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BYND

Konstantin Arnold

 

POMADE

Schon wieder eine Unterhose in irgendeinem Hotelzimmer vergessen. Langsam wird’s eng! Zumindest, wenn Socken und Schlüpfer die einzigen Dinge im Leben sind, die man nicht gebraucht tragen möchte und man schließlich mehr Tage unterwegs ist, als es Wäsche zum Wechseln gibt. Aber deswegen direkt anrufen und freundlich fragen, ob sie meine getragene Markenunterwäsche per Post verschicken könnten? Am besten per Eilschreiben, aber nicht versichert. Ich trage eben nur Levis und man gönnt sich doch sonst nichts. Nichts bis auf späte Weckzeiten und einen gemütlichen Bademantel. Mit Unterwäsche ist es eben wie mit der Kunst. Überbewertet oder Unterbewertet? Gut, schlecht oder die eigene Empfindung? Fakt ist, Geld gibt der Sache wieder ihren Gegenwert und macht jeden alkoholkranken Provinzmaler mit schwerer Kindheit plötzlich zum gefeierten Picasso in Marken-Slips. Viele Frauen, schnelles Leben, wenig Inhalt. Obwohl ich in meinem Doppelzimmer mit Ausblick gerade selbst daran scheitere, Tinder für den Computer herunterzuladen, bin ich eigentlich zu kräftig gebaut, um wirklich kreativ zu sein. Zu organisiert für Verspätung und vergessene Unterwäsche. Ich nehme keine bewusstseinserweiternden Kommahilfen, um die richtigen Metaphern zu treffen und habe auch keine unterdrückten Probleme, die ich in irgendeiner Form gerne aufarbeiten würde. In falscher Konfektionsgröße sehe ich aus wie ein Fitnessstudio und achte nach durchzechten Nächten gerne auf meine Ernährung. Nicht so wie meine vorletzte Gastgeberin, die mir frisch geduscht ein Designermüsli servierte, das geschmeckt hat wie der intellektuelle Ernährungsratgeber irgendeines Modemagazins. Einfach Zwangloser. So wie Dylan Rieder, durch den ich vor dem Spiegel immer wieder überlegen muss mein T-Shirt endlich einmal in die Hose zu stecken. Immerhin habe ich seit 31 Stunden meine Schuhe an und heute Nacht im Backstagebereich nichts anderes getan, als den Musikern mit fremden Frauen den Wodka wegzutrinken. Unglaublich, dass ich jetzt wirklich hier stehe, um eine der Damen völlig schlaflos bei ihrem all sonntäglichen Kirchgang zu begleiten. Zwar bin ich für das Weihnachtsoratorium jedes Jahr einmal da; In großen Hallen, strotzend vor Tradition und dem Gefühl von Unendlichkeit, aber nicht im Konferenzsaal einer freikirchlichen Manipulationsgemeinde. Natürlich bin ich hin und wieder eingenickt, obwohl man schlecht schlafen kann, wenn Finsternis, Verdammnis und Perspektive Ewigkeit das Thema der heutigen Predigt sind. Persönlich begrüßt wurde ich auch. Als neues Schäfchen und Teil der Herde. Was tut man nicht alles für eine Pfarrerstochter, die mir nach der Erleuchtung nicht einmal […]

 

VISITE

Wir sitzen auf dem Parkhausdach eines laktosefreien Familienviertels mit Ausblick und frühstücken angebrochenen Jack Daniels und kalte Quattro Stagioni ohne dass uns dabei schlecht wird. Ich glaube, wir sind unseren Erwartungen gerecht geworden, weil wir in eleganter Wintermode in diesen Straßen einfach nicht verkatert aussehen und gestern mit skandinavischen Vorurteilen brechen durften. Kopenhagen im Segen des Handgepäcks. Natürlich erfordert so etwas Vorbereitung. Dafür hat Simon im Flug aus München gelesen, dass Frauen hier unantastbar bleiben, solange man sich selbst vorstellen muss. Ich habe ohne Erfolg den Traum von dänischen Modelkarteien studiert und auf einer Vice Party für kostenlosen Gin Tonic gesorgt. Was kostet die Welt? Über 300 Euro für über 30 Uber-Fahrten an genau drei Tagen. Von einer nächtlichen Sehenswürdigkeit zur Nächsten. Vom Apartment der Norwegerin im Kaninchenpelz zu einer Gay-Bar, die uns wieder auf den Boden der Tatsachen bringen sollte, nachdem wir auf der Hausparty mit hohen Decken keine wirklichen Grenzen kannten. Immerhin haben wir am Flughafen schon beschlossen, dass wirkliche Loyalität auch darin besteht, fehlender Bindungsbereitschaft treu zu bleiben. Obwohl der eigentliche Frauentyp Brooke Shields heißt, sind natürliche Ausstrahlung und bauchfreie Tanzeinlagen auch in Dunkelblond einfach nicht zu schlagen. Genauso wenig wie maritimes Großstadtklima nach der zweiten Packung Marlboro, in guter Zeit und guten Begegnungen, immer noch gesünder ist, als ein ernsthafter Tag im Fitnessstudio. An einem sonnigen Nachmittag sind wir sogar einmal ohne Blitzlicht vor die Tür gegangen und haben Däninnen, die sich nichts aus ihrer Modelkarriere gemacht haben, eingeladen uns bei der absolut übertriebenen Vorsorge unserer Duty Free Einkäufe zu helfen. Meistens war es kurz nach Fünf schon so dunkel, dass wir frisch gewaschen mit dem Abendessen fertig nur darauf warteten, überparfümiert in ein Taxi zu steigen. Nicht weil wir uns in Eitelkeit verloren haben, sondern immer noch die Hemden unserer Ankunft tragen. Wo Simon und Jordan gerade stecken, kann ich nicht sagen. Dafür aber, dass muskeldefinierte Konfektionsgrößen in dänischen Clubs verboten sind und selbst die größten Idioten ihren vorbestellten Tisch und Wodka mit Deutschen im Dispo teilen. Scheitern kann man deswegen eigentlich nur […]

 

LAKAI

Endlich einen Flug verpasst. Endlich meinen Mietwagen zu spät abgegeben und endlich mal einen Gegenstand von persönlichem Wert ohne jegliche Spur verloren. Ich weiß, dass mein Seniorentelefon mit Sicherheit zwischen den Felsen vor Nazaré liegt und sich portugiesische Pornodarstellerinnen den Hintereingang für eine erfolgreiche Karriere bleichen lassen. Ich weiß, dass ich eigentlich für Felipe Toledo gekommen bin und seit der Geburt seines Sohnes bezahlten Urlaub und sonnige 28 Grad auf der Dachterrasse eines überteuerten Hotels genießen muss. Ohne zu wissen, wo wir anfangen sollen, kann ich mit Sicherheit sagen, wo es aufgehört hat. Irgendwann kurz nach Mitternacht auf der Aftershowparty anlässlich eines verfrühten Weltmeistertitels ohne den Weltmeister. Dafür mit einem schlafenden Conner Coffin und dem aus allen Ecken des Landes importierten Maximum weiblicher Promotion-Führsorge. Natürlich bin ich auf das Zwinkern einer dunkelblonden Promoterin a. D. hineingefallen und musste im Nachhinein beobachten, wie sie mit jemand anderem genau den Gin Tonic trinkt, den ich Gott sei Dank nicht selbst bezahlen musste. Die Macht der Armbändchen ist ungebrochen. Sie entscheidet auf solchen Veranstaltungen über Oberflächlichkeit und Inhalt. Ehrfurcht und Missachtung. Belegte Brötchen oder portugiesische Rinderroulade in Rotweinsoße. Sie unterteilt Menschen in Klassen und gibt Leuten mit kleinen Pimmeln die Möglichkeit vom Balkon des VIP Zeltes auf die normalen Strandbesucher zu aschen. Ein Surfcontest wie jeder andere. Außer, dass Kelly Slater Bart trägt und es sich für John Florence endlich ausgezahlt hat, jeden Abend 19.45 Uhr im Bett zu liegen. Die brasilianische Surfers Producerin, mit der wir uns in Jeffreys Bay durch die leer stehenden Strandhäuser des frühen Ausscheidens gefeiert haben, ist auch wieder da. Deswegen sitze ich gerade mit der WSL Chefetage in einem Shuttle Bus zu einer Filmpremiere, nach der es angeblich auch Abendbrot geben soll. Deswegen führe ich kurz vor dem Viertelfinale temperamentvolle Streitgespräche im diskreten Dunstkreis des kompletten Jeep Leader Boards. Ohne brasilianische Beziehungsprobleme ist es schon schwer genug im Athletenbereich so zu tun, als würde man abgekühlt und gelassen genau hier hin gehören. Jetzt bloß nicht auffallen. Mit Diktiergerät, Notizbuch und einem silbernen Koffer voller Kameras aus den 80’ern überhaupt kein Problem. Genauso wenig wie auf einer Mercedes Benz Media Party ein funktionierendes Feuerzeug zu finden. Jedenfalls, wenn es um die Vorstellung eines neuen Big Wave Films geht und die meisten Anwesenden in der Lage sind, für eine ganze Zigarettenlänge die Luft anzuhalten. Oder für  […]

 

TRADITION

Ich habe mein letztes Bild für einen Bauchnabel-Piercing in Innsbruck verschwendet, weil ich nie gedacht hätte, dass die Steiermark schöner ist als Italienisch aus Südtirol. Alles, was du jemals über Österreich gehört hast, stimmt! Auch, dass Wiener Würstchen in Wien Frankfurter heißen und es in Salzburg keine Stereotypen gibt. Dafür aber Tristesse inmitten hügeliger Geborgenheit, die sich an die unbeeindruckte Aussprache gleicher Buchstaben klammert und im Gasthof Richter dafür sorgt, dass man nach dem Apfelstrudel direkt etwas Rauch in die feierabendliche Routine blasen darf. Auch, wenn du dazwischen gepresst irgendwas mit Medien machst, bleibt der Dartautomat hier immer noch das modernste Stück Inneneinrichtung. Denn Schnee von gestern liegt hier bis heute. Also von nun an in Wörtern, für die mir die Bilder fehlen. Und in bereichernden Unterhaltungen, die wir nur schlecht verstehen. Zum Frühstück in den Kaffeehäusern der Hauptstadt und zum Wohlfühlen in Graz. In einem ebenerdigen Büro mit Schaufenster, durch das wir uns gerne beobachten lassen, während wir mit verschränkten Beinen und roten Marlboro über kreative Schaffensprozesse und menschliches Geltungsbedürfnis debattieren. Zwischen Poeten und Proleten. Immerhin sehe ich aus, als würde ich ins Fitnessstudio gehen. Vor allen nach der ersten Flasche Zirbenschnapps, durch die wir später auf dem Teppich vor der Rezeption vom Hotelchef geweckt werden. Leider zu spät fürs Frühstück, aber sieben Scheiben Kärntener Schinken sind immer hin auch ein Schnitzel und auszubildende Hotelfachfrauen herzerwärmend verständnisvoll. Jetzt vielleicht doch dieser Algensmoothie, der mich im südfranzösischen Wahnsinn der letzten Woche immer wieder vergessen ließ, dass ich überhaupt geraucht habe. Oder frische Bergluft mit Falco und Exhibitionismus auf 1900 Höhenmetern. Gerne auch endlich eine neue DB Mobilausgabe im Intercity zur Feier der gespeicherten Anmeldedaten. Denn Voraussicht ist wichtig. Ob bis zu einem Masterstudium in Lissabon oder der richtigen Geschichte zum Portugal Pro kann ich ohne Umpacken direkt bis nach Griechenland fliegen. Sitzend, aber in Bewegung kommt es schließlich nicht darauf an was geschrieben wird, sondern wie. Der Inhalt unzeitgemäßer Erotikmagazine an Autobahnraststätten bestätigt die Ausnahme […]

 

WALACHEI

Ich habe mich in meiner Heimatstadt für einige Wochen ohne Reisepläne aus dem Haus getraut und Bilder gedruckt, die jeder normale Mensch auf Instagram veröffentlicht hätte. Ich hatte Zeit für eine richtige Frisur und Fragen, auf die man ab Mitte 20 richtige Antworten fordert. Natürlich ist fehlende Verfügbarkeit auf eine unnahbare Weise anziehend und dekadent. Genauso wie kreative Langeweile, oder was man sich eben darunter vorstellt, wenn man für einige Tage mal nicht aus gepackten Koffern leben kann. Deshalb habe ich ziemlich oft auf Aktualisieren geklickt und bin von einer Klippe in einen gemütlichen Bergsee gesprungen. Auch, wenn hier Routine fehlt, um länger als nur kurz aus voller Gewohnheit schöpfen zu können. Zwar ist es immer noch unfassbar, dass ich Kelly Slaters Halbfinal-Jersey in einer Situation anhatte, für die mir das salonfähige Vokabular fehlt, aber eigentlich gibt es gegenwärtig rein gar nichts zu erzählen. Ich will immer noch ein Motorrad und bin bereit 15 Euro zu zahlen, wenn man mich und meine pferdestehelende Pfarrerstochter nach der Abendschule ohne Helm anhält. Mittlerweile sind unwesentliche Ortswechsel abenteuerlicher als mitgeteilte Interkontinentalverbindungen geworden. Zumindest, wenn man in Dorfe oder Stadt noch eine alte Flamme sitzen hat. Oder aufhört zu glaube, dass sich zu Tode langweilende Stewardessen in den Hotels ihrer Ankunft wirklich extensiv in den Schichtwechsel feiern. Zumindest, wenn die dienstleistende Airline Emirates heißt. Denn Aufdringlichkeit kann helfen die eigene Gesellschaft wieder richtig schätzen zu lernen. Etwas Demut auch. Ob nach durchzechten Nächten oder atemberaubenden Tuchfühlungen ist jedem selbst überlassen. Genauso wie die aufoktroyierte Pflicht nach Integrität und ihrer zeitgemäßen Rechtschreibung. Immerhin ist Exzess die Droge unserer Zeit und Selbstzensur ihr veröffentlichter Begleiter. Deswegen geht es hier einfach um die Sache an sich! Und meiner Mutter darum nach einigen Caipirinha endlich etwas gesunden Rock’n’Roll zu tanzen. An Tagen […]

 

WALLUNG

Endlich wieder Transit. Ziel erreicht. Nicht mehr hier und immer noch nicht da. Hauptsache unterwegs ohne darüber zu sprechen. Johannesburg. Zwischenstopp. Mitternacht, aber zu Hause gibt es gerade erst Frühstück. In Transitzonen sind alle gleich. Gleich interessant. Weil Abenteuer Alltag. Ich lebe zwischen den Orten für diesen Moment, in dem anonym nur das Jetzt zählt. Nichts definiert. Bis auf die Kleiderordnung im Rollkoffer und die bezahlte Begrüßung am Check-In. Weil man heute und morgen schon wieder weg ist. Verspätet, verschlafen, und vielleicht noch beruflich hier. Gespannt, aber dank Urlaubsbräune cool und gelassen. Frühstück bis 10, Übergepäck und dann viel zu teurer Espresso. Abschied trifft Ankunft. Realität zwischen sonnigem Ausblick und gemachter Erfahrung. In Übersee oder am Fließband. Natürlich ist der Alltag von Menschen interessanter als ihre Abenteuer, weshalb ich trotz fehlender Anerkennung das heimatliche Kellerzimmer schätze! Aber Abflugtafeln sind die elektronische Version der Freiheit. Freiheit die Parole unserer Zeit und Zeit zwischen Fensterplatz und anmutigen Stewardess laut Reiseplan vorgegeben. Solange über den Dingen. Sitzend, aber in Bewegung. Die Welt zu Füßen. Zum Pinkeln in München, zum Scheißen in J-Bay. Bist du noch bei mir oder dir selbst treu geblieben? Denn Horizont erweitern, ist wie Brust vergrößern. Überall möglich doch irgendwie unnatürlich. Jedenfalls mittlerweile. Oder bist du immer noch verwundert, dass man hier kein Deutsch spricht und Bier vom Fass Südafrikanischen Rand kostet? Ich liebe verrauchte Bars, aber bitte ohne den kleinbürgerlichen Wunsch nach Exotik. Deshalb zurück in den Transit und seinen eigenen Regeln. Weder Fisch noch Fleisch. Übertrieben und entweltlicht. Obwohl man gerade erst wieder versteht wo auf der Erde eigentlich Nacht ist. Irgendetwas tut sich. Mit 25. Muss ich deswegen damit anfangen mein T-Shirt in der Hose zu tragen oder ertrage ich einfach keine nicht ausformulierten Notizen? – schaue Lost in Translation  im ICE nach München und denke, dass Scarlett Johansson mein Typ ist  – streue mir am Frühstücksbuffet unwissend Dekoration ins Rührei – knutsche Mitbewerberin nach Axel Springer Testtag zwischen Alexanderplatz und Friedrichstraße. Muss ich für diesen Thrill um die halbe Welt fliegen oder kann ich direkt hinter dem Gartenzaun damit anfangen? In einem zweiten Frühling, indem man sich und das Waldstück vorm eigenen Elternhaus völlig neu kennenlernt? Die Antwort ist: Nein! Weil es hier morgens meistens bewölkt ist und man Geduld braucht, um trockenes Feuerholz zu finden. Weil jeder einzelne Kilometer Abstand erst wirklich frei macht von den Erfahrungen, die uns mit den heimatlichen Selbstverständlichkeiten verbinden. Abenteuer ist eine Perspektivfrage und der Thüringer Höhenwanderweg forstwirtschaftliche Langeweile mit internationaler Bekanntheit. Hektische Jogger auf der Suche nach Kondition vergangener Tage. Funktional gekleidete Rentner auf dem Weg zum nächsten Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Und wir. Falsch gekleidet, übermotiviert und nach 25 Kilometern völlig durchnässt. Und ich dachte wir machen Wildnis? Schlafen auf Moosböden, trinken Whiskey am Feuer und lassen das […]

 

FRIEDE, FREUDE, OZEAN

Das erste Hotel war in Strandnähe. Vier Sterne, umgeben von überkopfhohen Mauern auf denen Hochspannungsleitungen installiert wurden, damit die vermögende Gemütlichkeit nicht abhandenkommt. Der Mann, der mir dort jeden Morgen pochierte Eier mit Speck servierte, lebt seit 28 Jahren in einer Behausung, in der wir nicht einmal unsere Gartengeräte unterstellen würden. Er und seine sieben Geschwister hatten einst ein Haus. In Zeiten der Apartheid. Aber dort wo er herkommt, hacken dir äußerst aggressive Stammesvertreter der Zulus mittlerweile die Hände ab und zwingen dich, sie dann wieder aufzuheben. Shaka, einst König der Zulus, fesselte ungebetene Gäste über einen Bambusspross und ließ ihnen das Süßgras in den Arsch wachsen. Wichtig zu wissen, dass Bambus die schnellst wachsende Pflanze der Welt ist und am Tag bis zu einem Meter zurücklegt. Grauenhaft kreativ. Aus unserem zweiten Hotel, mit der Badewanne mitten im Zimmer, mussten wir leider nach der ersten Nacht wieder ausziehen, weil wir bei den allnächtlichen Einbruchswellen einfach nicht ruhig schlafen konnten. Verdammt unerhört, wenn die Dritte Welt ungefragt ihr Recht auf materielle Gleichberechtigung in Anspruch nimmt. Übel nehmen kann ihr das keiner. Nur ein paar Laptops, iPhones und elektrische Küchengeräte. Jetzt wohnen wir in einem noch sichereren Ferienidyll, bewacht von schwarzen Sicherheitskräften, die in einer Zwölfstundenschicht fast 16 Euro verdienen. Eine gut bewachte Blase, in der die Erste Welt eines der größten Surf-Events des Jahres feiert. Mitten in Südafrika. Also willkommen zu den J-Bay Open. Alle sind gekommen. Die Kelly Slaters, die Mick Fannings und die ganze Verbandsspitze. Gut bewachte Luxusunterbringung, Hauswand an Hauswand und Stimmung wie im Ferienlager. Hier ist die Welt noch in Ordnung und man wird das Gefühl nicht los, sich bei Julian Wilson, direkt nebenan, im Notfall auch etwas Toilettenpapier leihen zu können. Wir alle sind vom Flughafen direkt hierher. Ohne Umwege. Aus der akklimatisierten Economy Class in eine gut isolierte Welt, die mit dem eigentlichen Südafrika nichts gemein hat. Okay, Maschinengewehre am Check-In, aber die haben wir mittlerweile auch in Europa. Vielleicht noch ein paar Jugendliche, die den Müllhaufen an der Einfahrt zum Dreamland nach etwas Brauchbarem durchsuchen. Essen, Kleidung, benutzte Kondome. Hin und wieder lädt der ein oder andere Pro-Surfer eine afrikanische Familie zu sich nach Hause ein und lässt sie für einen Nachmittag an Luxus und Geborgenheit schnuppern. Tropfen auf die heißen Steine, aber jede noch so kleine Geste zählt, oder? Südafrika ist ein Land der Kontraste, surrealer Völkerverständigung, natürlicher Schönheit und furchteinflößender Statistik. Der Versuch, eine moderne, wohlhabende und weltmännische Gesellschaft mitten in der Dritten Welt zu etablieren. Nirgendwo auf der Erde ist arm und reich so weit auseinander und doch so sichtbar nah für beide Extreme. Ein Land voller Vielfalt und Ideale, die von einem Regierungsoberhaupt getragen werden, das einst beruhigend sagte: „Aids kann man in der Dusche abwaschen!“ oder „Aids heile man durch Sex mit einer Jungfrau!“. Die Folge: sechs Vergewaltigungen pro Sekunde. Noch heute! Eine Regierung durchtrieben von Korruption und Intrigen. Natürlich ist das Regenbogenland eine einzige Perspektivfrage, aber Integration muss hier erst einmal definiert werden. Wir sprechen nicht mehr von Ressentiments, sondern von Rassismus. Schwarz serviert, Weiß diniert. Noch immer erhält man einen Pokal der Menschlichkeit, wenn man eine maximalpigmentierte Reinigungskraft wie einen richtigen Menschen behandelt. Lobende Blicke für die Steigerungsform der Selbstverständlichkeit? Und mittendrin die World Surf League. Natürlich weltoffen und sensibel für die Probleme unserer Zeit. Immerhin werden vier der elf jährlichen Tour-Stopps in Ländern ausgetragen, die von den Millenniumszielen der UNO noch nicht einmal gehört haben. Kann es sich ein Unternehmen wie die World Surf League leisten, wirklich politisch zu werden? Kann es sich eine gutaussehende Sportart erlauben, auf die unästhetischen Probleme hinzuweisen, die wirklich unter die gut gebräunte Haut gehen?Jeffreys Bay ist ein Ort mit 700 Tagen Wellen im Jahr. Ein Küstenort, der ohne dieses Event auch für Minimalpigmentierte zur überlebenswirtschaftlichen Herausforderung werden könnte. Der Surftourismus boomt. Die Restaurants platzen. Zumindest einmal im Jahr. Die World Surf League rückt diesen Ort auf die Landkarte. Kommt, nimmt, und lässt laut Aussage südafrikanischer Surfverbandsvertreter nichts für den Sport und ihre Kommunen zurück. Durch diesen Ort führt eine große Straße. Vorbei an der Contest-Area bis hin zum Outlet-Center, in dem alle großen Surfmarken die Kollektionen vergangener Jahre für Äpfel und Eier verscherbeln. Cafés, in denen man den anstrengenden Shoppingtag ausklingen lassen kann. Marketingbüros, Headquarters und dann das! Ein ausgebranntes Fabrikgebäude am Ende der Straße: das einstige Billabong-Hauptquartier. Vermutlich angezündet, nachdem in der Woche zuvor 40 Mitarbeiter entlassen wurden. Die letzte Bastion der Konsumgesellschaft, bevor Plastikhütten, Müll und Perspektivlosigkeit die Landschaft zeichnen. Genau dort möchte ich hin. Das wirkliche Südafrika kennenlernen. Den Kontrast erfahren. Natürlich fühlen wir uns unwohl. Nicht nur, weil unser Land Rover größer ist als die Hütten der dort lebenden Menschen. Sondern durch dieses unterbewusst permanent schlechte Gewissen weiß zu sein. Krankenversichert, während diese Menschen an Typhus und HIV leiden. Überfressen, während diese Menschen..und so weiter. Auf unserer Rückbank sitzt Wellington. Ein Jugendlicher aus den Townships, der uns mit den Leuten in Verbindung bringt und uns genau sagt, mit wem wir lieber nicht Kirschen essen sollten. Ich bin von der Freundlichkeit überwältigt. Von diesem herzerwärmenden Lächeln. Von diesen strahlend weißen Zähnen. Von diesem Interesse. Wir halten an einer Hütte, die sie hier Shebeen nennen. Eine Kneipe, die nichts mit deinen bestehenden Vorstellungen gemein hat. Wir kaufen Bier für die ganze Runde und stoßen mit einem Typen an, den sie hier Genitals nennen. Er erzählt uns, dass früher alles besser war. Zu Zeiten der Apartheid? „Ja, weil der Rassismus öffentlich organisiert war und nicht so verkappt wie heute. Es gab klare Strukturen, wir hatten ein Haus und die Polizei war nicht so korrupt! Wir sind auf uns allein gestellt und warten auf die leeren Versprechungen der Regierung.“ Noch immer herrscht in Südafrika diese irrationale Angst vor dem Ungewissen. Xenophobie. Auf beiden Seiten. Auch in Kapstadt. Dort wo Laufstegmodels für etwas weltmännischen Glanz sorgen. Wie können diese Menschen hier überhaupt von Glück sprechen, wenn Milch und Honig so sichtbar und eingezäunt direkt vor ihrer Nase fließen? Manche Kinder fliegen mit dem Flugzeug zur Schule. Andere haben noch nie ein Auto von innen gesehen. Bevor wir zurück fahren, müssen wir noch an einem Busch vorbei, in dem Wellington seine Warnweste versteckt, die er für seine Schicht als Parkplatzzuweiser braucht. Er sagt, dass man sie ihm sonst stehlen würde. Über zehn Mal wurde er schon mit einem lebensbedrohlichen Gegenstand bedroht. Und ich dachte, das Schlimmste, was mir hier passieren könnte, ist eine eingezogene Kreditkarte oder die noch allzu gegenwärtige Haihysterie. Doch die Menschen haben sich daran gewöhnt. An diese stetige Gefahr. Falscher Ort, falsche Zeit. An unübersichtlichen Ecken wird bei Rot nicht gehalten und bevor man das Haus verlässt: Fenster zu? Gitter davor? Laptop unterm Bett? Doch heute Abend wird gefeiert. In dem Haus, das der südafrikanischen Surfhoffnung Jordy Smith während der Wettkampftage zur vollen Verfügung steht. Gefühlte zehn Haushälterinnen, Köche und Securities laden ein, irgendetwas zu feiern. Nur was, weiß […]

 

FRIEDE, FREUDE, OZEAN II

Vier der elf jährlichen Tour-Stopps der World Surf League finden an exotischen Orten weit unterhalb der Armutsgrenze statt. Einer davon in Südafrika. Ein unwirkliches Urlaubsidyll zwischen Ressentiments und Rassismus. Eine Oase der Ersten Welt, gewahrt durch strukturelle Ungleichheit und Friede, Freude, Ozean […]

 

QUO VADIS?

Aus dem Fußballer ist mittlerweile ein Kunststudent geworden. Und die zwei normalen deutschen Surfer bekommen langsam, aber sicher soliden Bartwuchs zwischen Kinn und Oberlippe. Trotzdem sollte man aufhören mit falscher Bescheidenheit hausieren zu gehen, weil sich Tiefe letztlich nur mit gesundem Humor transportieren lässt, ohne dabei lächerlich zu wirken. Von nun an dürfen wir dieselben Witze nicht zweimal machen, wenn wir herausfinden wollen, welche Rolle wir eigentlich wirklich in der Welt spielen. Natürlich muss man die Regeln erst kennen, um sie zu brechen, aber wie man mit ungebundenen Surfmagazinen Geld verdient, haben wir immer noch nicht verstanden. Und wir sind mehr geworden. Dafür wissen wir, wie man zwischen Palmen und tropischem Piña Colada unzufrieden bleibt und das Kai Neville seine Aufnahmen doch mit einem weißen iPhone tätigt, wenn die retrosüchtige Kumpanei mal nicht hinguckt. Wir haben schlichtweg beobachtet und versucht in Canggu die richtigen Worte zu finden, damit Interviews endlich wieder mehr tun, als in Pressemitteilungen zu sprechen. Ein Hoch auf Plattitüde. Tolles Wort! Gegoogelt und als passend empfunden. Immerhin ist Selbstinszenierung die Droge unserer Zeit und irgendwann sicherlich auch in China erhältlich. Genauso wie südafrikanische Gleichberechtigung und den Versuch mit blasser Haut möglichst gebräunt auszusehen. Kingston Town ist gefährlich, das Internet aber auch. Wir werden älter und der Arsch wird kälter. Dafür konnten […]

 

OLYMPISCH

Überall gegenwärtig und doch nicht greifbar. Irrational und wenig durchdacht, diese mystische Angst vor dem Mainstream. Von wem getragen, von wem gefürchtet? In Zeiten, in denen ein millionenstarkes Sensationspublikum die Sendezeiten bestimmt, Core Brands wie Vans Milliardenumsätze schreiben und Nyjah Huston seine Skateboards in einem 2.7 Millionen Dollar teurem Poolhouse unterstellt, sollten wir uns verabschieden. Verabschieden von der Verpflichtung den Spirit unserer geliebten Randsportarten wie einen Heiligen Kral in unseren Kellern einzusperren, um ihn vor dem  Rest der Welt fernzuhalten. Immerhin leben wir nicht mehr in den 80’ern, sondern ändern heutzutage unser Profilbild. Wir haben genügend Smileys für fast jede Gefühlslage und fühlen uns eigentlich nur noch durch retromodische Fehltritte mit einer Vergangenheit verbunden, die wir vielleicht gar nicht selbst erleben durften. Die Zeiten, in denen Interviews mehr getan haben, als nur Sponsoren zu danken sind vorbei. Zeiten, in denen man auf Dopingtests verzichten musste, weil sonst drei Viertel der Surfing World Tour nicht mehr teilnahmeberechtigt gewesen wären, auch. Früher war alles besser? Sagen wir sicherlich auch in 25 Jahren. Massenmedien, Massensportart, Werbeblöcke und Gewinnspiele in der Halbzeitpause. Wird dir schon schlecht? Wir versuchen es anders! […]