht man ein Ding draus, spricht man es nicht aus, hat man es nie gesagt, verheimlich vielleicht sogar was, also sagt man es und richtet ausgesprochenen Schaden an, unterstellt dem anderen, dass es ihn beschäftigen würde, oder regt den Verdacht, dass es für jemanden von Interesse wäre, obwohl man nur ein gottverdammter Geliebter ist, der aus Verständnis versucht, den anderen vor seinen eigenen Gedanken zu bewahren. Das, was dir nur diese Leute zufügen können, geht meist mit einer gewissen Verantwortung einher, die dir von ihnen aufgetragen wird. Das kann die Information eines Freundes sein, die man einem anderen aber nicht erzählen darf. Das kann Rücksicht sein, die man in Form von Unehrlichkeit aufeinander nimmt. Ich habe Menschen gesehen, die nie etwas aussprachen und nur so überlebt haben. Hat aber nichts mit dem Schweigen meiner Eltern damals beim Chinesen zu tun. Das muss man mal diplomatisch sehen. Wenn einem Land aus Versehen eine Bombe in ein anderes fällt, lässt sich darüber reden, aber sobald es auf öffentlicher Bühne ausgetragen wird, ist das andere gezwungen zu reagieren und die Sache wird fatal. Ich sage daher immer gleich alles und nehme auch keine Rücksicht auf niemanden, nicht mal mich selbst, auch wenn das nicht so ein guter Grund zum Trinken ist, wie es nicht zu tun. Wenn nun viele dieser Leute mit anderen zusammenkommen, merken sie oft gar nicht, dass sie das tun, aber diese Erkenntnis bringt genauso viel, wie sie nicht zu haben. So ist es immer schwierig, wenn man sich eine Zeit nicht gesehen hat und dann erzählen muss, wie etwas war. Oft hängt die Seele noch da wo die Geschichte spielt. Anders ist es, wenn man mit diesem einen Menschen an den verschiedenen Orten gewesen ist, dann hat die Seele in ihm ein Zuhause. Antibes, Lissabon, München, St.Moritz, Mailand. Ich bin dann immer aufgeregt, was sich nicht so zeigt, sondern dadurch, dass ich alles fertig gedacht und parat haben will, wenn sie kommt. Sie ist allumfassend. Nimmt mich ein. Vielleicht verliere ich mich, hab ein Recht auf mich, aber in Mailand bringen wir uns auf den neusten Stand. Essen diese Pizzadinger, die sie so mag, gleich hinter dem Duomo. Spazieren durch die Galeria, trinken einen Caffee bei Camparino im Stehen und freuen uns, dass die Statue des Leonardo jetzt so schön im Grün steht. Sie schwärmt, wie Lissabon blüht. Ich hätte die Jacarandas verpasst. Die ersten warmen Sommertage. Aber ist gut jetzt in Mailand zu sein. Wir gerne würde ich ihr was teures kaufen. Sie fragt, wie alles so war? Wie schwierig die Zeit daheim und der eine Abend mit Oma, obwohl der nach einer Flasche Wein und zwei doppelten Wodka eigentlich ganz schön wurde. Sie fragt, wieso und ich weiß nicht, wie ichs erklären soll, aber Oma will immer, dass ich zu ihr komme, selbst wenn draußen der schönste Frühlingstag ist, Sonne, was seltenes. Ich überredete sie, mit mir auf eine Caféterrasse zu kommen, um ein Glas in der Sonne zu trinken, aber unter solchen Umständen bekommt man natürlich keinen Tisch und einen Sonnenbrand und bezahlt zu viel. Nach einem Versuch von Apéro (meine Oma trank nichts) ging wir essen (meine Oma aß nichts). Sie bestellte sich einen Sex on the Beach mit zwei doppelten Wodka und sagte sie lade mich ein, nur die Flasche müsste ich selbst bezahlen. Nach der Hälfte wurde es eigentlich ganz lustig und bis dahin ist es unerträglich gewesen. Ich habe an diesem Abend wieder gemerkt, dass Alkohol eine Lösung ist, eine viel bessere, als das was er entriegelt, in sich zu behalten. Oma begann locker zu werden, wie eine Freundin, sogar ein paar neue Geschichten aus dem Krieg waren dabei und nicht immer nur die gleichen und wenn dann nur einmal. Nur warum meine Mutter so ist, wie sie ist, konnte sie auch nicht sagen. Ihrer Meinung nach trug sie daran keine Schuld. Eingeharkt bracht ich sie heim, rechts die Oma, links den Rest Wein. Es war ein schöner Abend. Der Himmel war noch blau und die Nacht blieb […]

ROM

ROM

Moment mal am Nachmittag, abends, oben, über der Stadt. Als ob der Himmel hier näher wäre. Mit den Büsten aller, die schon gestorben sind. Die Via Garibaldi runter, bei den plaudernden Nonnen vorbei und am Paola Brunnen die Treppen der Sakristei links, wo das Wasser immer fließt, und nie gleich und die Straße dann rechts biegt und man eine Weile schön unter Bäumen geht, bevor man auf die Brücke kommt. Ponte Mazzini, die, von der man auf die Ponte Sisto sehen kann und sieht, wie Türme in den Himmel stechen und sich der Fluss windet und über allem die Pinien stehen, schon immer grün im Herbst. Für die Römer geht die Sonne hinter dem Gianicolo unter, nirgendwo anders. Da, wo die Welt dich haben will, kurz nachdem dich dein Freund verlassen hat und du nun allein ist, mit dem Blick auf Rom und den Herbst und den Vögeln über dir, die am Himmel dimensionale Manöver zeigen, all dem Licht und dem Laub, und dich fragst, ob du das alles so fühlst, weil du jetzt alleine bist und nichts zu schreiben hast oder weil es wirklich so ist, wie du siehst. Manche Momente kann man nicht teilen, sie vergehen und sind tief in uns drin. Zwei küssenden Motorradhelme im Verkehr sehen das auch so. Jemand rudert unter den Brücken heim, wie ein Wasserläufer, der ein Zuhause hat. Den Fluss geht alles das nichts an. Er fließt träge und dreckig an allem vorbei in die Dämmerung. Ins letzte Licht. Bis ans Ende des Ausblicks, Albaner Berge oder ist das Umbrien? Was Schönes, einmal nicht Michelangelo, nicht Bernini, einmal nicht wissen, um gucken zu können. Der Tag endet, wie er beginnt. Früh und purpurn. Traurig jede Abendstunde, die man dann nicht in Rom verbringt. Die Luft ist frisch, als ob man noch gar nicht geraucht hätte. Rom hat auf uns gewartet, jaja, als ob, wir auf Rom. Bin das dritte Mal da, aber war noch nie hier. Nur einmal zum Cabrioholen und einmal in einem Hotel am Flughafen, das meine Freundin uns am Flughafen buchte, um den frühen Flug nicht zu verpassen, den wir dann verpassten, weil wir selbst dort eine Bar fanden, in der wir streiten konnten. Man kann Rom einfach nicht denken, ohne es gesehen zu haben. Antikes Herz einer Weltmacht, religiöses Zentrum und auch noch Hauptstadt Italiens. Erfahrungen, die von anderen gemacht werden. Immer nur Worthülsen, Geschichtsunterricht, sonntags, verkatert, TerraX. Ein Vorurteil, wie New York oder Yoga, aber Yoga kann nichts dafür, von dem wes gemacht wird. Jetzt hat die ewige Stadt Bedeutung bekommen: Roma Termini, Taxifahrer, Arschloch. Sie sitzen den ganzen Tag, leben nicht, sterben nur langsam. Wie auch? Sie haben die schlimmsten Väter der Menschheitsgeschichte, die sie selbst Söhne von Vätern sind, die nach dem Krieg heimkamen und erst mal einen Küchenstuhl reparierten. Seit sie von zuhause weg sind, wohnen sie mit ihren Frauen. Meiner Meinung nach muss man sich in der Welt rumtreiben bevor man nach Rom kommt. Prima di arrivare a Roma bisogna muoversi nel mondo, aber der Taxifahrer versteht nur Bahnhof und fährt mich zum anderen. Also Umsteigen ins Nächste. Hotel Excelsior bitte! Bello, meint der neue, das läge wunderbar am Parks der Borghese, gleich an der Via Veneto, ob ich Fellinis Roma gesehen habe? Zwei Wochen in der Stadt? Nein, aber wir werden Rom schon zu unserem machen. Der Taxifahrer meint, bello, aber in Fellinis Rom hätten Frauen drei Titten. Er spricht von all diesen Filmen, die Liste ist lang und man hat nur ein Leben und das hat Vorrang und ist nie genug, nicht mal für Bücher. Er sagt, es sei nicht leicht in Rom ein Buch zu lesen. Das Leben finde in den Straßen statt und man wäre ein Teil von ihnen. Rom ist aus Fleisch und Blut, nicht nur Resten, dem Gesicht einer Frau, die vor einem Schaufenster steht und sich auf den Feierabend freut. Sie schaut sich […]

BENTLEY

BENTLEY

Niemanden auf der Welt interessiert ein britisches Oldtimertreffen in St. Moritz, wenn es ihn nicht interessiert oder er zufällig in St. Moritz ist und nichts Britischeres zu tun hat. Also musste ich da mal hin. Außerdem schrieb mir ein Freund seit Wochen, ob wir denn nicht kommen wollen und ich fragte, was soll ich denn da, und er schrieb, genau das! Ihr könntet im Suvretta wohnen und am Rennen teilnehmen und den Abend retten und nicht wissen, was ihr hier sollt. Du würdest sicherlich ein paar interessante Erfahrungen machen und sehen, ob du danach noch weißt, wer du bist. Die Mahlzeiten bezahlt, mit Wein, ein Märchenschloss mit Bergblick und Männer, die ihre Autos mit Microfasertüchern putzen und Frauen, die darauf warten, auch mal so benutzt zu werden. Gute Ausgangsbedingungen. Ich sagte zu. Bekam einen Bentley. Rief einfach bei Bentley an und fragte, ob ich mit einem beim Rennen fahren darf, versuchen sie’s auch mal. Die sind sehr nett. Viel netter als die von Aston Martin und wie sie nicht alle heißen. Die Autos sind auch nicht so klobig wie man denkt. Einige sind sehr schön und schnittig, mit fließenden Formen im Fallen nach vorn und dem Aussehen eines Stierkämpfers, in britischem Autorenngrün oder regenhimmlischem Nordatlanitktiefblau. British Classic Car Meeting, Startnummer 109, Bentley Continental GT Speed, Konstantin Arnold, Catarina Fernandes, ich konnte das selbst auch nicht glauben. Ich besitze nicht mal ein Auto. Hatte bisher nur zwei. Einen zwanzig Jahre alten Peugeot 106, den man vor jeder Fahrt neu aufpumpen und alle halbe Stunde Kühlwasser nachfüllen musste (der rechte Fensterheber war eine Kneifzange, die Beifahrertür ging nur von innen auf) und einen Opel Corsa 1.2 aus den 70ern, eigentlich ganz schön, der zwei Wochen hielt, bis ich ihn an einen Priester verkaufen musste. Jetzt fuhr ich einen 283.000 Euro teuren Bentley mit 660 PS, 660! im Maßanzug von Mailand nach St. Moritz, oder das Engadin, wie manche lieber sagen. Wenn mir das jemals jemand gesagt hätte, ich hätte ihm das geglaubt und gelacht. Erste interessante Erfahrung: Man glaubt von sich selbst nie so einer zu sein, und ist es vielleicht doch. Das lässt sich leicht am Beispiel von Touristen festmachen, die in eine Stadt fahren und sich über andere Touristen aufregen, die immer die anderen sind, wie im Verkehr. Ich sehe mich jedoch selbst als den größten Touristen, der am schlechtesten fahren kann und sich von innen auch nie so anfühlt, wie die anderen von außen aussehen. Alle machen alles besser und richtiger als ich, sogar das falsche. Das ist irgendwie mein Problem. Ich spreche da oft mit meinem Therapeuten drüber, der meint, dass das aber ein sehr sympathischer Minderwertigkeitskomplex ist, den man nicht heilen bräuchte. Im Bezug auf so ein Treffen denkt man dann, dass hier alle viel mehr verloren hätten, als man selbst, aber das ist bei solchen Veranstaltungen meistens nie so. Man weiß von sich, dass man nur wegen eines Freundes hier ist oder des und deswegen oder warum auch immer im Bentley sitzt, nur durch das und das, aber wer von diesen Leuten ist nicht wegen irgendetwas hier und fährt durch wen oder was?  Meine Beziehung zu St. Moritz ist natürlich und gesund und oft beschrieben und lässt sich damit zusammenfassen, dass man mit einfachen Wahrheiten nicht mehr weit kommt, wenn man sich die Welt für seine Weltanschauung selbst anschaut. Ich kenne ein paar gute Leute, meinen sehr guten italienischen Freund, Peter vom Suvretta House und die portugiesischen Kellner aus der Chesa Veglia, die einem immer heimlich nachschenken und Extraportionen bringen, wenn man portugiesisch spricht. Was uns aber wieder erst auf dem Weg einfiel, war, dass zwischen Mailand und St. Moritz ja ein See liegt, den wir gut kennen. Wir hatten in der letzten Nacht zwar nicht geschlafen und die ganze Woche davor auch nicht, weil wir beim Stierkampf in den Dörfern waren und letzte Nacht bei […]

PORTOFINO

PORTOFINO

Portofino hat mich nie interessiert. Ich habe die Cinque Terre gesehen, das reicht. Viele Autos, noch mehr Menschen, eine Bucht. Immer einer der Strandtücher verkaufen will. Das Essen schlecht. Und teuer. Außerdem liebe ich Genua, und für viele ist Genua nur eine Stadt bei Portofino. Blitzlichtgewitter, aber nicht das glamouröse. Diese wunderbaren Schwarzweißbilder, die muss man Portofino schon lassen. Wer da nicht alles über die Piazzetta gelaufen ist, eins der heißesten Pflaster der Welt. Gable, Bogart, Cardinale, und wie sie nicht alle heißen. Die hatten im Urlaub wenigstens noch was Ordentliches an. Heute kommt 50Cent und trägt Hawaiihemden. Hauptsache Luxusyacht, die irgendwo in der Bucht steht, und den Blick auf die Sonne versperrt. Bei Elisabeth Taylor und Richard Burton hatte das Stil. Die haben Jetset und Paparazzi immerhin erfunden. Ich wusste nicht, dass der Burton so eine Rakete gewesen ist, bis mir jemand seine Tagebücher aufquatschte. Da ist also ein Mann, der den ganzen lieben langen Tag auf seinem Boot lesen und trinken möchte. Ein sehr guter Schauspieler, der ein noch besserer Schriftsteller werden wollte. Und ich dachte, der hätte nur sowas wie Cleopatra gemacht. Burtons Mittelmeergeschichten lesen sich wie eine Seekarte durch die Wetterphänomene der Liebe, die einem nun mal begegnen, wenn man es gut und ehrlich meint und sich einlässt, egal wie schön der Ort auch ist, an dem man gerade ankert. In seinen Geschichten ist Portofino noch genau so, wie es nie war. Und immer dieses Hotel Splendido. Als eine Art Tresor, in dem sich das Lebensgefühl dieses Ortes über die Jahrzehnte gehalten hat. Es dampft hoch oben in den Hügeln am Hang, wie ein Schiff. Schaut terracottafarben über die Bucht und reiht sich in die Landschaft ein, anstatt sie zu zerstören. Alles steht am Hang unter Naturschutz. Jede Blume, jeder Baum, die Zeitlosigkeit. Abfackeln und neu bauen, wie woanders, geht in Portofino nicht. Als hätten sich die Menschen darauf geeinigt, auch die Bösen, dieses kleine Paradies auf Erden zu erhalten. In eine Bucht verzogen. Das Gesicht von der Welt abgewandt. Heute ist das Splendido ein Belmond Hotel. Es gibt Luxushotels und es gibt Belmond, aber zwischen beiden ist manchmal lange nichts. Man kann den Wert eines Hotels ganz einfach an Kugelschreiben und Klopapieren messen, an der Begrüßung und am Briefpapier, an der Art wie der Concierge sagt, dass etwas jetzt leider schon geschlossen hat. An Kleinigkeiten also, die den großen Unterschied machen. Es ist ein Haus das sehr für diesen Ort steht und ihn in sich konzentriert und seine Geschichte heute noch zugänglich macht. Natürlich hat das seinen Preis und natürlich schützen die Preise vor der Ausnutzung dieses Gefühls und keiner kann leugnen, dass das schön ist. Was teuer ist und was nicht, ist besonders für jeden, nur das teuer ist, was keine Qualität widerspiegelt, gilt generell. Im Splendido kann man für den Preis erwarten, dass alles, was man dort tun muss, ist selber scheißen. Ich wohne in vielen Hotels und muss die wunderbare Imperfektion des Lebens meistens irgendwie in meinen Texten überkommen. Außer bei Belmond. Entschuldigung, das ist keine Werbung, sondern verdient. Vielleicht greife ich vorweg, aber ein Beispiel: man sitzt im Zug nach Portofino und hat keine Farbfilme mehr. Es gab in ganz Nizza keine und auch nicht in Ventimiglia, obwohl die Leute auf den Straßen dort alles Mögliche verkaufen. Man fährt schön am Strand lang und bald kommt Latte und die Ebene zwischen Albenga und Loano und dann ruft Luca an, der Concierge aus dem Splendido und fragt, wies so läuft mit der Anreise und ob er irgendwie behilflich sein kann. Er ruft einfach so an, uns einfache, sterbliche Menschen, keine Ölscheichs oder Oscarpreisträger. Ich sagte, Luca, wir fahren gerade auf diesem schmalen Stück zwischen Alpen und Meer und es ist wundervoll und ich habe meine Farbfilme vergessen. Er fragte, wo genau ich wäre und ich sagte, wir sind gerade an einer tollen Kirche vorbei. Ah, das muss […]

 

TRIEST

TRIEST

Den Himmel stelle ich mir als eine Art Abend vor, auf der Terrasse des Caffè Specchi. Adriablaue Stunde mit Planetenlaternen und dem Caffè mit seinen leeren Tischen, roten Decken und goldenen Tischlampen. Ein bisschen Dunst. Ab und an kommt ein Kellner vorbei und bringt einen Drink und der Moment beginnt wie von vorn. Davor ein großer Platz, über den eine ältere Frau in Stöckelschuhen auf das Specchi zugeht. Sie geht durch das Licht von Lagerhallen und Palästen, das Licht einsamer Laternen am Kanal. Ihre Mantelbrosche funkelt und ihr weißes Haar weht in einem der Winde, Scirocco, Mistral, Bora, einen habe ich vergessen, ist aber der, der die Boote am Kanal aufscheucht und die eitlen Paläste dabei stört, sich im Wasser zu spiegeln. Glockenschlag! Die Stunde der Aperitifs ist gekommen. Das Vorspiel beginnt, die Erlebnisverlängerung, der Moment vor allen anderen Momenten. Passieren, das vor dem eigentlichen Passieren beginnt, einem Abendessen oder so. Es sind schwerelose Stunden, im Anzug, zur Feier des Lebens, wie es nur ein Land zwischen Nord und Süd hervorbringen kann. Triest, das war einmal, sagen die Leute. Ich find‘ es ist noch und wie. Helldunkelblaue Himmel, historische Gebäude, die von Männern gehalten werden, keinen Karyatiden. Man kann nichts mit diesen Häusern machen, aber die Häuser machen was mit einem. Es ist dasselbe, was auch ein schönes Café am Abend mit einem macht, wenn es leer wird und spät. Das Licht der Auslagen fällt aus Geschäften auf das Trottoir. In ihnen liegen schweren Bücher mit goldenen Titeln. Rumpelkammern der Geschichte sind das, verstummte Stücken Stadt. Postkarten von Toten. Vor Jahren kam mal der Brief eines Freundes. Er schrieb und schwärmte: Grüße aus Triest, sitze im Hotel Savoia und schaue aufs Meer und das Meer liegt da wie ein See. Die Bar ist schön und hoch und hat große Fenster, durch die wir die Leute beobachten und ihre Unterhaltungen nachsprechen könnten. Wie in alten Zeiten. Triest ist Espresso und Aperitif. Also ein guter Ort für das Leben und die Liebe. Die Stadt findet in Caffés und auf den Straßen statt, nicht zu Hause mit Möbeln. Die Alten gehen hier einmal täglich die Mole rauf ins Nichts. Warten, dass der Tag dort auf Abend trifft. Atmen den Abend ein und das alles, sehen die Stadt von weitem, das ganze Kleine, als großes Ganzes. So ein Blick auf Triest ist ein Blick auf jenen Bereich der Seele, wo alle Gewissheit schwindet. Das Slawen und Österreicher und Italiener so sind, wie man sagt, damit die Welt in uns passt, stimmt nicht, weil viele Österreicher Italiener sind und Slawen, und umgekehrt. Die Stadt wirkt wie eine Gemeinschaft aus Leuten, die gerne Kaffee trinken und eine Stadt gegründet haben, um sich nach dem Spaziergang auf Aperol zu treffen. Die ältere Frau hat den Mantel abgelegt, sitzt mit ihrem Mann hinten im Caffé. Sie sitzen da und trinken und besprechen die Lage. Danach Abendessen. So kann die Liebe zu Dauer werden. Nachts sitzen junge Verliebte auf Treppen. Stecken sich vorm Theater die Zunge rein, weil man das zuhause nicht darf. Zu Zahnspangenzeiten. Ist nicht schön anzusehen, aber schön. Junge Ärzte stehen vor Krankenhäusern am Telefon und versuchen ihr Liebesleben zu retten. Die Inhaberin des Lokals schickt ihren angestellten Sohn weg, weil der das ganze Wasser über den Tisch verteilt hat und im Kopf schon auf den Stufen eines Theaters sitzt. Sie ruft aus der Küche, er solle sich bloß fortscheren und das mit seiner Amore klären. Mir ist ein klitschnasser Sack tausendmal lieber, als jede mechanisch rationale Freundlichkeit der Schweiz. Die Menschen haben dafür einen Glanz im Gesicht. Das stand auch im Brief und das hier der Orient beginnt und Wind weht, aus der Levante […]

MILANO

MILANO

Endlich Sonne in Mailand. Lebensmittelpunkt Mode. Prada, Penner und Espresso. Einkaufen und sich betrinken und endlich diese Pizzadinger von denen Alle reden. Die kalte Luft der Berge verwirrt im Tal. Die Elektrischen fahren gerade irgendwohin. Herbstlich herrlich. Es wird dunkel, lange bevor die Tage zu Ende sind und angenehm auf der Via Alessandro Manzoni, sobald die letzten Modepuppen geschafft aus Geschäften kommen und ihre Einkäufe nachhause schleppen oder schleppen lassen. Das stille Licht der Auslagen fällt leise auf das Pflaster und man schlendert eingeharkt, den Kopf im Kragen, an den Schaufenstern vorbei, wirft, von seinem Glück aus, einen Blick rein, in die Welt der toten Dinge. Es ist schön jung und verliebt in einer anderen Stadt zu sein, ohne sich was kaufen zu müssen. Mein erstes richtiges Mal hier, denn beim ersten Mal, wusste ich noch nicht, wer Puccini ist, Verdi und Antonio Mancini, der das das Aristokratenpack wenigstens in Tränen malt. Ich hatte nur Augen für brave Mailänder Mädchen, dünn und blass, von Beruf Tochter. Ich erinnere mich an eine und den Regen, eine semitransparente Gardine, den Nebel und den Park, den ich von meinem Fenster im Nebel sehen konnte. Heute strahlt der Park im letzten Licht und heißt Giardini Indro Montanelli. Wir gehen gerade durch. Von hier aus weiter bis zum Duomo, auf dem in meiner Erinnerung immer einer Nothing else Matters spielt. Schlendernd durch die Galeria und Caffee bei Camparino im Stehen. Ich weiß jetzt, dass das die Scala ist und die Galeria Vittorio Emanuele heißt. Ich gehe frühs zu Cova und schreibe Briefe. Mittagsessen Milanese. Tragische, schöne Schwere. Im Innenhof stehen Maulbeerbäume und keine Bäume mehr. Ich reduziere die Stadt nicht nur auf Mädchen, die gut gekleidet durch schlechtes Wetter gehen und ihre Einkäufe tragen (lassen). Ich habe den Platz mit dem Leonardo gesehen. Mit einer Frau. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Mailand ist jetzt mehr,  außerdem habe ich Hemingways Farewell to Arms gelesen. Mailand ist jetzt mehr, und Stresa ist wie Mailand mit Meer. Nördliche Tristesse mit südlichem Charme. Am Bahnhof sind drei Schilder, das muss ich erzählen. Eins für die Bar, eins zur Toilette und das, auf dem Uscita steht, zeigt einen Menschen, der sitzt und liest. Über ihm hängt eine Uhr. Irgendwie find ich das schön. Alles ist geordnet und pünktlich, meine Freundin kann nicht glauben, dass das dasselbe Land ist, in dem auch Neapel liegt. 14 Uhr ist aber auch hier immer noch ein guter Morgen. Und wenn man einen Teller Tagliatelle bestellt und dazu Tomaten will, hat man den Tomatensalat, und wenn man nach der Weinkarte fragt, gleich Wein, vier Flaschen, und sein Croissant warm zum Kaffee möchte, kein Croissant, keinen Kaffee, keine Museumstickets, obwohl man doch vor Wochen welche reservieren ließ und auch keine Badehose an, ich gebe auf. Man kann die italienische Art zu kommunizieren, nicht so beschreiben, dass man sieht versteht, denn man versteht sie nicht. Sie führt nirgendwohin. Wir kommen deswegen mindestes genauso kompliziert an wie Hemingway. Einen verpassten Zug später und ein paar Mal falsch umgestiegen, fertig ist der Streit. Ich meinte, ich könnte die Karte besser lesen und dann die Explosion. Stimmung wie nach einer Atombombe. Man hat das Gefühl, das man hat, wenn man durch Orte geht, die sonst sehr belebt sind. Der Rummelplatz ist tot und nass und unheimlich. Aber mit Hass und Wut lässt sich das Gepäck leichter zum Hotel schleppen […]

AMALFI

AMALFI

Am Ende jenes Sommers wohnten wir auf einem Berg in einem Dorf fast im Himmel, das auf viele andere Dörfer auf anderen Bergen blickte, die auch fast im Himmel waren. Die Berge waren steil und das Meer unerreichbar und keine Stufen führten zum Meer, die man gehen konnte. Enge Straßen liefen entlang der Weintrassen von den Dörfern zum Meer und man sah die Kaps und Buchten, mit den Straßen, die sich in die Ferne schwangen, wie ein sanfter werdendes Vergehen. Meer und Himmel lagen in einem Blau, ohne Grenze, wie Unendlichkeit, die man von den Terrassen aus sehen konnte. Erst am Abend trennten sich Himmel und Erde wolkenlos, bis zum nächsten Tag, und Capri erschien am Horizont und das ganze Meer mit seinen Inseln und Booten, der ganzen gigantischen Golf bis zum Vesuv. Die von der Sonne ausgeblichen Farben kehrten langsam in ihre Dinge zurück und eine Art Ende lag in der Luft. Herbst und Stille, der Geruch von kühler werdendem Grün, dass heimlich in der Dämmerung bewässert wurde. Das Grün hatte viele Farben. Manches war noch jung und fickrig, wie nach einem Vulkanausbruch, anderes sah tausend Jahre alt aus. Grüner und schöner noch als die borromäischen Inseln, der Garten der Villa Orengo und den Kaps der Côte d’Azur, Wagner, Sissi, leider, eigentlich unbeschreiblich und das sage ich nicht einfach so. Ich habe es lange probiert und viel geschrieben, aber nichts, was so ist wie hier. Eine Landschaft ist ja vor allem immer ein Gefühl und das lässt sich nicht beschreiben, nur vielleicht die Landschaft, bei der man es hat. Eine Allee unter Bäumen, von Steinmauern gesäumt, ein Götterquergang, durch den Garten, der am Ende die Klippen hinabstürzen will. Es ist vielleicht der sinnlichste Ort auf der Welt, um sich das Leben zu nehmen. Die Menschen nennen dieses Ende dell’Infinito, trotz seines Geländers und sehen von hier auf die Welt und sehen, dass die Welt doch gut ist, fast Himmel, man berührt ihn ja fast und könnte Göttern glauben, wieso auch nicht? Das Ende des Kaps sah aus wie der Olymp, oder was man sich unter Olymp vorstellt, wenn man mal durch Homers Odyssee geblättert hat. Sirenen mit geflochtenen Haaren und entschlossenen Gesichtern, in offenen, hellenische Kleider, die Fotos für ihr Instagram machen. Der Anblick des Meeres hatte ihnen die Augen blau gefärbt und die Araber, die in den Häfen mit ihren Müttern schliefen, schwarzes Haar und dunkelblonde Haut. Sie heißen Serena oder Gaia, und wollen gar nicht, dass man Kriege für sie führt, nur, aus Sehnsucht zur Antike, sondern nur, dass man sie, kurz bevor die Welt ins Meer fällt, vor diesem Ausblick fotografiert. Abgesehen von denen wussten wir in jenen Tagen nicht, welche Zeit gerade ist und wie spät es war in welcher Epoche. Die  Momente hielten an, wie von Catel und Schinkel gemalt, ohne zu vergehen. Die vielen steilen Treppen hielten die dicken Amerikaner fern und nur manchmal sah man einen Buntangezogenen, durch die Zeitlosigkeit unseres Gartens mähen, wie ein dicker Pflug mit Uhrzeit und Datum dran. Manchmal zogen Gewitter auf und brachten Regen, aber der konnte dem Wetter nichts. Er hatte nicht die gleiche traurige Wirkung. Erst kam Wind und dann Wolken, die den Regen von den höheren Bergen im Süden brachten. Die Boote flohen in ihr Häfen und zogen weiße Linien im Blau, die dann in der Strömung zurückblieben, wie die leise Spur einer Erinnerung. Wir kannten solchen Regen nicht. Er war gnädig und nahm nicht die gesamte Farbe des Himmels in Anspruch, und war auch schon wieder weg. Für einen Moment sah die Welt dann aus, wie ein Glas Rosé, das man gegen die  Sonne hält. Alles war still und die Dinge dampften. Die Nacht kam aus den Tälern und man sah, wo noch überall Häuser waren. Sie schienen einsam und allein in den Bergen wie Sterne oder flimmerten in fernen Buchten über dem Meer. Andere Gewitter verschonten die Tage und kamen bei Nacht. Die waren heftig und blieben lange und die Welt wurde so nass, dass man dachte, sie könnte nie wieder trocken werden. Es regnete in die Träume und man wurde wach, weil der Regen durch die offenen Fenster fiel. Einer von uns musste dann auf die Terrasse, immer ich, und sah raus und spürte die Hitze und sah die Gärten mit den Kieswegen unter mir, schön und grün und nass, und das Meer im Mondlicht. In diesen Nächten, im Hotel, in unserem Zimmer, mit dem Gewitter draußen, und uns im Bett, nachdem man sich von einem bestimmten Gefühl befreit hatte, und den leeren Gängen, wurde man wieder gläubig. Man sagt, wer die Welt so gesehen hat, kann gar nie mehr unglücklich werden […]

DASEIN (Teil 02)

DASEIN (Teil 02)

Damals, in dieser Zeit, die längst vergangen ist und wir viel in Hesses Romanen lasen, wohnten wir in einem Dorf in einem Haus, das frei und viereckig in einem Tal stand und ganz vergessen in die Berge gefallen war. Durch das Tal floss ein Bach und das Tal war tief und fiel bergab und hatte den Höhepunkt seiner Fruchtbarkeit erreicht. Links waren Olivenhaine, rechts wuchs der Wein. Alles war hoch und tief und je weiter das Tal hinunterging, desto wärmer wurde es und aus dem Bach wurde ein Fluss, der in gewaltigen Seen endete, die den Meeren gleichen. Warme Luft stieg auf und man konnte die Luft sehen, wie sie zwischen Felswänden und Kirchtürmen stand und von einem mächtigen Licht durchbrochen wurde, das alles kräftig in den Farben der Dinge erstrahlen ließ, genau wie Hodler es gemalt hatte. Es waren Berglandschaften, Dschungelberge, eine Kirchglocke, die irgendwo schlug und von der Ferne hergetragen wurde. Klare Laute der Natur, kein Krach der Stadt, nur Klang der Dörfer. Man hörte Kühe fressen, im Orchester oder höchstens mal einen Tschingg, der sein Motorrad an einer Bushaltestelle testete und pfiff, wenn eine Monica Bellucci an seiner Bushaltestelle vorrüberging. Es musste schön sein, in diesem Tal schön zu sein. Die Dörfer waren weltgewandt und kultiviert und man konnte in ihnen viele Sprachen sprechen und eine Frau lieben und einer bestimmten Tätigkeit nachgehen. Was wäre die Welt ohne diese Dörfer und diese Bewohner und Bewahrer, ohne die Bushaltestellen und Kirchen, die am Hang vor dem Blau des Himmels stehen, schon immer, egal was. Man konnte in diesem Tal nichts tun, außer man wusste, was man tun konnte. Einsam, weit weg von allem, guten Käse essen, schlechten Wein trinken, abends am Kamin sitzen und noch mehr Wein trinken, der immer besser schmeckte, je mehr man getrunken hatte. Morgens lagen wir lange da, guckten von warmen Betten aus offenen Fenster und hingen uns danach an schwere Steine im Bach, um uns vom Quellwasser umströmen zu lassen. Es war kein Eiswasser, man konnte darin überleben, und wenn die Sonne auf die Stelle schien, an der man gerade hing, konnte man es sogar genießen. Wegen so eines Baches lernten wir eines Tages den Metzger des Dorfes kennen. Ich hatte meinen Ring beim Umströmen verloren und der Metzger besaß die einzige Taucherbrille im Dorf. Den Ring fanden wir nicht, aber wir verstanden uns prächtig […]