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BYND

Konstantin Arnold

IM REIDS

IM REIDS

Für manche ist Madeira nur ein Drink, ein Ort, an den man dann mit 60 mal möchte. Eine Insel auf der Welt, irgendwo im Meer und dann links, wenn man lange genug Richtung Äquator gefahren ist. Voll netter Engländer, die nicht nur Saufen möchten und gerne lovley sagen, ein Vorteil also, mehr nicht. Für die, die schon mal da waren, ist es die Erkenntnis, dass das Paradies doch auf Erden ist. Die Insel ist ein Berg im Meer, vulkanausbruchgeschaffen, ein Garten Eden mit Kolonialbauten, 1862 Meter hoch, 560 Kilometer vor der Küste Marokkos. Madeira ist 741 km² groß, 490 Hektar davon sind Wein, der Rest Blumen, Berg und Bananen. Die Erde ist furchtbar fruchtbar. Auf der Nordseite fällt die Insel mit brutaler Plötzlichkeit ins Meer, auf der Südseite senkt sie sich allmählich und fällt erst im Meer tausend Kilometer bergab. Im Süden verhält sich der Atlantik mittelmeermäßig, rivieraesque, im Norden knallen Tiefdruckgebiete mit voller Kraft auf die Insel. Dadurch hat Madeira zwei Gesichter. Eins ist nass und rau, das andere sonnig und warm. Jurassic Park und Hawaii. Die Wolken sind immer da, aber sie tun nichts und verfangen sich nur, wie eine gut gemeinte Drohung, das beständig schöne Wetter nicht zu vergessen. Menschen leben an Hängen. Alles ist hoch und tief, fällt bergab oder geht bergauf, selten geradeaus, man steht ständig am Hang, hat noch nie so viel Meer gesehen, sieht es von überall, immer wieder überwältigend, es ist von einem einzigartigen, tiefen, Blau. Die Insel wirbt um sich, mit ewigem Frühling, lädt Prominente ein, um den Imagewechsel vom atlantischen Altersheim zum dynamischen Inseleldorado zu vollbringen. Eigentlich muss man in Madeira mit dem Schiff eintreffen. Aber Kreuzfahrtschiffe will man nicht und soweit Segeln, kann nicht jeder. Fliegen ist daher nicht verkehrt. Piloten brauchen eine spezielle Lizenz, um hier landen zu dürfen. Wegen der Winde und der kurzen Landebahn, die zu einem wundervollen Dorfflughafen gehört. Nach dem Landen hat man fast schon ausgecheckt und nach dem Ausschecken sind alle Wege kurz. Der Flughafen ist klein und hat Meerblick, wobei alles auf Madeira Meerblick hat. Man kann draußen auf der Terrasse stehen und den Piloten mit ihren Lizenzen beim Landen zu sehen. Interessiert nach der Landung erst mal keinen, aber später, beim Abflug, wenn du auf der Terrasse stehst und an die Zeit zurückdenkst. Man lässt viel in diesem Ausblick zurück. Es ist nicht so wie anderen Städten, wo man am Flughafen noch nicht da ist. Alles ist sehr grün und sehr blau und sehr schön und das Schönste ist, dass es auf der Insel nichts Höchstes, Größtes und Erstes gibt, das hier schon angepriesen wird. Die Insel kommt fast ohne Attraktionen aus. Es gibt keine Eiffeltürme, Petersdome, Kolosseen, vor denen man anstehen kann. Keine bedeutenden Kunstsammlungen, Top Tens, Must-Sees, nur das Reids, Zimmernummer 501 […]

AVANCEN

AVANCEN

Gestern habe ich versucht Schnaps zu trinken, wie ein Mann, der viel Raucht und versucht an sich zu halten. Es ist besser an sich zu halten, wenn das Glück kaum auszuhalten ist, weil es dann gut tut, wenn man es nicht tut und einen Augenblick so tut wie ein Mann, der nicht über Gefühle sprechen kann und endlich Zeit hat, Platon zu lesen. Nackt und in doppelter Übersetzung. Sie auf Portugiesisch, ich auf Deutsch, in einem schönen, weißen Goldeinband, der leider eine Weile im Keller meines Lebens geschimmelt hat. Die Deutsche Übersetzung ist an manchen Stellen besser, die Portugiesische an einer, die vielleicht die beste von allen ist. Die haben wir dann auch beide unterstrichen, ist aber schwer zu beschreiben, weil Platon das schon beschrieben hat und sowieso alles, was ich gerade schreibe, nicht so schön ist, wie es ist. Ich wohne am Meer, mit der Frau, die ich liebe. Nur das Unglück braucht länger, um sich auszudrücken. Es ist ein kleines, einfaches Haus mit Garten, nicht weit vom Strand, in dem man Ferien im Leben machen kann. Morgens frühstücken wir im Freien, Mittags gehen wir zum Markt oder Schwimmen oder beides, abends ein bisschen Espumante. Draußen ist Teil des Drin. Im Garten steht eine große Pinie, die im Abendlicht Feuer fängt, wenn der Rest vom Himmel brennt. Darunter liegt ein Hund, der manchmal kommt, aber nicht unserer ist. Vielleicht benutzen wir den mal für einen Herbstspaziergang, nachdem wir den vormittag lang im Bett gelesen haben. Das Schlafzimmer ist auch das Arbeitszimmer. Die Stadt keine zwanzig Minuten weit weg. Ich fahre wenn meist montags mit dem Zug, weil das ein Scheißtag ist und Scheißtage gute Tage sind, um die Post zu holen, Notizbücher zu kaufen, Zeitung, Kaffee, Kippen und Wein. Ich mache dann Listen, wie man die Dinge am besten anstellt, zieh mich schick an, bin wirklich in der Stadt, vollkommen vorbereitet und angezogen, wie Leute vom Land. Sie schmiert mir Brot und sagt, ich soll anrufen, wenn ich angekommen bin. Abends steht sie dann schon am Tor und winkt und ich bin froh wieder hier zu sein. Lissabon ist mittlerweile zu voller Menschen, die Karriere machen oder wollen, dass das die Stadt für sie übernimmt, mit vielen hübschen Geschäften, und Verkehr, der am Abend hier kaum vom Rauschen des Meeres zu unterscheiden ist. Alle Straßen führen zum Meer und enden in Gemälden vom Meer, die von Bäumen gesäumt sind. Dazwischen stehen Villen, die man durch alte Mauern in ihren Gärten beobachten kann. Die Idylle zwingt alle Einzelheiten in ihren Rahmen. Der Strand ist nie weit. Er ist keine Autofahrt und auch keine Parkplatzsuche oder Zugfahrt weit weg. Man muss nicht mal einen Schlüssel mitnehmen und sich nach dem Platon lesen nur daran erinnern, dass man am Strand ist, eine Erinnerung weit weg. Am Anfang wohnt man natürlich sehr heftig, hat Geschmack, Aufmerksamkeit und Zeit. Dann gewöhnt man sich normalerweise das Wohnen ab und macht mit seinem Leben weiter und lässt es die Möbel und Gegenstände übernehmen, wenn man welche hat. Sagen jedenfalls die Leute aus der Stadt, die immer was für sich wollen und Kerzen als was romantisches bezeichnen. Wir sagen das nicht, weil das Wohnzimmer auch die Küche ist. Ist nur ein kleines Haus, ist ja auch ein kleine Küche, mit einem Kühlschrank, der keine großen Einkäufe zulässt. Die Tägliche Häuslichkeit durch Flitterwochen ersetzt. In einem kleinen Dorf, nicht weit von Cascais, aber anders, grün mit Quintas und weiten Flächen, auf denen nichts ist und Bäume stehen und Sachen, die nicht gebaut wurden. Die Gegend kommt ganz ohne Tankstellen aus. Wenn die Sonne am Abend weg ist, zieht Nebel auf vom Meer und kommt in unsere Straße. Er hüllt alles ein, die Straße, uns und das Haus mit den Straßenlaternen, die davor wie stille Planeten im Nebel stehen. Man hat dann das Gefühl, die einzigen zwei Menschen auf der Welt zu sein, die noch Wein brauchen, wenn da draußen, in den weiten unserer Milchstraße, kaum noch irgendwas offen hat. Anstatt in die nächste Bar geht man ganz nah am Wasser lang oder zwischen den Häusern. Man geht bis die Straßen einen doch wieder zu einem zurück führen, wenn man sich in ihnen verliert, die Welt abhängt und das Gefühl hat, ganz und gar auf ihr zu sein. Nicht weit von hier gibt es eine kleine Bar mit Balkon, in die man schon gehen kann, wenns nicht ohne geht, aber meistens geht es ohne und wir kochen und trinken und gehen dann. Samstags fahren wir zum Tanzen in die Stadt. Treffen Leute, lassen uns verwickeln, sehen meine Ex oder ihren oder wie uns die Leute sehen. Man vergisst sonst, wer man ist und streitet, betrunken, auf der Heimfahrt, ohne Versicherung. Wir haben uns aber vorgenommen, nicht mehr beim betrunken Fahren, ohne Versicherung, zu streiten […]

ÜBER DEN FLUSS UND IN DIE WÄLDER III

ÜBER DEN FLUSS UND IN DIE WÄLDER III

Wir fuhren, wie Stekar meinte, nur einsame, schmale Landstraßen, keine Autobahnen, und auch nur slowenische. Es war nun richtig Slowenien, dunkle Nadelwälder, Schlösser, 23 Grad. Die Zeit schien still zu stehen. Wir fuhren durch viele Dörfer. Die meisten Häuser hatten Holz aufgestapelt, in den Einfahrten fielen die Blätter und an manchen wuchs Wein. Die waren schön. Man konnte die Straßen gut voraussehen und die Kurven gerader fahren. Am Abend kamen wir in die Stadt und die Stadt fing an, wie Städte sonst eigentlich nie anfangen. Ohne Vororte, die sich in die Natur reinfressen. Die Stadt und die Natur gingen ineinander über und die Dörfer hörten einfach nicht auf anzufangen. Es kamen auch keine Speckgürtel, Gewerbegebiete oder hohe Gebäude, die langsam kleiner wurden. Es war alles sehr ländlich, nur Basketballplätze erinnerten daran, dass man am Abend in der Stadt ist. Unser Hotel lag im Zentrum am Fluss, vor der Burg. Man musste gar nicht mehr aus dem Hotel, um in der Stadt zu sein. Nach der Ankunft setzten wir uns auf die Terrasse und sahen die Leute im vorbeigehen an. Ein netter, großer sympathischer Mann nahm unsere Sachen ab und brachte zwei Drinks. Keine Ahnung, ob das normal war oder Marijan den angerufen hatte. Er sagte, es gäbe in Slowenien nur drei anständige Hotels, das hier sei eines davon und sie hätten ihn und einen Concierge. Es war ein schöner Sommerabend, vielleicht einer der letzten. Die Luft war warm, die Frauen schön und sie lächelten und so waren die Männer dann auch. Niemand rannte oder war laut oder musste unbedingt irgendwo hin. Die Bewegung der Stadt schien durchs Wollen bestimmt. Wir saßen auf der Terrasse, das Hotel im Rücken, den Platz im Blick, über den die Leute unter den Bäumen gingen. Unser Zimmer hatte einen Blick nach hinten, auf die Brücke, zur Burg. Der  große sympathische Mann meinte, dass wäre aus dem 16. Jahrhundert, Zunftgeschichte, keine Ahnung, ich hörte nicht hin. Wir tranken Cviček, rote und weiße Trauben zusammen, neun Prozent. Ich sah ein paar Stühle vor einem Café, die sich gut eignen, um den Rest des Nachmittags mit seinen Gefühlen zu verschwenden, aber ich wusste nun, dass den Gefühlen immer was Gutes zugrunde gelegen hatte und musste es nicht. Ich kannte in solchen Momenten nur Streit, aber wir hatten in zwei Wochen nicht gestritten, nur einmal, für sie vielleicht, für mich war das nichts. Unter der Sorglosigkeit der slowenischen Sonne, gedieh unsere Liebe prächtig. Ich versuchte, mich zu erinnern und nie zu vergessen und sorgsam damit umzugehen, denn irgendwann ist das Leid vorbei und Erinnerungen nehmen seinen Platz ein. Man wartet darauf, dass die Qual größer wird, als der Schmerz. Dann ist die Qual vorbei und der Schmerz bleibt und man erinnert sich und weiß wieder, wie man sich fühlte. Alles gute hinterlässt eine Leere, wenn es geht, aber nur das Schlechte eine, die sich nicht einfach wieder füllen lässt. Auf dem Rückweg hielten wir an Schlössern und auf Feldern, sahen uns die Landschaft an, um nüchtern zu werden oder fuhren trotzdem einfach weiter, ohne die Höchstgeschwindigkeit dieser noch nie gemalten Landschaft zu überschreiten. Irgendwann kam dann doch der Herbst. Die Blätter an den Bäumen wurden braun oder sie kamen uns braun vor, weil wir abreisen mussten. Es war nun nicht mehr Slowenien, zu nasse Nadelwälder, Schlösser, fast Minus Grad. Die Zeit schien doch nicht still zu stehen. Man fürchtet, dass das nur der Anfang war, fürchtet es aber nur und hoffte, den Aggregatzustand seiner Gefühle mit nach Hause zu nehmen. Man fürchtete sich vor vielen guten Momenten, will dem Versprechen aber glauben, das der glückliche Moment in sich trägt. Er gibt einem die Chance zur Liebe, zur Fragilität, der Erkenntnis, dass es nicht nur darum geht, wenn es nicht nur wieder darum gehen soll, genau wie eine Kellnerin aus Bled meinte. Wir fuhren durch ein Dorf, das Drama hieß und beim Rausfahren war das Drama durchgestrichen. Bei Gurinanz aßen wir ein letztes Lunch. Die vom Neptun hatten uns das empfohlen. Es war gleich auf dem Weg und sie sagten, damals vor 200 Jahren, als man es baute, hätte es das Hotel und die Autobahn noch nicht gegeben. Wir aßen Beef Rizet und eine Petenchka. Kurz vor der Grenze bekamen wir eine Nachricht. Wir waren erleichtert und auch ein bisschen traurig. Selbst der Stau war dann schön mir ihr. Marijan schrieb uns unterwegs, dass der Sommer nun wirklich vorbei wäre. Unmittelbar nach unserer Abreise kam der Regen nach Piran und ein wenig später die Flut und der Sommer ging direkt in eine Katastrophe über […]

 

ÜBER DEN FLUSS UND DIE WÄLDER II

ÜBER DEN FLUSS UND DIE WÄLDER II

Sie hatte Hoffnung. Ich hatte keine, ich hatte die aufgegeben und nahm nicht mal die Kamera mit. Wir fuhren vom Campingplatz ja nur zehn Minuten weiter, durch einen Tunnel, es musste ein Wunder her, aber als wir aus diesem Tunnel kamen, waren wir, wie soll ich sagen, im gleichen Land einer gan anderen Nation. Es war der Garten Eden. Das Grün hatte tausend Farben, die Zypressen beherrschten den Blick, links die Olivenbäume, rechts der Wein, in den Wäldern standen Trüffel und Pilze. Niemand, der zeltet. Wir fuhren von der Straße ab und dann eine, die gar keine war, mit unserem Auto aber gut ging. Wir fuhren, bis man nicht mehr Fahren konnte und dann liefen wir. Sie in einem schönen Sommerkleid, mit mittellangen Armen und einem Hut, den wir in Triest gekauft hatten. Es passt alles ganz wunderbar zur Landschaft. Ich? Es ist egal, was ich trug. Wir liefen oben am Meer lang, bis wir das Ende der Landzunge erreichten und sich eine schöne Bucht vor uns auftat, zu der ein paar Stufen aus Stein führten. Unten lag ein einsamer Strand aus Kies, ein paar Leute Schwammen, der Rest schlief. Wir schwammen und schliefen auch und hörten im Schlaf wie der Strand leer wurde und Leute über den Kies gingen. Ihre Stimmen drangen in unsere Träume. Als wir aufwachten war es schon spät, spät für Leute und Strand, für mich aber die richtige Zeit. Es war ja immer noch warm. Die Sonne kam gerade erst um die Ecke und strahlte flache über den Strand. Es ist besonderes am Abend am Strand zu sein, wenn er leer wird und sich die Erwartungen legen. Die Adria ist dann blau und still und salzig und ohne Wind. Wie Öl. Auf dem Rückweg aßen wir in einem kleinen, einfachen Lokal, auch auf Plastikstühlen, aber anders. Über uns hing der Wein, den wir tranken, Refosco nannten die den. Das Lokal wurde von einem netten schweigsamen Herren geführt, aber ich hatte nichts mehr gegen das Schweigen. Ich war in ihrer Gegenwart auch oft nur still. Keine Ahnung, was sie dann an mir fand. Als ich vorhin am Strand aufgewacht war und sie sah und sah, wie sie da lag am Strand, neben mir, und schlief in einem letzten Rest Sonne, mit der Adria davor und einem Buch von Triest daneben, in einem Kleid, dass sie von ihrer Mutter hatte, konnte man ja nur Schweigen. Man fragt sich, wieso man überhaupt je gezweifelt hat, wenn jetzt alles so ist und versteht, dass alle Tage und Nächte, auch die mit anderen, nötig waren. Ich dachte daran, wie wir eine Post gesucht hatten, um den Brief abzuschicken und sie anrief und mir gratulierte und ich nicht wusste, ob sie ihn bekommen hatte und still war, zum ersten mal und still war, als sie mich nochmal treffen wollte und ich ihr sagte, dass es jetzt nun vorbei sei und sie nochmal fragte, ob ich mir sicher wäre und ich sagte, ja. Natürlich möchte man der, die man lange geliebt hat, helfen, aber mit dem, was man tun müsste, würde man sich aufgeben. Wir haben stets die Möglichkeit. Das Leben hat nur ein Ziel und es ist meistens dieselbe Geschichten. Sie ist hart, rücksichtslos und schmerzt, aber solange sie schmerzt, weiß man, dass man lebt. Alles andere ist Existieren und tun, als ob es Veränderungen nicht gäbe. Es ist jene Arbeit, für die alle anderen Arbeiten nur Vorarbeiten sind und sie hatte mich in diesen Moment geführt und man bräuchte deshalb nie wieder Angst haben, vor dem was kommt oder nicht. Der nette, schweigsame Herr kam und stellte Teller hin. Wir aßen Tintenfische mit Tinte, Miesmuscheln mit Brot und Salat, nachts im Konvent sahen wir Fernsehen, wie alle hier. Gleich am Morgen beschlossen wir den Konvent zu verlassen. Beim auschecken meinte sie, sie hätte Anthony Hopkins einchecken gesehen, aber das war unmöglich. Wir verließen den Campingplatz ohne Groll, immer hin hatte der uns erst auf die Suche geschickt, und mieteten uns im Kempinski in Piran ein, um näher an unserer Bucht zu sein und im Kempinski. Das war ein gutes Hotel, mit Marijan, einem Concierge, den ich gar nicht mehr romantisieren brauchte. Er sagte, Piran wäre ein Ferienort an der slowenischen Adriaküste, bekannt für seinen langen Pier und seine venezianische Architektur und das im Freien Essen. Er nannte uns auf anhieb zwei geile Lokale, von denen sich unsere Welt aufspannte. Das eine war ein gutes, einfaches zum Essen, das andere ein gutes, einfaches zum Trinken danach. Ich habe selten einen Concierge erlebt, der so ins Schwarze trifft oder so ehrlich ist, denn die meisten werden von Restaurants bezahlt oder haben keine Ahnung vom Menschen verstehen. Nur einmal probierten wir ein anderes Lokal, auf einem schönen Platz, mit Brunnen und Fensterläden, von dem uns Marijan abriet, nur um zu sehen, dass er Recht hat, wenn er sagt, dass Muscheln mit Käse Verbrechen sind. Von hier an war der Wein nie weit und wir fuhren noch oft zu unserer Bucht bis man nicht mehr fahren konnte und liefen dann. Wir gingen die gleichen Wege und ich erzählte ihr Platons Geschichte von den Kugelmenschen oder die von der Welle und dem Felsen im Meer. Eines Abends war ein Paar am Strand, das stritt und ich war froh, nicht mehr das Paar zu sein. Wir fummelten an uns rum und schwammen. Sie war ganz toll im Wasser. Es schien ihr natürlicher Lebensraum zu sein, wie der jeder Portugiesin. Wir waren sorglos, wie die Kinder Napoli’s, neckten uns und schwammen voneinander weg, als wären wir 14 und an einer Bushalte. Aus irgendeinem Grund wollten wir uns nach dem Schwimmen immer mit Olivenöl einreiben. Auf dem Rückweg blühte und brummte dann alles, war ganz erschöpft vom Sommer und der Zeit, so wie wir und unsere Bucht lag lautlos und ruhig in der Ferne. Wenn sie nicht weiter laufen konnte, setzte sie sich einfach hin. Die Straße führte an einigen glücklichen Häusern vorbei, die Luft war warm, eine Umarmung der Welt. Alles glühte noch vom Tag und die Farben kehrten in ihre Dinge zurück. Die Bucht von Triest lag in der Ferne, wie Sterne über dunkelblauem Blau und ganz am Ende, so glaubte man, Miramare zu sehen. Ein Gedanke daran, wie alles begann und man fühlte sich wie die Landschaft ist […]

ÜBER DEN FLUSS UND IN DIE WÄLDER I

ÜBER DEN FLUSS UND IN DIE WÄLDER I

Diese Geschichte beginnt nach ein paar Flaschen Wein mit einem Erdbeben in Lissabon, frühmorgens, 5.9 auf der Richterskala. Man muss sich das so vorstellen, dass man überhaupt gar keine Vorstellung von so einem Beben hat und im Bett liegt und sich fragt, was zur Hölle das ist und das ist es eben auch schon gewesen. Entweder man fragt sich das danach immer noch oder man fragt sich das nicht mehr, aber so lange man es sich das fragt, weiß man, dass man lebt. Man fragt sich danach natürlich, ob das am Wein gelegen hat, weißem, slowenischem, mit Schalenkontakt, der tagelang auf der Maische lag, wie auch immer, man wird Wein, den man in der Nacht vor einem Erdbeben trank, so schnell nicht vergessen. Zum ersten Mal hatte ich was von solchen Weinen in Irland gehört. Ich hatte auch viel über Irische Meeresfrüchte gehört und fuhr das ganze verdammte Land ab, aber an den Küsten war alles frittiert und im Landesinneren Fleisch, obwohl in Irland nichts weiter als eineinhalb Stunden vom Meer ist. Erst als ich in die Nähe von Dublin kam, fand ich ein nettes Lokal oder es fand mich, wie das eben so ist. Der Inhaber war sehr nett und stellte mir ein paar irische Austern auf die Theke und slowenische Weine, auf denen Guerilla, Kabaj und Stekar stand. Ich fragte, sind das slowenische Götter? Und er schwärmte von diesem Land, dem Geschmack seiner Birnen, den fleißigen Bienen auf den Feldern, den Gärten, Weinen, Küsten, Pilzen und Bären in dunkelgrünen Nadelwäldern mit schneeweißen Hotels. In Slowenien würden vier gastronomische Welten aufeinandertreffen, die alpenländische, mediterrane, pannonische und balkanische Küche. Außerdem hätten die das magnesiumhaltigste Mineralwasser der Welt. Ich sagte, ich wüsste überhaupt nichts davon, außer dass Slowenien nicht in der Slowakei ist und Richard Burton einen Teil seiner Tagebücher dort geschrieben hat. Ich wusste noch ein paar andere Sachen, die man Googeln kann, wie Hauptstädte, aber ich wusste sie besser von ihm und den Weinen aus jener Nacht mit dem Beben. Dass müssten Orangeweine gewesen sein, meinte er, mature whites, orange, wie gewisse Diamanten, die er Canaries nannte, angeblich selten und sehr teuer. Er sagte, Slowenien wäre natürlich noch keine Jet-Set Destination, was es aber nicht weniger Jet-Set macht. Es wäre eben ein Land für Leute, die keine anderen Leute dazu brauchen. Ich flog zurück, wartete bis der Sommer und etwas anderes vorbei war (er meinte, das wäre die beste Zeit) und flog für ein paar Wochen im September. Ich flog nicht allein, denn da war eine Sommerliebe, die schon bis in den Herbst ging. Ich will nun nicht dieselben Worte für etwas benutzen, das vergangen ist. Worte zählen, bis sie nicht mehr zählen und bis dahin meint man sie auch. Sie definieren einen Teil und einen anderen nicht, können Gefühle aber nicht fassen, außerdem hat man die schon und muss eigentlich nicht auch noch darüber schreiben. Ich stand vor Entscheidungen, die durch Denken nicht zu beantworten waren. Die meisten Dilemma lassen sich jedoch lösen, einfach durch die Art wie jemand isst und was man davor so getrieben hat, bis man das tut. Ich gehe soweit, zu sagen, dass nur ein Mensch, der Essen liebt (auf euripideische Weise) überhaupt in der Lage ist, einen anderen zu lieben. In meiner letzten Beziehung hatte ich am Ende nur noch das Essen und den Apéro gehabt, ohne das davor, obwohl mir das immer wichtiger gewesen ist. Das konnte Sport sein oder getane Arbeit, Liebe, die wie Sport gemacht wird, irgendetwas, das nicht einfach nur Essen ist. Es kommt noch vor den Kellnern, dem Ort an dem man isst, mit wem, was und das man teilt. Ich hatte alle Vorraussetzungen, die es für eine romantische Kulinarikreise braucht. Ich hatte eine neue Liebe, die Essen und Trinken konnte und das Davor, gewisse, slowenische Vorurteile (Ćevapčići, Gulasch) und eine alte Liebe, die die neue verfluchte und mich hasste, weil sie mich zu dem Mann gemacht hatte, den die neue jetzt liebt. Ich fragte also, ob sie nicht mit will und sie fragte gar nicht erst wohin, es war ihr egal, sie wollte es gar nicht wissen und das war alles, was ich wissen musste, nachdem sie es die Wochen zuvor schon mit mir, in meiner Lissabonner Bruchbude ausgehalten hatte, die, wie auch immer, einem Erdbeben stand gehalten hat. Anders als manche Lokale, in die wir nach den Öffnungszeiten so gingen.

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BAD GASTEIN

BAD GASTEIN

Bad Gastein, hat man vielleicht schon mal von gehört. Wenn nicht ist das auch nicht schlimm. Es interessiert eigentlich auch keinen, bis auf die, die da wohnen und die, die sagen, dass sie da wohnen, obwohl sie meistens in Hamburg oder Berlin sind. Das Bergdorf ist sowas, wie die österreichische Antwort auf St.Moritz oder der Versuch einem gewissen Karlsbader Glanz gleichzukommen, ohne jene Internationalität und ohne, dass jemand gefragt hätte. Es entstand wie alle anderen Kurorte auch, durch Größenwahn und Gründerzeit und weil die Aristokratie Galle spuckte und trotzdem weiter Saufen wollte.  Neben den regulären Kurgästen (Kaisern, Königen, Literaten) kamen schnell Sommerfrischler nach, Grand Nature und noch einflussreiche Leute, die abseits des Protokolls Erfahrungen in erotischen Dingen sammeln wollten. 1905 dann die erste Eisenbahnstrecke, eine Brise Wintersport und die Geschichte ist so einzigartig wie überall und deswegen auch immer schnell erzählt. Bad Gastein ist nur international, wenn man das auch von Berlin-Mitte denkt. Einzigartig ist das radonhaltige Thermalwasser. Es fließt aus 18 verschiedenen Quellen, fünf Millionen Liter am Tag, 46 Grad heiß. Es ist etwas radioaktiv und wird von Kliniken und Krankenhäusern verschrieben, angeblich nur so radioaktiv, dass es die Zellen stimuliert, bevor sie sterben. Allein von 1906 bis zum ersten Weltkrieg entstanden daher 28 Hotels, inklusive Renovierungen. Sie ragen an den Steilhängen empor, stapeln sich übereinander, kämpfen um den besten Blick, gegen’s ganz große Vergessen, 1000 Meter über dem nächsten Meer, der Adria. Ich glaube, man merkt schon, ich habe meine Probleme damit. Nicht, dass mich die Bilder eines gelben, großen, leerstehenden Grand Hotel de l’Europe nicht seitjeher begeistern, aber irgendwas hinderte mich stets daran, dort mit meiner Hotelbegeisterung aufzuschlagen und ich weiß jetzt auch was. Es ist dasselbe, was mich auch vom Adlon in Berlin fern hält und gewissen, berühmten Häusern in New York. Es sind nette, aufgeregte Leute aus der Stadt, die Kaffee im Gehen trinken und mit ihrem Stadtleben einfach auf dem Land weitermachen; das Fehlen Einheimischer, die so herzlich sind, dass sie gar nicht mehr nett sein müssen und immer noch meinen, dass man bei Halsschmerz besser warmen Schnaps mit Honig trinkt, als lederfreie Medikamente mit Lachs und Ozon aus biologischem Anbau. Die meisten kommen aus Berlin und selbst die, die nicht aus Berlin sind, sind so. Es sind die gleichen Leute wie überall oder es sind andere, Hotelbedienstete, Kellner, Saisonarbeiter, Künstler und Kinder, die Künstler Künstler werden wollen. Bad Gastein trägt so schreckliche Titel wie das Berlin der Berge oder das Manhattan der Alpen und will sich ständig mit anderen Orten vergleichen, um zu existieren. Der Deutsche Kaiser kam zwanzig Sommer, Freud samt Psychoanalyse-Boheme, Mozart wurde hier gezeugt, alles schön und gut (für Leute, die andere Leute brauchen, Epochen und Expats, die vielleicht noch keine anderen Alpentäler gesehen haben: St.Moritz, Gstaad, Klosters). Ein ordentliches Hotel hält die Listen seiner berühmtesten Gäste geheim und Bad Gastein ist ein Ort, der wirklich nur aus Hotels ist. Der Kellner ist Italiener, der Concierge Genovese, der Portier aus der Slowakei, der Koch Spanier, die Hausdame Portugiesin und der Barmann ein Österreicher, immer noch kaiserlich, selbst wenn er Befehle empfängt. Alle samt aus der Enge ihrer patriotischen Gefühle befreit und der dumpfen Selbstverständlichkeit ihrer Heimat, für die keiner was kann, da die Welt nicht, wie gerne angenommen, aus nur einem einzigen Ort, sondern Millionen Orten besteht, die sich alle für die einzigen halten, so wie BeGe. Ich hasse Abkürzungen, früher schon, so wie später treffen an der Bushalte? Deswegen lebe ich doch gerade in den Hotels. Dennoch: Am Ende des letzten Sommers, den wir in Slowenien verbrachten, wars dann soweit. Die Fahrt ging von Ljubljana nach München und ich sah, dass Bad Gastein auf dem Weg ist. Außerdem gabs da diesen sehr netten Kerl, der meine Geschichten kannte und Bad Gastein. Er erzählte mir davon, erzählte von großen, leerstehenden Hotels, die verfallen oder bald renoviert werden, einem wilden Hotelwesten. Grand Hotel Ruinen der Belle Epoque, der letzte große Jahrhundertwende, genau mein Ding. Sie würden den Leuten als Bühnen dienen, um sich aufzuführen und mit Leben gefüllt, genau wie in meinen Geschichten. Das Hotel Europe wäre die Inspiration für Wes Andersons Budapest Hotel gewesen (so wie viele andere auch) und es gäbe da heimliche Berghain-Parties, Ausstellungen, Fetischnächte, bei denen sogar schon Sebastian Kurz vorbei geschaut hat. Eyes Wide Shut. Dazu ein verrückter Haufen Architekten und Designer, die dafür sorgen, dass die Bad Gasteiner Mode auch in diesem Sommer wieder schwarze Joggingsachen mit Turnschuhen ist. Man könnte noch richtig in den Hotels leben, obwohl ein Hotel ja eigentlich immer ein Haus ist, in dem man nicht zuhause ist. Die Möbel gehören mehr denen, die sie putzen, der Portier bewacht die Nacht und Nachtisch ist eher Pflicht Kellnern gegenüber […]

BLANC DE BLANCS

BLANC DE BLANCS

Und dann waren da diese Sommernächte am Praça das Flores mit einer kalten Flasche Schaumwein, die man sich gerade noch leisten konnte, wenn sie einer von deinen Freunden bezahlte oder einer von denen, die vorbeikamen und das werden wollten. Es lag dort immer irgendwas in der Luft, ich weiß nicht was, es kam von den Bäumen oder lag in den Brunnen und machte die Frauen verrückt und dich dann auch und du konntest dich bis zum Ende der Nacht nicht entscheiden und gingst besser alleine heim, weil es dir nichts mehr gab und du auch nicht mehr so reden konntest. Auf dem Heimweg kamst du an den Rosenverkäufern vorbei, die dir auch keine anboten und du kamst dir albern vor, weil du es gern gehabt hättest, wenn sie wenigstens gefragt hätten. So war es, als erwarteten sie nicht einmal, dass man welche brauchen könnte, weil mans mit niemandem mehr trieb, nicht mal mit sich, seit der Trennung und den Tagen in Rom und vielleicht gerade deshalb anfing, sich selber zu lieben, egal ob es andere taten oder nicht. Nachdem man miteinander fertig war, war alles immer nur schlimmer und die eine fehlte dir dann mehr als alle anderen, obwohl es vielleicht gar keinen Grund dafür gab, außer der Einsamkeit, die von den Frauen ausging und ihren Szenen. Ich hatte versucht, die Einsamkeit zu töten, aber man kann die die Einsamkeit nicht töten, sondern macht sie nur schlimmer, außer mit Frauen, die Szenen machen, durch die man die Einsamkeit dann wieder zu schätzen weiß. Ich habe nichts gegen Szenen, aber sie lohnen sich nur solange man nicht ganz unglücklich ist. Das ist wie Fächern gegen die Hitze. Ab einem gewissen Grad wischt man sich den Schweiß auch nicht ab mehr, sondern sitzt mit geschlossenen Augen an die Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt, klitschnass und resigniert. Es ist nur dann schlimm, solang man sich dagegen wehrt und es ist dann zwar alles noch ein Unglück, aber es ist nur ein Unglück, bis nichts mehr um einen besteht, weil es nichts mehr gibt, mit dem man es in Vergleich setzen könnte. Die Erschöpfung beginnt. Der Aufstieg. Zur Sonne Ikarus, zur Sonne und im Morgengrauen, wenn in den Schlafzimmern der Stadt die ersten enttäuschten Leiber voneinander lassen, kam man über den Rossio, an all den toten Träumern vorbei, die in den Schlangen der Fastfood-Restaurants standen, weil sie sie nichts zum Vergessen gefunden hatten und den Trieb der Nacht am Ende mit einem anderen stillen konnten. Der junge Tag haucht seinen Atem vom Land durch die Straßen der Stadt und es war noch Weite darin, Flüsse, Kühle, Hoffen und Land. Ein Versprechen, dass so ein Morgen nur selten über den Tag halten kann. Immerhin hattest du dich, für den nächsten Tag, mit einer Deutschen zum Schwimmen verabredet, die aber nie kam, weil man sich auf Verabredungen, ohne Telefonnummer, überhaupt gar nicht mehr verlassen kann. Aber so hattest du wenigstens die Freude und die Hoffnung auf den nächsten Tag und dann den Ozean, für dich. Du hattest dich an niemanden verschwendet und geschlafen und gehoffen und nichts anderes erwartete, aber Wissen ist nie das selbe, wie nichts anderes Erwarten. So fährt man eben wieder alleine zum Strand, ohne Geld und Arbeit, ohne bei vierzig Grad auf Aktualisieren zu klicken, ohne die ganzen schwanzlosen Verleger, Zeitungen und Sommerferien, in denen jetzt sowieso alle sind, die von den Zeitungen und alle Freunde, die sagten, dass jetzt ein für alle Mal Sommer ist, auch für mich und es überhaupt gar keinen interessiert, was ich da schrieb. Sie hatten ja Recht, aber sie hatten leicht reden, sie hatten Geld und Ferien und fuhren Mercedes und konnten sich ihr Mittag leisten, ohne schlechtes Gewissen. Sie hatten aber trotzdem Recht, es war Sommer, es musste jetzt Sommer sein, ein für alle Mal und es war eh alles fertig, aus und vorbei, für den Moment. Tief in dir drin, gleich neben dem schlechten Gewissen, war ein anderes, starkes, auf dich zukommendes Gefühl, als ob gleich irgendwas passiert, man sich stößt oder weg fährt oder realisiert, dass etwas wiedergefunden wurde, dass nie verloren gegangen ist und man endlich vergessen hat, was das ist. Vielleicht war das der Glaube an ein […]

DAS ELEND

DAS ELEND

Am anderen Ende des Rossio, vom Schiff aus gesehen, gleich rechts neben der Inquisition und links vom McDonalds, vor dem Hutladen und zwischen den beiden Ginjinha-Kneipen, die es tatsächlich noch gibt auf dem Platz, von dem die kleine Gasse mit dem Buchladen zum Martim Moniz führt, diesem Dreckloch, und eine andere in die fast vergangene Vergangenheit des Restauradores, also gar nicht weit von der ausgebrannten Kirche, sitzt Tag aus, Tag ein, ob Ostern oder Silvester oder Senegal im Final, sieben Tage die Woche, ein Haufen Schwarzer mit Strohhüten, afrikanisch, rauchend, reglos wie Pilze, zufrieden ohne Licht, im Schatten einer Pinie, an die kühle Mauer gelehnt. Das lässt sich nicht leichter sagen, und auch nicht politisch korrekt. Jorge, mein Kumpel, der Schuhputzer, meint, die verkaufen da irgendwas, was wüsste er aber nicht und er wüsste, nach fünfzig Jahren auf dem Rossio, sonst was alle verkaufen. Es herrscht Verheißung und Schwermut auf Stufen, die keine Tribünen sind. Hoffen, dass irgendwas passiert. Alle aus der Enge ihrer Wohnung vertrieben, definitiv ums sichs von einer guten Geschichten besorgen zu lassen. Einmal am Tag gibts hier Essen, was aber noch kein Grund ist, den ganzen hier zu sein und so zu schwitzen. Ab einem gewissen Moment am Tag, wischt man sich den Schweiß nicht mehr ab, sondern sitzt mit geschlossenen Augen an die Mauer gelehnt, die Beine von sich gestreckt, und resigniert. Es ist schlimm, solang man sich dagegen wehrt. Manchmal kommt einer mit einem Rollkoffer Sachen vorbei und alle stürzen sich drauf. Sie folgen ihm dann in die verwinkeltsten Gassen, die sich, wie gesagt nicht beschreiben lassen, ohne das man sich dabei verliert. Die meisten Penner haben dann neue, gebrauchte, geklaute Sachen an, oder was es eben gab und kommen stolz wie aus einer Zauberkugel. Sie liegen dann mit neuen Sachen im Schatten und vor ihnen rennt die Welt vorbei, ohne was abzugeben. Sie müssen nun warten, warten dass die Sachen wieder dreckig genug werden, wie nach einem Haarschnitt. Sie warten und hoffen, hoffen, dass der Tag die Zeit rumkriegt, mit einem Telefon am Ohr und Perlen in der Hand, wie eine Meeresfrucht an der Touristenbrandung, das ist noch besser als Pilze. Diese Leute sind die Wächter einer Welt, den letzten Sackgassen, die es noch gibt, denn hinter den Pennern und Afrikanern und Afrikanern, die Penner sind, erstreckt sich eine Welt aus Müll, Drogen und Dreck, die sich nicht renovieren lässt. Genau hier wohne ich. Der Campo Sant’Ana ist ein hoher Hügel, der zwischen der Almirante Reis und der Avenida liegt. Er ragt wie der Bug eines großen Schiffes in die Unterstadt hinein, als wäre er, auf dem Weg zum Fluss, aufs Trockene gelaufen. Seitdem wird er belagert, wie eine Burg, in dessen Gassengewirr sich das Ungeziefer vor den Blicken verkriecht, das Elend, Victor Hugo, die Aussätzigen und Abhängigen, die Gescheiterten und Krüppel, die uns im Vorbeigehen mit ihren Existenzen erschüttern. Es ist eine Haufen aus Häusern, hinter denen sich das Scheitern verbirgt, das Leid, die Miserablen und ich. Sie sammeln sich wie vor der ersten Welle im Hafen und am Rossio ist dann wieder alles schön, wie weit draußen auf dem Meer. Man kann so schon zum Rassisten werden, aber es gibt genug asoziale Portugiesen hier, die einen daran hindern, fürchterliche Franzosen und Leute, die sich Schriftsteller nennen und den ganzen Tag in den Cafés saufen, während ich hier sitze und verzweifle und erst dann Saufen gehe. Man tritt aus diesem Viertel wie aus einem Vorhang auf den Rossio. Hinter dem Vorhang sind Gassen, die außer mir sonst niemand geht, der nicht eine Art Ort sucht, den man mit vierzehn zum Kiffen gebraucht hat. Es wird geschissen, gepisst, gewixt, gefickt, Crack geraucht und der Müll nicht getrennt. Am schlimmsten ist das an heißen Tagen. Dann vertrocknet die Pisse noch bevor sie den Hang runter gelaufen ist und liegt in der Luft, zusammen mit der Scheiße, die auch in der Sonne trocknet und dem Müll, den nie jemand trennt. An nicht so heißen Tagen ist die Straße ein steiler, schluchtartiger Abfluss. Sie fängt schön an und wird dann sehr schlimm. Das Schlimme staut sich unten wie das Blut in den Füßen älterer Frauen. Amalia Rodriguez wurde hier geboren. Für jemand, der von irgendwo kommt, ist das alles natürlich nur irgendsoeine Straße, bis die Straße dann zu der Straße wird, in der man wohnt. Es ist anders in so einer Straße zu wohnen, als durch sie zu gehen. Man ist davon überzeugt, dass es die Einzige Straße ist. Ich glaube, Verlieben funktioniert so […]

TAGE AUSSERHALB DER ZEIT

TAGE AUSSERHALB DER ZEIT

Diese Geschichte beginnt an einer Bahnstation. Ein Zug stöhnt und ein Zugschreier schreit. Rauch steigt auf, der die ersten Zeilen verhüllt und die Anzeige: Von Venedig nach Wien mit dem Zug. Allein wie das klingt. Besser klingt das nur, wenn man Vienna und Venezia sagt, ohne Zug, weil das alliterarischer ist. Denn die Realität dieser Vorstellung ist ein völlig überfüllter Bahnhof Venezia Mestre, 35 Grad und ein Zug der ÖBB, der seit einer Stunde hier sein soll. Mal am Gleis vier, mal dort, mal gar nicht mehr, je nachdem wo die meisten aufgeregten Wiener in dreiviertellangen Hosen und Kurzarmhemden stehen. Sie fragen, ob ich nicht auch nach Wien müsste und warum ich dann noch so ruhig aussehe und so dick angezogen wäre (Mantel, Anzug, Zuschicket in der Brusttasche) und warum der Zug schon wieder nicht auf der Abfahrttafel angeschrieben steht. Ich antworte, dass wir eben noch nicht in Wien sind und 35 Grad zwar heiß, aber noch kein Grund für dreiviertellange Hosen. Sie fragen, was mich überhaupt nach Wien führt, na Wien und ein bisschen der Weg dorthin, was man denn sonst für einen Grund brauche? Er sah mich mit misstrauischen Nachbarschaftsaugen an und versuchte das zu entschlüsseln, aber er hatte nichts von jener Begeisterung, die Abfahrttafeln, mit Zeiten und Zügen, die über Grenzen gehen, in einem auslösen können. Für mich lesen die sich wie Depeschen zwischen den Hauptstädten: Budapest, London, Ljubljana, Prag, Berlin, ein Gefühl am Gleis. Ich warte sehr gerne. Das konnte der Wiener einfach nicht verstehen und ich verstand das einfach nicht, aber uns rettet die Durchsage, der Zug wäre in einer Stunde hier. Hätten wir doch besser ein Flugzeug genommen, schimpfte er. Wenigstens etwas, in dem wir uns einig waren. Für ihn war das jetzt gerade genug, um noch eine Stunde wütend am Gleis zu stehen bis der Zug endlich dran steht. Ich fuhr nach Venedig, rauchte, sah mir den Canal Grand an und fuhr wieder zurück. Eine zweistundenlange Stunde später kam er auch. Man hat nun schon einen ganzen Vormittag am Bahnsteig verbracht und muss nun, für den gefühlten Rest seines Lebens, sitzen. Der Zug von Venedig nach Wien ist kein Nachtzug. Erst ist genau so lang, aber er fährt am Tag, ohne die Liegeplätze. Er ist überfüllt mit wütenden Menschen, die gewartet haben, ohne Venedig zu sehen, es ist heiß, das Internet kaputt, die Getränke warm und mein Platz unter der Anzeige, die mir unentwegt vor Augen führt, dass es bis Wien noch neun Stunden sind. Ein Wiener kommt und bringt sein Gepäck in Sicherheit, weil ihm ungeheuer ist, dass ich drei Hemdknöpfe offen habe, vorher Mantel trug und nun unter seinen Dingen sitze. So wird man natürlich nervös. Ich weiß nicht, wies ihnen geht. Züge unterteilen mein Leben in Kapitel. Sie unterteilen Tage und Zeiten und fahren sie weit voneinander weg. Sie trennen die bei Parmesanbauern, von denen in Genua und San Remo und nun hoffentlich die außerhalb der Zeit in der Toskana. Keine Ahnung, ob die eine gute Idee waren. Diese Geschichte fängt deshalb da an, wo eine andere aufhört, die noch nicht ganz fertig ist. Die Wiener, die Anzeige, das wirft alles Fragen auf. Mein Herz schlägt, schreit raus! Der Schaffner beruhigt mich, sagt, ich könne hier nicht raus, mein Kopf versuchts auch. Er verlangt nach guten Gründen, um jetzt hier einfach auszusteigen und alles hinzuwerfen: Diese Zuggeschichte, das Honorar, meine Miete. Bis kurz vor Udine halte ich das aus, schiebs auf den Schlafmangel, den Wein, die generelle Melancholie eines jeden Abschieds, Reisegerede, die Schwebe, bevor etwas endet und was neues beginnt. Ich redete mir ein, dass es feige wäre, jetzt zur ihr zu fahren, nur weil man sie vermisst und das Vermissen, irgendwann sicher schon vergeht. Nächster Halt war Portogruaro, dann Udine, die letzte Stadt vor der Grenze. Villach, Klagenfurt, Wien, kein Weg in die Zeit zurück. Das Internet immer noch kaputt und nur ein Buch von Faulkner dabei, Udine kommt näher. Man will einfach nicht, dass die Geschichte hier jetzt vorbei ist, und eine andere anfängt, denkt, denkt nach, hört auf, nach zu denken, und auf sein Herz, schnappt sein Zeug, zeigt dem einen Wiener den Vogel, steigt aus, steht da, irgendwo, sieht seinen Zug tatsächlich weiter nach Wien fahren, lacht, bis einem das Lachen vergeht, weil die Dicke am Schalter sagt, dass es heute kein Ticket mehr gibt […]

KARACHO

KARACHO

Es ist gar nicht so, wie ich dachte, dass es dann ist. Ich dachte, dass man dann wie durch Glas guckt, wenn man wieder kommt, nach einer Zeit, eine große, gescheiterte Liebe später. Ich dachte, dass manche tot und einige weg und alles anders ist. Isabel aus dem Fadokeller in der Nervenklinik, Afonso an der Verwendung seiner noch nie gewechselten Bifanasoße gestorben, der Bauch von Jorge geplatzt, Carlos vom Zeitungskiosk am Rossio nicht mehr am bestaugestattetesten Zeitungskiosk der Stadt, sondern in Spanien, wie er immer gern sagte, Spanien, das war immer sein Traum, obwohl ich ihm sagte, dass die Dinge nie so sind, wie man denkt, ich wäre in Spanien gewesen. Ich dachte, dass Clement, mein Lieblingsrestaurantbesitzer in der Rua Canastras, einer tollen, dunklen Straße unterhalb der Sé, nun ganz offiziell ein Alkoholiker wäre, aber er ist es nicht und hat eine nette Kellnerin eingestellt, die ihm ein paar Tage die Woche das Trinken an der Theke mit uns abnimmt. Es ist ein absolutes Privileg, Restaurantbesitzer, in der Zeit, zu erleben, kurz bevor ihnen jemand sagt, dass es so nicht weitergehen kann, wenn es noch eine Weile weiter gehen soll. Die wenigstens Restaurantbesitzer überleben diese Zeit, weil sie sonst nicht wissen, für was, aber wenn sie die überleben, und man das auch erlebt, und Freitag war und man einen Tisch bekam, bei Clement, in der zweiten Schicht, direkt an der Theke, mit ein paar Freunden, oder wer auch immer gerade da war und nach ein paar Gläsern einer wurde, wusstest du, dass es das alles Wert ist und vielleicht sogar wieder gut werden würde und dass die Panalva-Jungs in Graça doch nicht dicht gemacht haben, sondern nur im Urlaub sind, wie Clement sagt. Nur Caesar, den Kellner in der Churrasqueira, oben am Sapadores, den hätte es erwischt, der wäre wirklich in Ruhestand gegangen, aber ich habe schon viele Ruhestände von vielen Kellnern überlebt. Man kommt, früher oder später, darüber hinweg. Ich wusste ja, dass eine Krise mit ihr, eine Krise mit der Stadt bedeutet. Ich war deshalb eine Zeit lang weg gewesen. Rom, Neapel, München, vor allem Rom. Ich hatte, wie soll ich sagen, ohne jetzt wie ein Wixer zu klingen, in sieben Jahren Lissabon, einen gewissen Lebensentwurf realisiert. Am Anfang wollte ich nur nicht in Deutschland sein, bis ich nur noch in Portugal sein wollte und wurde, wer ich bin oder eben wurde, weil ich sieben Jahre so getan habe als ob. Das klingt selbstzufrieden und das ist es auch und ich glaube ich habe mich an dieser Zufriedenheit gelangweilt. Morgens aß ich Bifanas mit Jorge, meinem Schuhputzer, bei Afonso, drinnen, an der Theke. Carlos vom Zeitungskiosk kam manchmal auch vorbei und brachte mir Zeitung & Zigaretten mit. Danach arbeitete ich im Benard, einem sehr historischen Café, wenn ich danach noch arbeiten konnte oder lies mir die Post bringen. Arbeit ist zum Arbeiten zu kommen, der Rest ist nur Schreiben. Abends traf ich Frauen, die ich auf der Straße kennengelernt hatte und aß bei Clement, grüßte Fadosängern, redete und redete, obwohl wir uns schon lange verabschiedete hatten (sehr portugiesisch). Da war eigentlich nur eine Angst, neben all den anderen und der, den Rest dieser Geschichte durchs Schreiben zu versauen, weil ich sie schreiben musste, ohne all die anderen Geschichten, die ich schon geschrieben hatte: Die, das Lissabon stirbt, und all die Menschen hinter den Fassaden, die wirklich Stadt sind und so wenig Miete zahlen, dass es Tascas überhaupt noch gibt. Dass Losverkäufer, Schuhputzer, Gehsteigleger, berühmten Liebespaaren und Männer ohne Instagram, bald nur noch Denkmäler sind, Fassaden, eine Erinnerung daran, die ganz schön anzusehen ist. Nur die Messerschleifer auf ihren Fahrräder konnten von mir aus sterben, nachdem mich meiner einmal fast umgebracht hatte, weil ich ihm keine fünfzig Euro für die zwei Messer geben wollte, die er mir scharf gemacht hatte. Erst heute früh wurde ich wieder wachgemacht von einem, der die Leute aus der Nachbarschaft fragte, ob sie Geld für die Beerdigung des toten Parkplatzeinweisers haben und es dann selber einsteckt. So gehen sie halt dahin, die Alten und Geschichten, die langen Sommertage im Herbst, der Charme von Denkmälern, Dachziegeln, Versprechen, die Klarheit der Kontur und der Weichheit des Ganzen, das Auseinandergehören der Töne im Licht, all die Erinnerung an all die Zeiten, die wir hatten und doch nur halten konnten, bis sie vergingen, wie jeder schöner Tag. Ich träumte davon oft und hoffte, dass die doch, bis zu meiner Wiederkehr, jeden Tag jemand sieht. Aller Anfang ist schwer, bis man aufhört, anzufangen, und mit Schreiben beginnt, aus Sehnsucht sich in Worte zu fassen, Zitate, Bilder, Fado, Schlägereien. Man sucht nach Worten, die es möglich machen, zusammen zu sein, wie man eben ist […]