URLAUB
Fast Sommer. Kurz nach der Paarungszeit. Die letzten Tauben grasen auf den Plätzen wie Kühe oder pflanzen sich auf eine Art und Weise fort, die wir uns seit Jahrhunderten mühsam versuchen abzugewöhnen. Erst nur die Kirche, dann sind wir selbst zu Kirche geworden. Das Schöne an den Jahrhunderten ist ja, dass sie sich selbst vom Mist filtern, und von allein auf ihren Wahrheitsgehalt reduzieren, auf das Ewige, alles was hält und frei ist von Eitelkeit, Absicht, Befürchtung, wirst schon sehen! Spanische Anreden sind ewig, Weihnachten und Sex von hinten, Lieder, die von traurigen Portugiesen in Cordanzügen gesungen werden, während sie auf Heuballen stehen und deutsche Rezepte, die aus Hungersnöten in Weltkriegen gemacht wurden. Das Spanische und Portugiesische unterscheidet sich kaum in seinen Klischees, dafür aber im Alltag und das Geheimnis liegt in den Tagen verborgen, die sind, wie alle anderen Tage. Vor allem da unterscheiden sich Portugal und Deutschland sehr. Die Deutschen sind gut an der Arbeit, die Portugiesen besser danach. Und umgedreht. Die Spanier sind für die Portugiesen, was die Portugiesen für die Deutschen sind, und für mich ist Portugal die schöne Version von Spanien. Deutschland ist mir doch egal. Würde lieber in Portugal sterben, als in Deutschland leben. Allem im Norden fehlt die südliche Glut, mir auch. Wir sind Einsiedlerwesen, die sich mit ihren Hemmungen beschäftigen. Voll mit Neurosen, bis unters Dach, zerfressen von innen. Die Menschen hassen sich. Erschrecken fast, wenn sie einen sehen und verbringen ihre Zeit am liebsten mit Möbeln und Autoputzen oder Ausflügen, die sie lange geplant haben. Wenn nichts geplant ist, machen sie den Garten, wie man ihn so macht. Ich würde gegen all die Kleingartenmanie gerne mal in den Krieg ziehen, für Portugal, aber man zieht heute nicht mehr in den Krieg, man klickt ihn an. Er passiert einfach so, man kommentiert ihn, aber keiner geht hin. In Portugal arbeitet man im Blaumann, schraubt oder steht in Scheiße rum und setzt sich nach Feierabend, im Anzug auf einen schönen Platz, auf dem Tauben grasen wie Kühe, die sich gewaltsam miteinander fortpflanzen. Liebt die Lebenden und die Toten. Ist ganz da, setzt sich, wenn’s sein muss, im Schatten einmal um den gesamten Platz herum. Trinkt eine Flasche Wein. Wartet auf jemanden, mit dem man die teilen kann. Ende der Aktion. Falls keine Tageszeitung mehr über den Platz weht, die man lesen kann. In Deutschland fährt man im Anzug zur Arbeit, macht Tür auf, geht Treppe runter, ganz früh und ganz aufgeregt auf dem Fahrrad, mit Leuchtkleidung an, klingelt wie man mit einem Maschinengewehr auf Frauen und Kinder schießen würde und frisst sein aufgetautes Mittagessen aus einem Plastikcontainer, den sich die Ehefrau im praktischen Familien-Set selbst zum Geburtstag schenkte. Wie eine Kuh. Ganz und gar und glücklich. Und nach Feierabend, Tür wieder zu, Treppe wieder rauf, zieht man sich etwas Graues an und geht die Treppe nochmal runter, in Badelatschen, kurz zum Dönnermann, noch eine Hawaii kaufen, um gemütlich zwischen den Raufasertapeten eine Serien fertigzugucken oder im Internet Sachen zu kommentieren und danach was bei Amazon zu kaufen, einen Gartenmöbel, scrollend, mit nur einem Fettfinger, oder einen Zeitartikel zu lesen, den eine vegane Volontärin mit welken Eierstöcken aus einem teuren Yogaretreat in Indonesien geschrieben hat, in dem alle um fünf Uhr aufstehen und Avocados essen, mit edlen Samen drauf, die von Kindern gesammelt wurden und diese ganze Gottlosigkeit mit etwas Einatmen aufarbeiteten. Für Kacke, die endlich mal fest ist. Gefangen im Grenzenlosen, zu glauben, wir steigen, wenn wir gehen, fahren, fliegen, erledigen, sich absolvieren. Nichts ist so inhaftierend, wie die Möglichkeit zu allem, denn alles ist die konstante Ablenkung vom Nichts. Und beim Nichts wollen wir’s belassen, bevor’s mit mir […]