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BYND

Konstantin Arnold

KAFFEE & SCHNAPS

KAFFEE & SCHNAPS

Im Leben eines Mannes gibt es viele Straßen und viele Winter, außer er wird schon früh von einem dahingerafft oder in einer Schlacht verwundet oder von einem Diesellastwagen überrollt oder stirbt an den Folgen einer ordentlichen Geschlechtskrankheit. Heute sterben Männer nicht mehr an Schlachten oder Geschlechtskrankheiten, schon gar nicht an Wintern, sie sprengen sich in die Luft oder kommen ins Altenheim, Sabbern sich ums Leben, oder stürzen einfach mit dem Flugzeug ab oder werden auf offener Straße, lautlos, von einem Elektroauto überfahren. Keiner gesehen. Manche schreiben auch Abschiedsbriefe auf ihren Notebooks, und knallen sich dann ab, weil sie zu feige sind, sich nicht abzuknallen oder mit ihren Frauen zu reden oder ihre Erektionsprobleme, mit der Hand, mal auf ein ehrliches Blatt Papier zu schreiben. Etwas Handgeschriebenes ist doch immer etwas sehr Nobles und etwas sehr Endgültiges, aus dem es kein Zurück, kein Kopieren, kein Einfügen mehr gibt. Es steht dann so da und es ist es sehr schwierig und sehr gesund mit der Hand zu schreiben, weil die Gedanken direkt vom Gehirn aufs Papier fließen können, noch bevor sie geschliffen sind und man sich fragt, ob allen klar ist, dass das hier kein Abschiedsbrief, sondern eine schöne Geschichte ist, in dem das menschliche Gefühl dem ästhetischen System eben weit voraus ist. Man kann nicht einfach so vor sich hin tippen und weglöschen, bis man endlich aufhört, weg zu löschen und zu denken und zu schreiben beginnt. Man kann auch nicht ohne weiteres eine Sicherheitskopie davon machen oder das Geschriebene irgendwo ablegen, wo keiner drankommt, weil man überall drankommt und alles abfackeln oder verloren gehen kann. Das macht es aufregend und in jenem Winter gab es für mich eine Straße, die so aufregend und endgültig war, dass sie mit der Hand geschrieben werden musste. Winter ist, wenn es sonnig ist und die Menschen in Lissabon Jacken tragen. Die Stadt atmet durch und ihr Atem riecht genauso wie er aussieht, durchsichtig, windig, warm, atlantisch gereinigter Ozon. Von den Menschen, die Reisen müssen, um zu Reisen und darauf hoffen, dass immer neue Länder das Reisen für sie übernehmen, sieht man wenige und die, die man sieht, tragen keine Jacken, sondern nur das, womit sie Januar auf Südeuropäisch übersetzt haben. Viele von ihnen werden krank und verbringen den Großteil ihrer Reise in den verbrauchten Betten ihrer Ferienunterbringung oder sie ziehen sich eine Lebensmittelvergiftung zu, weil sie in Restaurants gingen, in denen sie die Karte in ihrer Sprache dahatten und sich Sardinen bestellten, mitten im kalten Winter. So aber wurden die Plätze frei und die Wege leer und der Rauch von Esskastanien lag in der Luft und man konnte die Luft sehen, wie sie auf den Plätzen lag und durch kahle Bäume wehte und alles kleiner machte, gemütlicher, schöner, erwartungsloser, pariserischer, melancholischer, irgendetwas mit der Stadt machte, was weiß ich, was es machte, aber man schaute jedes Mal auf die Plätze der Stadt und fragte sich aufs neue, was genau die Luft mit der Stadt ma[…]