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BYND

Konstantin Arnold

 

NAIV

Ganz einfach Nordspanien. Zu viel unterwegs, um genau zu sagen wo wir gerade aus den Austern schlürfen. Wir fahren einen schnellen Mietwagen und halten den nötigen Abstand zu Burnout Patienten auf dem Jakobsweg. Eigentlich wollte ich in Hossegor bei ein paar coolen Engländern wohnen, die jetzt mein Buch verkaufen, aber irgendwie fängt der Urlaub vom Urlaub erst südlich von Biarritz an, wenn man versuchen will Selbstverständlichkeit wieder schätzen zu lernen. In fremden Städten ohne besondere Aufgabe. In fremden Betten mit Magenverstimmung und ausformulierten Sexszenen von Charles Bukowski. Dafür sind wir für baskische Tapas an einem Wochenende bis in den Dispo gegangen und haben uns, im Gebirge an jeder schlecht ausgewiesenen Käserei, Zeit zum Ausprobieren gelassen. Natürlich war uns die Gondel zum Gipfel zu touristisch. Natürlich gibt es hier kaum noch etwas, das noch nicht fotografiert wurde. Aber San Vicente ist ein Bilderbuch ohne Surfkultur. Ein Fischerdorf ohne hektische Wellenvorhersage, die den Südwesten Frankreichs dagegen zu einer Treibjagd überehrgeiziger Surftouristen macht, mit denen man nach dem zweiten Bier immer noch über fehlende Selbstwahrnehmung sprechen muss. Gib mir mehr! Nach unzähligen Partys und tagelangem Moderationswahnsinn fürchte ich, dass sich die Gelegenheiten häufen. Wer meistens zu Besuch ist, darf sich anscheinend keiner Ausrede bedienen. Deswegen zählt die Vergangenheit hier genauso wenig, wie gute Englischkenntnisse. Klingt das zu eloquent oder darf man einfach hin und wieder auf Aktualisieren klicken und auf der Heckstoßstange darauf warten, dass das Wasser aufläuft? Immerhin dürfen Frauen mittlerweile sogar in engen Leggins und Laufschuhen an irgendeiner Zigarettenmarke ziehen, während sie sich einen Detox-Smoothie bestellen. Immerhin will ich selbst nicht in den Schubladen denken, die im Kellergeschoss von Mutti meine gut zusammengelegte Wechselwäsche beherbergen. Wer sagt mir, wo meine Reise hingeht und wer sagt mir, ob sie überhaupt schon begonnen hat? Jedenfalls sitze ich in einem spartanischen Zimmer in San Sebastian und merke es reicht nicht. Ich brauche wieder einen neuen Ort, an dem man selbst entscheiden kann, wer man eigentlich sein möchte. An dem nichts definiert, außer den interessierten Blicken derer, die genau wissen, wann hier der Bus fährt. An dem dir an jeder Ecke die Brieftasche geklaut werden kann oder du romantischer Weise mit deiner nächsten Exfreundin zur gleichen Kohlrabi greifst. Nordamerika. Vancouver Island oder Kalifornien. Hier hat Realität noch genügend Platz zum Träumen und Erfahrungslosigkeit einen klaren Wettbewerbsvorteil. Fakt ist: Scheiß auf die Zimmerpflanze, denn es ist eigentlich nie weg gewesen. Diese kindliche Neugier am benachbarten Garten. Dieses bedingungslose Vertrauen in die fehlende Erwartung. Obwohl man weiß, dass Gras dort nicht unbedingt grüner ist. Aber höher! Also wer sagt diesen automatischen Rasenmähern mit Hundehütte eigentlich wo’s langgeht? Vielleicht kommt es doch darauf an, wo du bist und nicht was du machst, auch wenn sich die Interviewzitate häufen? Deswegen ist man noch lange nicht so getrieben wie nervöse Familienväter in Lebensmittellaune, die an einem Samstagvormittag versuchen, möglichst nicht zu vergessen, was handschriftliche Einkaufslisten diktieren. Dafür verbringe ich zusammen mit meiner Mutter zu viel Zeit vor dem Kamin. Auch im Hochsommer. Fakt ist: ohne Kultur ist Barfuß nicht zu ertragen. Deswegen kommt uns das Alex Knost Konzert gerade recht, nachdem wir für ein paar Tage luftgetrockneten Schinken im Dschungel gefrühstückt haben. Somit zurück. Denn vom heimischen Lagerfeuer trennen mich noch 22 solide Stunden Busfahrt. Von einer alten Triumph mit verlängerter Sitzbank noch 22 überteuerte Fahrtsunden. Und von einer pferdestehlenden Pfarrerstochter mit markanten Augenbrauen, die ich mit meinem Motorrad von der Abendschule abholen kann, noch eine pferdestehlenden Pfarrerstochter mit markanten Augenbrauen. Hier soll […]

 

FRIVOL

An meinem letzten Tag in Köln sitze ich in einem Café, in das ich schon seit sechs Jahren gehen wollte. Ein paar kurzhaarige Neonleserinnen, die angestrengt daran arbeiten möglichst gelassen auszusehen. Ein paar gut gestylte Großstädter in meinem Alter, die schwer beschäftigt unterbezahlte Facebook-Nachrichten in die Tasten ihres Macbooks hämmern und ihren Sojaccino wie einen Iso-Drink in der Halbzeitpause behandeln. Gerade hat ein schüchterner Mann mit Schal, trotz Frühling, das Zuckerglas vom Tisch geworfen ohne dabei Rot zu werden. Ich bin gestern Abend nicht ausgegangen und deshalb mit einem Gyros in der Hand durch den Sonntagnachmittag geschlendert. Endlich mal etwas städtische Routine! Bilde ich mir ein. Seit zwei Tagen bin ich jetzt wieder hier. Nur um heute auch noch das letzte Stück Sesshaftigkeit in seine mietunverträglichen Einzelteile zu zerlegen. Verdammt wie viele Leute an einem Tag in ein Kaffee gehen! Dafür kann man zwischen den Zeilen indiskreten Blickkontakt mit langhaarigen Medizinstudentinnen halten und sich danach wieder in den Dingen verlieren, die einem das Leben zwischen unpersönlichen Hotelzimmern und rustikalen Studenten WGs vor die Füße wirft. Hier könnte man sicherlich gut über beruflichen Erfolg diskutieren oder durch Selbstoptimierung soweit in sich gehen, bis einem schlecht wird. Steht jedenfalls auf der Tageszeitung neben dem Damenklo. Eigentlich wollte ich mal eine Pause machen, aber unnatürlich lebenswerte Großstädte sind ohne redundante Rendezvous einfach nicht zu ertragen. Natürlich bange ich um meine Bräune. Natürlich habe ich keine Angst vor zu vollen Kühlschränken, obwohl sie uns für eine bestimmte Anzahl von Tagen an einen bestimmten Ort binden. Aber ein weißes Blatt Papier ist einfach nicht zu schlagen. Und das für die Stadt, in der ich studiert, gelebt und geliebt habe, ist bis über den Tellerrand beschrieben. Dazu die Perspektive aus Frankreich, Portugal, Südafrika, Kuba und den fast schon kalkulierbar spontanen Affären meiner Arbeit. Trotzdem wird es endlich mal wieder Zeit für eine Zimmerpflanze und zeitgemäßes Engagement für die eigene Wandgestaltung. Deswegen habe ich dem Prüfungsamt meiner skandinavischen Bewerbung gestern nochmal ein schönes Wochenende gewünscht, obwohl ich mich momentan nicht wirklich für langweilige Gespräche begeistern kann. Liegt das an 21 Moderationen in 15 Tagen oder einfach daran, dass die Anforderungen an eine Unterhaltung mit zunehmender Beschäftigung unterbewusst steigen? Die letzten beiden Wochen waren anstrengend und schön. Wir sind verkatert in Regensburg losgefahren, weil wir nach sechs Stunden, an einem Aral-Stromkasten, schon nach dem ersten Komma vergessen haben, was wir eigentlich sagen wollten. Wir haben Krustenbraten in Karlsruhe und richtige Spätzle in Freiburg gegessen, auch wenn beim Bestellvorgang kurzzeitig die Musik stoppte, weil kein Kneipenbesucher unserem Dialekt Glauben schenkte. Ich habe in Nürnberg vor fast 1000 Leuten gesagt, dass wir in Thüringen die größeren Würste haben und in Kiel mit Freunden und einer Jukebox die Bedienung einer Hafenkneipe in den Wahnsinn getrieben. Ich musste in einem Waschsalon in Leipzig auf meine vier Unterhosen warten, kurz vor Rügen schon wieder die begrüßende Redensart wechseln und eigentlich in jedem Hotelzimmer angeheitert noch an irgendwelchen Artikeln arbeiten. Die Kunst zwischen erreichten Zielen und strandnaher Genügsamkeit trotzdem unzufrieden zu bleiben, ist einfach: Aspiration. Keine Sorge, dass Wort musste ich auch erst googeln. Genauso, ob einige meiner Facebook-Freunde ihren […]

 

MACHO

Ich habe endlich mein iPhone gegen die Wand geworfen und alle bequemen Funktionen wieder in ihre Einzelteile zerlegt. Dafür muss ich mir jetzt einen verlässlichen Wecker kaufen, damit ich nicht verschlafe viel zu früh am Flughafen Düsseldorf anzukommen. Drei Uhr morgens kann ich nicht einmal sagen, ob Genf wirklich in der Schweiz liegt. Und wie man ein Snowboard Bag packt, hat mir auch niemand erklärt. Was macht man in der Bahn ohne mobiles Internet oder Songs von Ariana Grande? Lesen langweilt mich. Aktualisieren auch. Blickkontakt halten, kann man höchstens mit verschlafen Medikamentenherstellern im Schichtsystem. Vielleicht lasse ich mich einfach von jemandem, der zu dieser Tageszeit schon im Nachmittag lebt, auf meinem neuen Seniorentelefon anrufen, obwohl ich mich bei Klingeltönen aus dem Mittelalter nicht wirklich angesprochen fühle. Das ist mein Beitrag. Mut zur Langsamkeit, weil ich mit tragbarem E-Mailpostfach einfach zu schnell unterwegs bin. Natürlich muss ich mir nun die Telefonnummern notieren, die uns letzten Endes in die französischen Alpen bringt. Natürlich reicht es nicht mehr den Ablaufplan der nächsten Tage nur im Posteingang zu haben. Unnatürlich ist das aber nicht, obwohl ich mir unterwegs gerne angeschaut hätte, wo ich eigentlich hinfahre. Exotisch sind meistens nur die Orte, an denen man durchschnittlich die wenigste Zeit verbringt. Von Rendezvous in Museen mal ganz abgesehen. Deswegen habe ich das mit der Zimmerpflanze aufgegeben. Dafür sprühe ich mir im Duty-Free jedes Mal das gleiche Hugo Boss Parfüme in meinen Flaum. Oder versuche trotz Ladenschluss noch das italienische Tagesgericht zu bestellen, weil das Innenambiente meines Kühlschranks nur aus gesalzener Kaergarden besteht. Wenigstens etwas Raum für Gewohnheit, in dem ich versuche auch in der Business Class möglichst gelassen auszusehen. Mit Second Hand Lederjacke und Dosenbier für sieben Franken sitze ich neben einem glatzköpfigen Finanzbuchhalter, der mir erklärt, dass sich die Bremse eines Porsches schwerer tritt, aber Ferraris schneller rosten. Ich erzähle ihm, dass […]

ps: vorübergehend nicht über Tinder erreichbar

 

BASTION

Ich wohne in einem Hotel in Les Arcs auf 1800 Höhenmetern. Zusammen mit den 21 besten Freestyle-Skifahrern der Welt, Rap Legende Dillon Cooper und einer Armada an Promotion Models, die von allen Kontinenten aus  eingeflogen wurden, um in den nächsten drei Tagen für das richtige Ambiente zu sorgen. Vor mir liegt ein gut ausgearbeiteter Programmplan, der in Times New Roman festhält, was es von nun an zu erleben gilt. Für alle, die das nicht verstehen, gibt es immer noch eine Pressekonferenz und freie Coronas. Ohne Blitzlichtgewitter und bestimmte Sitzordnung. Ohne Mikrofone und zu formalen Fragestellungen fällt hier und da ein Rosè Glas. Ich frage Taylor Seaton, ob er sich in diesem Jahr zum 11. Mal für die X-Games qualifizieren wird und ob er gleich noch mit in die Bar kommt. Es ist sicherlich schon nach 22 Uhr und irgendwann hört einfach niemand mehr zu. Henrik Harlaut, dreimaliger X-Games Goldmedaillengewinner, trägt ein Rastafari Beanie über seinen Dreadlocks und einen Kapuzenpullover, in dem sein Teamkollege Phil Casabon auch Platz finden würde. Die besten und kantigsten Charaktere des Sports sind seinem Ruf gefolgt und machen das B&E Invitational zum prestigeträchtigsten Contest im Freeski-Kalender. Ohne Weltcup Punkte, Juroren und außerirdisches Preisgeld und das, obwohl zeitgleich die European Open in Laax ausgetragen werden. Nur ohne die Besten. Einmal im Jahr zeigt die schneeverrückte Entourage ihren Verbänden, dass sie sich in kein Korsett pressen lässt und Skifahren ohne Helm einfach cooler ist. Dass die Hauptrolle im Schauspiel zwischen Industrie, Sportlern und Institutionen immer noch bei den Fahrern selbst liegt, auch wenn Taylor Seaton mir auf dem Weg zur Bar erklärt, dass es hier keinen Athleten gibt: „Dieses Event bringt den Rock’n’Roll zurück in den Sport. Wir sind keine Athleten, sondern begeisterte Skifahrer. Wenn du einen Coach hast oder nach einem Ernährungsplan lebst, hast du hier nichts zu suchen!“ Eine Besonderheit, die sich durch eine ungefilterte Liebe zur Sportart und all ihren Auswüchsen definiert. Gebündelt und gelebt unter dem Segen dieses Freeski-Contest bildet das B&E Invitational eine Bastion, die den „anderes Wort für Athleten“ Raum […]

 

MILITANT

Wir googlen nach diesen Inseln vor Faro, weil sie auf Bildern aussehen wie die europäische Karibik. Wir haben gehört, dass es dort keine Hotels gibt und man mit portugiesischen Fischern im Rentenalter flirten muss, um nicht im jede Nacht im Zelt zu schlafen. Bitte nicht im Frühjahr. Auch nicht in Südeuropa. Wie man auf diese Inseln kommt, haben wir noch nicht gehört. Vielleicht müssen wir das Auto zum Ausrauben für einige Tage auf dem Continente Parkplatz stehen lassen. Vielleicht gibt es eine Autofähre und zivilisierten Zugang zur Exotik dieses Archipels. Vielleicht bilden wir uns auch einfach zu viel ein und wissen, ohne Skandinavierinnen im Urlaubsmodus nach Sonnenuntergang, rein Garnichts mit uns anzufangen. Gestern haben wir Liebesfilme im Internet geschaut und auf unser Abendbrot geweint. Nicht, dass einer von uns dafür in den Süden Portugals möchte, aber ganz entsagen, will sich doch eigentlich keiner. Ich rede hier zumindest von Perspektive. Schöne Frauen gehören einfach in eine Bar am Strand, wie gedimmtes Licht und Songs von Rod Stewart. Denn Inneneinrichtung und Ambiente bestimmen den Wohlfühlfaktor. Frauen, die sich im fünften Monat in Reizwäsche portraitieren lassen, um ihren Liebsten damit eine illusionierte Freude zu bereiten, auch. Das wird zumindest deutlich, wenn man sich in einer Boutique für Fotografie eine ganze Viertelstunde beschäftigen muss, um auf die bestellten Farbfilme zu warten. Dafür gibt es hier Postkarten. Von Sonnenuntergängen rund um die Halbinsel. Von festangestellten Fischern mit regelmäßigem Einkommen und vom Karneval. Natürlich gibt es keine Ansichtskarten von Blechhütten und Armutsvierteln, die Peniche‘s Innenstadt eine ganz eigene Note verleihen. Oder von arbeitssuchenden Fußballfans, die ihre Nachmittage an strandnahen Danonetischen in der Danaubar verbringen. In 90 Minuten könnte man verkatert mit Garrett McNamara in einem traditionellen Fischrestaurant über große Wellen sprechen oder alternativ dazu lernen, endlich ohne Finger zu pfeifen. Man könnte Tiago`s Geburtstag in Ericeira feiern, obwohl das den zeitlichen Rahmen sprengt und keiner von uns dort wirklich hingehört. Sicherlich könnte man bei Regen einfach den Backofen anheizen, um gut gewärmt etwas mehr an Wachs Vier zu arbeiten. Wir entscheiden uns nach dem Fisch, den letzten Bus nach Lissabon zu nehmen, um unsere Farbfilme im portugiesischen Nachtleben zu belichten. Mit leichtem Sonnenbrand und der ganzen Welt in unseren Adern sitzen wir in der letzten Reihe des Linienbusses und müssen pinkeln. Rote Marlboros, begrenztes Budget und haltlose Erwartungen an einen Freitagabend. Lissabon ist ein Spielplatz ohne Zäune. Die lebendige Definition des Eldorados. Glatte Pflastersteine und Kokaindealer inmitten historisch verwinkelter Gassen. Gelbes Laternenlicht und Bars voller Austauschstudenten mit betrunkenem Akzent. Mehr davon, aber bitte ohne Gigi D’Agostino. Ohne eigenes Feuerzeug hat man genügend Zündstoff für Abendessen mit fremden Franzosen oder kostenlose Taxifahrten in Begleitung […]

 

SABBAT

Eigentlich wollte ich mir vor dem Abflug noch das Bier aus meiner Jeans waschen, obwohl ich für Kurzstreckenflüge nach Lissabon mittlerweile keine frischen Unterhosen mehr trage. Auch nicht, wenn mich die Frau am Check In darauf hinweist, dass ich mein Gepäck gerade zusammen mit dem Rammstein Sänger aufgeben durfte. Ich habe eben nur eine schwarze Jeans. Trotzdem fehlt mir die Zeit meinen Koffer mit frisch Gewaschenem auszustatten, weil ich ihn vor einer guten Stunde erst auspacken konnte. Auf dem Teppich meines 16 quadratmetergroßen Wohnvergnügens liegen eine ganze Menge Dinge. Adventura und einige Vice Magazine aus Berlin. Ein Knackwurstpaket aus Thüringen und ein paar zerknüllte Visitenkarten. Ich überlege ein schön aufgereihtes Foto zu schießen, um meine Freunde daran teilhaben zu lassen, dass ich kurz vor Mitternacht mein Boardbag packe. Selbstverständlich lasse ich diese Gelegenheit aus. Weil mir die Zeit fehlt und ich mir beim Vorstellen dieses Szenarios schon blöd vorkomme. Deswegen höre ich jetzt weiter Anastacia und konzentriere mich darauf, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auf meine Sitzplatzierung, die mich in zehntausend Meter Höhe mit einer Portugiesin bekannt macht, die nach Deutschland geflogen ist, um sich die Nase richten zu lassen. Ich erkläre ihr, dass ich für einige Wochen in Peniche leben will, um heruntergefahrene Rollläden und Nebensaison zu genießen. Weniger zu arbeiten und viel Zeit im Wasser zu verbringen ohne mich dabei in einem zu überschaubaren Tinder-Umkreis zu verlieren. Zumindest bis Portugals surfende Entourage wieder im Lande ist. Deswegen hat Nic mir ein paar brünette Kontakte aus Lissabon geschickt, mit denen sich der Milchkaffee besser trinkt, wenn Sam und Lennart an ihren eigenen Projekten arbeiten müssen. Abends trinken wir dann Super Bock, weil uns das Sagres ausgegangen ist und lachen darüber, dass sich nicht einmal die blonden Kontakte zu Wort gemeldet haben. Dafür gibt es hier eine ganze Menge Aussichtspunkte, von denen Erasmusstudenten vor der Absperrung in den Sonnenuntergang trinken. Ich sitze hier auf einer Bank hinter der Absperrung, versuche mir ein paar Highlights aus dem Kugelschreiber zu zaubern und mache aus Höflichkeit hin und wieder Fotos für Touristengruppen ohne Selfiestick. Bis mir der Weg zum Strand zu weit ist. Deswegen fahre ich einige Tage früher nach Norden. Carlos Motel ist schön und bescheiden. Ich bekomme die Honeymoon Suite, träume von meinem Zahnarzt und mache es mir häuslich. Wir haben einen kleinen Skatepool und einen 34 –jährigen Hausmeister, der früher einmal Punker war. Es gibt einen Garten mit wildem Physalis, aber noch kein Wlan. Dafür aber einen Rhythmus. Nach einer frühen Surfsession trinkt man hier Kaffee vorm Supermarkt an der Hauptstraße und hofft darauf mit Leuten bekannt gemacht zu werden, die einsame Küstenorte schöner machen. Mein Portugiesisch ist schlecht. Obwohl ich mir, nach der Surfeinheit am Nachmittag, alleine scharfe Chorizo ins Brötchen bestellen kann. Natürlich esse ich gerne zusammen mit Freunden, aber meistens kann ich mich erst nach der dritten Extraportion wirklich […]

 

SABBAT II

Alles in allem ist es genau das, was ich wollte. Eine Übung in Geduld und Zeit für Dinge, die inmitten ambitionierter Umtriebigkeit auch eine Daseinsberechtigung haben sollten. Hauptsache Salzwasser! Dann kann man den Geburtstag einer schönen Portugiesin für zehn Euro auch ungeduscht mitfeiern ohne sich dabei unwohl zu fühlen. Mit einem zurückhaltenden Engländer, der eigentlich offiziell seit sechs Monaten als vermisst gilt und unrasiert reisenden Surferinnen ohne Facebook Account. Befremdlich, dass man mit Menschen, mit denen man scheinbar die meisten Interessen teilt, letzten Endes die wenigste Zeit verbringen möchte. Trotzdem zeigt sich der Wert eines Jungen im Umgang mit Frauen, von denen er eigentlich nichts zu erwarten hat. Zitat Mama. Irgendwo in meiner Komfortzone, in der ich trotzdem feste Schuhe und ausgewaschene Jeans tragen möchte. Denn alles hat seine Zeit! Genauso wie portugiesische Karnevalskultur und industrieller Fischgeruch. Wie leere Bars vor Mitternacht in denen man mit portugiesischem Bäckereivokabular nicht wirklich provozieren kann. Zumindest, bis […]

 

ALTER EGO

„12 Uhr im Celeste!“ Ohne Smiley oder höfliche E-Mailverzierung. Ohne Erwartungen und wirkliche Bestätigung stehen wir eine Viertelstunde zu früh unter dem Vordach eines traditionellen Fischrestaurants und warten auf den Mann, der hier das Sagen hat. Den sie hier wie einen portugiesischen Volkshelden verehren, weil er Nazare zurück auf die Landkarte der Reiseempfehlung geschrieben hat. Weil er Tourismus und Arbeit in ein tausend Jahre altes Fischerdorf […]

 

UMTRIEBIG

Es ist Freitagabend in Lissabon. Wir stehen vor einem haushohen Banner, das direkt über die Fassade des São Jorge Kinos gespannt wurde und warten auf den Einlass. Im Foyer stehen eine ganze Menge wichtige Leute. Profisurfer und die, die es werden wollen. Manager, Marketing-Direktoren aus der Surfindustrie und viele Karohemden. Es gibt eine leichtbekleidete Portugiesin, die dafür verantwortlich ist, Limetten in die freien Coronas zu stecken und eine ganze Menge Andrang. Viele haben braune Haare, die durch Sonne und Salzwasser fast blond sind. Viele stehen mit uns auf dem Balkon vor dem Poster und rauchen rote […]