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BYND

Konstantin Arnold

SOLITÄR

SOLITÄR

Ich hatte ihn bei einem Abendessen kennengelernt und wir sprachen über das Restaurant und er fragte, was ich an diesem Restaurant mochte und ich erklärte ihm, wie es früher war, als man Sägemehl auf den Boden streute und auf den Boden rotzen durfte und da versuchte er, es zu mögen und so saßen wir da, ich, der es mochte und er, der versuchte es zu mögen und mich danach fragte. Er sagte, er verstehe das schon, Lissabon, die Romantik alter Lokale und ein Lokal als urbaner Raum zufälliger Begegnung und so, die Anonymität der Stadt mit den flüchtigen Frauenblicken der Boulevards, die kommen und gehen und ich sagte, er verstehe gar nichts. Er hatte keinen Plan von der Stadt und dem Leben in der Stadt, denn er lebte draußen auf dem Land und aß komische Sachen und sagte, dass wir komische Sachen essen würden. Er kannte das Leben aus der Stadt nur aus Büchern und den Geschichten, die ich über die Stadt geschrieben hatte, aber er kannte das goldene Licht der Straßenlaternen nicht und die frische Morgenluft oder den Klang der Gitterstäbe, wenn man seinen Regenschirm an der Umzäunung eines Parks entlangrattern lässt oder den Rauch der Esskastanien, die viel mehr sind als Kastanien, die man essen kann, weil ihr Rauch für den Spezialeffekt der Stadt verantwortlich ist. Er wusste nur, was er kannte und seine Sinne empfinden, wenn sie eine vorbeischreitende Frau in sich schloss und forttrug, auf ferne Reisen in Gedanken, durch die Tage aller Zeiten, in denen er dahinging, wie die Hoffnung geht, von einer zur nächsten, und als er zu allen auf dem Land gegangen war, kam er in die Stadt. Er sah sich die jungen Frauen auf den Straßen an, die nie alt werden und dachte, dass die auch mal alt werden, aber man sah es nicht. Nur zeitweilig sah man es, wenn man eine festhielt und das alt werden mit ihr in sich fühlte, wie die Liebe. Er sagte, er hätte eine Weile so eine gehabt. Sie wäre lieb und duldsam gewesen, so wie Frauen sind, wenn man sie bezahlt, aber sie hatte dann gewählt wie Frauen wählen, für immer. Er war überzeugt davon, dass wir Frauen, die wir für immer wollten, aber nicht immer, nicht retten konnten, weil wir sie nicht genug liebten oder gar nicht liebten, was dasselbe ist. Also beendete er es und sah sie, weil es auf dem Land kein Entkommen gibt, das arme gebrochene Mädchen in Tränen gebadet, die Gebrochene gebadet in Tränen und er sah ihre Brüder mit Wut in den Bäuchen und Blut in den Fäusten. Verdammt, was hätte er denn tun sollen. Dortbleiben? Sich breitschlagen lassen? Sechs Wochen das Bett hüten, sie in sein Herz dringen lassen, bitterlich erweichen, heiraten, sich ihren Eltern vorstellen, Brüdern und Freundinnen. Er erklärte mir, wie es war und passiert ist und wie gut sie ihn kannte und es ist immer dasselbe. Ich sagte nichts und dann sagte ich, dass sie vielleicht alles wert gewesen wäre. Er geht an ihr vorbei, wie an einem Haus, in das er eines Tages einzieht. Vielleicht ist sie das Ziel allen Strebens und wenn sie das ist und er ihr hinterherging, weil ihn alle anderen ankotzten und er sie bekam, was will er dann noch von allen, die ihn angekotzt haben. Er hätte sie ja nicht gleich heiraten brauchen, aber zumindest in sein Herz dringen lassen können und sie aus den Armen dieser Zuhälterbrüder befreien müssen. Er hätte sich seine Worte und Gedanken sparen sollen und nicht an mich oder andere verschwenden. Du hast Recht, sagte er. Ich hätte es […]

URLAUB

URLAUB

Fast Sommer. Kurz nach der Paarungszeit. Die letzten Tauben grasen auf den Plätzen wie Kühe oder pflanzen sich auf eine Art und Weise fort, die wir uns seit Jahrhunderten mühsam versuchen abzugewöhnen. Erst nur die Kirche, dann sind wir selbst zu Kirche geworden. Das Schöne an den Jahrhunderten ist ja, dass sie sich selbst vom Mist filtern, und von allein auf ihren Wahrheitsgehalt reduzieren, auf das Ewige, alles was hält und frei ist von Eitelkeit, Absicht, Befürchtung, wirst schon sehen! Spanische Anreden sind ewig, Weihnachten und Sex von hinten, Lieder, die von traurigen Portugiesen in Cordanzügen gesungen werden, während sie auf Heuballen stehen und deutsche Rezepte, die aus Hungersnöten in Weltkriegen gemacht wurden. Das Spanische und Portugiesische unterscheidet sich kaum in seinen Klischees, dafür aber im Alltag und das Geheimnis liegt in den Tagen verborgen, die sind, wie alle anderen Tage. Vor allem da unterscheiden sich Portugal und Deutschland sehr. Die Deutschen sind gut an der Arbeit, die Portugiesen besser danach. Und umgedreht. Die Spanier sind für die Portugiesen, was die Portugiesen für die Deutschen sind, und für mich ist Portugal die schöne Version von Spanien. Deutschland ist mir doch egal. Würde lieber in Portugal sterben, als in Deutschland leben. Allem im Norden fehlt die südliche Glut, mir auch. Wir sind Einsiedlerwesen, die sich mit ihren Hemmungen beschäftigen. Voll mit Neurosen, bis unters Dach, zerfressen von innen. Die Menschen hassen sich. Erschrecken fast, wenn sie einen sehen und verbringen ihre Zeit am liebsten mit Möbeln und Autoputzen oder Ausflügen, die sie lange geplant haben. Wenn nichts geplant ist, machen sie den Garten, wie man ihn so macht. Ich würde gegen all die Kleingartenmanie gerne mal in den Krieg ziehen, für Portugal, aber man zieht heute nicht mehr in den Krieg, man klickt ihn an. Er passiert einfach so, man kommentiert ihn, aber keiner geht hin. In Portugal arbeitet man im Blaumann, schraubt oder steht in Scheiße rum und setzt sich nach Feierabend, im Anzug auf einen schönen Platz, auf dem Tauben grasen wie Kühe, die sich gewaltsam miteinander fortpflanzen. Liebt die Lebenden und die Toten. Ist ganz da, setzt sich, wenn’s sein muss, im Schatten einmal um den gesamten Platz herum. Trinkt eine Flasche Wein. Wartet auf jemanden, mit dem man die teilen kann. Ende der Aktion. Falls keine Tageszeitung mehr über den Platz weht, die man lesen kann. In Deutschland fährt man im Anzug zur Arbeit, macht Tür auf, geht Treppe runter, ganz früh und ganz aufgeregt auf dem Fahrrad, mit Leuchtkleidung an, klingelt wie man mit einem Maschinengewehr auf Frauen und Kinder schießen würde und frisst sein aufgetautes Mittagessen aus einem Plastikcontainer, den sich die Ehefrau im praktischen Familien-Set selbst zum Geburtstag schenkte. Wie eine Kuh. Ganz und gar und glücklich. Und nach Feierabend, Tür wieder zu, Treppe wieder rauf, zieht man sich etwas Graues an und geht die Treppe nochmal runter, in Badelatschen, kurz zum Dönnermann, noch eine Hawaii kaufen, um gemütlich zwischen den Raufasertapeten eine Serien fertigzugucken oder im Internet Sachen zu kommentieren und danach was bei Amazon zu kaufen, einen Gartenmöbel, scrollend, mit nur einem Fettfinger, oder einen Zeitartikel zu lesen, den eine vegane Volontärin mit welken Eierstöcken aus einem teuren Yogaretreat in Indonesien geschrieben hat, in dem alle um fünf Uhr aufstehen und Avocados essen, mit edlen Samen drauf, die von Kindern gesammelt wurden und diese ganze Gottlosigkeit mit etwas Einatmen aufarbeiteten. Für Kacke, die endlich mal fest ist. Gefangen im Grenzenlosen, zu glauben, wir steigen, wenn wir gehen, fahren, fliegen, erledigen, sich absolvieren. Nichts ist so inhaftierend, wie die Möglichkeit zu allem, denn alles ist die konstante Ablenkung vom Nichts. Und beim Nichts wollen wir’s belassen, bevor’s mit mir […]

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Nach einigen durchzechten Nächten in Portugals Hauptstadt begann unser Trip im Hoheitsgebiet des portugiesischen Prinzen: Ericeira. Auf dem einzigen Campingplatz errichteten wir für die ersten beiden Nächte unser Lager, bestehend aus einem Ford Nugget und genügend Camping Gear, um eine Mondlandung auszustatten. Direkt am ersten Morgen nach unserer Anreise joggte ich, nicht zuletzt um mein Partyo Alto Gewissen zu erleichtern, in meinem 4/3’er E-Bomb zum nahe gelegenen Ribeira de Ilhas. Der Forecast versprach eine Session, wie man sie sich nach zwei ungesurften Monaten wünscht: vier Fuß, kaum Wind und eine zweistellige Periode. Doch bereits als ich den ersten Hügel passierte, zweifelte ich an meinen Interpretationsfähigkeiten, denn alles was ich vorfand war eine hüfthohe Welle am Shorebreak. Gleich drauf schaute ich auf meine Uhr und bemerkte, dass ich noch immer indonesischen Tidenhub, anstelle des portugiesischen eingestellt hatte. Deprimiert und verschwitzt machte ich mich also auf den Weg zurück und versuchte im morgendlichen Berufsverkehr einen Autofahrer davon zu überzeugen, dass mein Neopren höchstens von Innen nass sei und er mich doch getrost bis zum Campingplatz mitnehmen könne. Sechs Stunden später war Lowtide und das südlich gelegene Sao Juliao the place to be. Nach zwei weiteren Nächten fuhren wir über die portugiesische Golden Gate Bridge und fanden uns eine Stunde später in Lagoa de Albufeira wieder. Eine Region, die ich während meiner letzten Portugalaufenthalte immer ausgelassen hatte, bekam nun erstmalig ihre surfspezifische Chance. Jedoch ist zu erwähnen, dass es auch ihre letzte war, denn außer einer riesigen Lagune inklusive Flussmündung bietet die Region oberhalb von Setubal kaum Scoring Potential. In der Hoffnung einen schönen Stellplatz zu finden machten wir uns noch am Abend weiter gen Süden. In Porto Covo hatte ich auf unsere Karte den Vermerk „easy Camping“ ausgewiesen. Und das war es auch! Ein Stellplatz jagte den nächsten und das in unmittelbarer Küstennähe direkt neben einem verschlafenen Fischerdörfchen, in dem der Tourismus langsam aber sicher seinen Einzug zu […]