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BYND

Konstantin Arnold

PANTHEON

PANTHEON

Und dann kam das schlechte Wetter und brachte das Ende des Sommers. Der Wind brachte es vom Atlantik und zog dann ohne das Ende weiter und der Sommer wollte gar nicht mehr aufhören, zu Ende zu gehen. Man musste die Fenster schließen, damit die Welt drinnen nicht mit unterging und der Wind trieb den Regen gegen die Fenster und riss die letzten Blätter von den Bäumen, die dann an den Fenstern klebten oder nass und tot auf die Welt fielen und dort lagen und lagen, bis sie von irgendeiner kurzen Sonne getrocknet werden würden. Die Welt roch nach totem Laub, das nicht mehr wehte. Mit dem Regen kam die Traurigkeit in die Stadt und mit der Traurigkeit, diese eine Seite an ihr, die sich nicht mit dieser einen Seite an mir verstand. Ansonsten verstanden wir uns prächtig und ich glaube, dass diese eine Seite der Grund war, dass sich die anderen Seiten an uns, so gut miteinander verstanden. Das dachte ich damals und das denke ich auch noch heute. Es ging immer nur um Sachen, die egal waren, um die wichtigen Sachen stritten wir nie. Bei den wichtigen Sachen war es ganz egal, wer Recht hatte. Wenn irgendetwas wichtig war, setzten wir uns auf die Bänke, im amerikanischen Viertel, die man auf halber Strecke zwischen Treppen gestellt hatte, die nie einer ging, und erklärten uns einander. Wenn wir nicht weiterwussten oder sie sich zu lange erklärte, flogen meine Gedanken davon und ich dachte, dass das hier gute Bänke wären, um ein sich zu erklären, weil sie in einem ganz bestimmten Winkel zueinander aufgestellt wurden und man sich nicht anschreien und nichts schmeißen konnte, wegen der Nachbarn und dass hier viel Unkraut durch das Pflaster wächst, weil sie nie jemand ging. Ich nahm mir vor, die Treppen öfters zu gehen und irgendwie sah sie mir das immer an, wenn ich an Treppen dachte, die ich öfter gehen möchte und wir begannen zu streiten. Wir stritten von den Treppen bis zum Pantheon und dann zum Miradouro da Nossa Senhora. Einer ging immer vor und der andere rannte ihm nach und am Miradouro da Nossa Senhora begann es zu regnen oder wir bemerkten den Regen erst dort. Die Bäume waren alle kahl und die Kirche war zu und es gab auch sonst nichts zum Unterstellen, nur ein großes Kreuz in der Mitte des Platzes. Wir standen also unter dem großen Kreuz in der Mitte des Platzes, jeder unter seiner Seite des Kreuzes und wurden sehr nass. Ich hatte den ganzen Sommer über auf sie gewartet und ich hatte auch heute auf sie gewartet, obwohl gar kein Sommer mehr war, und ich hatte kein Problem damit gehabt, weil ich nie ein Problem damit hatte und sie ständig zu spät kam und ich ständig so dastand und rauchte und über Dinge nachdachte. Aber als sie heute zu spät kam, küsste sie mich zu flüchtig und sprach nur von ihrer neuen Wohnung und ich sagte ich hätte darüber nachgedacht, dass sie nur noch von ihrer neuen Wohnung sprechen würde und immer zu spät wäre. Sie hatte die gleichen Meinungen, die nicht stimmten, wie ich, aber manchmal saß sie nicht auf Bänken, zwischen Treppen, sondern wie eine Prinzessin auf einem Elefanten, der durch einen Dschungel lief und kämpfte gegen Mücken. Vom Elefanten ausgesehen, fielen meinem männlichen Betriebssystem ihre kurzen Haare auf. Sie waren scharf und kinnlang abgeschnitten und die Spitzen ihre Haare zeigten zu ihrem Mund. Ihr Mund hatte dieses ewige Erste an sich und ein unendlicher Impuls ging von ihm aus, der sich anfühlte, wie die […]

KAFFEE & SCHNAPS

KAFFEE & SCHNAPS

Im Leben eines Mannes gibt es viele Straßen und viele Winter, außer er wird schon früh von einem dahingerafft oder in einer Schlacht verwundet oder von einem Diesellastwagen überrollt oder stirbt an den Folgen einer ordentlichen Geschlechtskrankheit. Heute sterben Männer nicht mehr an Schlachten oder Geschlechtskrankheiten, schon gar nicht an Wintern, sie sprengen sich in die Luft oder kommen ins Altenheim, Sabbern sich ums Leben, oder stürzen einfach mit dem Flugzeug ab oder werden auf offener Straße, lautlos, von einem Elektroauto überfahren. Keiner gesehen. Manche schreiben auch Abschiedsbriefe auf ihren Notebooks, und knallen sich dann ab, weil sie zu feige sind, sich nicht abzuknallen oder mit ihren Frauen zu reden oder ihre Erektionsprobleme, mit der Hand, mal auf ein ehrliches Blatt Papier zu schreiben. Etwas Handgeschriebenes ist doch immer etwas sehr Nobles und etwas sehr Endgültiges, aus dem es kein Zurück, kein Kopieren, kein Einfügen mehr gibt. Es steht dann so da und es ist es sehr schwierig und sehr gesund mit der Hand zu schreiben, weil die Gedanken direkt vom Gehirn aufs Papier fließen können, noch bevor sie geschliffen sind und man sich fragt, ob allen klar ist, dass das hier kein Abschiedsbrief, sondern eine schöne Geschichte ist, in dem das menschliche Gefühl dem ästhetischen System eben weit voraus ist. Man kann nicht einfach so vor sich hin tippen und weglöschen, bis man endlich aufhört, weg zu löschen und zu denken und zu schreiben beginnt. Man kann auch nicht ohne weiteres eine Sicherheitskopie davon machen oder das Geschriebene irgendwo ablegen, wo keiner drankommt, weil man überall drankommt und alles abfackeln oder verloren gehen kann. Das macht es aufregend und in jenem Winter gab es für mich eine Straße, die so aufregend und endgültig war, dass sie mit der Hand geschrieben werden musste. Winter ist, wenn es sonnig ist und die Menschen in Lissabon Jacken tragen. Die Stadt atmet durch und ihr Atem riecht genauso wie er aussieht, durchsichtig, windig, warm, atlantisch gereinigter Ozon. Von den Menschen, die Reisen müssen, um zu Reisen und darauf hoffen, dass immer neue Länder das Reisen für sie übernehmen, sieht man wenige und die, die man sieht, tragen keine Jacken, sondern nur das, womit sie Januar auf Südeuropäisch übersetzt haben. Viele von ihnen werden krank und verbringen den Großteil ihrer Reise in den verbrauchten Betten ihrer Ferienunterbringung oder sie ziehen sich eine Lebensmittelvergiftung zu, weil sie in Restaurants gingen, in denen sie die Karte in ihrer Sprache dahatten und sich Sardinen bestellten, mitten im kalten Winter. So aber wurden die Plätze frei und die Wege leer und der Rauch von Esskastanien lag in der Luft und man konnte die Luft sehen, wie sie auf den Plätzen lag und durch kahle Bäume wehte und alles kleiner machte, gemütlicher, schöner, erwartungsloser, pariserischer, melancholischer, irgendetwas mit der Stadt machte, was weiß ich, was es machte, aber man schaute jedes Mal auf die Plätze der Stadt und fragte sich aufs neue, was genau die Luft mit der Stadt ma[…]

STREIT

STREIT

Dunkel, wie vor der Erschaffung der Welt ist es gewesen. Nur Taxis und Nebel gabs schon. Niemand auf den Straßen, nur ein Norweger und ich. Wir standen eine ganze Weile und es kam hin und wieder auch jemand vorbei, aber erst, nachdem ich diesen Satz fertig geschrieben hatte. Da waren Allerweltsmenschen, so unterschiedlich wie Grashalme, die von glücklichen Kühen gefressen werden, ich mochte sie nur, wenn sie Zigaretten daließen. Da waren hagere Frauen, die heimrannten nachdem sie den Norweger sahen und sahen, wie er ihnen im gelben Laternenlicht hinterher sah, mit seinen grundlosen Augen, die hinter einer randlosen Brille guckten, wie die Fenster eines U-Boots, tief und unter Druck. Er meinte, er stehe auf solche Frauen, große Frauen in Körpern von elfjährigen Jungen, am liebsten chinesisch, wäre aber selten. Der Norweger war sehr groß, aber gar nicht so norwegisch und pädophil, wie du ihn dir vorstellst. Er war ganz weiß und bewegte sich mächtig, wie ein schwuler Winston Churchill. Er sah aus wie ein betrunkener Engel oder ein Esoteriker mit Akne oder ein Arzt mit Bauch oder ein Alkoholiker oder alle zusammen, ausgebrochen aus einer Nervenklinik, in der die Patienten Leinen tragen und sich mit billigem Aftershave rasieren. Einmal kamen zwei Männer und eine Frau vorbei. Die Männer trugen enge, aufgeschlitzte Hosen und weiße Turnschuhe. Es waren die gleichen Männer, wie überall oder es waren andere. Einer der Männer sagte etwas und die anderen lachten. Der, der was gesagt hatte, lachte dann auch und der Norweger begann sich die Ohren zuzuhalten. Er hielt sich die Ohren zu, wie man sich zwei dröhnende Sirenen vom Kopf reißen würde, wenn irgendwo einer stirbt und jemand anruft und losgefahren wäre. Ich fragte warum? Er sagte, dass er im Lachen des einen Mannes die ganze Naivität unserer Zeit gehört hätte, es soll nach Bücherregaltapete geklungen haben. Ich sagte, ich wüsste, was er meine und wollte schon oft darüberschreiben, aber es funktioniere nicht. Ich schweife immer ab. Erst letztens wollte ich im Park einige hasserfüllte Zeilen für übertrieben selbstsichere Frauen schreiben, die gerne Sachbücher lesen, aber im Park rannten Hunde und ich dachte, wie geil muss es sein, vier Pfoten zu haben und einen tiefen Körperschwerpunkt und einfach wild im Park rumzurennen. Zur Begrüßung schnüffelt man sich am Genital. Ob ich weibliche Autoren lesen würde? Gedichte von Anna Achmatowa wären ganz gut, weil die Modigliani gebumst hat und so eine Engländerin, deren Namen ich vergessen habe, klingt aber männlich. Der Norweger sagte nichts. Dann sagte er Virginia Wolf, schön, groß, hager. Wir standen eine Weile da, sein Leinenhemd flackerte im Wind. Ich weiß nicht, an was der Norweger dachte, aber ich stellte mir Virginia Woolf vor, nackt und heterosexuell. Ich versuchte, sie mir so genau wie möglich vorzustellen, aber es war schwierig, denn zwischen der Ungenauigkeit meiner neurotischen Vorstellung und der Präzision ihrer viktorianischen Realität lag ein Stück unvorstellbare Individualität, etwas das nur Virginia wusste und alle, die mit ihr geschlafen hatten. Irgendwo aus der Ferne […]

KEIN TITEL

KEIN TITEL

Hab gerade mein Auto an einen Priester verkauft, um mir was zum Mittag zu leisten. Es gab eine Menge Interessenten, aber der Priester gefiel mir am besten. Leute, die sich für solche Schrotthaufen interessieren, sind normalerweise keine Priester, sondern arbeitslos oder HIV-positiv. Aber der Priester war auch etwas komisch. Er fluchte, als würde es keinen Himmel geben, weil das hier kaputt war und das und weil die Fahrertür nicht mehr richtig aufging. Er trug ein pinkfarbenes Hemd und hatte schön gegelte Haare, durch die er sich am liebsten gegangen wäre, als er das mit der Fahrertür mitbekam, aber er setzte nur an, erinnerte sich an den Aufwand und das viele Gel und rieb sich anstelle meditierend die Schläfen. Ich mochte ihn nicht und er mochte mich auch nicht und die Notarin, bei der wir den Schrotthaufen umschrieben ließen, mochte ihn auch nicht. Keiner wusste, woran das lag. Vielleicht, weil er eine große, gefälschte, goldene Uhr trug, vielleicht, weil er jung und fett war, vielleicht, weil er Ausländer hasste und ein pinkfarbenes Hemd trug. Ja, das muss es gewesen sein, das Hemd, und weil er fett und religiös war, Ausländer hasste, eine goldene Uhr trug und einen Schrotthaufen kaufen wollte. Er war ein Mann Gottes, der seinen Führerschein aber zu Hause gelassen hatte und deswegen den Vertrag nicht unterzeichnen konnte. Er sagte zum Notar, dass er Priester wäre und sein Wort Gehalt hätte, aber dem Notar wars egal, denn vorm Notar waren alle gleich. Also lief der dicke Priester heim, holte den Führerschein und wir unterzeichneten. Endlich! Er zahlte mich aus und schwitzte und ich winkte ihm nach, als er endlich in meinem Schrotthaufen davonfuhr. Ich würde ihn nie wiedersehen und ich war sehr froh darüber. Hätte ich einen Schwanz gehabt, er hätte gewedelt. Von seinem Geld ging ich mir erst mal eine Nudelsuppe kaufen. Es war ein heißer Sommertag und die Suppe war scharf und ich schwitzte. Seit Tagen war es unerträglich heiß, von den Nächten ganz zu schweigen. Man schwitzte, ob man Nudelsuppe aß oder nicht, reinkam, rausging, aufwachte oder einschlief, auf dem Fahrrad bergab rollte oder einfach nur still dasaß, man schwitzte. Ich fühlte mich wie ein Flip-Flop, der von einem schweren Mann auf einer langen Wanderung getragen wurde und am schlimmsten […]

UNGESAGTES

UNGESAGTES

An guten Tagen schrieb ich und ging dann ins Paco. An schlechten Tagen schrieb ich nicht und ging ins Paco. Wenn ich an guten Tagen ins Paco ging, wurden die Tage besser, an den schlechten gab es nichts, dass hätte schlechter werden können. Ich versuchte jeden Tag zu schreiben, so gut wie ich schreiben konnte, aber das Schreiben war eins von diesen fragilen Dingen, die von vielen anderen Dingen abhingen, die nichts mit dem Schreiben zu tun hatten. Bist du nach dem Paco noch woanders hin, konntest du am nächsten Tag nicht mehr schreiben. Hattest du von woanders ein Mädchen mitgenommen, die morgens aufwachen und frühstücken und Pläne machen wollte, konntest du nicht schreiben. Brauchtest du Geld, musstest du über Dinge schreiben, über die du nicht schreiben konntest. Und doch hatten diese Dinge immer alles mit dem Schreiben zu tun, denn sie fanden, früher oder später, ihren Weg in die Geschichten. Und wenn es sehr heiß war, wie in jenem Lissabonner Sommer als das Paco schloss, war es auch in den Geschichten sehr heiß oder es war gar nichts, weil es zu heiß war und man nicht schreiben konnte und am liebsten direkt ins Paco gegangen wäre. An den guten Wintertagen hingegen, wenn die Sonne hinter den Häusern und Hügeln hing und aus einem anderen müden Land, langsam und flach über den Fluss kam, fing ich schon sehr früh an, zu schreiben. Alles war noch aus und zu und kühl, nur die Markthalle, die sich den Platz vor dem Haus nahm, war immer schon wach. Die Fenster standen weit offen und das Straßenpflaster war nass. Irgendjemand blies auf einer Flöte über den Platz und ich schaute immer raus und konnte nie erkennen, wer da mit seiner Flöte über den Platz blies. Wenn ich gut vorankam und später durch die Stadt zum Paco ging, den steilen Weg zur Burg hinauf, durch schmale Gassen bis zum Largo da Graça hinunter und dann im Jardim Botto Machado ein Buch von Sherwood Anderson las, waren die Tage glücklich und grenzenlos. Ich sah hinunter zum Fluss, ich sah das Pantheon und den alten Bahnhof, dachte nicht viel und das, was ich dachte, war okay und klar. Es war meins, gewaltig und frei, mein Moment, mein Bahnhof, mein Pantheon, mein Fluss. Alles in mir, die ganze Welt in meinen Adern. Das einzige, was dem Glück jener Tage gefährlich werden konnte, waren Menschen und solange ich einer Verabredung aus dem Weg gehen konnte, tat ich das und die Tage blieben dann glücklich und ohne Telefon und frei. Oft hatte ich das Gefühl innerlich verabredet zu sein oder verabredet sein zu müssen. Dann lief ich einfach weiter als nur bis zum Jardim Botto Machado, so tief in die Gassen einer Stadt, dass ich mich selbst nicht wiederfinden konnte und niemandem hätte sagen können, wer ich war und wo ich bin. Begrenzt wurde das Glück also nur von Menschen, abgesehen von den sehr wenigen, die so gut waren, wie […]

VIER MEHR ALS SIE

VIER MEHR ALS SIE

So, und? Du weißt jetzt natürlich auch nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll, aber irgendwie muss ich damit anfangen. Du sitzt einfach nur so da und liest, wie ich so dasaß und versuchte habe anzufangen. Du tust das in der Bahn, an einem Tisch, ganz woanders, vielleicht an einer Ampel, hinter dir wird schon gehupt, im Rückspiegel siehst du den, der Hupt und einen kleinen, gelben Pickel. Kann sein, dass du gerade frisch vom Chinesen kommst, aus der Mittagspause mit dicken Buchhalterkollegen, die in ihren grauen Anzügen aussehen, wie billige Alpträume und von ihren Frauen sprachen, wie Männer, deren Namen man wieder vergisst. Männer, ohne Frauen. Männer, die sonst nie Frauen haben und alles, was sie von Frauen wissen, von Männern gehört haben. Am Arbeitsplatz angekommen, trinkst du noch einen schnellen Schluck Kaffee, rauchst, liest und hättest deine Mittagspause am liebsten alleine durchgemacht, um Bilanzen auszuwerten oder Paragraphen zu wälzen oder nichts über Frauen zu hören oder Menschen zu untersuchen, die lesen, lesen wie ich versucht habe anzufangen. So fangen wir an! Los geht’s! Bin gerade so gut drin. Ist immer noch besser, als aufzuhören oder einfach so weiterzumachen, wenn das Hirn nicht mehr weiß, wo es hindenken soll. Ist besser als Geburtstagsgrüße mit Kaufempfehlungen von Amazon oder Ansagen im Flugzeug. Besser als lange Ehejahre, Newsletter, Menschen, die frohe Weihnachten wünschen, nachdem man sie bezahlt hat und viel besser als die gestorbendste Abgestorbenheit, direkt hinter Menschen, die sich oft sagen, dass sie sich lieben, weil sie sich nicht mehr lieben, künstliche Dekorationsfrüchte. Ist aber eine andere Geschichte und ich will die hier nicht mit Dekorationsfrüchten ruinieren. Von dem Geld, das die kosten, sollte man sich lieber Kalaschnikows kaufen, Gummipuppen oder Briefmarken, durstigen Kindern in Afrika kaltes Mineralwasser spendieren. Alles besser als Dekorationsfrüchte, denn Dekorationsfrüchte sind tote Natur, Leben mit einer Lüg, eine Form von toter Natur, die mir besonders viel Angst macht, weil sie dekoriert ist. Nur den Tot kann man nicht mit Worten dekorieren. Egal wie schön die Früchte sind. Am Ende der Worte ist immer etwas tot. Miese Dinger, ein Satz über Dekorationsfrüchte und man klingt wie ein obstanbauender Friedhofswärter, den dieses Thema ernsthaft interessiert. Oder wie jemand, der sich gern Kokain von den Geschlechtsteilen ziehen lässt. Wollte ich schon immer einmal geschrieben haben, nur keine Ahnung wie die klingen, mit Sicherheit aufgeblasen. Ganz so schlimm ist es nicht, du wirst das ja am besten wissen. Du bist jener aufmerksame Leser, der über die Aufgabe des Dichters besser Bescheid weiß, als der Dichter selber. Du bist groß, klein, oder Arzt, Anwalt oder Psychopath, geht aber auch beides. Buchhalter oder der aus dem Marketing, den man an der Ampel angehupt hat, weil er unbedingt wissen wollte, wie ich anfange. […]

FANTAST

FANTAST

So ging ich in eine Spielunke auf dem Land an die Bar, die dem Schönsten der Welt sehr fern war und bestellte Lösungen. Der Raum in dem man volle Teller auf Tische stellte (Restaurant oder Essen zu sagen, wäre übertrieben gewesen) gehörte einem Ehepaar, das seit vierzig Jahren gemeinsam volle Teller auf Tische stellte. Bei denen ging gar nichts mehr. Sein Name war João und für viele Leute aus der Stadt war er ein Arschloch. Für die Leute auf dem Land war João jedoch der, ders geschafft hatte. Eigener Raum, in dem ihn Leute dafür bezahlten, dass er volle Teller auf Tische stellte und seit 40 Jahren unglücklich verheiratet. Für einige war er also ein Arschloch und für die einigen anderen, der ders geschafft hatte. Nur sein Name João war für alle gleich. Er stand kurz vor der Rente und hatte in seinem Leben keine Frau vergewaltigt und niemanden überfahren, in seinen Augen also ein erfolgreiches Leben geführt. Und ich sags dir, wie er da so saß so kurz vor drei, als ich in den Raum kam. So kurz vor dem Wochenende und sein Steak mit den Pommes aß. Der Wein vor ihm auf einer rosafarbenen Tischdecke. Die Gardine, die geradeso wehte. So sah Trostlosigkeit aus. Seine Frau stand in der Küche, seit 40 Jahren da in der Küche, sie alle zu bekochen. Jeden Tag. Sie war schon lange verblüht, auch wenn nichts an ihr darauf hindeutet, dass sie in ihrer Jugend jemals geblüht hatte, schön war oder überhaupt etwas anderes gewesen war, als verblüht. Ihr fehlten mehr Zähne, als sie noch hatte, deswegen konnte sie gegen das Spucken beim Sprechen nicht viel machen. Als erstes fragte sie mich (Spucke) ob ich vorher schon mal (Spucke) in Fatima gewesen bin (Spucke). Ich sagte ja, einmal bei McDonalds, kurz von der Autobahn. Die anerzogene Gläubige in ihr erschauderte, dem Rest von ihr wars egal. Dann begann sie mir Fotos von Fatima zu zeigen. Der Kirche, dem Papst, der Jungfrau Maria. Auf allen dreien war eingetrocknete Spucke. Weil das mit den Fotos gut lief, holte sie noch eine andere Kiste heraus und begann mir Fotos von sich und João zu zeigen, damals in der Algarve, João beim Militär, die Hochzeit, Ferien, das erste Kind und dessen einjähriger Geburtstag, die Kinder des ersten Kindes und ihre einjährigen Geburtstage und so weiter. Warum, fragte ich sie, empfinde ich Symbole des harmonischen Zusammenseins (Mann und Frau, die einmal im Jahr Ferien machen) immer als Angriff auf meine Freiheit? Sie wusste gar nicht, was sie sagen sollte, damit sie spucken konnte. João, rief sie, João komm mal her und bring den Wein mit, rief sie (ganz viel Spucke, das mit der Spucke lassen wir ab jetzt weg). Bis sich João von der rosafarbenen Tischdecke auf den langen Weg zum Ursprung der Rufe seiner Frau machte, versuchte sie sich eine Antwort zusammen zu stacheln. Sie war eine liebenswerte Frau und ich mochte sie sehr. Das hat, was mit dem Alter zu tun, sagte sie. Und freute sich sehr über ihre Antwort. Sie dürfe das nicht Fall falsch verstehen, sagte ich. Ich hätte nichts gegen die Ehe, ich will an die Ehe glauben, deswegen bin ich gekommen. Leute, die gegen die Ehe sind, weil sie für die Freiheit des Einzelnen sind und Menschen verurteilen, die in Ehen sind, sind nicht besser als das, gegen was sie sind. Ich begann ihr von einer verheirateten Alten zu erzählen, älter als meine Mutter ist sie gewesen, mit der ich vor einigen Jahren eine Affäre hatte. Es war das einzige in meinem Leben, das bisher mit dem Alter zu tun hatte. Unsere Affäre bestand mehr aus Ausstellungen besuchen, im Park spazieren und ein bisschen Fummeln, als aus den Dingen, aus denen Dingen, aus denen gewöhnliche Affären sind. Sie hatte aber immer nur morgens Zeit, sagte ich ihr, kurz nach dem Frühstück. Nüchtern und mit Müsli im Bauch konnte ich unmöglich eine Frau flachlegen, die älter war, als meine eigene Mutter. Sie schaute sehr verdutzt und kreuzigte sich ein paar Mal. Dann kam João. Er schien die Sache auf eine ländliche lässige Art sehr ernst zu nehmen. So wie das Reparieren eines Autos, wenn es sonst nichts zu reparieren gibt. Er setzte sich und […]

BREITBEINIG

BREITBEINIG

Es war eine heiße Lissabonner Sommernacht. Sie trug ein leichtes Kleid, lehnte an einer Wand und zog an einem Strohhalm. Ihr Blick wich mir aus, suchte dauernd andere Blicke, denen er ausweichen konnte. Lange würde sie das nicht mehr durchhalten. Unsere Blicke würden sich treffen, ineinander verhaken, kollidieren, Kernschmelze, irreparable, Boom. Ich guckte während ich redete oder redete ich besser gesagt, während ich guckte? Von weitem war sie Schönheit auf den ersten Blick. Eine von diesen eiligen Raketen, die man auf der anderen Straßenseite laufen sieht und sich fragt, warum man solche Frauen immer auf der anderen Straßenseite laufen sieht. Bügelfalte und gestiefelte Waden. Wie gerne würde ich mich bei Regen Mal mit ihr unter die gleiche Arkade flüchten. Ich ging hin und machte sie an. Es war ein weiter Weg zum Anmachen, einmal über den Platz. Zwischen uns lag ein Fest, das ich jetzt aufs Papier bringe, steil am Hang. Die Sprunggelenke auf Anschlag. Hindernisse. Menschen, Bühnen, Bierbänke. Viel zum Stolpern, hängen bleiben, Bier verschütten und sich dann wegen Bier verschütten prügeln müssen. Es war eng, wurde enger, am Engsten. Den Bühnen und Bierbänken doch egal. Feiertage! Das Leben war an. Einer singt der Rest singt mit. Die Sardinen braten, die Menschen tanzen. Die Touristen stehen ahnungslos da. Die Texte der Lieder sind herrlich unanständig. Während ich mich durch die Massen quetschte, erzählen sie also von einem, der sich eine Ziege anschaffen musste, weil die Mutter zu Arm war, um selber Milch zu geben oder vergleichen Geschlechtsverkehr mit dem Rein –und Rausfahren aus einer Garage. In der Mitte des Platzes stand ein großer, starker Jacaranda. Etwas Lilafarbenes, wunderschön, googel mal. Die Menschen saßen um ihn herum, aßen, tranken, rauchten, tanzten, schwitzen, lockten sich an. Die Touristen standen ahnungslos da. Und über allen der gleiche Himmel, sorglos und frei. Nur mit Girlanden und Rauch bedeckt. Ganz viel Rauch, der von den gebratenen Sardinen bis zur Atmosphäre aufstieg und sich wie ein Schleier aus Sehnsüchten über die Steilheit des Platzes legte. Es war heiß, aber das sagte ich bereits. Was ich jetzt damit sagen will, ist, es roch warm, nach […]

KLISCHEE

KLISCHEE

Er war lange weg gewesen und immer hatte er an das Dorf und das Mädchen gedacht. Das Dorf war eigentlich kein Dorf gewesen, es waren bloß Häuser, die sich an einer Küstenstraße versammelt hatten, kurz bevor der Fluss zu Meer wird. Viele Boote ankerten hier und wenn die Sonne am späten Nachmittag auf die Boote schien, hielten die Touristen mit ihren Autos an und knallten einander auf die Stoßstangen und fotografierten sich und die Boote und ihre Stoßstangen. Es war ein Ort, den man schon oft vom Meer und von der Straße aus gesehen hatte. Mehr nicht. Keine Sehenswürdigkeiten, nichts zum Durchfahren. Nur ein Fluss, der sich sehr nah an die Straße wagte und dazwischen lagen Gleise im Sand, über die ein Zug fuhr, der für die paar Häuser aber keinen Halt machte. Hinter den Häusern zog sich ein Park den Hang hinauf und in der Mitte des Parks war kein See. Es standen viele Büsten verstorbener Schriftsteller in dem Park und ihre Zitate waren in die Gassen eingelassen. Manchmal roch es nach Rasen. Am liebsten hatte er den Park, wenn sich der Himmel am Abend nach einem Regentag lichtete. Dann waren die Gassen leer und er konnte die Zitate lesen, während die schwere Sonne hinter den leuchtenden Hügeln ganz für ihn alleine ins Meer fiel. Manchmal liefen Paare mit ihren Hunden über sie hinweg, liefen so vor sich hin und schwiegen oder knutschten oder fotografierten sich knutschend, während ihre Hunde im letzten Licht des Tages auf die Zitate kackten. Es waren Szenen unter der sorglosen Ewigkeit einer südlichen Sonne. Er saß dann ganz oben und dachte an das Mädchen und schaute über kackende Hunde und den Park bis zur Straße hinunter. Die Atome tanzten im Licht und der Wind atmete warme Ferne. Ganz unten, hinter glühenden Gleisen, lag still der Ozean. Menschleeres Blau. Während er […]

DIVA

DIVA

Spät ist die Nacht. Spät und schwarz und einsam. Sie war schon schwarz und einsam, als ich aus der Nacht ins Café kam. Nur spät war sie noch nicht. Spät ist sie geworden. Keine Ahnung wie spät sie schon geworden ist, aber sie sieht nach Ende aus, nach zu spät. Eine leere Zeit liegt im Raum. Meine Fragen sitzen mit mir an der Bar und beobachten mich im Spiegel. Gut sehe ich aus, so hemdärmelig auf die Theke gelehnt, übersinnlich in Zigarettennebel gehüllt. Vor mir das Notizbuch, wie die ganz Großen. In der Luft liegen dreckige, alte 80er. Die Stimmung passt nicht zu den Gästen. Außer mir ist da nur noch ein dicker Mixer und eine Frau, die mit einem Mann am anderen Ende des Raumes zu ende plaudert. Die Frau sieht schön aus. Aber es braucht nicht viel, um schön auszusehen. Duft, Lippen, Pferdehaar und ein paar Zentimeter freigelegte Beine am anderen Ende des Raumes. Armselige Leidenschaften, die bedeuten gar nichts. Sie wiegen nicht, sie haben keinen Wert, sie haben nur viel gekostet. Denn alles, was Wert hat, wiegt, wenn es Leiden schafft. Vor Mitternacht trug sie einen schwarzen Rollkragenpullover, der durch ihre handvollen Brüste und den Gürtel ihrer Jeanshose zu einer straffgezogenen Figur gespannt wurde. Als es später wurde, pellte sie sich den Rollkragenpullover von der Haut und legte ein Oberteil frei, das nun nahtlos und weiß um ihr Dekolleté klebt. Ihre Haut sitzt eng. Drall, so als würde ihre Haut fast platzen. Ich mag es, wenn Haut fast platzt. Und mit ihr das Negligé oder die Lingerie, oder wie auch immer man das mit der Seide nennt. Außerdem mag ich Arme. Dünne, portugiesische Arme. Vor allem den Knick zwischen Oberarm und Schulterblatt, der beim Melden entsteht. Anoperieren kann man den nicht. Ja, was glaubst du denn? Natürlich, da ist immer noch Schönheit. Viel Schönheit. Sie sind alle noch schön, schöngemacht. Ich weiß nur nichts mehr mit ihrer Schönheit anzufangen, ihre Schönheit ist wertlos. Sie muss nicht mehr gelöst werden –höchstens in Worten aufgelöst werden, bis nichts mehr von ihr übrig ist, außer Schönheitschirurgie und Seide. Aber das ist Zwang. Einmal kam die schöne Frau an dir Bar und bestellte. Ihr Dekolletee holperte auf mich und den Mixer zu. Ich konnte den kurvigen Schatten zwischen ihren goldbraunen Brüsten im Spiegel sehen. Ein Riss in etwas Festem. Silikon. Die Erde bebte. Sie zahlte. Ihr Duft verweilte. Es waren junge, gemachte Brüste, die sie da trug. Felsenfest. Ihr Gesicht war durch die junggemachten Brüste gar nicht zu erkennen. Ob der Mann, oder das, was von dem Mann noch übrig ist, ihr Mann ist, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich schon, die Ärmste. Der Mann ist nicht, er hat. Und wenn er wäre, dann wäre er nicht nach innen, sondern würde nur nach außen leben. Er trägt fürchterlich weiße Turnschuhe, die sich höchstens zum Angeben eignen und eine Chinohose, die enger sitzt als Haut. Um seine Glatze hängt ein Schal. Hätte er eine Frisur, würde die sitzen. Und wie er redet, so angespannt sieht er aus wie ein steifer Pimmel mit Bart, der sich von seinem Erbe in der Freizeit gerne Kokain kauft. Als hätte man ihm das Fleisch schon seit der Muttermilch mit jenem Geld geflutet, aus dem er geworden ist. Ich stelle mir vor, wie er auf dem Perserteppich seines puritanischen Vaters in Kotze kniet und um Liebe fleht. Soll ich aufstehen und ihm aufs Maul hauen und dann mit Scheiße am Schuh auf seine unverschämt weißen Schlappen latschen? Nur wo um diese Zeit noch frische Hundescheiße herbekommen? Der Gedanke verf[…]